Was passiert mit einer demokratisch organisierten Gesellschaft, wenn es immer weniger unabhängige, journalistisch sauber recherchierende Medien gibt? Wie entwickeln sich die Preise im Werbemarkt, wenn Monopolisten und Oligopole dominieren?

Die Antwort auf beide Fragen lautet: Das kommt uns mittel- bis langfristig teuer zu stehen. Als Werbetreibende und Agenturen, aber auch als Demokratie. Sind wir schon in dieser Situation? Noch nicht, aber wir bewegen uns als Markt in diese Richtung, weil immer mehr Werbegelder den Weg zu den globalen Plattformen finden. Mit Blick auf Kampagnen-Reichweiten kann das mal mehr, mal weniger sinnvoll sein. Vergessen sollten wir dabei aber nicht: Geld, das in Google, Meta, Amazon und Co investiert wird, fehlt im Gegenzug den nationalen, privatwirtschaftlich (also nicht öffentlich-rechtlich) finanzierten Publishern, um redaktionelle Leistungen zu erbringen, die für eine demokratische Gesellschaft und für das Generieren von Reichweiten essentiell sind.

MagnaGlobal, die Einkaufsgesellschaft von Mediaplus und IPG Mediabrand, wertet kontinuierlich die Zahlen auf globaler und nationaler Ebene aus. Und die sind eindeutig: Ohne den chinesischen Markt vereinnahmten die Top Drei – Alphabet (Google, YouTube), Meta (Facebook, Instagram) und Amazon (Prime Video, Retail Media)– im Jahr 2023 weltweit bereits rund 90 Prozent aller digitalen Werbeeinahmen auf sich. Ein großer Teil der übrigen 10 Prozent landete bei Alibaba und TikTok.

Drei Konzerne kassieren 60 Prozent aller globalen Werbespendings

Aber es bei den digitalen Spendings ist noch  Schluss: Insgesamt schlucken die drei Konzerne (Alphabet, Amazon und Meta) laut MagnaGlobal im ersten Halbjahr 2024 bereits 60 Prozent der gesamten globalen Werbespendings. Tendenz steigend. Die Situation in Deutschland ist ähnlich. Die meisten Werbeinvestitionen (zusammen 44 Prozent) fließen bereits in Social Media (Meta) und die Suchmaschinenwerbung (Google). Das Segment der Leitmedien, Print und die linearen audiovisuellen Medien (TV, Radio), verliert in der Langzeitbetrachtung kontinuierlich.

Natürlich haben nahezu alle größeren deutschen Leitmedien längst reagiert und ein nennenswertes digitales Geschäft aufgebaut. Deshalb unterscheidet MagnaGlobal in der Betrachtung auch zwischen „traditionellen Medienhäusern“ und „Digital Pure Playern“. Aber selbst mit ihren digitalen Angeboten und Zusatzgeschäften sind traditionelle Medienhäuser selten in der Lage, die Verluste im früher ertragreicheren Printgeschäft auszugleichen. Die Umsatzkurven der großen Tageszeitungen und Magazine (Stern, Focus, Süddeutsche, FAZ, Welt, Bild) zeigen seit Jahren eher nach unten. Und Magna Global prognostiziert für Deutschland, dass die traditionellen Medienhäuser auch 2024 weiter Boden verlieren (minus 1 Prozent), während die Digital Pure Player weiter dynamisch wachsen (plus 8 Prozent).

Weniger Werbung, höherer Copypreis, kleinere Auflage

Je stärker die Werbeeinnahmen bei den traditionellen Medienhäusern wegbrechen, umso höher wird der Copy- oder Abo-Preis für die Leserschaft. Was in der Regel zu Kündigungen und niedrigeren Auflagen führt. Oft können die Preiserhöhungen beim Print- oder Onlineprodukt das Minus bei der Werbung nicht ausgleichen. Der Gesamtumsatz der traditionellen Medienhäuser fällt weiter, die nächste Sparwelle rollt – dann auch wieder durch die Redaktionen.

Das geht meist zu Lasten des redaktionellen Angebots und der Reichweite – eine Spirale nach unten. Das Media Intelligence-Unternehmen Cision hat im Januar 2024 für seinen State of the Media-Report weltweit mehr als 3.000 Journalist:innen zur aktuellen Situation befragt: Die mit Abstand größte Herausforderung (60 Prozent) ist demnach „der Personalabbau und reduzierte Ressourcen“.

Wer soll für Medienvielfalt sorgen?

Wir haben in Deutschland aktuell noch ein beneidenswert gutes Mediensystem: Einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Gebührenfinanzierung aber immer wieder in Frage gestellt wird. Zwei große Privat-TV-Gruppen (RTL, ProSiebenSat1) und einige große traditionelle Medienhäuser mit ihren publizistischen Flaggschiffen (Bild, FAZ, Focus, Handelsblatt, Stern, Süddeutsche, Die Welt, Die Zeit). Dennoch wird die Luft dünner: Einen investigativen Journalismus leisten sich in der Regel nur noch die traditionellen Medienhäuser. Die sind aber gleichzeitig wirtschaftlich von der Entwicklung im Werbemarkt am härtesten betroffen. Wenn wir in unserer Fachöffentlichkeit also über die Nachhaltigkeit auch des Mediageschäfts diskutieren, dann dürfen wir nicht nur über die ökologische Komponente sprechen. Der soziale und gesellschaftspolitische Aspekt des Themas ist mindestens ebenso relevant.

Wer soll aber für Medienvielfalt sorgen? Die Nutzer:innen tun es mit ihren Rundfunkbeiträgen und Abozahlungen bereits. Jetzt sind vor allem die Werbetreibenden gefragt. Sie entscheiden mit der Verteilung ihrer Budgets über die wirtschaftliche Zukunft unseres Mediensystems. Das mag im ersten Schritt naiv klingen: Mit Werbeinvestitionen Medienvielfalt zu erhalten! Schließlich gilt in unserem Business: „Money follows eyeballs“ und „Impact first“.

Meines Erachtens ist das aber keinesfalls ein Widerspruch. Leitmedien stellen viele wichtige Inhalte für soziale Netzwerke und sind eine wichtige Korrektur gegen die grassierenden Fake news. Und sie dienen der Auflösung von Meinungs-Bubbles, in dem sie statt auf Gefühle auf Recherche und Fakten setzen. Gute Quellen haben ihren Wert. Und das nicht nur aus der redaktionellen Perspektive. Die gute Reputation eines Mediums wirkt sich auch positiv auf die Firmen aus, die dort werben. Geht die Verschiebung der Budgets hin zu den globalen Plattformen in der aktuellen Dynamik weiter, dominieren Monopolisten, im schönsten Fall Oligopolisten, noch deutlich stärker den Werbemarkt. Alternativen fehlen, weil Medien vom Markt verschwinden. Die Konsequenz: Für Werbetreibende wird es kurz- und mittelfristig automatisch teurer. Auch aus der Wirkungsperspektive ist diese Umschichtung zu kurz gedacht. In den meisten Mediaplänen sind TV und Print für einen schnellen Reichweitenaufbau unverzichtbar. Wer also nicht oder kaum in nationale Leitmedien investiert, riskiert, dass diese mittelfristig vom Markt verschwinden. Und schädigt sich damit selbst gleich doppelt.

Wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind auch zuständig für ein Funktionieren unserer Gesellschaft. Das hat bereits der Club of Rome Anfang der 1970er Jahre erkannt. Und dieses Wissen bleibt 50 Jahre später unverändert gültig. In seinem Trust Barometer fragt die internationale Kommunikationsberatung Edelman regelmäßig ab, welche Rolle die Unternehmen in der Gesellschaft spielen sollen. Und auch 2024 wird die höchste Lösungskompetenz wieder den Unternehmen zugebilligt, weit vor der Politik. Das Fazit der Studie: „CEOs müssen nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch zu neuen ethischen Fragen Stellung beziehen.“ Dazu muss auch die Frage gehören, wo die Unternehmen ihre Werbegelder investieren, denn CEOs legen heute das Fundament für die Märkte von morgen.

Es ist nicht die originäre Aufgabe einer Mediaagentur, die nationale Medienvielfalt zu fördern. Sie soll die Gelder der Werbetreibenden möglichst effizient und wirkungsvoll investieren. Was wir aber leisten können: Wir können und wollen unsere Kunden entsprechend beraten, wie sie die Ziele einer nachhaltigeren Mediaplanung im Sinne des ESG – sowohl ökologisch, als auch gesellschaftspolitisch – in ihre Strategie mit einbauen können – bei gleichbleibender oder sogar besserer Wirkung. Dazu investieren wir bei Mediaplus intensiv in Forschung, in entsprechende Tools und in die Beratung, um hochwertige Umfelder und ihre Wirkungskomponente für unsere Kunden kontinuierlich sicherzustellen.

Der Artikel erschien zuerst bei W&V.

In einer Zeit, in der Fake News und Fake Faces die sozialen Medien dominieren, erleben wir einen neuen Trend: Fake Out-Of-Home-Kampagnen. Die faszinierenden, ausschließlich digitalen Inszenierungen tauchen immer häufiger in den sozialen Netzwerken auf. Tino Reinecke, Managing Partner bei Mediaplus Köln, ordnet den Trend ein: Ist der WOW-Effekt der Fake-Kampagnen schon vorbei, bevor er wirklich angefangen hat? 

Überdimensionale Wimpern auf dem Dach einer U-Bahn werden beim Einfahren des Zuges von einer riesigen Mascara-Bürste getuscht. Ein Autobahntunnel saugt wie ein großer Staubsauger alle Autos an, die in ihn hineinfahren. Die Bitburger-Flasche, die kurz nach dem EM-Finale aus dem Berliner Olympiastadion schießt, zeigt die spanische Flagge – versehen mit Glückwünschen: Die Fortschritte von 3D- und CGI-Technologien (Computer Generated Imagery) haben das Spielfeld der Außenwerbung revolutioniert.

Inzwischen können wir scheinbar Out-Of-Home-Kampagnen umsetzen, die früher technisch oder rechtlich nicht möglich gewesen wären. Doch was heißt FOOH überhaupt? „Fake Out of Home“ bezeichnet digitale Werbung, die vorgibt, im öffentlichen Raum zu sein, obwohl sie nur virtuell existiert. Anzeigen werden mittels Bildbearbeitung oder CGI in Bilder oder Videos integriert und oft in sozialen Medien geteilt, um virale Effekte zu erzielen. Das Ganze hat Vor-, aber auch Nachteile.

Was Fake-Kampagnen können

Die Neuheit und Einzigartigkeit sind der Reiz von FOOH-Kampagnen. Marken nutzen diese Art der Inszenierung, um als First Mover Aufmerksamkeit zu erregen und auf Social Media virale Diskussionen auszulösen, ob die Kampagnen wirklich echt sind. Das wiederum führt zu mehr Reichweite und steigert die Werbeerinnerung.

Außerdem können beispielsweise historische Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, oder Veranstaltungsstätten mit FOOH digital in Werbekampagnen einbezogen werden, ohne dass physische Veränderungen notwendig sind. So können Marketer die Besonderheiten ikonischer Orte für einen starken Erinnerungswert der Kampagne nutzen, ohne in die reale Welt einzugreifen. Zudem kann eine Fake-OOH-Kampagne sofort gestoppt werden, wenn sie negativ polarisiert – klassische 18/1-Plakatwände müssen erst neu tapeziert werden und das wird bei einer großflächigen Plakatierung teuer.

Die geringeren Kosten von Fake-Out-of-Home-Inszenierungen – vor allem im Gegensatz zu traditionellen Methoden – machen sie für eine breitere Palette von Marken und Budgets zugänglich. Denn wenn die Installation in der Realität nicht existiert, muss auch keine Werbefläche gebucht werden – wobei es durchaus Sinn macht, eine Fake-OOH-Umsetzung mit klassischen OOH-Flächen zu ergänzen, um die Werbewirkung zu erhöhen.

Herausforderungen für Marketer

Dennoch ist die Frage nach Authentizität und ethischen Grenzen bei Fake-Kampagnen ein zentrales Thema. Die Nutzung historischer Gebäude, um bei diesem Beispiel zu bleiben, erfordert eine sorgfältige Abwägung – je nach Marke und Thematik. Passen die Themen oder Marken nicht zum Ort, besteht das Risiko, dass nicht nur der gewünschte Effekt verloren geht, sondern auch negative Konsequenzen entstehen wie Imageverlust oder starke Kritik an der Marke.

Auch wenn sie für viel Aufsehen sorgt, reicht eine isolierte FOOH-Installation letztendlich nicht aus, um die volle Wirkung einer Kampagne zu entfalten. Sie muss mit anderen Kanälen, insbesondere digitalen Medien wie Social Media, Blogs, Online-Foren und Communities, Websites etc. verbunden werden – für eine breitere und intensivere Interaktion mit der Zielgruppe. So fangen Brands das Interesse an der Kampagne ein, fördern die Kaufaktivierung und Informationsverbreitung. Eine erfolgreiche Kampagne setzt also auf eine Kombination aus verschiedenen Medien, um maximale Aufmerksamkeit und Engagement zu erzielen.  

Ein entscheidender Faktor für die Bekanntheit einer Fake-Kampagne ist die verstärkte Reichweite durch soziale Medien. Sie potenzieren die Wirkung von Fake-Außenwerbung, indem sie User:innen ermöglichen, zu interagieren – Kampagnen weiterzutragen und online darüber zu diskutieren, um sie im besten Fall viral gehen zu lassen. So wie bei Bitburger. Flankierend zur FOOH-Maßnahme, bei der die überdimensionale Bierflasche aus dem Olympiastadion schießt, griff eine weitreichende Social-Media-Kampagne die Euphorie der WM auf. Das Ergebnis: 10,6 Millionen Views und das in nur wenigen Tagen.

Klingt einfach zu realisieren? Die Umsetzung einer FOOH-Kampagne erfordert nichtsdestotrotz einen anspruchsvollen und präzisen Prozess, der modernste CGI-Technologie, kreative Ideen und strategische Planung vereint. Von der Konzeption und Planung über das Filmen authentischer Aufnahmen des Originalschauplatzes aus verschiedenen Blickwinkeln bis hin zur 3D-Modellierung, Animation und Postproduktion – der Weg zum fertigen Endprodukt ist lang und detailreich. Doch mit einem guten Team, kreativen Ideen und dem technischen Know-how sind die Möglichkeiten von FOOH praktisch grenzenlos.

Zukunft der Außenwerbung oder kurzlebiger Hype?

Die ersten Umsetzungen haben noch überrascht, mittlerweile hat Fake OOH allerdings seinen News-Faktor verloren. Der Wow-Effekt bleibt aus, da viele Kampagnen bereits bekannt sind und derzeit ähnlich gestaltet werden. Kampagnen, wie die Bitburger-Flasche oder Maybellines Mascara-Bürste, blieben jedoch in den Köpfen hängen, indem sie mit Unterstützung von Onlinewerbung und Social Media viral gingen.

In Zukunft könnten FOOH-Kampagnen durch den Einsatz von Augmented Reality (AR) noch interaktiver und personalisierter werden. Passant:innen könnten dann über ihre Smartphones mit den Installationen interagieren und dabei – unterstützt durch Daten und KI – maßgeschneiderte Inhalte erleben. Globalen Marken wäre es somit möglich, ihre FOOH-Kampagnen gleichzeitig in mehreren Städten zu starten, um weltweit ein konsistentes Markenerlebnis zu schaffen.

Obwohl FOOH also kein Megatrend der Außenwerbung ist, hat die kreative Werbeform das Potenzial, ein wichtiger Bestandteil von Onlinewerbung zu werden – vor allem in Kombination mit anderen Werbeformen. Sie vereint die intelligente Integration moderner Trends und aktueller Technologien. Zudem bricht sie mit Konventionen und schafft dadurch hohe Aufmerksamkeit für Produkte oder Marken.

Dieser Artikel erschien zuerst im OOH Magazin.

Es war bei Google eine Hängepartie über vier Jahre hinweg: Die Abschaffung der Third-Party-Cookies wurde bereits 2020 angekündigt. Dann immer wieder verschoben, weil Google für den Markt keine akzeptable Alternative präsentieren konnte. Und jetzt kommt die Rolle rückwäürts: der Third-Party-Cookie darf bei Chrome, Googles Browser, bleiben. Vorausgesetzt die User:innen ändern es nicht in ihren Grundeinstellungen.

Ist es die Reaktion auf den Druck aus der Werbebranche? Oder musste Google einfach feststellen, dass seine Sandbox noch immer weit von einer Marktreife entfernt ist. In den Tests der sogenannten Protected Audience, der wichtigsten Sandbox-API, die für Anzeigenauktionen im Browser zuständig ist, sanken Reichweite und Revenue der beteiligten Publisher aufgrund Auslieferungsverzögerungen und anderen Problemen jedenfalls massiv. Bei den von Google selbst durchgeführten Test um etwa 20% , bei Tests durch Dritte sogar um bis zu 60%. Darüber hinaus hatte die britische Wettbewerbsbehörde CMA, deren Votum sich Google vertraglich unterworfen hat, erkennen lassen, dass sie zu der Meinung kommen könnte, dass Google von der Einführung der Sandbox bei gleichzeitigem Abschalten der Cookies stärker profitieren würde als der Rest des Marktes. Google beugt also mutmaßlich auch einem regulatorischen Eingriff vor.

Und nun?

All jene, die bisher keine Alternativ-Strategien entwickelt hatten (und das waren viele, wenn man den diversen Umfragen glauben darf), werden jetzt aufatmen: Nochmal Glück gehabt, wir machen einfach weiter mit unseren Cookie-Kampagnen in Chrome. Ist das die Lösung? Ich würde es nicht empfehlen. Googles Rolle rückwärts ist kein Schritt vorwärts für den Markt.

Es gibt gute Gründe, sich aus der Abhängigkeit der Third-Party-Cookies zu befreien. In Deutschland erreicht man damit gerade mal die Hälfte der Internet-User:innen auf Desktop-Rechnern und zwei Drittel auf Mobilgeräten. Denn Safari und Firefox, die in Deutschland gemeinsam auf fast 30 Prozent Marktanteil kommen, haben sich schon früher von den Cookies verabschiedet.

Und die Privacy Sandbox, die Google lange Zeit als Cookie-Alternative präsentiert hat, hätte nicht nur die Marktdominanz von Google weiter ausgebaut. Sie ist bisher – zumindest was die britischen Kollegen berichten – keine ausgereifte, ernsthafte Alternative, die in der Praxis für Werbetreibende gute Ergebnisse liefert. Denn glauben wir wirklich – angesichts fortlaufender und wöchentlich neu befeuerter Debatten um den Datenschutz im Netz -, dass dies im realen Verhalten der Nutzer:innen zu höheren Consent-Raten führen wird? Nicht ernsthaft.

Herkömmliche, Cookie-basierte Techniken sind im digitalen Marketing aufgrund von Datenschutz- und Browserbeschränkungen nicht mehr besonders effizient und erreichen nur noch einen Teil der Nutzer:innen. Werbetreibende und ihre Agenturen sind deshalb gefordert, das Aussteuern digitaler Kampagnen neu aufzusetzen.

Es gibt mehrere Lösungsansätze: Modernes, kontextuelles Targeting ist einer davon. Das sieht heute aber ganz anders aus als die klassische Umfeldplanung im Netz noch vor einigen Jahren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die künstliche Intelligenz.

So funktioniert KI-gestütztes kontextuelles Targeting

Bei Mediaplus haben wir unseres bestehendes Tool NE.R.O (steht für Nettoreichweitenoptimierung) für den Einsatz mit Künstlicher Intelligenz weiterentwickelt. Der Crawler von NE.R.O AI scannt tagesaktuell über 50.000 Artikel im Web und verarbeitet dadurch Millionen an Datensets, mit denen die KI kontinuierlich trainiert wird. Dabei nutzt NE.R.O AI ein Large Language Modell, um den Kontext, Affinitäten, psychografische und emotionale Strukturen und Themen der Beiträge zu verstehen. Auf Basis dieser Informationen ordnet die KI den gescannten und klassifizierten Artikeln dann Zielgruppen zu, die über Value Planning ermittelt und zur Kampagnenaussteuerung genutzt werden. Den Wesensmerkmalen der Zielgruppe können also nicht nur Kanäle und Medien, sondern auch einzelne Artikel zugeordnet werden.

Die Zeiten sind damit vorbei, dass eine Tourismusdestination neben einem Artikel zu einer Hochwasserkatastrophe, einer Quallenplage oder einer Jahrhundert-Dürre werben muss, weil das Targeting nur auf einem Keyword basierte. Beim KI-gestützten kontextuellem Targeting erkennt das Large Language Model die Zusammenhänge. Dem Camping-Urlauber wird dann auch kein Luxushotel mehr eingeblendet. Die KI hilft, dass ein optimaler Fit zur Zielgruppe entsteht und obwohl die Kampagnen ohne Cookies arbeiten, können sie hoch individuell ausgesteuert werden.

KI-gestütztes kontextuelles Targeting ist dabei über die Labor- oder Testphase, in der sich die Privacy Sandbox seit Jahren befindet, längst hinaus. Reale Kampagnenergebnisse zeigen, dass NE.R.O AI kontinuierlich signifikant besser abschneidet als das klassische Profiltargeting – beispielsweise mit einer im Durchschnitt 90 Prozent höheren Verweildauer und einer 21 Prozent höheren Klick-through-Rate. Es gibt also Alternativen zum Third-Party-Cookie. Und sie funktionieren auch. Googles Entscheidung weiter auf Cookies in Chrome zu vertrauen, mag unter Bequemlichkeitsaspekten verständlich sein. Eine zukunftsfähige und schlaue Entscheidung ist es aber meines Erachtens nicht.

Gerade grübeln wir noch über den richtigen Umgang mit der Gen Z, und schon kommt mit Gen Alpha die nächstjüngere Generation um die Ecke. Geboren ab 2010 wirbeln sie nicht nur alles durcheinander, was wir über die älteren Generationen X und Y wissen, sie unterscheiden sich auch massiv von der nächstälteren Gen Z. Klar ist, die heute bis zu 15-Jährigen werden unsere Arbeitswelt und Marktdynamiken auf revolutionäre Weise verändern. Simone Jocham, Innovationsexpertin bei Mediaplus, erklärt, warum Unternehmen jetzt genau hinschauen sollten.

Mia ist 13 Jahre alt. Ihre Morgenroutine gleicht einer digitalen Choreografie: Im Halbschlaf checkt sie die neuesten Nachrichten aus ihrem Freundeskreis, hüpft von Instagram zu TikTok und wirft einen Blick auf die Trends des Tages, noch bevor sie an ihr Frühstück denkt. Auch das Smartphone ist für Mia eine Selbstverständlichkeit, wenn sie, den Touchscreen fest im Griff, den Schulbus besteigt. Für andere eine digitale Überdosis, für Mia und ihre Altersgenossen ein ganz normaler Start in den Tag. Die Nachfolger:innen der Generation Z (1995-2010) wachsen in einer Welt auf, in der Smart Devices, Touchscreens und Apps wie YouTube, Netflix und Google Maps so alltäglich sind wie der Gang zur Schule. Kein Wunder: Ihre Eltern sind größtenteils Millennials (1980-1994), die einen technikorientierten Lebensstil pflegen und diesen an ihre Kinder weitergeben. Nicht umsonst beschreiben die Trendforscher des WDR Innovation Hub sie in ihrem Zukunftsreport als die digitalste, globalste, mobilste, sozialste und visuellste Generation, die es je gab.

Vor allem aber werden sie sehr viel Einfluss auf die künftige Wirtschaft nehmen: Bis 2025 wird die Alpha-Generation weltweit die Zwei-Milliarden-Marke überschreiten und damit die Babyboomer überholen.

Pandemie als Katalysator digitaler Bildung

Die zurückliegende Corona-Pandemie hat diese Generation beeinflusst wie keine andere. Sie stellte für die Gen Z und die darüber liegenden Generationen einen tiefen Einschnitt in die Gewohnheiten dar. Für die Gen A bedeuteten die Pandemie und die damit einhergehenden Auflagen und Beschränkungen zudem eine Beschleunigung bestehender Trends. Sie hat Kinder kreativer und resilienter gemacht. Technologie ist stärker in ihr tägliches Leben integriert als früher, gleichzeitig wissen sie mehr zu schätzen, was sie zeitweise verloren haben und was ihnen wichtig ist: Zeit mit der Familie, mit Freunden und die physische Anwesenheit in der Schule. Dadurch nimmt auch der Wunsch nach bildschirmfreier Zeit zu, was wiederum zu einer größeren Vorliebe für Podcasts führt. Besonders gefragt sind hier Comedy, True Crime und Interview-Formate. Zuhause Streamen gerät etwas in den Hintergrund. Die Generation sehnt sich zurück nach dem Kinoerlebnis, um vor dem Big Screen ohne Handy abschalten und bei den neuesten Filmtrends mitreden zu können – wie eine Studie des Research-Instituts Mccrindle zeigt.

Früh vernetzt: Social und Gaming prägen die Gen Alpha

Während die Gen Z ganz selbstverständlich mit dem Internet aufwuchs, wurde die Generation Alpha in eine sogar noch stärker vernetzte und technologieorientierte Realität hineingeboren. Lern-Apps wie „Tafeldiploma“ auf dem Tablet nutzen, sich mit interaktiven Spiele-Apps wie „Bluey“ und „Gabbys Dollhouse“ auseinandersetzen? Für Gen Alpha kein Thema, von ihren technikaffinen Eltern bekommen sie hier wenig Grenzen aufgezeigt. Ganz im Gegensatz zur Generation Z, deren Nutzung digitaler Geräte im Mittelpunkt vieler häuslicher Streitigkeiten stand.

Gerade in den letzten Jahren hat sich das Social-Media-Interesse der Alphas deutlich verlagert: weg von der sozialen Interaktion, hin zur Informationsbeschaffung. Laut der GWI Kids Studie nutzen inzwischen fast 40 Prozent der Gen Alpha Social Media, um sich via Memes, Musik und Podcasts über News und aktuelle Trends zu informieren. Zum Vergleich: Bei den vor 2010 geborenen dient Social Media vornehmlich zur zwischenmenschlichen Kommunikation und zum Zeitvertreib.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Gen Alpha ist ständig auf der Suche nach lustigen, fesselnden und visuell ansprechenden Inhalten, die sie mit Gleichgesinnten teilen können. Kein Wunder, dass Plattformen wie Discord und Reddit einen großen Boom erleben – sie bieten genau diesen sehr auf persönliche Interessen und Austausch zugeschnittenen Raum. TikTok und YouTube geben zudem die Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken und selbst Teil der Creator Economy zu werden. Wie auch Gen Z ist Gen Alpha im Gaming-Fieber. Für die 8- bis 11-Jährigen, die noch kein Smartphone besitzen, ist es die beliebteste Freizeitbeschäftigung. Mit Spielen wie „Roblox“ und „Minecraft“ erschaffen sie sich eigene Welten und erleben aufregende Abenteuer. Bis 2021 standen hierbei noch das gemeinsame Spielen und der Online-Austausch im Vordergrund. Nur ein Jahr später, so zeigt die GWI Kids Studie, haben Single-Player-Spiele deutlich an Beliebtheit gewonnen – ein Beispiel dafür, wie schnell sich die Vorlieben der jungen User:innen ändern.

Progressiv, doch wenig autonom: Helikopter-Eltern lassen grüßen

Doch das reale Leben ist kein Spiel. Im gelebten Alltag führt die intensive Mediennutzung zu Herausforderungen. Generationenforscher Rüdiger Maas beobachtet bei der Gen Alpha eine erhöhte Unruhe und Konzentrationsschwäche. Durch die häufige Nutzung digitaler Geräte zum Lern-Support sinkt die Frustrationstoleranz. Maas sieht hier aber auch Schuld bei den Millennial-Eltern. Wie Helikopter kreisen sie um ihre überbehüteten Zöglinge, wie Schneepflüge räumen sie Probleme und Herausforderungen für ihre Kinder rigoros beiseite. Eine Vielzahl an gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnissen lassen Langeweile erst gar nicht zu. Das Ergebnis? Die Kinder wissen sich häufig nicht selbst zu beschäftigen und Konflikte eigenständig zu lösen. Maas ist daher überzeugt, dass diese Generation trotz ihrer technologischen Kompetenz weniger autonom und leistungsfähig sein wird.

Megatrend Nachhaltigkeit wird von Klimamüdigkeit überlagert

Gleichzeitig aber ist die progressive Einstellung der Generation Alpha stark von ihren Eltern geprägt, die großen Wert auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion legen. Diese Faktoren werden daher in Zukunft wichtige Merkmale sein, nach denen sich die heute noch jungen Arbeitnehmer:innen ihre künftigen Arbeitgeber aussuchen werden. Etwas in den Hintergrund tritt dabei die Bedeutung von Umweltthemen. Noch 2021 standen sie ganz oben auf der Agenda der Gen A und Gen Z, laut neuesten GWI-Zahlen lässt das Interesse bei den Jüngeren nun nach. Der Grund: Überforderung. Zu viele Probleme, zu wenig Lösungen. Dennoch bleibt der Klimawandel präsent und äußert sich im Engagement für CO2-neutrales Leben, Flugverzicht und reduzierten Fleischkonsum. Die Generation Alpha ist trotz Klimamüdigkeit an Naturerlebnissen und Outdoor-Aktivitäten interessiert: ein Ausgleich zur digitalen Welt.

Die Zukunft der Generation Alpha wird also von einer Vielzahl komplexer und widersprüchlicher Trends geprägt. Psychische Belastungen wie Angststörungen und Depressionen werden zunehmen. Doch diesen Herausforderungen stehen auch Chancen gegenüber: Die Forschungsagentur Mccrindle prognostiziert der Gen Alpha eine höhere Lebenserwartung und eine Welt voller Möglichkeiten.  

Bei der Generation Z führten wirtschaftliche Unsicherheit und politische Unzufriedenheit bereits zu einem beobachtbaren Rechtsruck. Viele junge Menschen fühlen sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen und suchen nach klaren, einfachen Lösungen, die ihnen die AfD verspricht, wie die repräsentative Befragung der Studie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt. Hier gilt es anzusetzen: Möglichkeiten eröffnen, für Gen Z, aber vor allen Dingen auch für Gen Alpha, die jetzt schon wichtige Meinungsbildner:innen sind.

Kaufentscheider:innen von morgen, aber auch von heute

Die Pandemie hat zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Entscheidungsbefugnisse in den Haushalten geführt: Kinder reden bei Einkäufen mit. Mit Zunahme des Online-Shoppings hat die Gen A begonnen, ihr Taschengeld selbständig zu verwalten. Dieser Trend zur finanziellen Früherziehung wird von großen Marken erkannt und genutzt: Unternehmen wie IKEA und Disney passen ihre Marketingstrategien an, um generationenübergreifende Inhalte zu schaffen, die nicht nur Eltern, sondern auch die jüngsten Familienmitglieder ansprechen.

Das zahlt sich aus: Die Jüngeren entwickeln sehr früh eine starke Markenloyalität, insbesondere für Produkte des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Snacks und Unterhaltungsangebote, aber auch bei Games. Gen A setzt so selbst Trends und beeinflusst die Popkultur. Laut Morning Consult Data fordern bereits 46 % der älteren Generation Alpha spezifische Markenprodukte an. Apps wie „GoHenry“ springen auf diesen Trend auf. Britische Eltern nutzen die App, um die finanziellen Aktivitäten ihrer Kinder zu überwachen und gleichzeitig grundlegende Finanzkenntnisse zu vermitteln.

Unternehmen müssen umdenken

Wir sehen: Die Gen Alpha tickt völlig anders. In einer Welt, in der sie zu einem einflussreichen Wirtschaftsfaktor wird, ist es für Firmen unerlässlich, ihre Strategien gezielt auf die Bedürfnisse und Erwartungen der jungen Konsumentengruppe auszurichten:

  • Attraktive digitale Erlebnisse schaffen: Für die technikaffinen Alphas ist das Internet ein natürlicher Lebens- und Lernraum. Unternehmen sollten daher nicht nur unterhaltsame, sondern auch lehrreiche, digitale Inhalte anbieten, um die Interessen der Kinder über ihren Spiel- und Lerntrieb anzusprechen. Solche Angebote können dazu beitragen, frühzeitig eine positive Markenwahrnehmung zu etablieren und langfristige Beziehungen aufzubauen.
  • Authentizität und Transparenz vermitteln: Die Generation Alpha wächst mit einem intuitiven Verständnis der digitalen Welt auf, was ein hohes Maß an Authentizität und Transparenz voraussetzt. Marken, die diese Werte in ihrer Kommunikation und ihren Geschäftspraktiken verankern, schaffen Vertrauen und ein positives Image.
  • Personalisierte Erlebnisse und Produkte anbieten: Auf individuelle Vorlieben eingehen, ist entscheidend, um die Generation Alpha zu erreichen. Produkte und Erlebnisse individuell anzupassen – nicht nur an Alter und Geschmack, sondern auch an persönliche Interessen und aktuelle Trends, die die Generation bewegen – stärkt nicht nur die Kundenbindung, sondern fördert auch die Markentreue. Personalisierung kann sich in allem widerspiegeln, von individualisierten Lern-Apps bis hin zu maßgeschneidertem Spielzeug und Kleidung.

Kurzum: Gen Alpha schaut nicht nur zu, sie treibt den digitalen Wandel selbst voran. Ihre frühe Vertrautheit mit digitalen Technologien und ihre wachsende Bedeutung für den Markt zwingen Unternehmen, traditionelle Marketingansätze zu überdenken und dynamisch auf neue Bedürfnisse zu reagieren. Es reicht nicht mehr aus, Produkte nur zu verkaufen. Die Herausforderung besteht darin, Inhalte zu schaffen, die nicht nur informieren, sondern auch inspirieren und begeistern. Letztendlich geht es darum, echte Beziehungen aufzubauen und Erlebnisse zu bieten, die so dynamisch und persönlich sind wie die Generation selbst.

Artikel zuerst erschienen in W&V.

Alles nur Cannes, oder was? Während sich ca. 1.300km südlich die internationale Kreativ-Elite an der Croisette versammelte, zog es über 7.500 Teilnehmer aus der europäischen Tech- und Startup-Szene am 20. und 21. Juni nach Amsterdam zur Next Web Conference. Der Schwerpunkt? Einmal mehr KI – aber auch der verantwortungsvolle Umgang damit.

Welche Veränderungen bringt KI in verschiedensten Branchen? Wie kann sinnvolle Regulierung von KI aussehen? Wie kann sichergestellt werden, dass Desinformation und gefährliche Inhalte nicht den Diskurs auf den großen Social Plattformen zerstören? Wie begegnet man als Marke sinkendem Konsument:innen-Vertrauen? Was kommt nach dem Mobile Web und ist Spatial wirklich die Zukunft von Computing?

Nach der Innovation kommt das Nachdenken darüber, wie man damit umgeht. Und das ist gut so,sdo der Tenor auf der Next Web Conference in Amsterdam, die am Freitag ihre Pforten schloss. Die übergreifende Stimmung war geprägt von einem starken Bewusstsein für die transformative Kraft der Technologie, kombiniert mit einem tiefen Verantwortungsgefühl für ethische und nachhaltige Anwendungen.

Künstliche Intelligenz und Automatisierung

Doch erst mal gings um Effizienzen heben.  Im Fireside Chat mit Murad Ahmed, FT Technology News Editor bei der Financial Times beschrieb Booking.com CEO Glenn Fogel wie Reisevermittlung und Kundenservice künftig KI-gestützt funktionieren sollten. Die Vision: KI soll bei booking.com in Zukunft vor allem Kapazitätsprobleme im Kundenservice eliminieren und die Konsument:innen bestmöglich bei der Planung und Durchführung ihrer Reisen unterstützen. Der „Connected Trip“ soll traditionelle Reisebüros und verschiedenste Ansprechpartner bei Hotels, Airlines und Mietwagen-Vermittlern überflüssig machen, denn die KI regelt alles – auch im Falle von Verspätungen.

Vertrauen gewinnen durch verantwortungsvollen Datenschutz

Auch in der der Schönheitsindustrie gewinnt KI zunehmend an Bedeutung, insbesondere bei der Personalisierung von Produkten. Jane Lauder, Enkelin der ikonischen Estée Lauder und derzeit unter anderem Chief Data Officer der Estée Lauder Companies, hob dabei die immense Bedeutung von Vertrauen und Datenschutz hervor. Der Schutz von Kundendaten und die Sicherstellung der Privatsphäre seien von zentraler Bedeutung sind, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen und zu erhalten: „Vertrauen kann man nicht vortäuschen und nicht kaufen.“ Dieses Vertrauen ist das Fundament, auf dem erfolgreiche Kundenbeziehungen und langfristige Loyalität aufgebaut werden. In einer Zeit, in der Daten der Treibstoff für personalisierte Erlebnisse und Vertrauen das wertvollste Gut für Unternehmen sind, ist es unabdingbar, verantwortungsbewusst und kompromisslos sicher zu agieren. Ein sicherer Umgang mit Daten und transparente Datenschutzrichtlinien sind dafür elementar.

Ein Blick in die Welt des Cybercrime

Wohin zuwenig Datenschutz führen kann, zeigte Geoff White auf, Autor und investigativer Journalist, der über den weltweit schnellsten und größten Raubüberfall in der Geschichte des Cybercrime sprach. In nur 1 Minute 55 Sekunden hat es die Hackergruppe Lazarus 2022 durch einen gezielten Angriff auf Entwickler und Mitarbeiter geschafft, unglaubliche 625 Millionen Dollar Kryptowährung vom Ethereum-Netzwerk des beliebten Blockchain-Games Axie Infinity zu stehlen. Die Spur der gestohlenen Kryptowährung führte schnell zu Wallets, die mit Nordkorea in Verbindung standen, und endete bei Tornado Cash, einem dezentralisierten Krypto-Mixer zur Verschleierung von Blockchain-Transaktionen. Die komplexe Struktur und die fehlende Verantwortlichkeit innerhalb dieser DAO (dezentralisierte autonome Organisation) machte es jedoch schwer, die Täter zu fassen. Denn wer kann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es keine Verantwortlichen gibt und alles open-source Software ist? Und wie viel sind wir bereit zu geben (eine halbe Milliarde Dollar), um auch in der Krypto- und Tech-Welt unsere Privatsphäre und Redefreiheit zu bewahren?

Der menschliche Faktor in einer technologiedominierten Welt

In einer Zeit, in der Technologie unser tägliches Leben dominiert, bleibt eines von entscheidender Bedeutung: Der menschliche Faktor. Von der Gestaltung emotionaler Erlebnisse bis zur ethischen Entwicklung von KI, steht der Mensch weiterhin im Mittelpunkt. Laut CX Designer Raúl Amigo sind 90% unserer Interaktionen digital, doch die verbleibenden 10% menschliche Interaktion sind entscheidend für unsere Wahrnehmung. Amigo argumentiert, dass im Produkt-/Experience-Design die Bereiche Empathie, Verständnis und Storytelling die Schlüssel zum Erfolg sind. Die Perspektive des Kunden einnehmen, eigene Vorurteile beiseitezulegen, und echte Bedürfnisse zu erkennen, schafft tiefere emotionale Verbindungen als eine Maschine es je könnte.

Maschinen sind aber durchaus in der Lage, Kunst zu schaffen , sagt KI-Künstler Jeroen van der Most jedoch sei die kreative Kraft von Menschen unersetzlich und die menschlichen Geschichten hinter Visionen unverzichtbar. Van der Most zeigte auf, dass Kunst und Technologie zwar zusammenarbeiten können, aber es die menschliche Kreativität ist, die diese Werke wirklich zum Leben erweckt.

Selbstregulierung von Technologie

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen guten Absichten und Business-Realität, das zeigten zwei Sessions rund um die Selbstregulierung von Technologie bei großen Tech-Plattformen.

Den Anfang machte Anna Koivuniemi von DeepMind, der zentralen Forschungseinheit rund um künstliche Intelligenz bei Google. Die Rolle von DeepMind innerhalb des Konzerns ist eine mächtige: von der Entwicklung von KI-Technologie, um globale gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen, über Biotechnologie bis hin zu Wettermodellen.  Das jedoch  unter Einhaltung selbst auferlegter ethischer Grundsätze und losgelöst von ökonomischen Zwängen. Auf die kritische Nachfrage, ob Google bei der Markteinführung eigener KI-Anwendungen zu langsam agiere, vor allem im Vergleich zu Wettbewerbern wie OpenAI wiederholte Koivuniemi, dass Google Produkte erst veröffentliche, wenn sie bereit, sicher und gesellschaftlich zu verantworten seien Bestes Beispiel: Der Rollout von Google Gemini. Angesichts der zahlreichen Kontroversen rund um Gemini, Stichworte Bildgenerierung und halluzinierte Antworten in der Google Suche vielleicht nicht das beste Beispiel.

Dem Kampf gegen Hate Speech auf Metas Social Media Plattformen  hat sich Helle Throning-Schmidt, ehemalige Ministerpräsidentin von Dänemark und seit 2020 Co-Vorsitzende des Oversight-Boards von Meta verschrieben. Das unabhängige Gremium soll das Vorgehen gegen Hatespeech und Desinformation überwachen und unter anderem konkrete Handlungsempfehlungen rund um Content-Moderation und Plattform-Richtlinien geben. Throning-Schmidt zeigte sich durchaus zufrieden mit den bisherigen Fortschritten von Meta und der Implementierung der Empfehlungen und Entscheidungen aus dem Board, immer noch aber läge ein weiter Weg vor Meta, vor allem hinsichtlich der globalen Bedeutung der Plattformen im gesellschaftlichen Diskurs, etwa mit Blick auf Wahlen.

Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung als Unternehmenswerte

Doch nicht nur im Bereich der KI und Social Media muss über Ethik und Nachhaltigkeit gesprochen werden. Ein herausragendes Beispiel für die Verknüpfung von Innovation und Verantwortung lieferte Sadira E. Furlow von Tony’s Chocolonely. Die in den Niederlanden beheimatete Schokoladen-Marke ist bekannt für provokative und aufmerksamkeitsstarken Kommunikation, die nicht nur das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit in der Schokoladenproduktion schärfen soll, sondern auch andere dazu ermutigt, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Man müsse laut und mutig sein, fordert Furlow, um Veränderung herbeizuführen. Ihr Tipp? Partnerschaften mit anderen Brands bilden, um eine größere Wirkung zu erzielen.

Auch Vinted will die Welt ein Stück besser machen:  Die Plattform fördert die den Kauf und Verkauf von Secondhand-Kleidung, um die schnelllebige Modeindustrie nachhaltiger zu gestalten. Wichtigstes Ziel: Mehrwert für die Nutzer zu schaffen und gleichzeitig die Umweltauswirkungen zu reduzieren, wie der CEO Thomas Plantenga betont. Dabei kritisierte er die europäischen Regulierungen, die es beispielsweise billiger machen, Waren aus China zu importieren als innerhalb Europas zu versenden, und forderte eine Anpassung der Vorschriften, um Innovation und Nachhaltigkeit auch in Europa zu fördern.

Fazit

Die Next Web 2024 machte deutlich: Innovation und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen, um eine nachhaltige und ethische Zukunft zu gestalten. Vertrauen, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind der Schlüssel, um nicht nur die Marken zu stärken und Kundenloyalität zu fördern, sondern auch einen positiven Unterschied in der Welt zu machen.

Mediaplus Innovationsteam Simone Jocham und Alex Turtschan

Dieser Artikel erschien zuerst auf Horizont

Es ist wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera: Kannibalisiert Google mit Gemini sein eigenes höchst ertragreiches Geschäft mit der Suchmaschinenwerbung oder verliert es lieber bei der KI an Boden? Klar ist jedenfalls, der massive Wettbewerb generativer KI gefährdet Googles Geschäftsmodell und zwingt den Giganten zur Disruption.

Das erfolgreichste Geschäftsmodell der digitalen Wirtschaft – mit einem Volumen von rund 300 Milliarden US-Dollar weltweit – steht unter Druck: die Suchmaschinenwerbung. Vielleicht werden wir sogar Zeugen einer Disruption. Denn Künstliche Intelligenz führt dazu, dass die Online-Suchmaschinen, wie wir sie bisher kennen, mit großer Wahrscheinlichkeit künftig von Antwortmaschinen abgelöst werden. Natürlich nicht sofort, aber möglicherweise schleichend. Zum ersten Mal ist der Such-Algorithmus nicht mehr so überlegen, dass Google seine Wettbewerber automatisch abgehängt. Im Gegenteil: Google selbst ist mit der zentralen Frage konfrontiert, inwieweit es dem eigenen Geschäftsmodell Konkurrenz machen will, um zukunftsfähig zu bleiben.

Wie schnell die Entwicklung kommt und ob KI-Assistenten ihren Siegeszug antreten, hängt von den Nutzer:innen ab, aber auch von der Qualität der Antwortmaschinen. ChatGPT, Google Gemini, Microsofts Copilot & Co. funktionieren heute schon, allerdings nach völlig intransparenten Kriterien. Aus Sicht der Marketeers bedeutet das: Produkte und Marken wissen nicht, warum oder ob sie in den Antworten gelistet werden. Und User:innen wissen nicht, warum ihnen die KI welche Empfehlung gibt.

Analysiert man das Thema detaillierter, gibt es mindestens drei relevante Perspektiven:

  1. Die Perspektive der User:innen

Aus Sicht der Verwender:innen ist eine Antwortmaschine komfortabler als eine Suchmaschine. Zum einen muss man die Frage nicht mehr eintippen. Man kann sie auch einsprechen. Die Antwort kommt dann per Sprachausgabe. Sie ist aber auch deutlich reduzierter in ihren Empfehlungen. Spuckt die Suchmaschine noch seitenweise Treffer aus, beschränkt sich die Antwortmaschine auf wenige Treffer.

Und hier beginnt das erste Dilemma: Warum empfiehlt die KI-gestützte Antwortmaschine Produkt A und nicht Produkt B, mit dem die Userin bisher bessere Erfahrungen gemacht hat? Warum listet sie das teurere Produkt und nicht die billigere Variante? Warum sind eher amerikanische oder internationale Produkte und Marken aufgeführt und weniger oder gar keine nationalen und regionalen?

Alles Fragen, für die es im Augenblick keine Klärung gibt. Warum die Systeme welche Antworten geben (und auf welcher Recherchegrundlage) ist weitgehend intransparent.

Ein konkretes Beispiel. Wir füttern vier KIs (Bings Copilot, ChatGPT 4.0 von Open AI, Googles Gemini und Perplexity.ai) mit folgendem Prompt: „Ich möchte mir ein Elektroauto kaufen. Es soll eine Reichweite von mindestens 300 Kilometer pro Ladung haben, für vier Personen Platz bieten und nicht mehr als 55.000 € als Neuwagen kosten. Außerdem sollte es möglichst schnelle Ladezeiten aufweisen.“

Das Ergebnis: Die KIs empfehlen jeweils 4 (Bing und Perplexity) bzw. 5 Automodelle (Gemini und ChatGPT). Nur ein Modell, der Hyundai Kona Electric, taucht in allen vier KI-Listen auf. Der KIA e-Niro wird immerhin dreimal gelistet, jeweils zwei Listen empfehlen den Skoda Enyag iV und den VW ID3 bzw. das Model 3 von Tesla. Auf eine Erwähnung kommen der VW ID 4, der BMWiX, der Lucid Air, der Renault Zoe und der Citroen eC4.

Unabhängig von der Qualität der Empfehlungen (manche Modelle erfüllen die Kriterien aus dem Prompt nicht) zeigt sich: Nur Copilot von Bing und Perplexity.ai listen die Quellen für ihre Empfehlungen auf. Für die User:innen ist es bei zwei der vier KIs nicht möglich, die Herkunft der Information zu überprüfen.

Was bedeutet dies nun für die Nutzer:innen? Die Komplexität sinkt bei den Antwortmaschinen, jedoch zu Lasten der Qualität und Transparenz. Das wird bei allgemeinen und einfacheren Fragen wahrscheinlich nicht ins Gewicht fallen, aber bei komplexeren Suchen eher dazu führen, dass diese wohl auch mittelfristig weiter mit klassischen Suchmaschinen gelöst werden.

  1. Die Perspektive der Unternehmen/Marken/Werbetreibenden

Umgekehrt ist es aber auch für die Hersteller in unserem konkreten Beispiel nicht nachzuvollziehen, warum welche Modelle gelistet sind und andere nicht. Die Auswahl bei dem eher generischen Elektroauto-Prompt (s.o.) hätte auch ganz anders ausfallen können.

In der bisherigen Logik der Suchmaschinen haben sich mit SEO (Suchmaschinenoptimierung) und SEA (Suchmaschinenmarketing) zwei Disziplinen etabliert, bei denen die Spielregeln zumindest halbwegs transparent waren und sind. Für Werbungtreibende und Marken ist bei den KI-Systemen bisher nicht nachzuvollziehen, warum sie bei den auf 4 bis 5 reduzierten Empfehlungen der Antwortmaschinen zum Zug kommen oder warum nicht.

Google hatte jüngst auf seinem „Google Marketing Live“- Event angekündigt, dass sich Werbungtreibende wohl künftig auch in die KI-Übersichten einkaufen können. Während bei der aktuellen bezahlten Suche, der Einkaufsmodus für Paid Search weitgehend klar ist, gibt es für die KI-Übersichten noch kein bekanntes Procedere. Eile und Transparenz ist auch deshalb geboten, weil die Systeme (siehe Praxisbeispiel) ja bereits Antworten ausgeben.

Und hier wird es schon sehr spannend zu erfahren, wie eventuell eingebettete Werbung zum einen aussehen wird und zum anderen von den Nutzer:innen akzeptiert wird. Denn Menschen stellen eben oft eine klare Frage, die sie exakt beantwortet haben möchten. Was sie nicht möchten, sind 100 mögliche Shoppingergebnisse noch Antworten, bei denen sie nicht genau wissen, ob sie organisch oder bezahlt sind. Sie wollen eine Antwort und nicht „Radio Eriwan“: „Im Prinzip ist die Antwort so, aber…“

  1. Google, Microsoft & Co.

Und zu guter Letzt ist dies die Disruption für die Schöpfer der Systeme:- Open AI hat mit ChatGPT Google vor die Entscheidung gestellt: Kannibalisiert Google mit Gemini sein eigenes höchst ertragreiches Geschäft mit der Suchmaschinenwerbung oder verliert es lieber bei der KI an Boden? Die jetzt vorgestellten KI-Übersichten bei Gemini lassen vermuten, dass Google eine möglichst sanfte Eigenkannibalisierung anstrebt. Allerdings trifft der Search-Platzhirsch dabei im Markt u.a. auf Microsoft, die einerseits Großaktionär bei Open AI sind, anderseits mit der Integration des Copiloten weit jenseits des Browsers Bing aktiv sein können. Und auf den Wettbewerber Open AI, der keinerlei Rücksicht auf die bestehende Onlinesuche nehmen muss. Fun fact: die Listen von Bings Copilot und ChatGPT 4o unterscheiden sich beim Praxisbeispiel deutlich.

Fast jeder Zweite (43,4 %) besitzt inzwischen einen Account bei einem KI-Dienst, so eine repräsentativen Studie der Convios Consulting GmbH im Auftrag von GMX und WEB.DE. Spaß und Zeitvertreib sind dabei der häufigste Grund für den KI-Einsatz (39,7 %), gefolgt von Recherche mit 38,9 Prozent. Aktuell dürfte der Wert bereits deutlich höher liegen. Die Akzeptanz der Antwortmaschinen auf Nutzerseite wird darüber entscheiden, wie schnell sich Marktanteile aus der Suchmaschinenwerbung von Google zu insbesondere Microsoft und Open AI verlagern.

Ich glaube, dass diese aktuelle Entwicklung unsere Branchendiskussion mindestens der nächsten zwei Jahre prägen kann, und dass der Markt der Suche sich signifikant verändern wird.

Die Antwortmaschinen sind ein wichtiges übergreifendes Marktthema. Deshalb sind unsere Branchenverbände gefordert: der BVDW für Digitalagenturen ,Dienstleister, Publisher und auch Werbetreibende (Retail Media), der OWM für alle Werbetreibenden und natürlich auch andere Marktpartner und Regulierer (Kartellamt & Co.). Wir brauchen dringend mehr Transparenz, nach welchen Regeln die Antwortmaschinen spielen. Es ist Zeit für offene Diskussionen zwischen den Marktpartnern, Zeit für Rahmenbedingungen, für Whitepaper oder Code of Conducts, die allen die Sicherheit geben, was sie von KI erwarten können und welche Grenzen einzuhalten sind. Die Verbände sind die richtige und hierfür genau die beste Plattform, diese Diskussion zu moderieren und auch gegenüber der Politik zu begleiten.

Lassen wir nicht  zu viel Zeit verstreichen. Die Systeme laufen bereits. Und fragen Sie mal ihre Bubble, wie oft sie schon produktbezogene Fragen an eine KI gestellt haben. Sie werden überrascht sein. Meine Kollegin hat gerade ihren Portugal-Urlaub mit ChatGPT 4o geplant.

Die Social-Media-Landschaft befindet sich im absoluten Umbruch. Facebook, Instagram und YouTube dienten lange Zeit als primäre Kanäle, um mit Zielgruppen zu interagieren, Verbraucherinformationen zu sammeln – und schlussendlich E-Commerce zu ermöglichen. Doch der Austausch auf Social-Kanälen wird zunehmend privater. Für Marken wird es immer schwieriger, ihre Zielgruppen im neuen „Dark Social“ anzusprechen.

Ist Social Media eigentlich noch social? Wenn die Teilnahme am öffentlichen Diskurs immer weiter zurückgeht, wenn sich der Austausch der Menschen auf private Channels oder Communities beschränkt und das Engagement sinkt? Mit den rasanten Veränderungen im Online-Kosmos Schritt zu halten, ist vor allem für Marken schwierig. Durch den Aufstieg von TikTok und seinem Algorithmus für stark personalisierte Inhalte gibt es immer weniger Contents, die sich viral verbreiten: Personalisierte Content Bubbles treten an die Stelle von zufällig eingespielten Inhalten. Dieser Trend wird auf Plattformen wie Discord, Reddit und in Facebook Gruppen noch verstärkt, die gezielt auf Interessen eingehen und so als halbprivate Community Hubs agieren. Diese Plattformen stellen Marken in Bezug auf Zugänglichkeit und Engagement vor ganz neue Herausforderungen.

Der Trend hin zu den beliebten vertikalen Videoinhalten verändert die Art und Weise, wie Menschen  mit den Plattformen interagieren: weg vom persönlichen und aktiven Engagement, hin zu einem passiveren Konsum professionell produzierter Videoinhalte. Die Content-Erstellung wird immer exklusiver und von erfahrenen Creatorn dominiert. Das erhöht die Einstiegshürde für die durchschnittlichen User:innen – die bei diesem Qualitätsstandard nicht mithalten können und Engagement und Creation daher auf privaten Kanälen ausleben. Die Folge: Marken erfahren immer weniger über potenzielle Zielgruppen.

Die Verschiebung hin zu einer intimeren Nutzung von Social-Media-Kanälen wird durch die wachsende Sorge um die Privatsphäre noch verstärkt. Die abnehmende Qualität von Inhalten im öffentlichen Diskurs spielt hierbei eine große Rolle. Auf Plattformen, die früher den offenen Dialog förderten, setzt man sich der öffentlichen Kritik aus – bis hin zum Mobbing. Inhalte polarisieren. Private Kommunikationsformen wie Direct Messaging und Stories treten an die Stelle klassischer öffentlicher Posts und Kommentare.

Die Fragmentierung der Online Spaces: eine Herausforderung für Marketer

Unser heutiges Social-Media-Umfeld ist also geprägt vom Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Raum. Öffentliche Social-Kanäle fokussieren sich zunehmend auf Entertainment-getriebene Inhalte wie Videos und Livestreams, die primär Reactions hervorrufen, aber keine weiterführenden Interaktionen.

Private Social-Kanäle hingegen – Gruppenchats und Inhalte, die unter engen Freund:innen geteilt werden – bieten einen intimeren Raum für Interaktion. Diese „Dark Social“-Kanäle erleben einen rasanten Anstieg der Nutzerbindung. Es ist für Marken aber nicht unmöglich, diese privaten Bereiche zu durchdringen.

Sechs Wege der Nutzeransprache im neuen Social-Media-Zeitalter:

  1. Paid Media: Video Ads funktionieren auf sozialen Plattformen ausgesprochen gut – die Contents sollten plattformspezifisch gestaltet sein und kurze Aufmerksamkeitsspannen benötigen. Es gilt, Inhalte in Form von Kooperationen umzusetzen und besonders gut funktionierende Beiträge weiter zu pushen.
  2. Mit Creatorn zusammenarbeiten: Creator kennen ihre Zielgruppen und Plattformen sehr gut. Sie als Vermittler für Special Content und im Bereich Community Engagement zu nutzen, ist absolut sinnvoll.
  3. Den Inner Creator entdecken: Auf die passende Tonalität kommt es an – egal ob sie humorvoll, lehrreich oder unterhaltsam ist. Die Inhalte – auch von Markenbotschaften – sollten zum Teilen auf privaten Kanälen anregen, egal ob es um breite Werbeaktionen geht, oder ob ein Inhalt exklusiv an eine gewisse Zielgruppe ausgespielt wird.
  4. Eintauchen in die Community: Wenn Marken sich an aktuellen Diskussionen auf Social Media beteiligen, steigern sie ihre Sichtbarkeit. Zusätzlich braucht es Strategien für spontanes Handeln, das auf der Agilität und den Freiheiten von Community Manager:innen beruht.
  5. Social Tech nutzen: Mit Augmented-Reality-Filtern und Lenses können Marketer ihre Kampagnen verbessern und private Kanäle durchdringen. Mit diesen gebrandeten, digitalen Goodies wie Sounds, Stickern und Filtern können sich Nutzer:innen in beliebten Apps ausdrücken.
  6. Die Nische besetzen: Es ist wichtig, dass Marken sich mit digitalen Communities identifizieren und vernetzen, die mit ihren eigenen Markenwerten übereinstimmen. Wenn sie ihre Kommunikationsansätze an diese Gruppen anpassen, fördern sie eine tiefere Bindung und können sich den Zugang zu privaten Community Spaces erschließen.

Die künftige Ausrichtung von Social Media erfordert eine differenzierte Herangehensweise – eine, die den Reiz öffentlicher Plattformen mit der Intimität privater Kanäle zusammenbringt. Marken, die sich der veränderten Landschaft anpassen, ihre Feinheiten respektieren und ihr Potenzial ausschöpfen, sind bei der nächsten digitalen Revolution ganz vorne mit dabei.

Dieser Artikel ist zuerst bei W&V erschienen.

Retail Media boomt, und jeder will ein Stück vom Kuchen. Werbetreibende wollen die wertvollen First-Party-Daten nutzen, Händler damit Geld verdienen. Doch das neue Geschäftsfeld ist kompliziert und Händler müssen erst mal Hausaufgaben machen, bevor die Kasse für Werbeeinnahmen klingelt.

Rund 47 Milliarden US-Dollar setzte Amazon 2023 allein mit Werbung um.  Das weckt Begehrlichkeiten bei vielen Handelsunternehmen.  Retail Media ist ein boomender Markt. Was also liegt näher für Händler, als sich ein Stück des immer größer werdenden Kuchens abzuschneiden?

Im Wettbewerb gegen Marktgiganten wie Amazon, Alibaba & Co ist das Retail Media-Business aber alles andere als ein simples Unterfangen, bei dem Händler erst mal sehr viel mehr Geld verbrennen können, als sie einnehmen. Händler bzw. Webshop-Betreiber, die auch als Publisher Erfolg haben möchten, sollten sich frühzeitig mit einigen sehr zentralen Voraussetzungen zu beschäftigen, ohne die das Retail Media-Business nicht funktioniert:

Gemeinsam statt einsam: Kooperationen schließen!

Gerade kleinere und mittelgroße Händler verfügen über Unmengen von spannenden Daten und umfangreiches Wissen über ihre Kundschaft und sie bieten jede Menge potentielle Werbefläche. Als einzelner Anbieter sind sie für reichweitenstarke Kampagnen aber deutlich zu klein. Aus der Perspektive der Einkäufer, also der Werbetreibenden und ihrer Agenturen, wäre es wesentlich sinnvoller, Kooperationen zu schmieden oder sich an Pool-Lösungen zu beteiligen, als allein loszumarschieren.

Das hat die Organisation Werbetreibende im Markenverband (OWM) in ihrem neuen Code of Conduct auch gerade nochmal unterstrichen: „Entscheidend für den langfristigen und nachhaltigen Erfolg von Retail Media ist die Ermöglichung von anbieterübergreifender Planung, Steuerung und Auswertung der Media-Aktivitäten durch den Werbungtreibenden erforderlich.“ Übersetzt lautet dieser etwas sperrige Satz : Macht jeder Händler sein eigenes Ding, als Walled Garden oder indem er versucht, nicht Markt-kompatible Standards zu etablieren, wird es schwierig mit dem Verdienen von Werbegeldern. Anbieterübergreifende Pools und Plattformen sind für all jene, die zu wenig Reichweite haben, um sich allein gegen Amazon, Alibaba &Co. zu behaupten, nahezu zwingend, um Erfolg zu haben.

Walled Garden: Wir müssen draußen bleiben!

Kein Walled Garden: das gilt auch für die technische Infrastruktur! Ein maschineller Einkaufsprozess der Werbeleistung ist mittelfristig auch die Basis für erfolgreiches Wirtschaften im Retail Media-Bereich ist. D.h. Händler benötigen eine technische Infrastruktur für ihr Business, die marktkompatible Standards erfüllt und passende Schnittstellen anbietet. Zu viele Einzellösungen erhöhen  die Komplexität für Agenturen und Werbetreibende derart, dass sie sich dann – wenn schon – eher auf die größten Walled Gardens konzentrieren und kleinere Retailer oder das ganze Segment meiden.

Optimal für die Käufer- und Verkäuferseite wäre natürlich eine gemeinsame Handelsplattform mit einheitlichen Datenstandards und Buchungsmöglichkeiten. Gemeinsame Marktstandards sind dafür die Basis. Der Retail Media Circle (RMC) im BVDW hat dafür Anfang des Jahres mit den Standard-Metriken für „Awareness, Conversion und Consumer Behavior“ wichtige Grundlagenarbeit geleistet. Auch die Werbetreibenden im OWM haben die Wichtigkeit gemeinsamer Standards gerade noch einmal betont. Publisher, Agenturen, AdTechs und Kunden haben beim Programmatic Advertising ja vor Jahren schon einmal bewiesen, dass sie gemeinsam eine tragfähige Lösung für den Markt erarbeiten können. Heute wird fast drei Viertel der digitalen Werbung programmatisch eingekauft. Warum also sollte das nicht auch für Retail Media machbar sein?

Her mit den Daten. Aber wie geht das richtig?

Werbekunden (OWM) dringen auf einen „transparenten und DSGVO-konformen Zugang zu Retail Media-Daten“. Gleichzeitig müssen die Händler dafür Sorge tragen, dass nur solche Daten mit Kunden und ihren Agenturen geteilt werden, deren Weitergabe die Nutzer:innen explizit zugestimmt haben (Consent). Für die Zusammenarbeit von Händlern, Werbetreibenden und ihren Agenturen werden deshalb immer häufiger sogenannte Data Clean Rooms eingerichtet. Sie ermöglichen es zwei oder mehr Parteien, Datenbestände für bestimmte, gemeinsam vereinbarte Zwecke zu nutzen. Gleichzeitig ist garantiert, dass personenbezogene Daten der Kunden an andere Parteien nicht weitergegeben oder offengelegt werden. Retailer können so anonymisierte und aggregierte Shopperdaten mit Marken und Werbetreibenden in einer sicheren Umgebung austauschen, um das Targeting, die Werbewirkung und das Messen des Werbeerfolgs zu verbessern.

Apropos Shopperdaten. Auch die müssen in strukturierter Form vorliegen. Grundsätzlich benötigen Werbetreibende Zielgruppenbeschreibungen von Käufern und Interessenten, Regiodaten von Käuferinnen und Interessentinnen und natürlich auch Auswertungen von sogenannten Cross-Interessen. Sprich: Menschen, die Schaufel und Harke kaufen, sind vielleicht auch an Gartenmobiliar interessiert. Menschen, die Windeln kaufen, halten eventuell nach einem Familienauto Ausschau.

Für Non-endemische Werbung – also Werbung aus Branchen, die ihre Produkte nicht beim Händler verkaufen -, braucht es sinnvoll differenzierende Daten. Will der Onlineshop eines Lebensmitteldiscounters Werbung für einen Automobilhersteller ausspielen, müssen die  Einkaufsdaten Hinweise geben, wem welches Modell eingespielt werden soll. Echten Connaisseurs von Champagner, Gänseleber und Hummer würde dann eher ein Premium-Automobil offeriert. Zum klassischen Familien-Warenkorb (inklusive Babybrei und Windeln) wird eher der Mittelklasse-Kombi eingespielt.

Chance und Gefahr: Datenqualität versus Reichweite

Die intern geclusterten Zielgruppen der Retailer müssen keinesfalls mit den gewünschten Zielgruppen der Werbetreibenden übereinstimmen. In der Regel sind die konkreten Warenkörbe und Shoppingdaten der Händler aber besser als Zielgruppendaten, die ein herkömmlicher Vermarkter beispielsweise eines Mediums, liefern kann. Hier liegt eine große Chance für Retailer in dem sie neue Zielgruppen zu beschreiben, die für die Produkte der Werbetreibenden passgenau geeignet sind und ausreichend differenzieren.

Eine Grundsatzfrage im Dreieck zwischen Retailern, Werbetreibenden und ihren Agenturen lautet: Verkaufen die Händler „nur“ Daten oder auch Daten UND Reichweite? Denn, wie schon erwähnt, weisen gerade kleinere und mittlere Retail Media-Anbieter in der Regel eher geringe Reichweiten auf. Da liegt es für Retailer nahe, Reichweite dazuzukaufen.

Das wiederum birgt für Werbetreibende und ihre Agenturen Gefahr: Denn werden in Zukunft unterschiedliche Retailer angebunden, die alle über die gleichen Demand Side-Plattformen Reichweite zukaufen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass eine Kampagne immer auf den gleichen Werbeplatzierungen ausgesteuert wird.

Das Bündeln von Daten und Reichweite ist deshalb nicht im Sinne der Agenturen und ihrer Auftraggeber. Also: Datenaustausch ja, gerne auch über Data-Cleanrooms, aber die Medialeistung werden Werbetreibende und Agenturen immer selber einkaufen wollen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass keine Doppelbuchungen auf einzelnen Platzierungen und Umfeldern entstehen.

Werbeformate : Spagat zwischen innovativ und machbar

Retail Media ist deutlich komplexer als die reine Sponsored Product Ad. Die Kunden fordern innovative und kreative Lösungen für ihre Markenbotschaften, die sie in den verschiedenen Phasen der Kundenreise einsetzen können. Gleichzeitig soll die Usability des Webshops nicht unter den Werbeformaten leiden. Ein Balanceakt, den es immer wieder neu auszutarieren gilt. Die OWM fordert hierzu: „Die Schlüsselkomponente in diesem Prozess ist der Ausbau und die stetige Anpassung der Werbeformate im Retail Media-Bereich.“ Außerdem sollten Händler die IAB-Standards zur Werbemittelgestaltung beachten.

Retail Media wirkt – und wie beweise ich das?

Last but not least: Für die Werbetreibenden (und ihre Agenturen) ist es außerdem wichtig, dass der Kanal „Retail Media“ in seiner Werbewirkung und Werbeleistung mit anderen Kanälen verglichen werden kann, um die Performance kanalübergreifend zu messen. Wer für Retail Media Markenbudgets bekommen möchte und den Kanal im Upper Funnel des Marketings ansiedeln will, sollte – unabhängig gemessene – Werbewirkungsnachweise vorlegen können.

Fazit: Lohnt sich Retail Media für Händler?

Für Retailer, die ins Werbebusiness einsteigen und sich erfolgreich dort behaupten wollen, gibt es also einige Aufgaben zu bewältigen, bevor große Erlöse erwirtschaftet werden können. Das Marktklima allerdings ist äußert positiv: National wie international liegen die Prognosen der Mediaagenturen und Verbände für das Umsatzwachstum im Bereich Retail Media bei über 20 Prozent pro Jahr. Allein der Retail Media-Umsatz von Amazon in Europa soll 2024 auf einen Rekordwert von 3,8 Mrd. US-Dollar steigen. Der Einstieg ins Retail Media-Business kann sich also mehr als lohnen. Vorausgesetzt die Händler agieren marktkonform, kooperativ und weisen ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis nach.

Der Beitrag erschien zuerst bei Horizont.

Die SXSW geht zu Ende und damit auch die Reise von Mediaplus und Plan.Net. Was vor allem bleibt, ist das Gefühl eines Umbruchs. Science Fiction im banalen Alltag verankert. Eine Zukunft mit unvorstellbaren neuen Herausforderungen und eine Entwicklungsgeschwindigkeit der Technologien, wie wir sie uns noch vor einem Jahr kaum vorstellen konnten. Der letzte Recap zur SXSW kommt dieses Mal im Doppelpack von Alex Turtschan, Director Innovation bei Mediaplus und Nina Matzat, General Manager Plan.Net Studios.

„We all know something is changing, right? You guys feel it as well?” So begannen die meisten Sessions der SXSW. Wir blicken zurück auf ein Jahr bahnbrechender Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Unsere Kinder nutzen ChatGPT heute ganz selbstverständlich, um etwas so Banales wie ihre Hausaufgaben zu erledigen – mit Technologie, die uns noch vor wenigen Jahren wie Science-Fiction vorkam. Und es hat weniger als ein Jahr gedauert, bis diese Science Fiction zur Normalität geworden ist.

KI – wenn die Maschine vor dir weiß, was du tust

Was die SXSW dieses Jahr sehr besonders gemacht hat: Die Gespräche und Einschätzungen über KI wurden sehr konkret, gingen in den meisten Fällen über Buzzwords und einfache Wahrheiten und Thesen hinaus. Für Amy Webb, CEO des Future Today Institute, steht KI im Zentrum eines neuen Technologie-Superzyklus, auf einer Stufe mit Elektrizität, der Dampfmaschine und dem Internet. Nur haben wir es diesmal nicht mit einer „General Purpose Technology” zu tun, sondern mit drei. Neben KI wird das Internet of Things zum „Connected ecosystem of things”. Und nicht zuletzt werden wir das Zeitalter von Biotechnologie und „Generative Biology“ einläuten. Wir werden Biocomputer erleben, die aus menschlichen Gehirnzellen gebaut werden.

Ein Satz von Amy Webb hat uns besonders aufmerken lassen: „AI will run out of Internet soon.” Die aktuellen Generative-AI-Modelle sind trainiert auf Daten aus der Vergangenheit – zumeist mit Abermillionen von Texten und Bildern aus mehreren Jahrzehnten Internet. Für die nächste Evolutionsstufe von KI und den Wandel von Large Language Models (LLMs) zu Large Action Models (LAMs) braucht es jedoch mehr und vor allem andere Daten.

Der beste Weg, diese zu bekommen? Wearables, die wir 24/7 mit uns tragen, in allen Formen und Größen: von Smart Rings über Smart Glasses und AI Pins bis hin zu den von Amy Webb wenig schmeichelhaft als „Gesichtscomputer” bezeichneten Devices wie der Apple Vision Pro – dazu unten mehr. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir eine wahre Explosion an Devices erleben. Wo LLMs in der Lage sind, vorherzusagen was wir als nächstes sagen wollen, werden LAMs wissen, was wir als nächstes tun – vielleicht sogar, bevor wir es selbst wissen. 

Klingt aufregend, eröffnet allerdings eine ganz neue Dimension an Problemen rund um Datenschutz, Privatsphäre und Regulierung. Es ist an der „Transition Generation”, und denen, die uns folgen, diesen Wandel zu begleiten und in die richtigen Bahnen zu lenken.

Der Sprung zum überübermorgen: aus GenZ wird Alpha

Doch was macht das eigentlich mit uns Menschen, auch das eine zentrale Frage der SXSW 2024. Während ein Großteil der Marketing- und Geschäftswelt gerade noch versucht, die Gen Z zu verstehen, wartet mit der Gen Alpha bereits die nächste Konsumgeneration auf uns: die zwischen 2013 und 2024 Geborenen. Hier ist ein Rückblick auf die Elterngeneration notwendig, deren Jugend und Erwachsenenalter von einschneidenden Ereignissen geprägt ist: 9/11, Finanzkrise, Rezession, Pandemie, digitale Revolution, Klimawandel – kurz: Unsicherheit.

Starke Einbindung in die Entscheidungen innerhalb der Familie, Transparenz hinsichtlich Finanzen, selbstverständliche Nutzung digitaler Medien: Die Gen Alpha ist meinungsstark und entscheidungsfreudig, auch was das Verhältnis zu Medieninhalten und Marken angeht. Technologie kommt im Zweifel vor Marke – hier gilt es aufzupassen.

Und das Marketing? Kommt kaum hinterher!

Das Marketing hat hier viel zu stemmen: Die Abkehr von klassischen Zielgruppen hin zu interessensgetriebenen Communities, aber auch das geschickte Nutzen von Hype-Zyklen rund um Produkte, Popkultur und Persönlichkeiten. Dazu kommen die Anforderungen an stringente Markenführung in Zeiten von hoch-personalisierten Kampagnen. Angesichts von Kostendruck, Effizienzdenken und oft schlechter Produkt- und Servicequalität – wie Jake Brody von Accenture Song kritisiert – eine gewaltige Herausforderung für CMOs. 

Lädierte Kunden-Marke-Beziehungen zu reparieren, die eigene Marke zu differenzieren, der Umgang mit neuen Technologien (von KI bis Spatial Web) sind Herkulesaufgaben. Hier tut es gut, sich an der „Beyond the Buzz”-Session von Noor Naseer, Basis Technologies, zu orientieren: „Focus on your own problems and don’t worry about what others are doing.” Oder etwas positiver formuliert: Mit Fokus auf die eigenen Stärken, Ideen und Kreativität meistern wir auch diese Transition. 

Alex Turtschan, Director Innovation bei Mediaplus

Das nächste Internet

Die SXSW erlaubt es, den eigenen Planeten zu betrachten (für uns bei Plan.Net Studios: Spatial Computing, Blockchain und Emerging Tech), das Sonnensystem drumherum (was bedeutet AI eigentlich für unsere Branche, unsere Gesellschaft und die Zukunft der Menschheit?) und darüber hinaus – wortwörtlich – das ganze Universum (Danke, NASA).

Genau das ist die große Stärke der Konferenz. Nur durch den Blick über unsere eigene Bubble hinaus können wir die Ereignisse in unserer Bubble vernünftig einordnen. Und manchmal erdet es auch, wenn man zwischen Futuristin Amy Webb und ChatGPT-Chef Deng live mit Astronaut:innen auf der ISS spricht und hört, wie an den Lösungen für Krebs, Alzheimer und Klimakrise geforscht wird. Oder wie Scott Galloway sagen würde: „Life’s so rich.“

Apple Vision Pro – der Mac fürs Gesicht

Im Kern ist Spatial Computing die Verschmelzung von Computer Vision, Extended/Virtual Reality, AI und der echten Welt. Es wird uns ermöglichen, auf ganz neue Arten miteinander zu interagieren und zu kommunizieren und vor allem das Verständnis unserer elektronischen Begleiter für die Welt auf ein völlig neues Niveau heben: Raum, Audio, Daten – alles wird nutzbar, fühlbar und interagierbar. Das führt zu neuen Formen von Entertainment, Handel und Bildung – die physische Welt als Leinwand für digitale Interaktion. Bestes Beispiel: Die Apple Vision Pro.

Elizabeth Bramson-Boudreau, CEO der MIT Technology Review, sagt, was alle denken: Es gibt bereits diverse Headsets und VR-Geräte. Der Unterschied zu allen Vorgängern, die versucht haben, VR und AR an die Massen zu bringen: „It’s Apple“. Für Ted Schilowitz, Futurist bei Paramount Global, ist Apples Superkraft deshalb nicht Innovation oder Erfindung, sondern „Refinement“. Man hat sich aufgemacht, User Experience, Auflösung, Immersion, Sensorik, Design und verfügbaren Content zu perfektionieren. Die erste Vision Pro ist eine „Developer Version“ – aber es wird nicht lange dauern, bis die nächste Iteration zur Verfügung stehen wird, die nicht nur optimiert, sondern auch für eine breitere Masse an Nutzer:innen erschwinglich sein wird. 

Mit der Vision Pro begründet Apple aber auch eine neue Technologie-Kategorie: Spatial Computing. Die Vision Pro ist eben keine Brille wie Meta’s Quest, die großen Fokus auf Gaming legt. Sie ist ein Mac für das Gesicht. Fast forward: In ein bis zwei Jahren wird Apple diese Kategorie nachhaltig anführen – so die einhellige Meinung auf der SXSW. 

Blockchain: Alle Macht den User:innen

Neue Chancen eröffnet hier auch die Blockchain. Das Bashing von NFTs als Spekulationsobjekte und Crypto als Scam ist verklungen. Jetzt können die Bauherren des neuen Internets in Ruhe arbeiten. Chris Dixon, Andreessen Horowitz Partner und Gründer des größten Web3 Venture Capitals a16z, sieht Blockchain als Lösung für die Dominanz und Kontrolle, die Big Tech (Amazon, Google, Apple & Co.) über unsere Daten und – gelinde gesagt – über die gesamte Weltwirtschaft hat. Big Tech hat das Internet monopolisiert. Die große Vision derer, die Blockchain voranbringen, ist es, die Zentralisierung des Internets aufzulösen und den User:innen die Hoheit über Daten und Besitz zurückzugeben. 

Zwei große Zukunftsvisionen tun sich hier auf: Blockchain als System von Authentifizierung, Validierung und „Trust“ für Identität, Besitz, und Urheber – und damit ein valides Gegengewicht zu KI. Und zweitens: Blockchain und Tokens als Technologie für Interoperabilität von digitaler Identität, Daten, Besitz und Content und damit als Fundament für das zukünftige Metaverse. Und das sieht ganz anders aus als das geschlossene kleine – und auch schon totgesagte – Spielimperium von gestern.

Ready Player One – vom Buch zur Realität

Die Vision des 2011 verfassten und 2018 verfilmten Buchs „Ready Player One“ von Ernest Cline war bereits eine Zukunftsvision dessen, was wir als das künftige Metaverse bezeichnen. Ein virtuelles Universum, in dem drei grundlegende Prinzipien zusammenkommen: Zum einen die Idee von Konvergenz, der Annäherung und Zusammenführung von unterschiedlichsten virtuellen Welten. Zum zweiten die Datenebene – Informationen darüber, wer wir sind, was wir gerne tun, was wir lieben –, komplett im Besitz der Nutzer:innen. Und zuletzt die Interoperabilität – die Möglichkeit, sich naht- und reibungslos zwischen den Welten zu bewegen, mit all dem, was uns ausmacht: unsere Identität, unser Besitz, unser digitales Leben. Das ist die originäre Vision des Metaverse, festgehalten in Ready Player One.  

Spannende News auf der SXSW: Die Mannschaft, die das Buch und den Film zum Leben erweckt hat, ist dabei, die Vision in die Realität umzusetzen. Angekündigt wurden das Readyverse als Plattform und eine Battle Royale Hero Experience, genannt OPEN  Autor und Filmcrew haben hierfür elf Unternehmen unter einem Dach vereint und sich mit den größten Gaming Studios verpartnert, unter anderem Microsoft, Epic Games, Ubisoft, Playstation, Mojang. Weitere sollen folgen. Aaron McDonald, Co-Founder der Readyverse Studios, versprach: „The Metaverse is the internet grown up.”

Soweit zur Zukunft des Metaverse. Worüber sich letztendlich aber selbst die schlauesten Köpfe nicht einig sind: Wie die Zukunft mit AI, Spatial, Blockchain und Co. ausgeht. Futuristin Amy Webb eröffnete eine bisweilen dystopische Vision der Zukunft, in der unreglementierte KI die Gesellschaft weiter spalten und zu einer noch größeren ökonomischen und sozialen Kluft führen könnte. Ray Kurzweil, Begründer des Prinzips der Singularität und der Mensch, der sich länger mit AI beschäftigt hat als jeder andere Mensch (65 Jahre, wow), zeichnete hingegen ein sehr optimistisches Bild der Zukunft unter AI: „Tomorrow’s gonna be better and better“ – wenn wir es nur schaffen, die ethischen Herausforderungen von AI zu lösen. Spoiler: Es sind eine Menge.

Nina Matzat, General Manager Plan.Net Studios

Zuerst veröffentlicht bei Horizont.

Eines der besten Dinge an der SXSW: Selbst wenn man die Konferenz für Insights zu bestimmten Themen besucht – in unserem Fall Marketing, Technologie und (digitale) Kultur – ermöglicht es die Bandbreite an Themen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Heute zum Beispiel hat die NASA eine unterhaltsame Eröffnungssitzung organisiert, ein Panel bestehend aus einer Gruppe von NASA-Wissenschaftlerinnen und zwei Astronautinnen, die live von der Internationalen Raumstation ISS per Video zugeschaltet wurden – was für ein inspirierender Start in den Tag!

Künftige Konsument:innen

Im wahrsten Sinne des Wortes „down-to-earth“, aber nicht weniger aufschlussreich war der Vortrag von Joëlle de Montgolfier und Leah Johns von Bain & Company, die die Zuhörer:innen durch ihren „Beyond Trends“-Report führten. Vor dem Hintergrund unserer sich rasant verändernden Gesellschaft, die einerseits durch technologische Durchbrüche und andererseits durch ökologische Veränderungen im Zuge des Klimawandels vorangetrieben wird, skizzierten sie acht langfristige Veränderungen im Konsument:innenverhalten auf Makro- und Mikroebene sowie mögliche Lösungsansätze, wie Führungskräfte aus der Wirtschaft darauf reagieren können und sollten.

  • Die globale und lokale Migration wird unsere Städte und Lebensräume drastisch verändern und erfordert neue Denkansätze zur Digitalisierung grundlegender Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge oder der Automatisierung von Einzelhandelsflächen.
  • Mit dem Älterwerden der Bevölkerung und dem Rückgang des traditionellen Familienmodells als vorherrschende Sozialstruktur in den westlichen Gesellschaften werden neue Dienstleistungen für den älteren, aber immer noch aktiven Teil der Bevölkerung in den Bereichen Freizeit, Arbeit und Bildung entstehen. Aber auch ein großer Teil der auf die Kernfamilie ausgerichteten Infrastruktur wird sich verändern müssen, vom Verkehr bis zu Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.
  • Angesichts der alternden Erwerbsbevölkerung und der deutlich größeren Bereitschaft der jüngeren Generationen zum Berufswechsel werden neue Arbeitsmodelle erforderlich sein.
  • Ein stetig wachsender Teil der Gesellschaft wird umweltbewusster, was sich drastisch auf den Konsum auswirkt. Heimwerken und die Verringerung des CO2-Fußabdrucks bei Reisen rücken stärker in den Vordergrund. Unnötige Anschaffungen zu vermeiden, stellt eine Herausforderung bei bestehenden Gütern und Dienstleistungen dar.
  • Mit den Fortschritten in der künstlichen Intelligenz und der Robotik wächst das Bedürfnis, alltägliche Aufgaben mit Hilfe der Technik zu automatisieren.
  • Stark beeinflusst durch die Technologie, die ihnen zur Verfügung steht, werden die Verbraucher:innen der Zukunft auch anders mit dem Thema Gesundheit umgehen. Von Wearables zur Tracking der eigenen Fitness bis hin zu Mitteln und Wegen zur Verbesserung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und des Alterns: Es eröffnen sich eine Vielzahl an neuen Geschäftschancen.
  • Zu guter Letzt: Emotionale Unterstützung und Wohlbefinden werden zur zentralen Herausforderung für unsere Gesellschaft. Die Einsamkeit nimmt zu, während gemeinsame Rituale und Gemeinschaftsorte immer seltener werden. Neue Quellen von Geselligkeit und Freude in Form von Dienstleistungen und Gütern können eine Schlüsselrolle bei der Lösung dieses Problems spielen.

Gestaltung für die Konsument:innen von morgen

Jake Brody von Accenture Song stellte am Dienstagnachmittag fünf Trends für die Markenkommunikation in einem sich schnell verändernden Umfeld vor, das von wirtschaftlicher Unsicherheit, sozialen Konflikten, neuen Technologien und Klimawandel geprägt ist.

Die wirtschaftlichen Herausforderungen haben viele Marken dazu veranlasst, ihre Preise zu erhöhen. Dies geschieht oft auf undurchsichtige Art und Weise – von der „Shrinkflation“ bis hin zur Verschlechterung der Produkt- oder Servicequalität –und führt dazu, dass sich Verbraucher:innen von ihren Love-Brands abwenden. Eine zentrale Herausforderung für das Marketing wird darin bestehen, das Vertrauen der Konsument:innen zurückzugewinnen, ihnen Mehrwert zu bieten und gleichzeitig Kostensenkungen sorgfältig abzuwägen. Eine mögliche Lösung: KI.

Generative KI wird einen drastischen Einfluss auf alle Schnittstellen zwischen Verbraucher:innen und Marke haben. Marketingfachleute müssen Wege finden, die Identität ihrer Marken zu bewahren und sich gleichzeitig in hohem Maße auf die KI-gestützte Hyperpersonalisierung zu verlassen, die die Zufriedenheit der Konsument:innen steigert, indem sie ihnen das Gefühl gibt, besser verstanden und betreut zu werden.

Weiterhin auf die neuesten technologischen Fortschritte zu setzen, bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Vor allem, weil die Verbraucher:innen den schnelllebigen Tech-Hypes – von Metaverse über künstliche Intelligenz bis hin zu Spatial Computing – zunehmend überdrüssig werden. Das Tempo der Veränderung scheint zu schnell zu sein und die Menschen befürchten, dass die Technologie nicht immer zu ihrem Wohlbefinden beiträgt. Für Marketingverantwortliche bedeutet das, dass sie bei der Entscheidung, welche Technologien sie in ihre Kommunikation und Markenerlebnisse integrieren, die Interessen der Verbraucher:innen in den Mittelpunkt stellen müssen.

Ein weiterer interessanter Punkt, den Brody ansprach: Sowohl das Zielpublikum als auch Creators und Kreative fühlen sich zunehmend gelangweilt und eingeschränkt durch die Dominanz effizienzorientierter Inhalte und Kreationen. Die Konsument:innen haben das Gefühl, dass alles gleich aussieht und sich gleich anfühlt – ein gefährlicher Weg für Marken, die ihre Fähigkeit verlieren, sich zu differenzieren. Eine mögliche Lösung ist die Bereitstellung eines „Lunacy Budgets“, wie Brody es nennt, für riskante und kreative Projekte, die Neugier und Begeisterung wecken.

Generation Alpha stellt sich vor

Spricht man vom Konsument:innen der Zukunft, spricht man unweigerlich von der Generation Alpha, (zwischen 2013-2024 geboren). Joanna Piacenza von Morning Consult gab einen anschaulichen Einblick in diese sehr junge Zielgruppe und unterstrich den tiefgreifenden Einfluss der Erfahrungen ihrer Millennial-Eltern. Von wirtschaftlichen Rezessionen über globale Pandemien bis hin zur digitalen Revolution – die Generation Alpha wächst mit einer Vielzahl von einzigartigen Ereignissen auf, die einen starken Einfluss auf ihre Erziehung haben. Ihre Eltern formen eine neue Generation, die sich deutlich von früheren Generationen unterscheidet.

Aus Marketingsicht interessant: Die Alpha-Generation entwickelt bereits in jungen Jahren Markentreue, insbesondere bei Lebensmitteln, Snacks und Unterhaltungsangeboten. Dies zeigt ihren starken Einfluss auf Entscheidungen innerhalb der Familiendynamik, da sie von ihren Eltern aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Dieser Einfluss erstreckt sich sogar auf Reisen an einen Ort, den das Kind beispielsweise in einer Serie gesehen hat. Aufgewachsen mit finanziell umsichtigen Eltern (die häufig offen mit ihren Kindern über die Haushaltsfinanzen sprechen), zeigt die Generation Alpha schon früh digitale und finanzielle Kompetenz sowie Markenbewusstsein. Durch die weitverbreitete Nutzung von Tablets und das aufkommende Interesse an VR (49 Prozent der Generation Alpha besitzen ein Tablet, während 12 Prozent bereits ein VR-Gerät besitzen) liegt die digitale Immersion in ihrer DNA.

Für Marken ist es eine Herausforderung, mit der Generation Alpha in Kontakt zu treten: Sie müssen deren digitalaffines Wesen und die Werte verstehen, die sie von ihren Millennial-Eltern mitbekommen haben. Durch ihre frühzeitige Einbindung in Entscheidungsprozesse werden Alphas eine starke Meinung haben, von gesellschaftlichen Themen bis hin zu Brands. Die Online-Gewohnheiten der Alphas bilden sich gerade erst heraus, und es ist wahrscheinlich, dass sie die Gewohnheiten, die sie entwickeln, für eine lange Zeit beibehalten werden. Für Marken ist es von entscheidender Bedeutung, sich dieser Dynamik bewusst zu sein, um Strategien zu entwickeln, die dieses aufstrebende Publikum wirklich ansprechen.

Zuerst veröffentlicht bei Horizont.