Poesie und die Erforschung des Alls, künstliche Intelligenz, die Journalismus-Krise und „Non-Obvious Thinking“ – in den SXSW-Sessions 2024 kommt alles zusammen. Die nächste Krise, disruptive Trends und potenzielle Chancen gehen in Austin Hand in Hand – wo Innovation und Inspiration an der Schnittstelle von Technologie, Entertainment, Marketing und Wissenschaft aufeinandertreffen.

Die Schönheit des Unbekannten in Kunst und Wissenschaft

Was kann man von der Eröffnungs-Session einer der wichtigsten Innovations-, Tech- und Entertainment-Konferenzen im Jahr 2024 erwarten? Vielleicht eine Diskussion über KI als Lösung und gleichzeitige Ursache für zahlreiche Herausforderungen unserer Welt. Oder Theorien darüber, wie man das nächste Startup in ein Milliarden-Business verwandelt. Aber die SXSW hat schon immer ihre eigenen Trends gesetzt und so eröffneten zwei bemerkenswerte Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen die diesjährige Konferenz.

Ada Limón, United States Poet Laureate, und Dr. Lori Glaze, Direktorin der NASA Planetary Science Division, diskutierten auf der Bühne über die Europa-Mission der NASA zur Erforschung des gleichnamigen Jupitermondes. Das Besondere daran: Neben wissenschaftlichen Instrumenten hat die Sonde auch ein eigens von Limón verfasstes Gedicht an Bord, zusammen mit mehr als 2,5 Millionen Unterschriften von Menschen aus aller Welt – eine Botschaft der Menschheit an das Universum. Die NASA nennt die Kampagne „Message in a Bottle“ – cleveres Marketing für eine Organisation, die mit sinkenden Budgets und dem schwindenden Vertrauen in die Wissenschaft kämpft.

Das Gespräch selbst drehte sich darum, was den beiden Frauen am meisten am Herzen liegt: Für Lori Glaze liegt die Suche nach wissenschaftlichen Wahrheiten jenseits unseres kleinen blauen Punktes, der Erde; für Ada Limón in der Poesie. Interessanterweise sind sich die Grundhaltungen der beiden Bereiche recht ähnlich: Die Erkenntnis, dass das Unbekannte auch erdend, inspirierend und tröstlich ist und dass es schön sein kann, am Anfang einer Reise nicht zu wissen, wo sie enden wird. Gerade in Zeiten großer Unsicherheit und permanenter Krisen nicht die schlechteste Einstellung.

Die Top-10 Tech-Innovationen und die Krise des Journalismus

Ein weiterer Höhepunkt des SXSW-Wochenendes war der Vortrag über die „10 Breakthrough Technologies 2024“ von Elizabeth Bramson-Boudreau, Chefredakteurin des MIT Technology Review.

An der Spitze des Rankings, und das sollte wirklich niemanden überraschen, stand KI in allen Bereichen. Außerdem: die unvermeidbare Apple Vision Pro, neue Entwicklungen in der Medizin (Abnehm-Medikamente und Gen-Therapie), nachhaltige Energiegewinnung (hocheffiziente Solarzellen und die in Deutschland gerne gescholtenen Wärmepumpen) und neueste Computer-Technik (von Chiplets bis hin zu Exascale-Rechnern).

Viel interessanter jedoch war Bramson-Boudreaus leidenschaftliche Rede über den katastrophalen Zustand der Medien und des Journalismus – in ihren Worten ein Massensterben. Und das nicht ohne Grund: Massenentlassungen, die Einstellung zahlreicher etablierter Publikationen und erhebliche Einschnitte in der Wissenschafts- und Technologieberichterstattung – oft getrieben durch die zunehmende Verlagerung von Werbebudgets hin zu den großen Digital-Plattformen – sind deutliche Zeichen dieser Krise.

Diese Entwicklungen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Zukunft unserer Gesellschaft dar. Laut einer aktuellen Studie des Pew Research Center glauben so wenige US-Bürger:innen wie nie zuvor, dass die Wissenschaft einen überwiegend positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. Ein alarmierendes Signal. Gerade jetzt, wo wir vor Herausforderungen wie der Regulierung von KI und der Bekämpfung des Klimawandels stehen, deren politische Umsetzung eine informierte und aufgeklärte Öffentlichkeit erfordert.

Hier sind auch Werbungtreibende und ihre Agenturen gefordert. Es ist an der Zeit, Nachhaltigkeit nicht mehr nur ökologisch zu leben, sondern auf soziale und gesellschaftliche Verantwortung auszuweiten – mit dem Commitment, Budgets in klassische, qualitativ hochwertige Informationsmedien zu investieren.

„Non-Obvious Thinking“ in der Markenstrategie

Wenn es um Innovation geht, sind es oft die unerwarteten Wendungen und leicht übersehbaren Details, die zu bahnbrechenden Veränderungen führen. Veranschaulicht wurde das von SXSW-Veteran und Bestseller Autor Rohit Bhargava, der von seiner ganz persönlichen, transformativen Reise berichtete. Eine schlecht besuchte Buch-Signierstunde in Singapur wurde zu einem prägenden Moment in seinem Leben: Ein Filmproduzent riet ihm, in Zukunft über die offensichtlichen Trends hinwegzusehen und sich auf die kleinen Details abseits des Mainstreams zu konzentrieren.

Bhargava gründete daraufhin seine „Non-Obvious Company“, um das nicht offensichtliche Denken zu fördern und genau diese kleinen Details aufzuspüren. In seinem Vortrag zeigte er auf, wie konventionelles Denken die Probleme der Menschen verschlimmert: die Zunahme von Einsamkeit und Ängsten in Zeiten des Homeoffice, die überwältigenden Möglichkeiten in allen Lebensbereichen und das schwindende Gefühl von Sinn und Motivation in Bezug auf das eigene Schaffen.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, stellte Bhargava Schlüsselelemente des nicht offensichtlichen Denkens vor, die wir in unser tägliches Leben integrieren können. Einfache Handlungen wie die bewusste Atmung steigern Kreativität und fördern Innovationen. Er betonte auch die Wichtigkeit, mehrere richtige Antworten gleichzeitig zu akzeptieren, um den lähmenden Stress zu überwinden, der bei der Suche nach der vermeintlich einzig wahren Lösung entsteht.

Getreu seinem Ruf als außergewöhnlicher Storyteller schloss Bhargava die Session mit der Geschichte des Fosbury Flop, einer revolutionären Technik, die den Hochsprung für immer verändern sollte. Auslöser für diese Entwicklung war ein kleiner Perspektivwechsel: Man erkannte das Potenzial der neu eingesetzten Matten, auf denen die Springer landeten. Genau diese kleinen Momente der Klarheit und Kreativität ermöglichen es den nicht-offensichtlichen Denker:innen, die Welt zu verändern.

Die Generation „Transformation“: Emerging Tech Trends 2024

Auf der SXSW 2024 konnte man in diesem Jahr zwar echte Royals wie Herzogin Meghan treffen, die wahre Königin von Austin ist und bleibt aber Amy Webb, CEO und Gründerin des Future Today Institute. Im vollbesetzten Saal stellte sie den Emerging Tech Trends Report 2024 vor.

Auch hier wenig überraschend: (Generative) KI stand im Mittelpunkt des Vortrags. Für Webb ist KI eine Allzwecktechnologie, die Wirtschaft und Gesellschaft so grundlegend verändern kann, wie es in der Vergangenheit nur die Dampfmaschine, Elektrizität und das Internet getan haben. Diese Entwicklung wird jedoch von dem gleichzeitigen Aufkommen zweier anderer Technologiebereiche begleitet: Das vernetzte Ökosystem der Dinge und die Biotechnologie. Webb zufolge werden diese drei Allzwecktechnologien einen neuen technologischen Superzyklus einleiten, der sich auf jeden Aspekt unseres Lebens auswirken und unsere gesamte Welt neu definieren wird. Es liegt an uns allen, als sogenannte „Transformation Generation“, diese massive Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu managen.

Begleitet wird dieser monumentale Wandel von Angst, Unsicherheit und Zweifel, insbesondere bei den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik. Die natürliche Tendenz zu kürzeren Planungszyklen als Reaktion auf unerwartete Veränderungen steht dabei im krassen Widerspruch zur Notwendigkeit einer langfristigen strategischen Planung, um die Kontrolle zu behalten und die Zukunft eigenhändig mitzugestalten.

Künstliche Intelligenz, die auch als „Everything Engine“ bezeichnet wird, ist die Grundlage für den eben genannten Superzyklus. Large Language Models (LLMs) führen derzeit die KI-Welle an. Webb kritisierte jedoch, dass im letzten Jahr nur sehr wenige Fortschritte in Sachen Bias und Rechenschaftspflicht gemacht wurden – entgegen der großen Versprechungen von KI-Unternehmen. Grund dafür: Innovationsgeschwindigkeit und Skalierung seien für Unternehmen aktuell lukrativer als ethische Überlegungen.

Für Webb liegt die Zukunft der KI letztlich jenseits der Sprache. Nach LLMs werden Large Action Models (LAMs) die nächste Evolutionsstufe sein. Diese Modelle werden auf Basis umfangreicher Daten von Sensoren, Wearables und anderen vernetzten Geräten künftig in der Lage sein, unsere menschlichen Handlungen sehr genau vorherzusagen – weit über die Sprache hinaus. Webb erwartet eine regelrechte Explosion in der Entwicklung und Vermarktung von KI-Devices, deren wichtigste Aufgabe es sein wird, alle möglichen Daten für das Training der Modelle zu sammeln – denn, so Webb: „Den KI-Unternehmen wird das Internet bald ausgehen“.

Zuerst veröffentlicht bei Horizont.

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