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Die Einladung zur diesjährigen Cannes Jury kam für mich ziemlich überraschend. Als Strategin hatte ich Cannes eigentlich immer als Spielfeld für Kreative gesehen. Aber die Lions sind eben nicht mehr „Werbefestival“, sondern „Festival der Kreativität“ und Technologie hat einen immer stärkeren Einfluss auf Kreativität. Umso mehr habe ich mich über die Einladung in die Digital Craft Jury gefreut, um dort Serviceplan, sowie meine Disziplinen Web3 und Spatial Computing zu vertreten.

Drei Eindrücke sind für mich von meinen ersten Cannes Lions und meiner Jurytätigkeit besonders prägend gewesen. Und ein Aufruf an die deutsche Kreativbranche ist auch dabei.

Vielfalt ist ein Imperativ.

Es mangelt unserer Branche, speziell auch in Deutschland, nach wie vor an Diversität. Fakt. Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Themenbereiche, die man hier betrachten könnte (und sollte), in Cannes wiegt ein Aspekt aber besonders schwer: die Vielfalt von Sichtweisen bei der Bewertung von Kreation.

Meine Digital Craft Jury hätte kaum vielfältiger sein können. Ein gebürtiger Südafrikaner und eine Britin indischer Abstammung aus New York, ein Kenianer, ein Brite sri-lankischer Herkunft aus Dubai, eine Kanadierin, eine Malaysierin, ein Brasilianer, ein in Italien lebender Russe, eine in Amsterdam lebende Amerikanerin. Und ich.

Vielfalt in Geschlecht, Alter, Ethnizität, Kultur, Profession, LGBTQIA+ und Lebensstilen. Das zeigt sich auch in der Bewertung der Arbeiten in der Digital Craft Kategorie. Viele Cases hätten wir nicht richtig oder nicht so fundiert bewerten können, hätte nicht eine:r von uns spezielle Insights gehabt. Die Genialität eines chinesischen Cases wurde uns erst bewusst, als Min, unsere malaysische Kollegin, ihn in den kulturellen Kontext einordnen half. Ein brasilianischer Tech-Case bewies sich erst, als der brasilianische Kollege Sergio sein Handy zückte, um allen zu zeigen, dass und wie die Anwendung funktioniert. Die Exzellenz eines Spatial / „Metaverse“ Cases wurde dadurch deutlich, dass ich ihn auf Basis meiner Web3 und Spatial Erfahrung technisch einordnen konnte.

Ohne diese Vielfalt in Sichtweisen, kulturellen und professionellen Hintergründen, hätten wir die Arbeiten nie so fundiert einordnen, verstehen und bewerten können. Deswegen ist es auch so wichtig, Diversität und Vielfalt in allen Bereichen, so gut wie möglich, abzudecken. Man sieht, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat, Luft nach oben besteht aber trotz alledem immer noch. Oftmals vermisse ich – sei es bei Speaker Lineups oder Panels oder Jurymitgliedern, etc. – immer noch eine gewisse Vielfalt. Ein Award Gremium, dass wir uns alle als Beispiel nehmen sollten, im Sinne der Diversität, ist das Cannes Lion International Festival of Creativity. CEO Simon Cook arbeitet jedes Jahr an noch stärkerer Repräsentanz in den Jurys, in diesem Jahr vor allem des afrikanischen Kontinents.

Tech allein reicht nicht

Wir haben in der Digital Craft Kategorie mehr als 600 Cases bewertet. Darunter eine Flut von AI Cases, bei denen neue Tools wie ChatGPT, vor allem aber Midjourney und Dall-e oft verwendet wurden, um zu visualisieren, was man sonst nicht sehen kann: Geschichten von marginalisierten Gruppen wie Flüchtlingen, Obdachlosen, Kriegsveteranen. Alles richtig, wichtig und auch gut. Exzellenz in digital Craft bedeutete für uns aber mehr als die reine Anwendung dieser Technologien. Im nächsten Award Jahr werden Midjourney und Co schon Tools wie Photoshop sein, die wir alle verwenden.

Und so kommt es wieder zurück auf einen grundsätzlichen Aspekt: Purpose. Welche menschliche Verbindung entsteht durch die Technologie? Welches Potential zu wirklicher Veränderung bringt ihr Einsatz mit sich? Lässt sich der Impact skalieren?

Das waren auch die ausschlaggebenden Kriterien für unsere Verleihung des Grand Prix in Digital Craft, den wir final an „Never Done Evolving feat Serena“ von Nike und AKQA vergaben.

Eine schwarze Athletin, die ihre sportliche Karriere bereits beendet hat, wird das Zentrum eines bahnbrechenden Brand- und Tech-Cases. Eine beispiellose Laufbahn wird mittels Machine Learning analysiert, mit digitalen Avataren visualisiert, und mit AI zum Leben erweckt in einem der meistgeschauten digitalen Sport Events. Daten und Erkenntnisse werden genutzt, um die Tennislegenden von morgen zu trainieren, um Produkte zu entwickeln und zu verbessern. Das ist Purpose, ermöglicht durch Technologie.

Unsere Jury Präsidentin Resh Sidhu von Snap fasste unsere Gedanken perfekt zusammen:

„Great digital craft for us is not just about technology. It’s really about using those tools to resonate with people on a human level. And this piece was the epitome of digital craft. It shows what ‘digital artistry’ is today – a combination of creativity, technology and purpose.“

Und wo wir bei „never done evolving“ sind…

Der Jury Präsident der Design Craft Jury in Cannes, Quinnton Harris, sagte zu uns, dass er die Digital Craft Kategorie so spannend fände, weil sie die einzige sei, bei der sich theoretisch ein und derselbe Case jedes Jahr weiterentwickeln ließe. Und er hat recht. Jeder der Cases könnte durch die dynamische Entwicklung von Technologie Jahr um Jahr verbessert werden. Neue Dimensionen erhalten, skalierbarer werden. So eine Art Case 2.0, 3.0, 4.0.

Ein Case mit genau solchem Potential ist einer unserer Gold Gewinner, Transparency Card. Bei diesem Case der brasilianischen Zeitung Congresso em Foco, umgesetzt auch wieder von AKQA, geht es darum, die Ausgaben brasilianischer Politiker transparent zu machen. Dazu mussten zig einzelne Databases angezapft werden, um die Daten zu sammeln und aufzubereiten. Die Kernidee: die Bevölkerung soll wissen, wofür ihre Steuergelder ausgegeben werden. Die Lösung: die Ausgaben der Politiker werden wie Zahlungen der eigenen Kreditkarte in das Handy-Wallet geladen. In real-time. Diese Transparenz dient als Kontrollorgan für die Bevölkerung und ermöglicht es, Politiker für Missbrauch zur Verantwortung zu ziehen. Der Case ist von vornherein so angedacht, dass auch andere Länder die Technologie nutzen können. Und sie soll weiterentwickelt werden, um Skalierung zu ermöglichen. Das ist die wahre Magie von Technologie.

So geht mein erstes Cannes Erlebnis zu Ende. Es war eine bewegende und großartige Zeit, verbunden mit viel, viel Arbeit, vor allem aber mit großartigen neuen Menschen und einem breiten, vielfältigen, beeindruckenden und inspirierenden Spektrum von Arbeiten.

Und jetzt ran an den Speck für 2024!

Till Hohmann, Managing Creative Director, Serviceplan Campaign, im Interview über die Magie von Cannes, seine Erfahrungen rund um das Kreativfestiaval und seine Rolle als deutsches Jurymitglied der Direct Lions.

Zwei Wochen Cannes sind vorüber – eine extrem großartige, aufregende aber auch anstrengende Zeit. Anstrengend für das Gehirn und den Kreativmuskel. Wir waren 25 Juroren aus 25 Ländern. 25 komplett unterschiedliche Köpfe mit verschiedenen Ansichten, mit Statements, Brandreden und Diskussionen; einfach großartig.

Mein Fazit aus dem Bereich „Direct“: Tiefgreifende große Trends gab es keine, sehr wohl aber einen “hidden Trend”, nämlich die Gender Equality. Dieses Thema wird mehr und mehr Wichtig. Denn ganz egal ob Frau, Mann, Transgender oder Homosexueller – jeder Mensch hat die selben Rechte.

Das erkennen nicht nur die NGOs, sondern auch immer mehr Super-Brands beweisen eine klare Haltung und beziehen Stellung.

Ein tolles Beispiel dafür ist Doritos:

Meine weiteren Highlights

Snapchat, WhattsApp, Mail und Facebook… Dass bei allen Trends in der Kommunikation eine Arbeit den Grand Prix holt, die zeigt, dass unsere Stimme unser ursprünglichstes Kommunikationsorgan ist, beweist “The Swedish Number”:

Und ja: Brustkrebsvorsorge kann Spaß machen. Richtig viel Spaß sogar:

Mein persönlicher Lieblingscase ist OPT-Outside von REI: Schon unfassbar, wenn ein Outdoor-Retailer seinen umsatzstärksten Tag im Jahr abschafft und damit eine ganze Bewegung auslöst. Und das mit einer klaren Botschaft: Geh nicht einkaufen – geh nach draußen am Black Friday. Geniesse dein Leben, deine Lieben und die Natur. Toll, toll, toll!

Bis zum nächsten Jahr!