In einer künftigen cookie-freien
Werbelandschaft werden Browser und Betriebssysteme zum Gatekeeper des digitalen
Marketings. Das hat gravierende Folgen – und zwar wesentlich gravierender, als
den meisten bislang wohl bewusst ist.
Wer entscheidet künftig darüber, ob und wo wir im digitalen
Universum welche Werbung zu sehen oder hören bekommen? Einige wenige Gatekeeper?
Oder wollen wir den Marktzugang im demokratischen bzw. marktwirschaftlichen
Sinne offener halten? Wir stehen derzeit vor wichtigen Fragen und Weichenstellungen.
Sie werden das digitale Marketing wahrscheinlich der nächsten zwei Jahrzehnte
maßgeblich prägen. Und die meisten von uns ahnen vielleicht lediglich, was da auf
sie zurollt.
Wie sind wir eigentlich in die heutige Situation gekommen? Die Kurzzusammenfassung: Zu viel BlingBling auf den Websites, zu viele Tracker und ein zu hoher Nervfaktor des KaufMichEndlich-Retargetings. Vielleicht haben wir es als Branche einfach ein bisschen übertrieben. Als Reaktion darauf haben Nutzer Adblocker installiert und der Gesetzgeber mit der DSGVO reagiert. Die Politik hat es gut gemeint, aber schlecht gemacht! Denn nun führt unser europäischer bzw. deutscher Datenschutz absurderweise dazu, dass wir globale Datenoligopole fördern. Diese schränken unseren Gestaltungsspielraum und unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten massiv ein. Dass „Eine Welt ohne Cookies ist schon mal ein erster guter Schritt“ ist, wie Jürgen Scharrer unlängst in Horizont kommentierte, halte ich persönlich für eine sehr naive Sicht. Das Gegenteil könnte der Fall sein: „Cookies raus“ bedeutet „GAFAs vor“! Der Verlust der Cookies stärkt Datenoligopole, vielleicht sogar ein Datenmonopol.
Auf dem Weg ins Datenoligopol: Wenige Bohrinseln mit exklusiven
Rechten
Wenn Daten das neue Öl sind, dann besitzen – wenn wir nicht
aufpassen – künftig einige wenige große US-amerikanische digitale „Ölkonzerne“ die
Quellen. Mit nur wenigen Bohrinseln, aber sehr exklusiven Förderrechten. Ich
glaube, viele in Deutschland und Europa haben die wahre Dimension dieses
Umbruchs noch nicht wirklich verstanden. Vor allem Google hat in diesem Spiel
strategisch sehr geschickt agiert:
Im ersten Schritt wurde das Augenmerk der Regulierer allein
auf das „böse“ Third-Party-Cookie gelenkt. LogIns, die viel weitreichendere
Rechte an Daten beinhalten, die sich perfekt auch geräteübergreifend
miteinander verknüpfen verbinden lassen, blieben außen vor.
In Schritt 2 wird eine Lösung für ein Problem präsentiert,
das erst durch Schritt 1 entstand. Die derzeitige DSGVO-Realität mit ihren Consent-Lösungen
ist, sowohl für User als auch für Firmen, viel zu komplex und intransparent. Für
Google die perfekte Ausgangssituation: Denn nun naht im zweiten Schritt – als
Retter auf dem weißen Pferd – Google mit seiner Initiative der „Privacy Sandbox“.
Und sowohl aus technischer als auch organisatorischer Sicht
ist das ein durchaus interessanter Ansatz: Eine zentrale Stelle, die die
gesamten Daten erhebt und verwaltet. Schluss mit dem völlig unübersichtlichen
Meer an Dienstleistern, die in jeden Opt-In-Prozess verwickelt sind und sich am
Ende auch nicht mehr wirklich kontrollieren lassen. Und Google sein Dank gibt
es auch schon eine passende Infrastruktur. Den Browser bzw. das Betriebssystem
bei mobiler Nutzung. Die digitale Werbewelt, so wird uns suggeriert, würde
dadurch wieder simpel und beherrschbar.
Wir sollten jetzt aber nicht zu schnell in die
Convenience-Falle tappen. Wenn der Markt nur weil es einfach, schneller und
scheinbar leichter ist – zur Google-Lösung greift, könnte er sich dauerhaft
den freien Weg zu Daten verbauen. Und
damit auch alle Chancen künftig eigene, mit umfangreicheren Daten verbundene
Businessmodelle auf- und umzusetzen.
Die Frage, was nach den Cookies kommt, ist deshalb so fundamental,
weil unter dem Deckmantel des Datenschutzes eine neue technische Infrastruktur entstehen
soll, die die gewohnten Kräfteverhältnisse im World Wide Web noch weiter zu
unseren Ungunsten verschiebt. In einem Third-Partie-Cookie-freiem Internet schwingen
sich Browser und Betriebssysteme nämlich zu den zentralen Gatekeepern auf. Das
ändert das Wesen des Netzes. Künftig wollen wenige Gatekeeper entscheiden, welche
Art von Daten Werbetreibenden, Agenturen und Publishern zur Verfügung stehen.
Und damit auch, wer sich in welchem Umfang refinanzieren kann.
Die Black Box
entscheidet, mit welchen Daten wir arbeiten dürfen
Der Browser wird zur Black Box. Alles, was an Daten und
Informationen für ein sinnvolles Targeting wichtig ist, wird dort hinter
verschlossenen Türen gemessen und generiert. Liest man die Äußerungen von
Google genauer, scheint es auf eine Situation hinauszulaufen, die wir u.a. vom
Videoportal Youtube im Prinzip heute schon kennen: Advertiser erfahren zwar, ob
sie ihre Zielgruppen erreichen. Aber sie können künftig nicht mehr selbst
tracken und die Ergebnisse überprüfen. Auch die Leistungswerte erhebt nur
YouTube. Kontrolle? Kaum möglich. Aus einem einstmals offenen, arbeitsteiligen
System, wird ein zentral gelenktes Internet mit völlig verändertem Charakter. In
diesem System lernt und optimiert vor allem einer: der Gatekeeper. Eine externe
Leistungskontrolle und ein Anpassen bestehender Strategien wird damit für uns
als Mediaagenturen extrem erschwert. Kreative Eigenentwicklungen lohnen sich
nicht mehr, weil der Gatekeeper entscheidet, welches Set an Daten zur Verfügung
gestellt wird.
Natürlich kann man dieses attraktive Angebot von Google
annehmen. Man sollten sich nur der eventuellen Konsequenzen wohl bewusst sein.
Denn hinterher soll keiner sagen, er hätte das nicht gewusst.
Das Internet ist erst
der Anfang, Mobile folgt und TV kommt bald
Online haben sich die Gewichte bereits verschoben. Nur das ist erst der Anfang, denn im heutigen digitalen Ökosystem hängt alles mit allem zusammen. Der größte Browser beispielsweise (Chrome) gehört dem weltweit dominierenden Werbenetzwerk Google. Und Google stellt mit Android auch das beherrschende Mobile-Betriebssystem. Aus dieser Perspektive wird aus dem anfangs erwähnten Oligopol der Browser schnell ein Duopol der Betriebssysteme mit einem eher kleinen (Apple mit iOS) und einem übermächtigen Player (Google hat mit Android beispielsweise 76 Prozent Marktanteil in Deutschland). Und es wird keinesfalls bei Desktop, Laptop und Smartphone bleiben. Diese Ausdehnung der Betriebssysteme wird Folgen für die Werbung auf allen Bildschirmen haben, vor allem auch für das Fernsehen. Damit würde eine Firma mit einem Marktanteil von rund 80 Prozent in der westlichen Welt, Google, die beiden größten Werbemedien weltweit dominieren, weil sie ihre Erlösprozesse steuert.
Die Diskussion um Cookies, Browser und Betriebssysteme ist also nicht nur ein Thema
für das Internet im engeren Sinne, sondern betrifft letztlich unsere gesamte
Medien- und Werbelandschaft. Es ist auch eine kulturelle Auseinandersetzung. Vielleicht
sogar die fundamentalste, die wir derzeit führen. Es geht um die Refinanzierung
der Inhalte, die Basis unserer demokratischen Gesellschaft sind. Betrachten wir
das Internet als öffentlichen Raum, mit der Möglichkeit der Teilhabe von vielen
Bürgern und Unternehmen? Oder wird es zu einer rein wirtschaftlichen
Infrastruktur, die von einem oder wenigen US-Konzernen bestimmt wird?
Es ist höchste Zeit, dass wir in Deutschland und Europa diese Auseinandersetzung intensiver führen. Gerade wir Deutschen neigen bisweilen dazu, uns in allzu kleinteiligen Branchendebatten zu verlieren. Es wird Zeit, gemeinsam größer zu denken und ernsthafte Alternativen zu entwickeln!
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Horizont.