Das Weihnachtsgeschäft nimmt langsam Fahrt auf und auch in diesem Jahr wird wieder hauptsächlich hübsch verpackte Technik unter den Tannenbäumen der Republik liegen. Warum man der Technologie grundsätzlich kritisch gegenüberstehen sollte und ob sich Google mit dem Relaunch seiner Startseite nasse Füße holen wird, das erfahren Sie in den SEO-News für den Monat November.

Google wird ein langer, ruhiger Fluss

Nun ist es also passiert. Zwanzig Jahre lang hat Google nicht nur die Standards für webbasierte Suchdienste gesetzt; auch was das Design seiner Startseite anging, war Google Vorreiter in Sachen Minimalismus und Effizienz. Ein simpler Suchschlitz mit Logo – bzw. Doodle – und zwei darunterliegenden Buttons waren im aufblühenden Internet der frühen 2000er-Jahre so etwas wie die Antithese zu unübersichtlichen Linkwüsten und nervigen Flash-Intros. Doch es hat sich viel getan seit 1998 und so folgt der Marktführer aus Mountain View dem Trend zur personalisierten Dauerberieselung. „Discover Feed“ nennt sich das neue Feature, welches seit den letzten Oktobertagen sukzessive weltweit auf Desktop- und Mobilgeräten sowie den Search-Apps ausgerollt wird.  Es ist die erste von einigen neuen Funktionen, die Google zu seinem Firmenjubiläum angekündigt hat, und markiert den ersten Schritt auf dem Weg zu einer individualisierten Antwortmaschine, die ganz ohne Fragen auskommen soll (wir berichteten). Zwar hatte die Suchmaschine schon in der Vergangenheit mit dem einen oder anderen Homepage-Feature zum Einstieg in populäre Themenwelten oder der Integration seines Assistenzdienstes „Now“ experimentiert, nun aber werden relevante Inhalte, die im Kontext zur persönlichen Suchhistorie stehen, in Form eines Endlos-Streams präsentiert. Und ähnlich wie bei YouTube gibt es das Ganze ab sofort auch im dunkel eingefärbten Nachtmodus.

Mit dieser umfassendsten Designänderung seit dem Start von Google hat man sich in Mountain View scheinbar schwergetan. Und das, obwohl die Konkurrenz von Microsoft mit ihrer Suchmaschine Bing von Beginn an einen anderen, visuellen Weg gegangen ist. Mit sich täglich ändernden, kraftvollen Startbildern und aktuellen News hatte Bing für seine Nutzer schon immer mehr Einstiegspunkte angeboten, als der Marktführer. Interessant ist auch der Vergleich mit Amazon: Die Personalisierung der Inhalte ist für die Einkaufssuchmaschine aus Seattle selbstverständlich der zentrale Ausgangspunkt bei der Startseiten-Gestaltung. Der immerwährende Upsell mit Hilfe des A9-Algorithmus befördert zahllose, individuell passende Angebote zu Tage. Die User Experience und Usability des Designs aber haben gerade in letzter Zeit stark unter der Integration immer neuer Features und Platzierungen gelitten. Das Design der Amazon-Homepage entwickelt sich scheinbar konsequent zurück in die unübersichtlichen Zeiten kleinteiliger Frontpage-Webseiten. So lange die Kasse stimmt, tritt die User Experience auch gerne mal in den Hintergrund. Und natürlich ergeben sich auch für Google neue Formen der Monetarisierung durch die Integration bezahlter Werbung im Discover-Stream.

Vielleicht ist die Startseite am Ende aber eben ein Auslaufmodell. Mit Voice- und Visual Search ergeben sich unzählige Touchpoints für Suchsysteme, die vielleicht in naher Zukunft schon an der klassischen Darstellung im Web oder als App vorbei ein maßgeschneidertes Angebot an Antworten und Lösungen zur Verfügung stellen werden.  Bis es soweit ist, müssen SEOs beobachten, ob der neue Google-Stream von den Nutzern angenommen wird und nach welchen Kriterien sich der Discover-Feed generiert. Die neue, größere Bühne sollte nicht ungenutzt bleiben.

An der Nase herumgeführt

Der technologische Fortschritt ist eine Funktion der Moderne, ihre Bedingung und Konsequenz zugleich. Wie sehr sich Technologie in unser Leben eingebettet hat, wird insbesondere am Phänomen der Suchmaschinen deutlich. Ob Googles Vision eines unsichtbaren Begleiters für die Herausforderungen der unplanbaren Außenwelt oder Amazons Versprechen der unmittelbaren Konsumbefriedigung – beide Projekte wären ohne ihren technologischen Kern nicht denkbar. Das war im Falle der Dampfmaschine oder des Verbrennungsmotors zwar nicht anders, beim aktuellen Schritt der Modernisierung aber bleibt der Blick in die Maschine verwehrt. Konnte man ein Dieselaggregat noch mit den eigenen Händen zerlegen, so verstecken sich Algorithmen und künstliche Intelligenzen in einer weit entfernten Wolke aus Daten. Zuweilen wird man den Eindruck nicht los, dass die hochtrabenden Versprechen und Visionen der High-Tech-Industrie nicht viel mehr sind, als eine funkelnde Marketingshow für ein hilflos naives Publikum.

Da tut es gut, wenn die Technikelite dabei erwischt wird, dass sie auch nur mit Wasser kocht. In diesem Sinne hatte die SEO-Gruppe SignalsLab einen Wettbewerb ausgerufen, bei dem es das Ziel war, innerhalb von 30 Tagen für die Suchanfrage „Rhinoplasty Plano“ zu ranken. Dabei handelt es sich um die Suche nach einer Praxis für plastische Nasen-OPs im Großraum Dallas, Texas.  Eine eher wenig umkämpfte Anfrage mit hoher lokaler Relevanz. Das Ergebnis der kleinen Challenge überrascht. Googles Mantra zu Erfolgsfaktoren in der organischen Suche lässt sich auf drei Kernpunkte herunterbrechen: Relevante Inhalte, nutzerfreundliche User Experience und saubere technische Umsetzung über alle Plattformen hinweg. Da ist es mehr als erstaunlich, dass die Gewinnerseite des SignalsLab-Wettbewerbs bis auf URLs, Überschriften und den Footer komplett in lateinischer Sprache erstellt ist. Die Verwendung von lateinischem Blindtext ist zwar nichts Ungewöhnliches bei der Produktion von Webseiten. In diesem Falle aber handelte es sich nicht um einen vergessenen Platzhalter für noch zu erstellenden Content, sondern um eine Strategie zur Offenbarung der Fehlbarkeit des Algorithmus. Darüber hinaus war die Seite ausgestattet mit erfundenen lokalen Daten, gefälschten Reviews und minderwertigen Backlinks. Dass Google diese offensichtlich gefälschte Webseite auf Position zwei für besagte Suchanfrage als Ergebnis anbietet, ist entweder ein Ausrutscher oder ein blinder Fleck im allwissenden Google-Universum.

Zwei Lehren lassen sich aus diesem kleinen Experiment ziehen. Erstens ist es für die Suchmaschinenbranche tröstlich zu wissen, dass trotz des angeblichen Reifegrads der Google-Technologie, das klassische Old-School-Fake-Spam-SEO noch immer funktioniert. Und für Nutzer ist es ein kleiner Warnhinweis, dass die Vertrauensfrage gestellt werden sollte, bevor man sich vom technologischen Fortschritt gänzlich einnehmen lässt. Suchmaschinen sind zwar praktisch, werden aber niemals Teil der menschlichen Realität sein. Egal ob Google oder Bing: Suchsysteme sind letztendlich datenbankgestützte Anzeigenverkaufsveranstaltungen mit einer kompakten Gratis-Version des echten Lebens als Lockangebot. Übrigens: Lateinische Nasen-OPs gibt es angeblich auch in Florida.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Internet World Business.

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