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What the trend?! In der Serie aus dem Haus der Kommunikation beleuchten Experten der Serviceplan Gruppe einen aktuellen Trend aus den Bereichen Media, Data und Tech. Was bedeuten die Neuerungen für den Konsumenten, welche Möglichkeiten ergeben sich für Agenturen und was haben Unternehmen davon? In unserem neuesten Beitrag von Wolfgang Bscheid, Managing Partner mediascale, geht es um Audio – das Medium der Stunde.
Podcasts, Clubhouse und Smart Speaker boomen und eröffnen neue Wege für Marketing und Kommunikation. Sie schaffen aber auch neue Herausforderungen – und belegen, dass die Glaubenssätze von gestern ganz schnell veraltet sein können.
Bewegtbild: Wird alles dominieren! Länger als 1:30? Kuckt kein Mensch. In sozialen Netzwerken sowieso nicht mehr als sieben Sekunden. Und der Dialog der Menschen untereinander? Könnte besser funktionieren. Schließlich dominieren auf LinkedIn, Insta, TikTok & Co. die Ego-Poser und nicht nur Donald Trump versteht Twitter als Broadcast-Kanal. Waren das nicht unverrückbare Glaubenssätze unserer Branche?
Und jetzt das: Podcasts boomen, Clubhouse ist Talk of the Town und das Langformat und Dialoge ohne Hass und Schmähungen erleben eine neue Renaissance. In unseren Smart Homes sagen wir Alexa, Siri & Co, was sie uns aufs Ohr spielen sollen. Und ganz nebenbei: Viele von uns lassen beim Video-Call am heimischen Arbeitsplatz ganz gerne mal die Kamera aus, um konzentrierter zu lauschen. Audio, jahrzehntelang als Nebenbeimedium genutzt, wird zum exklusiv genutzten Medium, in das sich Menschen lange vertiefen. Statt möglichst lauten Spots gibt es auf einmal viele auch leise Töne und Zwischentöne.
Im Schatten der Bewegtbild-Euphorie hat sich sukzessive ein Boom des Zuhörens entwickelt. Dabei schien Audio doch bis vor kurzem eher im digitalen Dornröschenschlaf zu schlummern. Während andere Gattungen scheinbar mit Vollgas Richtung Digitalisierung unterwegs waren, kam die Radiobranche mit der Einführung der DAB-Technologie jahrzehntelang nicht von der Stelle. Insider spotteten schon über Digital Audio Broadcasting als längste Übergangstechnologie der Welt.
Auf einmal aber geht es Schlag auf Schlag. Der vermeintlich rückständige Kanal ist zu einem spannenden, dynamischen Ort geworden, an dem eine Innovation die nächste jagt. Wie das? Macht man es sich einfach, könnte man feststellen: Kein Trend ohne Gegentrend. Scheinbar kommen aber einige Dinge zusammen, die das Momentum von Audio deutlich pushen.
1. Die technische Omnipräsenz
Audio ist auf allen Smartphones mehrfach vertreten, die wiederum sind fast flächendeckend verbreitet. Egal ob Musikbibliothek oder Streaming-Dienst, kaum ein Handy, auf dem nicht die Musik spielt. Bei mehr als jedem Vierten steht ein Smart Speaker im Haushalt und über zwei Drittel nutzen Sprachassistenten auf dem Handy. Es war also noch nie so einfach, Audio immer und überall zu nutzen – auch weil Autos mit den Smartphones gekoppelt werden können.
2. Das explodierende Angebot
Podcasts gibt es seit Jahrzehnten. Mittlerweile gibt es aber für nahezu jedes Thema ein großes und qualitativ gutes Angebot an Podcasts: von der Pferdezucht über die Geldanlage bis zur Sexberatung. Kaum eine Nische bleibt unbesetzt. Und wenn Barack Obama und Bruce Springsteen sich zum Podcasten zusammensetzen, gibt es auch kaum mehr Luft in der nach oben offenen Promiskala.
3. Die wachsende Nutzung
Punkt 1 und 2 führen fast zwangsläufig auch zu Punkt 3. In unserem mit Medienkonsum bereits dichtgepackten Tag füllt Audio on demand und to go die letzten Lücken. Und Podcast, Clubhouse & Co machen sich in Zeitschienen breit, die eher mit anderen Medien als mit dem klassischen Radio konkurrieren. Viel wichtiger als die reine Nutzungszeit ist aber die Qualität und Exklusivität der Nutzung. In kaum ein anderes Medium versenken sich die Zuhörer:innen so wie in Podcasts. Sprache und Stimme reichen da scheinbar aus und entfalten ein deutliches Plus an Wirkung.
Und was bedeutet das jetzt für uns als Werber und Kommunikatoren? Wir stehen vor neuen Herausforderungen, weil die Chancen der neuen Kanäle nicht mit den Rezepten und Werkzeugen der „alten“ Medien erschlossen werden können. Stellen Sie sich doch nur mal einen Seitenbacher-Hörfunkspot in einem True Crime Podcast vor. Clubhouse ist weder eine Neuauflage der Telefonkonferenz noch irgendeine akustische Form von Facebook. Genauso wenig sind Podcasts eine Fortsetzung des Radios auf einem anderen Verbreitungsweg. Wir haben es mit etwas Neuem zu tun.
Einfach die Hörfunkspots der Werbetreibenden zu nehmen und dann via Targeting und im Pre-Roll-Format auf möglichst viele reichweitenstarke Podcasts einzubuchen, ist nicht der Weg, den wir präferieren – weil er dem Charakter des Mediums nicht gerecht wird. Wer aber auf handkonfektionierte Host-Read Ads setzt, die perfekt zum Profil des Podcasts passen, muss mit kleineren Reichweiten und höherem, weil kaum skalierbaren Aufwand leben. Vielleicht macht es als Marke auch viel mehr Sinn, eigene attraktive Erzählformate rund um die Markenwelt zu entwickeln, die deutlich besser das Nutzungsverhalten der Podcast-User treffen. Was dann zum Marken-Podcast automatisch mit dazugehört: Eine Mediastrategie, die sicherstellt, dass der Podcast genügend Aufmerksamkeit und Grundreichweite erhält.
Bei mediascale experimentieren wir seit einiger Zeit mit diesen neuen Erzählformen. Auch im Segment der Smart Speaker. In einem Native-Advertising-Format, das wir gemeinsam mit dem Vermarkter RMS entwickelt haben, konnten sich beispielsweise Hörer per Sprachbefehl aus einem laufenden Radioprogramm in ein natives Interviewformat wechseln. Mit solchen Projekten lernen wir ständig dazu.
Apropos dazulernen: Wer es noch nicht geschafft hat, in Clubhouse reinzuhören, sollte unbedingt tun. Es kostet im wahrsten Wortsinne nicht viel, dort Dinge auszuprobieren. Dieser Kanal lässt sich derzeit noch erforschen, ohne große Budgetsummen zu bewegen. Der Reiz der neuen Audioräume liegt darin, dass hier ein Dialog entstehen kann, der auf das Wesentliche reduziert wird: auf Stimme und auf Argumente.
Noch liegt das Höflichkeitslevel von Clubhouse weit über dem Diskussionsniveau sozialer Netzwerke. Und mit einfachsten technischen Mitteln (mit Smartphone, App und Kopfhörern) lassen sich sowohl spontan als auch geplant immer wieder neue Communities versammeln. Da ist Platz für Austausch und Dialog – für die großen Themen, aber durchaus auch für die Nischen. Immer Mittwochmittag diskutieren wir beispielsweise mit wechselnden Gästen das Thema Media & Nachhaltigkeit. Direkt und auf den Inhalt reduziert. Was sonst mit umfangreicher Eventplanung zu bewältigen wäre, klappt hier als fachlicher Austausch schnell und unkompliziert. Schön, dass sich bei Audio so viel bewegt.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Horizont.