Was passiert mit einer demokratisch organisierten Gesellschaft, wenn es immer weniger unabhängige, journalistisch sauber recherchierende Medien gibt? Wie entwickeln sich die Preise im Werbemarkt, wenn Monopolisten und Oligopole dominieren?
Die Antwort auf beide Fragen lautet: Das kommt uns mittel- bis langfristig teuer zu stehen. Als Werbetreibende und Agenturen, aber auch als Demokratie. Sind wir schon in dieser Situation? Noch nicht, aber wir bewegen uns als Markt in diese Richtung, weil immer mehr Werbegelder den Weg zu den globalen Plattformen finden. Mit Blick auf Kampagnen-Reichweiten kann das mal mehr, mal weniger sinnvoll sein. Vergessen sollten wir dabei aber nicht: Geld, das in Google, Meta, Amazon und Co investiert wird, fehlt im Gegenzug den nationalen, privatwirtschaftlich (also nicht öffentlich-rechtlich) finanzierten Publishern, um redaktionelle Leistungen zu erbringen, die für eine demokratische Gesellschaft und für das Generieren von Reichweiten essentiell sind.
MagnaGlobal, die Einkaufsgesellschaft von Mediaplus und IPG Mediabrand, wertet kontinuierlich die Zahlen auf globaler und nationaler Ebene aus. Und die sind eindeutig: Ohne den chinesischen Markt vereinnahmten die Top Drei – Alphabet (Google, YouTube), Meta (Facebook, Instagram) und Amazon (Prime Video, Retail Media)– im Jahr 2023 weltweit bereits rund 90 Prozent aller digitalen Werbeeinahmen auf sich. Ein großer Teil der übrigen 10 Prozent landete bei Alibaba und TikTok.
Drei Konzerne kassieren 60 Prozent aller globalen Werbespendings
Aber es bei den digitalen Spendings ist noch Schluss: Insgesamt schlucken die drei Konzerne (Alphabet, Amazon und Meta) laut MagnaGlobal im ersten Halbjahr 2024 bereits 60 Prozent der gesamten globalen Werbespendings. Tendenz steigend. Die Situation in Deutschland ist ähnlich. Die meisten Werbeinvestitionen (zusammen 44 Prozent) fließen bereits in Social Media (Meta) und die Suchmaschinenwerbung (Google). Das Segment der Leitmedien, Print und die linearen audiovisuellen Medien (TV, Radio), verliert in der Langzeitbetrachtung kontinuierlich.
Natürlich haben nahezu alle größeren deutschen Leitmedien längst reagiert und ein nennenswertes digitales Geschäft aufgebaut. Deshalb unterscheidet MagnaGlobal in der Betrachtung auch zwischen „traditionellen Medienhäusern“ und „Digital Pure Playern“. Aber selbst mit ihren digitalen Angeboten und Zusatzgeschäften sind traditionelle Medienhäuser selten in der Lage, die Verluste im früher ertragreicheren Printgeschäft auszugleichen. Die Umsatzkurven der großen Tageszeitungen und Magazine (Stern, Focus, Süddeutsche, FAZ, Welt, Bild) zeigen seit Jahren eher nach unten. Und Magna Global prognostiziert für Deutschland, dass die traditionellen Medienhäuser auch 2024 weiter Boden verlieren (minus 1 Prozent), während die Digital Pure Player weiter dynamisch wachsen (plus 8 Prozent).
Weniger Werbung, höherer Copypreis, kleinere Auflage
Je stärker die Werbeeinnahmen bei den traditionellen Medienhäusern wegbrechen, umso höher wird der Copy- oder Abo-Preis für die Leserschaft. Was in der Regel zu Kündigungen und niedrigeren Auflagen führt. Oft können die Preiserhöhungen beim Print- oder Onlineprodukt das Minus bei der Werbung nicht ausgleichen. Der Gesamtumsatz der traditionellen Medienhäuser fällt weiter, die nächste Sparwelle rollt – dann auch wieder durch die Redaktionen.
Das geht meist zu Lasten des redaktionellen Angebots und der Reichweite – eine Spirale nach unten. Das Media Intelligence-Unternehmen Cision hat im Januar 2024 für seinen State of the Media-Report weltweit mehr als 3.000 Journalist:innen zur aktuellen Situation befragt: Die mit Abstand größte Herausforderung (60 Prozent) ist demnach „der Personalabbau und reduzierte Ressourcen“.
Wer soll für Medienvielfalt sorgen?
Wir haben in Deutschland aktuell noch ein beneidenswert gutes Mediensystem: Einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dessen Gebührenfinanzierung aber immer wieder in Frage gestellt wird. Zwei große Privat-TV-Gruppen (RTL, ProSiebenSat1) und einige große traditionelle Medienhäuser mit ihren publizistischen Flaggschiffen (Bild, FAZ, Focus, Handelsblatt, Stern, Süddeutsche, Die Welt, Die Zeit). Dennoch wird die Luft dünner: Einen investigativen Journalismus leisten sich in der Regel nur noch die traditionellen Medienhäuser. Die sind aber gleichzeitig wirtschaftlich von der Entwicklung im Werbemarkt am härtesten betroffen. Wenn wir in unserer Fachöffentlichkeit also über die Nachhaltigkeit auch des Mediageschäfts diskutieren, dann dürfen wir nicht nur über die ökologische Komponente sprechen. Der soziale und gesellschaftspolitische Aspekt des Themas ist mindestens ebenso relevant.
Wer soll aber für Medienvielfalt sorgen? Die Nutzer:innen tun es mit ihren Rundfunkbeiträgen und Abozahlungen bereits. Jetzt sind vor allem die Werbetreibenden gefragt. Sie entscheiden mit der Verteilung ihrer Budgets über die wirtschaftliche Zukunft unseres Mediensystems. Das mag im ersten Schritt naiv klingen: Mit Werbeinvestitionen Medienvielfalt zu erhalten! Schließlich gilt in unserem Business: „Money follows eyeballs“ und „Impact first“.
Meines Erachtens ist das aber keinesfalls ein Widerspruch. Leitmedien stellen viele wichtige Inhalte für soziale Netzwerke und sind eine wichtige Korrektur gegen die grassierenden Fake news. Und sie dienen der Auflösung von Meinungs-Bubbles, in dem sie statt auf Gefühle auf Recherche und Fakten setzen. Gute Quellen haben ihren Wert. Und das nicht nur aus der redaktionellen Perspektive. Die gute Reputation eines Mediums wirkt sich auch positiv auf die Firmen aus, die dort werben. Geht die Verschiebung der Budgets hin zu den globalen Plattformen in der aktuellen Dynamik weiter, dominieren Monopolisten, im schönsten Fall Oligopolisten, noch deutlich stärker den Werbemarkt. Alternativen fehlen, weil Medien vom Markt verschwinden. Die Konsequenz: Für Werbetreibende wird es kurz- und mittelfristig automatisch teurer. Auch aus der Wirkungsperspektive ist diese Umschichtung zu kurz gedacht. In den meisten Mediaplänen sind TV und Print für einen schnellen Reichweitenaufbau unverzichtbar. Wer also nicht oder kaum in nationale Leitmedien investiert, riskiert, dass diese mittelfristig vom Markt verschwinden. Und schädigt sich damit selbst gleich doppelt.
Wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind auch zuständig für ein Funktionieren unserer Gesellschaft. Das hat bereits der Club of Rome Anfang der 1970er Jahre erkannt. Und dieses Wissen bleibt 50 Jahre später unverändert gültig. In seinem Trust Barometer fragt die internationale Kommunikationsberatung Edelman regelmäßig ab, welche Rolle die Unternehmen in der Gesellschaft spielen sollen. Und auch 2024 wird die höchste Lösungskompetenz wieder den Unternehmen zugebilligt, weit vor der Politik. Das Fazit der Studie: „CEOs müssen nicht nur Arbeitsplätze sichern, sondern auch zu neuen ethischen Fragen Stellung beziehen.“ Dazu muss auch die Frage gehören, wo die Unternehmen ihre Werbegelder investieren, denn CEOs legen heute das Fundament für die Märkte von morgen.
Es ist nicht die originäre Aufgabe einer Mediaagentur, die nationale Medienvielfalt zu fördern. Sie soll die Gelder der Werbetreibenden möglichst effizient und wirkungsvoll investieren. Was wir aber leisten können: Wir können und wollen unsere Kunden entsprechend beraten, wie sie die Ziele einer nachhaltigeren Mediaplanung im Sinne des ESG – sowohl ökologisch, als auch gesellschaftspolitisch – in ihre Strategie mit einbauen können – bei gleichbleibender oder sogar besserer Wirkung. Dazu investieren wir bei Mediaplus intensiv in Forschung, in entsprechende Tools und in die Beratung, um hochwertige Umfelder und ihre Wirkungskomponente für unsere Kunden kontinuierlich sicherzustellen.
Der Artikel erschien zuerst bei W&V.