Beiträge

Lustig, nicht wahr: Ein Comedian fragt in einem Video Nazis, ob sie denn eigentlich wissen, wie blöd sie seien. Tja, wenn die noch nicht mal ein Hakenkreuz richtig hingesprüht hinkriegen und ihre vollmundige Ankündigung „Sigh Heil. Well be bak“ lautet, diese Steilvorlagen kann sich der Comedian natürlich nicht entgehen lassen.

Kommunikationstheoretisch betrachtet wendet sich der Comedian mit seiner Frage „weißt du…?“ an die Nazis. Keine schlechte Idee vielleicht, einer Gruppe ein Dialogangebot zu machen, die schon aufgrund ihrer erschreckend zunehmenden Größe relevant ist. Da ist es natürlich nur angemessen, das Video von einem öffentlich rechtlichen Sender produzieren und die geballte Reichweite der ARD hinter sich zu bringen.

Aber der Comedian ist, anders als seine vorgegebene Zielgruppe, natürlich nicht blöd. Bestenfalls erwartet er Morddrohungen, die die Wirkung seines Videos in seiner eigentlichen Zielgruppe nur verstärken würden. Denn er will gar keinen Dialog und er betrachtet es auch nicht als seine Aufgabe, Andersdenkende zum Nachdenken anzuregen. Vielmehr will er Gleichdenkenden eine Stimme geben und sie so in ihrem Gleichdenken bestätigen und bestärken. Willkommen in der Echokammer.

Echokammer, das ist die kommunikationswissenschaftliche Bezeichnung für ein Meinungsghetto. Dort trifft sich, wer sich vor allem dort informiert, wo er vor allem Bestätigung für seine Meinungen findet. Man festigt sein Weltbild zum Beispiel über das zustimmende „Echo“ in Form von Likes. Ein Post zur Realität von Reichsflugscheiben, die von „freier Energie“ angetrieben werden, findet ungestört Zustimmung und Verbreitung, denn Echokammern – egal, ob sie von Nazis oder Aufgeklärten unterhalten werden  – sind kontext-inzestuöse Selbstbefruchtungsbiotope.

Man muss aber gar nicht in solche Abgründe hinabsteigen um im digitalen Alltag Mechaniken zu begegnen, die in echokammerhafte Milieus führen. Einfach, weil es geht, werden Angebote, Nachrichten, Werbung, Partnerschaftsvorschläge, etc. vorauseilend „intelligent“ mit der Annahme bestimmter Affinitäten gefiltert. Unsere Data-Mining-Findings ergeben eindeutig: Der Mann interessiert sich für ein sportliches Cabrio! Da werde ich doch nicht so blöd sein, ihm einen Hybrid-Kleinbus anzubieten! Ha, Streuverlust, jetzt hab ich dir aber mal so richtig gezeigt! Konsequent effizient betrieben macht man so aus bunter Vielfalt graue Einfalt ohne Inspiration.

Nun, der Autor will nicht übers Ziel hinausschießen, indem er die Errungenschaft differenzierten Targetings diskreditiert, im Gegenteil. Sie sollte sich aber eben bereichernd auswirken, nicht einschränkend. „Personen, die dieses (asylkritische) Buch gekauft haben, wählen auch diese (rechtspopulistische) Partei.“ Dieser Hinweis ist nicht überraschend, aber bestimmt gut für die Partei. Ein kurzfristig angelegtes Effizienzmuster könnte man jetzt sinnstiftend durchbrechen, indem man in diesem Umfeld – „Das könnte Sie auch interessieren“ – die Lebensbeichte eines Aussteigers aus der rechten Szene, gleichsam auf die Lauer legend platziert. Die Wirkung wird zwar bei demjenigen verpuffen, der in seiner Gesinnung gerade sehr stabil ist. Aber demjenigen, der beginnt zu zweifeln, wird ein Ausweg aus der Echokammer gewiesen. Im Marketing für High-Involvement-Produkte kennt man diesen Effekt, wenn es darum geht einen Marketingspeicher langfristig aufzuladen, bis ausreichend verfügbares Einkommen die Kaufentscheidung, beispielsweise für einen Sportwagen, beflügelt.

Auf geradezu unerhörte Art hat sich die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ Zugang zu einer Echokammer verschafft, der bei höflichem Anklopfen gewiss kein Einlass gewährt worden wäre. Ihre Kampagne „Search racism. Find truth“ besetzt die Werbesekunden vor dem Start rassistischer YouTube-Videos: Wer also die Rede eines Islamhassers sehen will, muss sich – zu dumm: die Ads sind „non skippable“ – erstmal anhören, was ihm ein Flüchtling zu sagen hat. Und der polarisiert nicht, indem er beschimpft, sondern wirbt um Verständnis, indem er lebensnah sein Dilemma schildert.

Die Echokammer ist das Musterbeispiel des vielzitierten digitalen Lagerfeuers. Wer sich da wärmt, sollte Gäste willkommen heißen, ihre Geschichten anhören, und selbst mal in friedlicher Absicht und mit offenem Interesse andere Lagerfeuer besuchen und ein Stöckchen reinwerfen.

Der Online Musikstreaming-Dienst Spotify mit einem der größten Angebote an Songtiteln weltweit ist bereits in mehr als 50 Ländern verbreitet. Das heißt über 20 Millionen verfügbare Titel, die global von über 75 Millionen Nutzern gestreamt werden – Tendenz steigend. Etwa 20 Millionen dieser Nutzer verwenden die kostenpflichtige Premium Version. Für etwa zehn Euro pro Monat erhält der Nutzer u.a. nicht nur die Möglichkeit Playlisten offline zu speichern und wiederzugeben, sondern nutzt den Dienst auch werbefrei. Die anderen 73 Prozent – und damit die große Mehrheit – werden im Tausch für das kostenlose Streaming Angebot mit Werbung bespielt. Hierzulande sind das etwa 4,5 Millionen Nutzer, was einer wöchentlichen Reichweite von 8,8 Prozent der deutschen Internetnutzer entspricht.

Was Spotify für Werbungtreibende so interessant macht, beschreibt Maria Möstl im mediascale-Blog.

Burger King macht es mit McDonalds, die Telekom mit Alice und im Zuge der vergangenen Bundestagswahl jeder mit jedem: Vergleichende Werbung boomt. Je nach Absicht des Werbenden auf assoziativer und/oder differenzierender Ebene. So versuchen zumeist neu in den Markt eintretende Wettbewerber oder Marken mit geringem Marktanteil, durch assoziative Vergleichswerbung auf die Gemeinsamkeiten mit dem Marktführer hinzuweisen – während sich Wettbewerber mit differenzierender Werbestrategie vielmehr von einem bestimmten oder mehreren Konkurrenten abzuheben versuchen. Häufig steht dahinter die Absicht, dem Betrachter aufzeigen zu wollen, dass das beworbene Produkt dem Konkurrenzprodukt in Preis und/oder Leistung voraus ist. Obgleich vergleichende Werbung immer häufiger eingesetzt wird, ist die Verunsicherung groß, ob dargestellte Konkurrenzmarken nicht ungewollt von der eigenen Werbung profitieren. In unserer Studie impact:navigator® konnten wir 2011 auf Basis neurowissenschaftlicher Ergebnisse bereits beweisen, dass Konkurrenzmarken beim Konsumenten durchaus stärkere Emotionen bewirken können als das eigentlich beworbene Produkt. Das muss allerdings – im Hinblick auf eine assoziative Werbestrategie – nicht per se von Nachteil für den Werbenden sein.

Im Zuge des aktuellen impact:navigators® 2013 wurde die neuronale (Werbe-)Wirkung eines TV-Spots von Amazon bei 200 Probanden getestet: Im Spot wird die Leistung des Kindle Fire HD von Amazon mit der Leistung des Apple iPads durch das abwechselnde Präsentieren der beiden Tablets verglichen. Der Vergleich im Spot kommt zu dem Schluss, dass der Kindle Fire dem iPad in seiner Leistung nicht nachsteht, der Preis jedoch sehr viel geringer ist. Auch die genaue Preisangabe (iPad 499 Euro vs. Kindle 269 Euro) wird am Ende des Spots direkt gegenübergestellt.

Zusätzlich zur neurowissenschaftlichen Studie wurde von uns die explizite Markenerinnerung mittels Reaktionszeittest abgefragt. Hier wurden den Probanden einzelne Markenlogos präsentiert. Ihre Aufgabe war es, sich so schnell wie möglich zu entscheiden, ob ein Spot dieser Marke im zuvor gesehenen Werbeblock ausgestrahlt wurde oder nicht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Großteil der Studienteilnehmer darüber bewusst war, einen Spot von Amazon und nicht einen von Apple gesehen zu haben: 84 Prozent der Teilnehmer hatten sich richtig erinnert, einen Spot über den Kindle Fire von Amazon im vorangegangenen Werbeblock gesehen zu haben. Nur 16 Prozent lagen falsch und gaben an, den Spot nicht gesehen zu haben. Ähnlich dazu hatte sich der Großteil (66 Prozent) richtig erinnert, eben keinen Spot von Apple gesehen zu haben. Nur eine Minderheit (34 Prozent) hatte sich falsch erinnert und dachte, dass Apple der Absender des Spots gewesen sei (vgl. Abbildung 1).

vergleichende-werbung_grafik1

Abbildung 1: Anzahl der Teilnehmer die die Spots von Amazon Kindle bzw. Apple iPad gesehenen und nicht gesehenen haben.

Je schneller die Teilnehmer im Rahmen des Reaktionszeittests in der Lage waren, die richtige Entscheidung zu treffen – also eine nicht beworbene Marke auch nicht gesehen zu haben bzw. eine beworbene Marke gesehen zu haben – desto besser wurde die Marke erinnert. Interessant ist dabei die Betrachtung, wie schnell das Apple-Logo im Vergleich zum Amazon-Logo angenommen beziehungsweise abgelehnt wurde: Da kein Spot der Marke Apple im Werbeblock gezeigt wurde, sollten die Teilnehmer schneller richtig entscheiden können, keinen Spot von Apple gesehen zu haben. Im Umkehrschluss sollten sie für die falsche Entscheidung, einen Spot von Apple gesehen zu haben, länger brauchen. Das Amazon- bzw. Kindle Logo hingegen sollte schneller als „gesehen“ und langsamer als „nicht gesehen“ identifiziert werden. Und hypothesengetreu zeigte sich auch genau dieses Antwortschema in den explizit erhobenen Befragungswerten. Auch die Reaktionszeiten zeigen folglich, dass Kindle hinsichtlich der Markenerinnerung dem iPad überlegen ist – und das, obwohl das iPad im Spot fast genauso ausführlich beschrieben wird, wie der Kindle. Damit zeigen die Erinnerungswerte, dass der vergleichende Spot eine sehr gute Wirkung für den Kindle Fire erzielt hat ohne den Konkurrenten zu sehr zu stärken.

vergleichende-werbung_grafik2

Abbildung 2: Reaktionszeiten in Millisekunden, wie schnell sich die Teilnehmer entschieden haben, die Spots von Amazon Kindle oder Apple iPad gesehen bzw. nicht gesehen zu haben.

Betrachtet man darüber hinaus die impliziten, neurowissenschaftlichen Daten, dann wird deutlich, dass vergleichende Werbung durchaus auch das Konkurrenzprodukt positiv „pushen“ kann. Gerade die langfristige Erinnerung einer Marke, aber auch die Relevanz einer Markenbotschaft und deren emotionale Aufladung färbt mindestens im gleichen Maße auf das Konkurrenzprodukt ab. Im Falle einer assoziativen Markenstrategie ist dies jedoch ein durchaus gewünschter Effekt.
Wie also wirkt vergleichende Werbung im Gehirn der Konsumenten?

Die in der Studie angewandte neurowissenschaftliche Methode Steady State Topography (kurz: SST) stellt eine Erweiterung des klassischen EEGs dar und misst die Geschwindigkeit elektrischer Spannungsänderungen an der Schädeloberfläche der Studienteilnehmer in Mikrovolt. Von zentraler Bedeutung beim neurowissenschaftlichen Teil der Studie sind die SST-Parameter „Verankerung im Langzeitgedächtnis“ und „Persönliche Relevanz“. Denn nur Informationen, die ein Zuschauer als wichtig für sich selbst erachtet, haben die Chance, auch langfristig erinnert zu werden. Und vergangene Studien konnten wiederholt zeigen, dass vor allem die Verankerung einer Marke im Langzeitgedächtnis ein robuster Indikator für die spätere Produktpräferenz am Point of Sale ist.

Die millisekundengenaue Analyse des Spots mittels SST zeigt, dass während der Szenen, in denen nur das iPad zu sehen war, alle SST-Parameter deutlich über die magische Benchmark von 0,7 anstiegen und somit von einer sehr starken Verankerung im Langzeitgedächtnis, einer sehr hohen persönlichen Relevanz sowie einer sehr hohen emotionalen Intensität (vgl. Abbildung 3) des iPads bei den Studienteilnehmern gesprochen werden kann. Der gegenteilige Trend zeigte sich in den Szenen, in welchen der Kindle Fire zu sehen war: Alle drei Parameter sanken bei der Präsentation des Kindle Fire und stiegen erst wieder, als das iPad auf dem Bildschirm erschien (vgl. Abbildung 3). Besonders deutlich war der Peak aller drei Parameter zu Beginn des Spots.

Abbildung 3: millisekundengenaue neuronale Wirkung des Amazon Kindle HD Fire Spots.

Abbildung 3: millisekundengenaue neuronale Wirkung des Amazon Kindle HD Fire Spots.

Zusammenfassend konnten die impliziten neurowissenschaftlich erhobenen Ergebniswerte zeigen, dass sowohl „iPad“ als auch die Marke „Apple“ stark im Langzeitgedächtnis verankert wurden. Die Kreation hat sich also durchaus positiv auf das Apple iPad ausgewirkt. Im Falle einer assoziativen Markenstrategie hat sich der Spot jedoch auch für den Werbetreibenden Amazon gelohnt, da der Spot, der von den Teilnehmern eindeutig der Marke Amazon Kindle zugesprochen wird, insgesamt durchaus von der positiven Wirkung des iPads profitiert.
Bei differenzierenden Marketingstrategien sind vergleichende Werbespots jedoch mit Vorsicht zu genießen. Vor allem, da eine Überprüfung der Wirkung, die ausschließlich auf klassischen Befragungsdaten basiert, die Werbetreibenden leicht aufs Glatteis führen kann. Zum einen sind vor allem emotionale Bewertungen sehr anfällig für Verfälschungen, da einer expliziten emotionalen Bewertung immer eine Rationalisierung vorausgeht. Außerdem ist es für viele Konsumenten nahezu unmöglich, ihre Empfindungen gegenüber einem beworbenen Produkt oder einer Marke zu verbalisieren. Durch unsere innovative neurowissenschaftliche Herangehensweise umgehen wir diese Nachteile klassischer Marktforschungsmethoden, indem wir nicht nach einer Selbsteinschätzung fragen, sondern sie objektiv und wissenschaftlich unanzweifelbar durch die Aufzeichnung der Hirnströme messen.

Hintergrund zum impact:navigator®
Die Multi-Client Studie impact:navigator® ist eine multimodale neurowissenschaftliche Marktforschungsstudie zur Überprüfung / Untersuchung der Wirkung von TV-Inhalten (Programme, Trailer, Spots etc.), die von uns vierteljährlich durchgeführt wird. Neben klassischer Befragung und semi-impliziten Reaktionszeittests steht die neurowissenschaftliche Steady State Topography, die vor über zehn Jahren von dem renommierten Neurophysiologen Prof. Dr. Richard Silberstein entwickelt wurde, im Vordergrund.
Der nächste impact:navigator® findet im November zum Thema Kinder, Weihnachten & Spielwaren statt. Interessenten haben noch bis Anfang November die Chance, sich einen der begehrten Plätze in der Multi-Client Studie zu sichern.

Sprechen Sie uns einfach an: info@facit-mediaefficiency.com

Bei uns in der Agentur arbeiten 25 Kollegen. Wir befinden uns mitten im Moskauer Leben in der Nähe des Gorkogo-Parks (am Sadovaya-Ring). Der Alltag in Moskau hat mit Sicherheit seine Besonderheiten, die unsere Art zu arbeiten, zu leben und soziale Kontakte zu pflegen bestimmen.

Charakteristisch für den Moskauer Berufsalltag ist sicher das Thema Verkehr. Der Begriff „10 Punkte“ bezieht sich auf daher auch auf das ständige Verkehrschaos in Moskau (10 bedeutet totaler Verkehrsstau) und ist zu einem Standardausdruck in den Gesprächen der Moskowiter geworden. Sich durch Moskaus Straßen zu bewegen, ist auch unter guten äußeren Bedingungen keine einfache Aufgabe – im Winter aber ist es eine echte Herausforderung.

Im Gegensatz zum übrigen Europa gilt bei uns im Winter die Sommerzeit (zwei Stunden vor der Normalzeit), und durch diese zusätzliche Stunde, in der noch Dunkelheit herrscht, wird der ohnehin bereits volle Aufmerksamkeit erfordernde Pendlerverkehr noch „unterhaltsamer“. Ich komme gegen 10 Uhr im Büro an. Noch sind nur wenige Kollegen anwesend, doch das Büro füllt sich langsam aber sicher, nachdem sich alle durch den Verkehr auf der Autobahn gekämpft haben oder mit der überfüllten U-Bahn gefahren sind. Jetzt warten alle darauf, dass sich die Sonne am Horizont blicken lässt.
Ich hole mir einen Kaffee und setze mich an meinen Schreibtisch, um die E-Mails von Kunden und Kollegen zu lesen und mir die neuen Pitchunterlagen anzusehen, an denen das Team bist spät in die Nacht gearbeitet hat. Es muss noch vor Mittag per Kurier an den Kunden gehen, damit wir die Bewerbungsfrist einhalten.

11 Uhr: Es ist bereits an der Zeit, sich wieder über das Moskauer Verkehrsgeschehen zu informieren, um es noch rechtzeitig zum Statusmeeting für die große Kampagne bei unserem Hauptkunden zu schaffen.  „10 Punkte“ bedeutet laut Yandex (ein führendes russisches Internetsuchportal, das täglich in Echtzeit Meldungen zum Moskauer Verkehrsgeschehen liefert), dass der Verkehr in der Stadt zum Erliegen gekommen ist. Nun hat auch noch dichter Schneefall eingesetzt. Er kommt zwar jedes Jahr, aber wir sind immer wieder aufs Neue überrascht.  Sollte man jetzt nicht lieber das Auto stehen lassen und in die U-Bahn steigen, um rechtzeitig anzukommen?

12 Uhr: Katastrophencheck – der Kurier hat die Pitchunterlagen gerade noch rechtzeitig abgeliefert. Große Erleichterung!

13 Uhr: Wir sind vor Ort beim Kunden. Wir haben es noch rechtzeitig zum Meeting geschafft.

Anschließend wollen wir zurück in die Agentur. Immer noch „10 Punkte“ für Moskaus Straßen. Es wird also nicht besser. Wie sehr die Straßen auch verbreitert und wie viele neue Autobahnkreuze auch gebaut werden: Die Geschwindigkeit des Verkehrs nimmt von Jahr zu Jahr ab, was jedoch nicht für unsere Arbeit gilt. Ganz im Gegenteil: Das Tempo steigt und steigt. Über das Netzwerk kam gerade ein neues Briefing herein, und es bleibt uns nicht viel Zeit zur Bearbeitung!

15:30 Uhr: Ich bin immer noch auf dem Weg ins Büro. Es wird bereits dunkel – und es gibt noch viel zu erledigen. Anschließend stehen noch eine Besprechung mit der Kreativabteilung über die Hauptkampagne und Planungen bezüglich einer neuen Geschäftschance auf der Aufgabenliste, die wir dringend bearbeiten müssen. Danach stellt sich ein neuer Bewerber vor, der uns von seiner Berufserfahrung berichten und einige Arbeitsproben präsentieren möchte.

Ich verlasse das Büro erst spät.  Der Verkehrsdichteindex liegt jetzt nur noch bei 7 – immerhin! Morgen ist ein neuer Tag!

Ende Oktober veröffentlichte Microsoft sein Betriebssystem Windows 8. Die auffälligste Neuerung gegenüber der Vorgängerversion: der Startbildschirm mit seinen Apps im Kachel-Design, das konsequent über alle Plattformen gespielt wird: PC, Smartphone, Tablet und TV (via Xbox). Gleichzeitig wartet Microsoft mit einem Vermarktungskonzept dieser Oberflächen auf und bietet Werbungtreibenden damit die sicherlich reizvolle Möglichkeit, quasi direkt im zukünftig weit verbreitetsten PC-Betriebssystem und auf allen diesen Plattformen mit den gleichen Werbemitteln präsent sein zu können. Die Attraktivität dieser Werbeplätze für Kunden hängt jedoch zunächst von der Akzeptanz und Nutzung beim Konsumenten und der daraus resultierenden Reichweite der App-Oberflächen ab.

Das Bedienkonzept und die Multimedialität von Windows 8 auch auf die Werbemittel anzuwenden, ist sowohl Herausforderung als auch Chance. Herausforderung, weil Programmiertechnik und Formate teilweise nicht den etablierten Standards entsprechen. Chance, weil die Anpassung der Werbung auf die jeweilige Usability der werbetragenden App aufgrund der Vielfalt und Fragmentierung  des bestehenden App-Markts bisher selten wirtschaftlich und kreativ zu leisten ist.

Die Möglichkeit, das gleiche Werbemittel auf allen Plattformen einsetzen zu können, klingt zwar zunächst verlockend, genügt aber nicht unserem Anspruch als Agentur. Eine gute Kreation trägt schließlich auch dem Nutzungskontext Rechnung: mobil oder stationär, First oder Second Screen.

Doch nun bleibt erst einmal abzuwarten, ob mit der angestrebten Marktführerschaft des neuen Betriebssystems auch eine entsprechend starke Nutzung der Apps einhergeht. Und bis es soweit ist, dass Microsoft eine relevante Reichweite mit den Apps erzielt, wird noch einige Zeit verstreichen.

Anna Gauto, Redakteurin beim Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften, sprach mit Pavan Sukhdev und Florian Haller über Werbung und Nachhaltigkeit. Pavan Sukhdev ist ehemaliger Deutsche Bank-Manager und Gründer der Nachhaltigkeitskampagne Corporation 2020. Er möchte Werbung am liebsten regulieren. Florian Haller ist CEO der größten Werbeagentur Europas, der Serviceplan Gruppe. Für ihn ist Werbung weder moralisch noch unmoralisch. Beide werden auch auf der SusCon 2012 in Bonn sprechen.

 

Anna Gauto:Werbung tut, was man ihr aufträgt. Ist Werbung unschuldig?
Florian Haller: Werbung ist nicht unschuldig. Sie verantwortet die Wahrnehmung einer Marke. Unsere Aufgabe ist es, sie in dieser Hinsicht zu beraten und zu führen. Deshalb kann Werbung nicht unschuldig sein.
Pavan Sukhdev: Werbung ist definitiv nicht unschuldig. Werber stellen sich gern als Fachleute dar, die nur die Wünsche ihrer Kunden erfüllen. Um aber das System rücksichtslosen Konsums zu durchbrechen, müssen sich sowohl Werbeagenturen als auch die Unternehmen, die sie beauftragen, über die Botschaften Gedanken machen, die sie kommunizieren.

 

Unternehmen setzen Nachhaltigkeit heute effektiv für Werbezwecke ein. Wie wurde Nachhaltigkeit zum Prestigethema?
Haller: Der Trend zu einer nachhaltigeren Lebensweise geht von den Menschen aus, nicht von den Unternehmen. Weil die Menschen diese Sehnsucht haben, nutzen gut geführte Marken diesen Megatrend als Geschäftschance.
Sukhdev: Wir müssen vielen hart arbeitenden Schriftstellern, Wissenschaftlern, Unternehmern und Bürgern danken, dass Umweltbelange relevant geworden sind. Weshalb aber das Wort Nachhaltigkeit so populär ist, ist mir ein Rätsel. Nur selten wird es korrekt verwendet. Eigentlich beschreibt es Aktivitäten, die über Jahrhunderte Wirkung entfalten. Unternehmen sollten Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie für sich beanspruchen, nachhaltig zu sein. Deshalb ist eine Standardisierung und Regulierung von Ratings, Rankings und Gütesiegeln nötig.

 

Zigarettenwerbung zeigt: Gut verkaufen heißt nicht automatische Gutes zu verkaufen. Braucht Werbung ein Gewissen?
Haller: Werbung per se ist ein Instrument, das man so oder so nutzen kann. Deshalb ist Werbung als solche auch weder moralisch noch unmoralisch. Aber Werbung ist ein starkes Instrument, um ein moralisches Anliegen in eine Geschäftschance zu verwandeln.
Sukhdev: Werbung braucht ein Gewissen, aber wir dürfen es nicht der Industrie überlassen, dieses Gewissen allein zu entwickeln. Wir müssen uns genauer fragen, welche Werbetechniken maßlos in die Irre führen und welche Arten von Angaben auf Produktverpackungen stehen sollten.

 

Immer mehr Menschen wollen ökologische Produkte. Was hat das Verhalten der Verbraucher verändert, Reklame – oder hat Werbung umgekehrt die Verbraucher beeinflusst?
Haller: Ich glaube, dass wir den Einfluss der Werbung nicht überschätzen dürfen. Das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit haben Berichte über Klimawandel und Artenschutz sowie viele Lebensmittelskandale geprägt. Seit zwei Jahren untersuchen wir mit dem Sustainability Image Score, welche Unternehmen in Deutschland als nachhaltig wahrgenommen werden. Wir können damit den Einfluss der öffentlichen Wahrnehmung von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens auf den Markenmehrwert und somit auf den unternehmerischen Erfolg darstellen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Unternehmen heute die Chance nutzen sollten, Nachhaltigkeit nicht nur zu praktizieren, sondern intensiv und professionell darüber zu reden, um damit auch bei den Verbrauchern zu punkten. Lasst daher Taten Worte folgen.
Sukhdev:
Im Hinblick auf die zunehmende Diskussion über Nachhaltigkeit haben die Konsumenten viel mehr Einfluss auf Werbung, als umgekehrt. Beide sollten sich gegenseitig bestärken. Weiterlesen

Die Dekade digitaler Veränderungen ist in vollem Gange – nur der (Mehr-)Wert dieser Digitalisierung wird häufig noch nicht gesehen und lässt immer noch viele Fragen nach der Leistungsfähigkeit digitaler Kommunikation aufkommen.

Wir erleben derzeit kontinuierlich – teils alle paar Monate – elementare Veränderungen im Bereich der digitalen Medien und bei digitalen Kommunikationsmaßnahmen: Dachte vor einigen Jahren noch kaum jemand überhaupt an die überdimensionalen Entwicklungen von Facebook bzw. Social Marketing im Allgemeinen, war vor drei Jahren mobiles Marketing zumeist Spielerei und häufig „nice to have“ und hatte vor auch nicht mehr als drei Jahren Bewegtbildwerbung im Internet eher die Funktion einer exotischen Mediaplanbeimischung, so wissen wir heute eines: Alle diese damaligen Trends sind heute die Treiber moderner Kommunikation. Die Umsätze im Digitalbereich steigen weiter stetig; mittlerweile hat das Internet als Werbeträger Print und Radio bereits hinter sich gelassen und ist nach TV zum zweitwichtigsten Werbemedium geworden. Werbetreibende haben in hohem Maße ihre Budgets ins Digitale verschoben, ihre Marketingstrategien dadurch verändert und sind mehr und mehr dabei, die Form der Kundenkommunikation gänzlich neu zu überdenken. Kaum eine Altersgruppe in Deutschland ist nicht Online und der Personalmarkt für digitale Berufe ist so hart umkämpft wie nie: Die Digitalbranche und im besonderen Digitalagenturen, so scheint es auf den ersten Blick, stehen mitten in  goldenen Zeiten. Und nach Umfragen des Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA ist digitales Marketing in all seinen Facetten auch die nächsten Jahre das am stärksten wachsende Geschäftsfeld der deutschen Werbe- und Kommunikationsbranche. Und der Markt rechnet auch für 2013 mit zweistelligen Umsatzzuwächsen. Alles Bestens – oder? Weiterlesen

Unsere Branche ist stetig im Wandel und die Entwicklungen in Marketing, Werbung und Medien gehen rasant voran. Die aus meiner Sicht derzeit wichtigsten aktuellsten Trends in Marketing und Kommunikation sind folgende:

1. Mobility verändert den Wettbewerb
Der Wettbewerb wird durch die zunehmende Mobilität transparenter und damit auch härter. Preise, Kosten und Produkte sind immer und überall überprüfbar. Die Zahlen sprechen für sich: 2011 wurden erstmals mehr Smartphones als PCs verkauft (Quelle: IDC, Ab 2012 Prognosedaten). Und auch die Nutzung des mobilen Internets stieg in den letzten zwölf Monaten um mehr als 50% (Quelle: AGOF mobile facts 2011 / Plan.Net Media Intelligence , 23.515 Fälle, entspricht 70.33 Mio. Deutschsprachige ab 14 Jahren). Und durch die neuen Datenverbindungen wie LTE oder den Quad-Core Processor kann mit High-Speed alles und immer schneller von unterwegs überprüft werden.

2. Social Media als Dialogmedium statt Telefon und E-Mail
Heute sind Facebook & Co. nicht mehr aus dem täglichen Leben der Generation der unter 30-Jährigen wegzudenken. Auch die Nutzerzahlen deuten auf die wachsende Integration von Social Media hin: Laut der Acta-Studie 2011 (ACTA 2011; Facebook Advertising Tool September 2012; ComScore Net-Metrix Januar 2012) gibt es aktuell 33,15 Millionen Nutzer im deutschsprachigen Social Web. Allein auf Facebook gibt es in Deutschland 24,3 Mio. Mitglieder. Zu den meistbesuchten Mediasites zählen Facebook, YouTube, Wikipedia und gutefrage.net. Auch der Einfluss von Twitter auf die Verbreitung von News-Content – was ermöglicht, in Sekundenschnelle Nachrichten über den gesamten Globus zu streuen – ist von einer enormen Eigendynamik geprägt. Das Unternehmen hat just angekündigt, seine Präsenz in Deutschland auszubauen und die aktive Nutzung um 50 Prozent zu steigern.

3. Cloud Backup: Unser Leben in der Cloud
Termine, Adressen, Fotos, Dateien: Wir alle erstellen und verwalten Inhalte – und das an vielen unterschiedlichen Eingabegeräten. Cloud Computing ermöglicht, zu jeder Zeit und von allen Geräten auf den kompletten Datenbestand zugreifen zu können. Denn mit der Cloud sind alle Endgeräte, sei es das Smartphone, Tablet oder das internetfähige Fernsehgerät, verknüpft und bedienen sich aus einem gemeinsamen Datenpool. Die aktuellen Services lauten Google Drive, Apple Cloud oder die Telekom Cloud. Und mit den neuen Möglichkeiten der Datenübertragungen wie LTE, das um ein vielfaches schneller ist als DSL, ist diesem Trend der erfolgreiche Weg geebnet.

4. Startup Trend „Collaborative Consumption“: ausleihen statt kaufen
Collaborative Consumption steht für den gemeinschaftlichen Konsum und das Teilen von persönlichen Dingen. Das Konzept bezeichnet die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und persönlichen Gegenständen, um einen nachhaltigen Umgang mit ihnen zu fördern. Dies fängt an beim sogenannten „couch surfing“, bei der Menschen private Übernachtungsmöglichkeiten anbieten, die deutlich unter den örtlichen Hotelpreisen liegen. Oder die mittlerweile sehr populären Seiten wie Mitfahrgelegenheit. de. Für wenig Geld gemeinsam weite Strecken zurückzulegen, die Fahrtkosten untereinander aufzuteilen steht hoch im Kurs. Auch das Sharing von Autos, wie das von BMW initiierte System drive.now zeigt, belegt diesen gesellschaftlichen Trend im Nutzungsverhalten, das hohen Anklang findet. In München beispielsweise umfasst drive.now eine Kooperation mit der Stadt München, die bei Nutzung das Entwerten eines Parkzettels überflüssig macht.

5. Vertrauen ist der markenprägende Faktor
Nachhaltigkeit bedeutet für Unternehmen nicht weniger als Markenmehrwert. Die zweite SIS (Sustainability Image Score)-Studie der Serviceplan Gruppe ermöglicht es erneut, den Einfluss der öffentlichen Wahrnehmung von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens auf den Markenmehrwert und somit auf den unternehmerischen Erfolg darzustellen. Nachhaltigkeit liegt dort mit 14 Prozent nur knapp hinter den Faktoren Qualität der Leistung (21 Prozent) und wirtschaftlicher Erfolg (18 Prozent). Nachhaltigkeit und die Sehnsucht nach „Vertrauen“ werden so zusehends zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Transparenz und ehrliche Kommunikation sind dabei die entscheidenden Faktoren, die zur Entwicklung des Markenwerts beitragen.

6. Social Enterprise: Mehrwert statt Profit
Social Enterprise sind Unternehmen, die im Sinne des sozialen Aspektes handeln und Strategien entwickeln, die drauf ausgerichtet sind, die Gesellschaft und Umwelt zu verbessern und einen Mehrwert bieten statt Profit für Stakeholder zu erwirtschaften. Sie handeln gemäß der Leitlinie: nicht der Investor steht im Vordergrund, sondern der soziale Aspekt, die gute Sache. Solche Firmen oder Organisationen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Dies ist auch ein wesentlicher Bestandteil, wenn es um Markenführung und die Integration dessen in die Kommunikation nach außen, geht. Bekanntes Beispiel ist hier GEPA, die sich seit 35 Jahren das Thema „Faires Handeln“ auf die Fahnen schreiben. Fairer Handel ist dort Kern der Unternehmensphilosophie, keine Nebensache. Denn alle Gewinne werden wieder in den Fairen Handel investiert.

(Ursprünglich erschienen hier auf horizont.net)

Pollock stand in seinem Atelier, vor ihm lag eine Leinwand auf dem Boden. Ein Tropfen Farbe löste sich vom Pinsel und landete auf der Leinwand. Pollock mochte, wie der Tropfen auf der Leinwand aussah. Ein weiterer. Und noch einer. Er merkte, dass es nicht nur darum ging, zu mögen, was er sah, er begann zu ahnen, dass es etwas Bedeutendes war, was da passierte.  Als er fertig war, war er zufrieden. Was da lag, war neu.

Dann kam ein Mann, öffnete eine Schublade, steckte das Bild von Pollock hinein, schloss sie und klebte einen Zettel darauf: Abstrakter Expressionismus. #

Menschen sind Schubladentiere. Buchhalter. Sie wollen Dinge ablegen. Nichts tun sie lieber als eine Schublade zu öffnen, etwas hineinzulegen, die Schublade zu schließen und zu beschriften. Denn dann haben sie das Gefühl zu wissen, wovon sie reden. Sie können dann klug schauen und nicken und sich über die Schubladen austauschen. Sie sind dann kompetent.
Es gibt Ausnahmen. Es gibt viele Ausnahmen. Aber sie bleiben immer die Minderheit, die, denen Freiheit wichtiger ist als Sicherheit. Die ihre Gier nach Neuem niemals gegen Routine eintauschen wollen.

Wenn man Kreativer sein will, muss man sich entscheiden. Will man ein Schubladentier sein oder will man etwas machen, wofür es noch keine Schublade gibt. Und diese Haltungsfrage ist es, die den Unterschied macht zu anderen Jobs. Wenn wir uns gegen die Ablagementalität der Schubladentiere entscheiden, dürfen wir uns Kreative nennen. Auch, wenn wir nicht den Abstrakten Expressionismus erfinden oder den Punk. Nicht unser Erfolg, allein unsere Haltung unterscheidet uns: frei statt sicher. Neu statt routiniert. Denn das Neue ist immer das Bessere. Man nennt es Fortschritt. Es steht in totalem Widerspruch zum Schubladendenken. Das sind unsere täglichen Konflikte, die wir austragen müssen. Mit uns selbst. Mit unseren Beratern. Mit unseren Kunden. Wir sind umgeben von Schubladentieren.  Wir müssen sie nicht bekämpfen, im Gegenteil: Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass sie bei uns sicher sind und wir routiniert. Und dann frei und neu sein.

Also: Heute mal nichts über Integrierte Kommunikation, Branded Entertainment, Virals, Web 2.0, Branded Content oder sonst irgendwelche Schubladenbeschriftungen. Heute lassen wir die Schubladen mal zu. Überlassen wir sie den Anderen, wenn wir fertig sind. Und beginnen mit etwas Neuem.

Ich bin 43 Jahre alt und Kreativchef einer Digitalagentur. Heißt, ich lese ziemlich viele Texte auf digitalen Displays.  Aber ehrlich gesagt, kann ich das gar nicht mal so gut. Um einen Text wirklich beurteilen zu können und dann inhaltlich und stilistisch zu korrigieren, muss ich ihn mir immer noch ausdrucken. Mein Gehirn hat in Kindheit und Jugend gelernt, mit Texten auf Papier zu arbeiten. Ich war immerhin schon 22 als ich meine erste Uni-Hausarbeit mit einem Textverarbeitungsprogramm am Computer geschrieben habe. Und obwohl ich dann nur zwei Jahre später meine erste Website selber gebastelt habe, mag mein Kopf beim Thema Text das Papier lieber als das Display.
Außerdem spiele ich Fußball – am liebsten mit einem Ball aus Leder auf einem schönen grünen Rasen. Früher war ich sogar mal richtig gut. Fußball auf der Playstation kann ich dagegen überhaupt nicht. Da bin ich eine Niete. Ich habe drei jüngere Brüder und gegen keinen von denen habe ich je ein Konsolenmatch gewonnen.
Und trotzdem habe ich mit Begeisterung und Leidenschaft die Welt digitalisiert. Natürlich nicht ich alleine, sondern gemeinsam mit ein paar Millionen anderen Menschen meiner Generation. Und diese Generation – die Menschen um die 40 – haben die digitale Welt geschaffen. Wir sind keine „Digital Natives“, wir sind „Digital Hybrids“ – also digitale Zwitter. Wir sind komplett analog aufgewachsen und dann mit voll Karacho ins Digitale eingestiegen. Wir haben das Internet immer weiter ausgebaut, die Websites mit immer mehr Content bestückt, wir haben Tools geschaffen und immer weiter verlinkt und vernetzt und schließlich das Netz sozial und mobil gemacht. So haben wir die digitale Welt immer allgegenwärtiger und allumfassender gemacht.

In den Medien und in der Kommunikation ist heute nahezu alles digital. Selbst das, was wir Klassik nennen, ist größtenteils digital. Entweder durchläuft auch sie digitale Produktionsprozesse oder wird auf digitalen Medien ausgegeben. Und wenn fast alles digital ist, braucht man den Begriff „digital“ auch beinahe nicht mehr. Er differenziert immer weniger und er markiert heute nichts Neues oder Besonderes mehr.
Wir digitalen Zwitter hatten ja zwischenzeitlich geglaubt, die digitale Revolution würde jahrhundertealte Gesetzmäßigkeiten innerhalb von nur wenigen Jahren umdrehen. Mehr denn je hat sich aber heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Idee einer „New Economy“ – die über ein sich immer wieder erneuerndes Versprechen in die Zukunft immer mehr virtuelle Werte schafft – vielleicht doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Eine nachhaltige Wirtschaft, die sich wieder verstärkt um das Schaffen von echten Werten kümmert, scheint uns mittlerweile wieder sympathischer und auch erfolgversprechender.

Aber zurück zur Werbung! Die erste Generation, die komplett digital aufgewachsen ist, ist erwachsen geworden. Die Digital Natives machen inzwischen manchmal selber Werbung oder sind auf alle Fälle Zielgruppe von ihr. Und für sie ist ihr Facebook auf dem Smartphone so normal und alltäglich wie der Morgenkaffee. Digitale Medien sind für sie super wichtig, aber es ist für sie nicht mehr so wichtig, dass sie digital sind. Aktuelle Jugendstudien sagen, dass ihr Umgang mit ihnen zwar selbstverständlich, aber mehr und mehr auch von einer gewissen Nachlässigkeit geprägt ist. Die Kompetenzen für valide Internet-Recherchen nehmen ab und wenn „Chillen“ angesagt ist, wird der ganze Digitalkram auch mal auf Pause gestellt.

Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt schafft also gleichsam ihre Entdigitalisierung.

Was bedeutet das für uns Werber? Natürlich bleiben Technologien und Innovationen weiterhin wichtige Treiber unserer Branche, aber es bedeutet auch: Entspannung. Wenn der erste Teil des Begriffes „Digitale Kommunikation“ an Bedeutung verliert, bleibt der zweite Teil: die Kommunikation. Und die braucht Ideen, Inhalte und Geschichten. „Content is King“ ist ja auch nicht so neu, aber heute umso wahrer und wichtiger. Wir müssen kein Storytelling für Technologien oder Systeme machen. Wir erfinden Geschichten für Menschen. Und die und ihre Bedürfnisse haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht so grundlegend geändert, wie man manchmal denken mag, wenn man jedem Hype hinterher rennt. Auch in Buzzword-Bereichen wie Viral-Marketing oder Social Media gelten fürs Storytelling eigentlich immer noch dieselben Gesetzmäßigkeiten wie zu Shakespeares Zeiten: Es braucht ein Problem oder Hindernis, es braucht einen Spannungsbogen und es braucht Relevanz und Identifikationsmöglichkeiten. Und dann kann man das Ganze noch würzen mit Prominenz, mit Überraschungen, mit Humor, mit Geheimnissen oder mit Sex and Crime.

Ich glaube, Shakespeare würde heute ziemlich viele Cyberlions gewinnen.