“Great stories can come from anywhere and they can travel everywhere, as long as we use technology to get the right story for the right person and make that a great experience”. Mit diesem Satz fasste Greg Peters, Chief Product Officer von Netflix, vor einigen Wochen seinen Vortrag auf dem Web Summit in Lissabon zusammen. Die Vision: Netflix als der Ort im Mediendschungel für die besten Formate der Welt, mit der besten User Experience und den besten Möglichkeiten für Produzenten um ihre Geschichten zu erzählen.

Momentan ist Netflix allerdings nur ein Anbieter von vielen und die Wahrscheinlichkeit, dass jemals wieder ein einziges Medium die Funktion als Hauptmedium, also sinnbildlich dem Lagerfeuer der Nation einnimmt – oder im Zeitalter der Globalisierung sogar als das der ganzen Welt – ist eher unrealistisch. Allerdings stehen Netflix, Amazon Prime Video und YouTube für einen grundlegenden Wandel in der Mediennutzung, der sich in den vergangenen zehn Jahren vollzogen hat: Das Zeitalter der Massenmedien geht zu Ende.

Meine Oma und Netflix werden keine Freunde mehr. Aber dafür meine Eltern?

Meine Großmutter sieht gerne fern. Sie feiert allerdings im Februar auch ihren 100. Geburtstag und bevor das Internet in den 90ern überhaupt ein Thema wurde, interessierte sie schon die Unterhaltungs-Innovation „VHS-Kassette“ nicht mehr sonderlich – gab ja schon Fernsehen.

Anders sieht es bei meinen Eltern aus, die beide mit Mitte 60 regelmäßige Nutzer von Amazon Prime Video sind, auch wenn der Großteil der Mediennutzung bei den beiden auf klassisches Fernsehen fällt. Und so gibt es in allen Altersgruppen noch viele regelmäßige Zuschauer von klassischem TV, aber sie werden mit abnehmendem Alter weniger und konsumieren unregelmäßiger.

Fernsehen ist eben nur noch ein Medium unter vielen und der große Gewinner ist der Konsument, denn die Auswahl an hervorragenden Formaten über alle Mediengattungen hinweg war nie größer. Neben den großen Medienmarken hat das Internet auch tausenden Mikro-Medien und Content-Produzenten Werkzeuge und Plattformen an die Hand gegebenen, um ihre Geschichten zu erzählen. Egal ob auf YouTube, Twitch, Instagram TV oder als Podcast auf Soundcloud, egal wie klein die Nische – so gut wie alles davon ist unabhängig von Zeit und Ort nutzbar.

Trotz hoher Komplexität: Fragmentierung als Chance für Agenturen

Eine fragmentierte Mediennutzung auf Konsumentenseite bedeutet für das Marketing eine inzwischen schier unüberschaubare Anzahl an Touchpoints in der Consumer Journey. Verstärkt wird diese Entwicklung durch den bereits langanhaltenden Trend zur maximalen Individualisierung der Lebensentwürfe der Konsumenten mit hohen Ansprüchen an die persönliche Relevanz von Produkten und Dienstleistungen. „One size fits all“ reicht schon lange nicht mehr aus.

Die Komplexität des Marketings hat inzwischen Stufen erreicht, die ohne Experten an allen Schnittstellen – von der Strategie bis zur technischen Implementierung – nicht mehr handhabbar ist und das bei hohem Effizienzdruck allerorten. Andererseits hat man als Marketer heute einen gigantischen Baukasten an Touchpoints und technischen Lösungen, um jedes Zielgruppensegment mit genau der richtigen Botschaft im richtigen Moment zu erreichen. AI-gestützte Budget- und Kanalableitung sowie programmatische Aussteuerung über alle Medienkanäle machen es möglich. Gleichzeitig lauern weiterhin Stolpersteine auf dem Weg – wenig vergleichbare Metriken zwischen Kanälen und Plattformen, stärkere Regulierung der für passgenaue Auslieferung wichtigen Datenerhebung und von großen Plattformen festgelegte Spielregeln für ihre Walled Gardens werden die Agenturen noch länger beschäftigen.

Marketer im Touchpoint-Dschungel: Ruhig bleiben, ausprobieren, lernen.

Hat man es im hochfragmentierten und komplexen Marketing-Dschungel als Agentur schon nicht leicht, möchte man ehrlich gesagt trotzdem nicht in der Haut der Kunden stecken, die das Marketing verantworten. Der Vorstand fordert Leuchtturm-Projekte für das Marken-Image, der Vertrieb will verkaufen, das CRM Team braucht Leads und das Produkt-Management bedient den Trend zur Konsumenten-Individualisierung mit immer neuen Line-Extensions, die unters Volk gebracht werden sollen. Und all diese Anforderungen soll man erfüllen, am besten gleichzeitig und für weniger Budget. Und dann beginnen auch noch die altgedienten und erfolgserprobten Maßnahmen an Effizienz zu verlieren; egal ob Zielgruppendurchdringung, kurzfristig verfügbare Reichweite oder Werbewirkung – mit einem Medium alleine wird es heutzutage schwierig.

Trotzdem kann die Empfehlung nur lauten, sich nicht verrückt machen zu lassen. Man muss nicht jeden neuen Touchpoint sofort belegen und von heute auf morgen die bewährten Maßnahmen einstellen. Stattdessen sollte mehrkanalig geplante und optimiert, die Wirkung maximiert und die starken Kanäle maximal ausgereizt werden. Den Erfolg, mit der Handvoll KPIs, die wirklich wichtig sind, messbar machen, statt sich in tausenden von Metriken zu verlieren. ROI und Contribution statt Last Click und Cost per Order. In der Customer Journey am Anfang beginnen und in Aufmerksamkeit und Image investieren, statt nur abzuschöpfen. Und nicht zuletzt die Aufmerksamkeit der Nutzer als rares Gut betrachten. Große Markengeschichten entstehen zukünftig als die Summe vieler kleiner, abgestimmter Maßnahmen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei lead-digital.de

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