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Kann Kunst eine bessere Welt schaffen? Jonathan Meese, einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Gegenwart, fordert in unserem Interview einen radikalen Neuanfang – und setzt dabei auf Individualität, Respekt und die Abschaffung gängiger Realitäten.

Florian Haller: Ob internationale Beziehungen, unser Wirtschaftsmodell, unser Konsumverhalten – im Moment sind wir dabei, die Welt neu zu denken. Aber das muss ja nicht heißen, dass alles Bestehende schlecht ist. Sie haben mal gesagt: „Kunst ist die Zerstörung des Vorherrschenden.“ Ist das nicht eine sehr negative Sicht auf die Welt?

Jonathan Meese: Das ist natürlich erst einmal eine Parole. Ich mache ja viele Proklamationen und Manifeste, da muss man überspitzen. Also: Zerstörung ja, aber nicht als Selbstzweck, das passiert einfach. Kunst zerstört z. B. Ideologie. Oder Durchschnitt. In der Kunst gibt es keinen Durchschnitt, deswegen gibt es dort auch keine Demokratie. Kunst zerstört aber nicht die Vergangenheit, sondern sie hinterfragt und überprüft sie, ordnet sie neu ein. Manchmal sollte man seinen Geschmack zerstören, weil der hinderlich ist. Oder seine Bedenkenträgerei. Ich bin absolut nicht negativ. Im Gegenteil, ich hasse Verbitterung.

Was haben Sie für sich persönlich zerstört?
Jonathan Meese:
Ich habe viele Brücken abgerissen. Ich verlasse z. B. Verräter. Oder Leute, die mich hindern wollen, in die Zukunft zu gehen. Es gibt Menschen, die wollen einem immer Angst machen. Diese Angst, nach vorne zu gehen, muss man zerstören. Die Zukunft wird böse? Nein, die wird super! Das muss man auch den Kindern sagen, anstatt ihnen die ganze Zeit verbittert zu erzählen, wie schlimm alles wird.

Ist das Schaffen von Neuem das, was Sie antreibt?
Jonathan Meese:
Ja. Kunst schafft ja das Neue, will das Neue, garantiert das Neue und hält das Neue immer auch aus. Die meisten Menschen halten einen neuen Gedanken gar nicht mehr aus. Sie begeben sich immer wieder in den alten Teufelskreis der Religion, der Politik, des Mitläufertums und denken, der nächste Guru kommt um die Ecke, den muss ich anbeten, der wird mich retten. Das ist Quatsch! Nichts wird uns retten. Man muss bei sich klar Schiff machen und lernen, mit sich selbst auszukommen.

Das mussten wir durch Corona ja auf die harte Tour lernen …
Jonathan Meese:
Ja, das ist das Wichtigste an der Corona-Zeit. Die Leute halten sich selbst nicht mehr aus, weil sie nichts mehr mit sich anfangen können. Deshalb gehen sie zu Tausenden auf die Straße und denken, dann sind sie individuell und frei. Individuell kannst du aber nur zu Hause sein. Wenn du mit 50.000 Leuten auf dem Alexanderplatz stehst, hast du dich einem Guru-Mitläufersystem untergeordnet. Und ob der Guru Greta Thunberg heißt, Dalai-Lama, Papst Franziskus, Donald Trump, Joe Biden, Putin oder Merkel, das ist egal. Oder du sagst, ich stehe für das ein, was ich denke und tue, und das mach ich alleine. Die Leute denken immer, wenn ich mit vielen unterwegs bin, dann bin ich stark. Nein, der Stärkste ist der Einzelne, die Einzelne, das Einzelne.

Treiben Sie die Kunst oder treibt die Kunst Sie?
Jonathan Meese:
Ich überlasse mich der Kunst. Das heißt, ich spiele die Ideologien, die Religionen und alles andere, was der Kunst im Weg ist, weg. Dann bin ich frei, und das Feld der Kunst ist da, um es zu bestellen. Das Meese-Feld, das dann größer werden kann, so groß wie die ganze Welt. Ich vertraue der totalen Freiheit der Kunst. Aber ich muss mich vor ihr nicht in den Staub werfen. Ich kann sie auch nicht wählen oder abwählen. Ich bin kein Mitläufer, ich wähle nichts. Wählen interessiert mich auch politisch nicht – das ist Zeitgeist und hat mit Kunst nichts zu tun. Kunst ist die Überzeit, das, was überlebt. Jeder Gott und jedes politische System hat seine Zeit, die Kunst aber ist immer da und überlebt. Warum lassen wir uns nicht von dem regieren, was das Stärkste und Geilste ist? Kunst!

Haben Sie bei der Arbeit an Ihren Werken ein Konzept im Kopf?
Jonathan Meese:
Nein, ich überantworte mich der Kunst. Wenn ich gar nichts weiß, dann schlafe ich einfach. Das ist schon Kunst, weil ich im Schlaf träume. Im Schlaf bin ich im Sehnsuchtsland, in der Gegenwelt, in der anderen Zeit. Das Konzept ist, einfach frei aufzuspielen, kein Konzept zu haben, sondern es passieren zu lassen. Kunst ist ja der Befreier, sie befreit alles von Ballast, von Bedenken, von Angst.

Wie gelingt Ihnen totale künstlerische Freiheit?
Jonathan Meese:
Ich darf nicht an den Empfänger denken, wenn ich z. B. ein Bild male. Ich mache Kunst niemals, um jemandem zu gefallen oder jemanden zu bedienen. Ich mache das nur um der Kunst willen. Und wenn das jemand geil findet, ist das super. Die meisten jungen Künstler fragen: Was soll ich denn machen? Und da kann man nur sagen: was du meinst, was du denkst, was du willst. Aber mach bitte nicht das, was ich mache. Es gibt ganz viele, die zu mir kommen und sagen: Herr Meese, wir wollen das machen, was Sie machen. Und das ist es eben nicht. Ich kann nicht das machen, was die machen, und die können nicht das machen, was ich mache. Das wäre wieder das Guru-Mitläufer-Verhältnis. Ich will nicht, dass Leute mich als Guru sehen. Das ist ganz furchtbar. Sie müssen das, was sie tun, mit Liebe, Respekt, Demut und Radikalität machen. Und wenn sie nichts anzubieten haben, dann schlafen sie besser.

Sie beschäftigen sich immer wieder mit dem Thema Kunst und Realität und arbeiten dabei auch mit Virtual Reality, wie 2018 bei der VR-Installation mit Ihrer Mutter. In welchem Verhältnis stehen Kunst und Realität zueinander?
Jonathan Meese:
Kunst sollte diese schreckliche Realität, in der wir gerade leben, überwinden. Und wir sollten andere Realitäten zulassen. Für einen Katholiken gibt es nur die katholische Realität, für das SPD-Mitglied nur die SPD-Realität und für die CDU nur die CDU-Realität. Das ist so falsch gedacht, das ist kleinkrämerischer Blödsinn. Deutschland in eine so kleine Realität pressen zu wollen, finde ich obszön. Die Kunst ist die Überrealität. Das, was über unserem Leben ist und was uns zum Überleben befähigt. Kunst steht über den Dingen. Von allem, was früher war, hat immer nur die Kunst überlebt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, wir hätten die Zensur wieder und die käme von den Künstlern selbst. Was haben Sie damit gemeint?
Jonathan Meese:
Da gibt es mehrere Aspekte. Es gibt Künstler, die haben eine wahnsinnige Angst, etwas falsch zu machen, und deshalb machen sie ganz gefällige Sachen. Andere Künstler merken, dass sie nicht wirklich gut sind in dem, was sie tun, und werden zu politischen Aktivisten. In einer Gruppe fühlen sie sich dann geschützt und verachten den Einzelnen. Die verachten auch van Gogh. So einen Künstler gibt es heute fast gar nicht mehr, jemanden, der einfach sein Ding macht. Da wird man ja beinahe belächelt. Ich kann jungen Künstlern nur sagen: Zensiert euch nicht, bedient keine Klientel, denkt niemals im Guru-System, macht euer Ding konsequent alleine.

In welcher konkreten Form erleben Sie Zensur durch Künstler?
Jonathan Meese:
Es gibt Künstler, die sagen, bestimmte Dinge dürfe man nicht mehr malen. Das ist so unfassbar. Und es gibt wirklich Künstler, die alte Skulpturen vernichten wollen und dabei selber gar nichts bringen. Das sind die Zerstörer, die wollen etwas zerstören, was einfach geiler ist als sie. Wenn du selber nichts anzubieten hast, dann zerstörst du. So in 68er-Manier: Mach kaputt, was dich kaputt macht. Das ist wieder so ein Kollektivding. Ich hasse Kollektivismus. Die meisten Künstler heute sind Zwangskollektivierte, die nur noch in Gruppen auftreten, ganz anonymisiert. Die trauen sich selber nichts mehr zu, deswegen geben sie sich diese Zensuren, um zumindest irgendwas zu haben. Da darf man als Weißer keinen Schwarzen malen oder als Schwarzer keinen Weißen. Dann darf ich aber auch keine Tiere malen, weil ich ja kein Tier bin. Natürlich darf ich in der Kunst alles malen, alles schreiben, alles sagen und ich muss auch vermeiden, die Vergangenheit zu säubern. Es gab halt in der Vergangenheit Sprache, die heute nicht mehr angesagt ist. Aber ich kann sie einfach hinnehmen, mit Humor. Oder dann steht da halt eine Skulptur von einem Sklaventreiber. Das ist Bronze, der Typ lebt nicht mehr, das ist gegessen. Da muss man großzügig mit umgehen. Ich würde keine einzige Skulptur aus der Vergangenheit zerstören, sondern eher eine andere danebenstellen, um sie zu konterkarieren. Dinge ad absurdum führen, auch sich selbst, sein Gedankengut. Einfach mal von sich absehen und nicht sich selbst zum Maß aller Dinge machen.

Wie gehen Sie damit um, wenn jemand sagt, Sie dürfen dieses oder jenes nicht machen?
Jonathan Meese:
Also, wenn mir jemand sagt, das darfst du nicht malen, da wird mir echt übel. Und dann mal ich das erst recht. Da denke ich, richtet doch mal eure Energie in die Zukunft. Die ist nicht so abhängig von der Vergangenheit, wie man glaubt. Kunst ist nämlich anders als Kultur. Kultur ist das, was war, Kunst ist das, was kommt. Und die kommt meistens wie ein Blitzschlag, mit einer völlig aberwitzigen Idee, bei der die Leute erst mal denken: geht nicht. Wievielmal ich in meinem Leben gehört habe, geht nicht, darfst du nicht machen, damit wirst du untergehen … Ich bin aus Bayreuth geflogen, im Literaturarchiv Marbach hat man mich entfernt, weil ich angeblich zu radikal bin. Man hat mich so viele Male zensiert, rausgeschmissen, gekränkt. Man muss immer wieder aufstehen, immer wieder sagen: Es geht um die Zukunft, darum, ein Risiko einzugehen, und zwar persönlich.

Ist es Aufgabe der Kunst, radikal zu sein?
Jonathan Meese:
: Ja. Man muss radikal gegen das sein, was nicht Kunst ist, und radikal gegen sich und andere. Mit sehr viel Humor. Kunst ist, wie schon gesagt, niemals Mittelmaß. Durchschnitt können wir nicht mehr durchgehen lassen. Kunst kann nicht diskutiert werden, die Zukunft ist kompromisslos. Die Kunst ist kompromisslos. Sie ist nicht von Politikern bestimmbar oder von Religiösen. Politik ist das Gegenteil und der Feind von Kunst.

Woraus entsteht Kunst? Woher kommt Ihre Inspiration?
Jonathan Meese:
Die Kunst kommt immer vom Kindsein, von dem Kind in mir. Man muss frei spielen. Ich bin sogar noch freier als ein Kind, weil ich weiß, was Unfreiheit ist. Ich bin so frei, das ist meine einzige wirkliche Qualität. Es ist aber auch angreifbar, in der heutigen Zeit so frei zu sein und zu denken. Die anderen wollen mir immer ihre Grenze zeigen und mich in ihre Klientel locken. Und ich habe da kein Interesse. Ich will, dass Deutschland von der Kunst regiert wird, dass die Parteien gehen und dass wir nur noch der Kunst dienen. Und das wird auch kommen! Die Frage ist nur, wie lange das dauert.

Welche Rolle spielt die aktuelle Krise für die Kunst?
Jonathan Meese:
Die Kunst ist unabhängig von allem, weil die Kunst das ist, was immer bleibt. Aber ich merke, als Mensch werde ich gerade immer weicher, schon fast rücksichtsvoll. Ich verflüssige mich. Und dazu stehe ich dann auch. Aber damit kommen viele Menschen um mich herum nicht klar. Sie sagen: Es sind doch harte Zeiten, da musst du hart werden.

Wenn wir von der Krise in die Zukunft blicken, was für eine Zukunft erfinden Sie für sich und für uns?
Jonathan Meese:
Na ja, wir müssen einfach mal umdenken, uns selbst hinterfragen, uns und unser Ego auf den Topf setzen. Und wirklich überprüfen, ob man noch so weitermachen will oder ob man nicht mal was Neues zulässt. Das Ganze, das wir jetzt gerade erleben, die US-Wahl z. B., das kommt und geht, das sind nur Zeiterscheinungen. Für die Kunst ist das komplett egal.

Es gibt bei vielen Menschen die große Sorge, dass ein bedeutender Teil dessen, was wir Kreativität nennen, künftig von KI übernommen wird.
Jonathan Meese:
Ich finde künstliche Intelligenz großartig. Und ich finde es ganz, ganz toll, wenn Roboter und Computer Dinge übernehmen, denn dann werden andere Spielfelder wieder frei. Wir müssen diese anderen Spielfelder nur erkennen und kennenlernen. Wir müssen uns auch da ständig überprüfen, hinterfragen und neu denken. Diese Angst vor Robotern ist doch Käse. Dieses ewige „Das muss immer so weitergehen, wir sind der Weisheit letzter Schluss, wir sind die Krone der Schöpfung“ finde ich total anmaßend und Hybris pur. Wir sind zwar ganz geil, aber wir sind nicht die Geilsten. Vielleicht kommen die ja noch. Aber vielleicht ist das Geilste wirklich dieser Supercomputer Colossus aus dem Film. Oder vielleicht ist Darth Vader der geilste Mensch, der je existiert hat.

Was ist Ihre Vorstellung einer guten Zukunft?
Jonathan Meese: Wir können doch Deutschland jetzt langsam mal zu einem Gesamtkunstwerk machen. Jetzt haben wir die Chance, einfach mal zu sagen, das war’s, das kommt ins Museum. Ich würde alle politischen Parteien ins Museum packen, alle Religionen. Neustart, Neuanfang, Nullpunkt. Einfach mal offen sein. Auch das Gegebene, von dem man immer denkt, es gilt für alle Zeiten, infrage stellen und lustig sagen: Wir haben uns geirrt bei ganz vielen Dingen, das war falsch. Aber man muss halt was riskieren. Man muss auch riskieren, als wahnsinnig zu gelten, als Spinner. Man muss auch riskieren, Freunde zu verlieren, gegen Hindernisse zu fahren, Widerstände aushalten zu müssen. Und zwar nicht nur in der Kunst, sondern überall. Also, man muss schon den Boden schaffen für etwas Neues.

Was tun Sie selbst für diese gute Zukunft?
Jonathan Meese: Ich gehe meinen Weg und mache die Dinge so, wie ich das will und wie ich das denke. Es gibt leider viele Künstler, die wollen nur die Realität illustrieren. Die gucken in die Tageszeitung und sagen: Oh, das ist ein geiles Thema, das bearbeite ich jetzt. Aber das ist falsch, denn das ist Tagespolitik. Viele Künstler wollen einfach nur die Realität noch realer machen. Das ist der größte Fehler. Das produziert so viele Opfer, das ist so zynisch. Die Kunst produziert eben keine Opfer, die werden nur gespielt. Wenn man das wirklich ernsthaft durchzieht, mit Liebe und Demut, kann man alle Kriege der Welt auf die Bühne verlagern, in den Film, in die Werbung, in das Buch. Wir müssen das Böse bearbeiten – aber in der Kunst! Wir brauchen den Superbösen bei James Bond, der nimmt uns was ab. Wir brauchen den „Tatort“, wo jemand umgebracht wird. Wir brauchen das in diesen ganzen Feldern, die eben Kunst sind. Aber nicht in der Realität. Die Realität muss mit etwas anderem bekämpft werden als mit Realität.

Vielen Dank für dieses ganz und gar nicht durchschnittliche Gespräch!

Dieses Interview erschien zuerst im TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der siebten Ausgabe unter dem Leitthema „Rethink!“. Zum E-Paper geht es hier.

Die Corona-Krise stellt derzeit viele Geschäftsbereiche vor Herausforderungen, eröffnet aber auch neue Chancen. In der ersten Live Session der Serviceplan Group zum Thema „Erfolgreich Handeln in der Corona-Krise“ stellte Verena Letzner, Geschäftsführerin von Plan.Net NEO, die Auswirkungen der Krise auf den Bereich Social Media vor. Wie die aktuelle Situation in Deutschland ist, welche Fragen sich Marken jetzt stellen sollten und warum sich ein Blick nach China lohnt, verrät die Digitalexpertin in diesem Fachbeitrag.

Die Nutzung von Social-Media-Plattformen, von Messenger- und Videoplattformen bis hin zu klassischen Social-Media-Plattformen wie Instagram, Facebook und Co. ist stark gestiegen. Aufgrund der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in Deutschland und der daraus resultierenden sozialen Isolation, nutzen Menschen das Social Web verstärkt, um sich zu informieren, zu diskutieren und mit anderen in Kontakt zu treten – auch mit Marken. Dies eröffnet Marken Handlungsfelder, um sich während der Krise nachhaltig zu positionieren. Relevant dabei ist das „Wie“: Nur Marken, die jetzt einen hilfreichen Beitrag leisten, werden Teil der Konversation und können gestärkt aus der Krise hervorgehen.

1. Die Situation der Menschen verbessern

Marken sollten im Social Web ein Angebot schaffen, das den vielen Menschen, die aktuell zuhause bleiben müssen, einen Mehrwert bietet. Marken können wichtige Lebensbereiche wie etwa Sport, Gesundheit und Bildung durch ihr Angebot unterstützen oder Alternativen schaffen für Aktivitäten, die aufgrund der Corona-Krise eingeschränkt sind oder komplett entfallen wie etwa gemeinsames Essen, Einkaufen und Pflege von sozialen Kontakten.

2. Haltung zeigen und Optimismus ausstrahlen

Aktuell ist die „Time with brands“ in einer Hochphase, das heißt, die Nutzer beschäftigen sich verstärkt mit Marken im Social Web. Für Marken gilt es, diese Zeit zu nutzen, um Werte wie Solidarität, Gemeinschaft, Fürsorge, Vertrauen und Optimismus authentisch ins Zentrum ihrer Kommunikation zu rücken und so ihr Markenkapital nachhaltig aufzustocken.

3. Von der veränderten Mediennutzung profitieren

Aufgrund des Rückzugs vieler Werbetreibender aus dem Paid-Social-Bereich, nimmt der Werbedruck aktuell ab und die Konkurrenz um Platzierungen sinkt. Deshalb kann es für Marken gerade jetzt sinnvoll sein, günstige Werbeplätze einzukaufen oder mehr Reichweite bei gleichem Budget zu erhalten.

Fünf Fragen, die sich Marken jetzt stellen sollten

Um die Potenziale im Bereich Social Media während der Corona-Krise zu nutzen, müssen sich Marken nun dringend mit der Frage nach einer erfolgversprechenden Social-Media-Strategie beschäftigen. Einen Leitfaden dafür bilden diese fünf Fragen:

  1. Welche Rolle kann Social Media im Kommunikationsmix während der Corona-Krise für meine Marke einnehmen?
  2. Wie gehe ich in Krisenzeiten mit meiner Community um?
  3. Welche Kanäle sind dabei für mich die richtigen?
  4. Wie kann ich einen Performance-orientierten Social-Media-Ansatz etablieren und mein Budget effektiv investieren?
  5. Wie messe ich meinen Erfolg – während und nach der Krisenzeit?

Ein Blick nach China – ein Blick in die Zukunft

Spannend ist sicherlich die Frage, was passiert, wenn die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland wieder gelockert werden. Dafür lohnt es sich, einen Blick nach China zu werfen, wo die Krise und ihre Auswirkungen den europäischen Ländern zeitlich voraus ist. Auch in China hat die Social-Media-Nutzung diverser Dienste und Plattformen stark zugenommen und der persönliche Austausch, der üblicherweise in den Stores stattfindet, etwa die Produkt- oder Kaufberatung, hat sich ins Social Web verlagert.

Und nach der Lockdown-Phase? In China ist die Social-Media-Nutzung unvermindert hoch. Lediglich die tägliche Nutzungszeit hat wieder leicht abgenommen. In einer Umfrage chinesischer Marketers, wie sie künftig Budgets investieren würden bzw. welche Bereiche sie nach der Krise stärker nutzen würden, gaben die meisten der Befragten den Bereich Social Media an.[1] Das zeigt, dass hier langfristig Business Opportunities gesehen werden.


[1] Dentsu Aegis Client & Leadership Survey, Feb 28 – March 02 2020

Viel wird in den letzten Jahren geredet über das Thema Mediaagenturen, und wie sie sich entwickeln und positionieren müssen. Dabei ist die Antwort im Grunde einfach: Die Mediaagentur der Zukunft ist eine Mediaagentur – keine Unternehmensberatung, kein Technologie-Startup und auch keine kreative Digitalagentur. Zwar versuchen all diese verwandten Disziplinen seit Jahren, in die Domäne der Mediaexperten einzudringen, von nachhaltigem Erfolg war dies aber bislang noch nicht gekrönt.

Beste Beispiele: Blackwood Seven oder auch SAP XM. Die beiden Anbieter, von der reinen Technologie- und Software-Seite kommend, wurden von vielen Branchenteilnehmern als Mediaagenturmodell der Zukunft gehypt. Algorithmen und Programmatic Advertising statt Menschen sollten den Lead über die Mediaetats übernehmen. Ein spannendes Experiment, doch die Revolution blieb aus. Beide Unternehmen haben sich aus der Mediaberatung inzwischen zurückgezogen. Den allumfassenden Algorithmus, der einfach alles optimieren kann, von Altkleidern über Handys, Versicherungen, Süßigkeiten bis hin zu Autos, gibt es eben nicht. Und Peta-, Exa- oder gar Zettabytes an Daten ändern nichts daran, dass zu einer guten Mediaplanung nicht nur Algorithmen, sondern auch Erfahrung gehören und Tools, die aus dieser Expertise heraus entwickelt werden.

In der (Teil-)Automatisierung liegt selbstverständlich die Zukunft. Ohne smarte Daten, KI, Programmatic Advertising, individualisierte Aussteuerung von Kreation, und Tools, die dabei mehr oder weniger selbsttätig mitarbeiten, wird keine Agentur der Zukunft, ja selbst der Gegenwart, funktionieren. Doch wer ebenso kreative wie wirksame Mediaplanung betreiben will, muss neben dem Kollegen Computer auch Menschen beschäftigen, die Kenntnisse und Erfahrungen in den unterschiedlichsten Disziplinen mitbringen. Menschen, die in der Lage sind, über die gemachten Erfahrungen hinaus zu abstrahieren und Neues zu ersinnen. Maschinen tun sich hier noch äußerst schwer, ebenso übrigens wie Agenturen, die zu sehr auf eine Disziplin fokussiert sind.

Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin wird für Mediaberater künftig unabdingbar sein. Auch weiterhin wird es Agenturen für sehr spezielle Nischen geben, genannt seien hier stellvertretend Bereiche wie Employer Branding oder E-Commerce. Die Mediazukunft gehört jedoch den Generalisten und nicht den Spezialisten; besser gesagt: Sie gehört einer Taskforce aus unterschiedlich gelagerten Spezialisten, die je nach Aufgabe und Ziel des Kunden ganz individuell zusammengestellt werden kann. Agenturmodelle wie das Haus der Kommunikation, die alle Dienstleister unter einem Dach bündeln und diese Art von Kollaboration schon seit ihrer Gründung betreiben, haben hier einen Vorteil gegenüber Unternehmen, die jetzt erst anfangen, integriert zu arbeiten. Und unabhängige Agenturen punkten gegenüber börsennotierten Network-Boliden, wenn es um Geschwindigkeit und Flexibilität geht, mit der sie auf Entwicklungen im Markt reagieren.

Flexibilität und Geschwindigkeit hinsichtlich Kundenanforderungen sind das eine, die dazu nötige Unternehmensgröße, diese auch umsetzen zu können, ist ein ebenso entscheidender Faktor, der im Markt die Spreu vom Weizen trennen wird. Die Investitionen in Manpower, technische Ausstattung und Forschung sind immens – weswegen die Tendenz kleinerer Agenturen, sofern sie nicht ihre sehr spezielle Nische gefunden haben, unter das Dach mächtigerer Partner zu schlüpfen, weiter zunehmen wird.

Zu vielfältig sind die Herausforderungen, die die Digitalisierung, die fragmentierte Medienlandschaft und die daraus resultierende individualisierte Mediennutzung an den Planer stellen. Je mehr Daten und Informationen über den Einzelnen vorliegen, desto deutlicher wird: Eine Massenkommunikation, wie wir sie von früher kennen, funktioniert nicht mehr. Ersetzt wurde sie durch massenhafte Individualkommunikation. Soziodemographien haben ausgedient. Den typischen „Mann 14 bis 49“, gibt es nicht mehr, ebenso wenig wie „Haushaltsführende“ oder die vielzitierten „Best Ager“. Die Stereotypen der Vergangenheit – Männer interessieren sich für Autos, Frauen für Kosmetik, junge Menschen sind modern und aufgeschlossen, alte traditionell und altmodisch – helfen nicht mehr weiter. Wenn wir Menschen mit identischem Alter, Wohnort, Bildung und Einkommen betrachten, ticken sie völlig unterschiedlich.

Werte sind in Zeiten von Individualisierung, leicht zugänglichen Informationen und gestiegenen Lebenserwartungen und -möglichkeiten unser Unterscheidungsmerkmal geworden. Was motiviert die Menschen? Was treibt sie an? Um diese Wertewelt zu beschreiben, die sogenannte „Value Sphere“, braucht es 360-Grad-Tools, die bestimmten Medien bestimmte Werte und Personen zuordnen können und so eine Wertelandkarte der Zielgruppe erstellen können. Und hier kommt dann wieder der Algorithmus ins Spiel. Die Mediaagentur kann beide Aspekte zusammenbringen: Daten und Zielgruppenexpertise, um daraus auf jeden Rezipienten zugeschnittene Botschaften zu kreieren.

Was nicht heißt, dass Massenmedien wie TV oder OOH per se ausgedient haben. Sie müssen nur durch individualisierte Botschaften ergänzt und wo nötig ersetzt werden. Das lässt sich nur mit entsprechenden Tools leisten – Tools wie der Brand Investor, die die Agentur der Zukunft nicht einkauft, sondern anhand ihrer Expertise und vorhandener Skills selbst entwickelt. Der Brand Investor ist das erste KI-betriebene Planungstool, das den Kommunikationsmix auf Basis von Marketing-Zielen und Zielgruppen mediaübergreifend aussteuert. Berücksichtigt werden 19 Mediengattungen – von TV über Anzeigenblätter bis hin zum Affiliate-Marketing.

Klar ist: Das Agentur-Geschäft hat sich radikal verändert. Neue Technologien eröffnen Werbetreibenden teilweise die Möglichkeit, klassische Agenturleistungen selbst abzubilden. Mit zunehmender Verbreitung von Programmatic Advertising gehen vor allen Dingen digitalaffine und große Unternehmen den Weg, die Mediaplanung inhouse zu verankern. Diese Entwicklung ist gut, denn Werbungtreibende entwickeln auf diese Weise ein besseres Verständnis für Arbeit von Agenturen. In der Praxis zeigt sich dennoch häufig, dass das strategische und in vielen Fällen auch das operative Know-how fehlt, um erfolgreich zu arbeiten. Von den Erfahrungen, die sich Agenturen aus der Gesamtsicht auf all ihre Kunden ergeben, ganz zu schweigen. Die technologische Entwicklung schreitet ganz einfach zu rasant voran, als dass man hier problemlos up to date bleiben könnte.

Wie verdienen Mediaagenturen also in Zukunft ihr Geld? Wie sieht ihr Business-Modell aus? Natürlich bleiben die Einkaufsmacht und die damit verbundenen guten Konditionen ein wichtiger Faktor. Und genau hier spielt die Automatisierung den Agenturen in die Karten, denn sie hilft, eine effizientere Mediaplanung umzusetzen. Doch wird (strategische) Beratung auch über die Media hinaus verstärkt ein weiteres Standbein werden. Werbungtreibende Unternehmen brauchen heute einen Partner, der beim Entwickeln einer zukunftsträchtigen Strategie unterstützt, die Umsetzung auf der gesamten Klaviatur der Kommunikation begleitet und später im operativen Doing bei Bedarf ebenfalls zur Seite steht. Sie benötigen maßgeschneiderte Technologien, Spezialwissen und langjährige Erfahrung. Sie benötigen Forscher und Kreative und Datenspezialisten. Sie benötigen – kurz gesagt – eine integrierte (Media-)Agentur.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei meedia.

Am 27. Juni 2017 habe ich bei der „International Roadshow 2017: China Insights“ in München vor deutschen Unternehmen eine Rede mit der Überschrift „The Future is Now“ („Die Zukunft findet heute statt“) gehalten. Ich habe über die derzeitigen sozialen und ökonomischen Ereignisse in China gesprochen, die die Zukunft beeinflussen: Konsumsteigerung, Sharing Economy, Live-Streaming und bargeldlose Lebensweise. Gleichzeitig habe ich einige der dahinterstehenden Geschäfts- und Vermarktungspotenziale vorgestellt.

Neulich habe ich unseren Finanzchef Jørg im Aufzug getroffen. Er hob eine Braue, als er mich mit ein paar Paketen von Taobao in den Händen dastehen sah, und fragte sarkastisch: „Was hast du denn jetzt schon wieder gekauft?“ Peinlicherweise konnte ich die Frage nicht beantworten, weil ich es schon wieder vergessen hatte.

Jeden Abend vor dem Einschlafen klicke ich mich zur Entspannung durch Taobao oder JingDong … und finde immer etwas Inspirierendes oder Interessantes, was ich ausprobieren möchte. Das Frauenprivileg des „Window-Shopping” hat sich zum „Pad-Shopping“ gewandelt. Ein Tag, ohne ein paar Kleinigkeiten zu kaufen, verursacht bei mir Schuldgefühle. „Es ist schon fast so wie das Schuldgefühl, nichts zur Gesellschaft beizutragen“, erklärte ich Jørg. Tatsächlich ist Online-Shopping für Chinesen zum Ritual geworden. Es geht um kaufen, kaufen, kaufen, nicht aber darum, was gekauft wird!

Verglichen mit meinen deutschen Kollegen, die ziemlich reduziert und bodenständig leben, sind unsere chinesischen Kollegen unbeständiger und abenteuerlustiger. Die Kosten, etwas Neues auszuprobieren, sind so gering, dass wir leicht „Warum nicht?“ sagen, um dann Risiken und Ungewissheiten in Möglichkeiten zu verwandeln.

Da das Land weder eine ruhmreiche industrielle Vergangenheit noch eine erfolgreiche Geschichte in Bezug auf moderne Wirtschaftsentwicklung vor der Öffnung vorzuweisen hat, können die Chinesen „mit leichtem Gepäck reisen“, einfach ins Ungewisse springen und nach Herzenslust herumprobieren. Deswegen ist Taobao beliebter als Amazon, WeChat beliebter als WhatsApp und Didi beliebter als Uber. Ein Land, das noch nicht einmal über ein richtiges Kreditsystem verfügt, ist jetzt in der Lage, das weltweit beste Online-Bezahlungssystem zu entwickeln, und sorgt dafür, dass bargeldloses Zahlen selbst in die abgelegensten Gebiete Chinas vordringt. Hausierer und Omas gleichermaßen profitieren jetzt davon.

Wir Chinesen lernen schnell und ändern uns schnell. Für ein Land, das auch „Volksrepublik der Veränderung“ genannt wird, ist die Veränderung das einzig Unveränderliche, und die Veränderung hat uns still und heimlich in die nächste „Zukunft“ geführt.

Diese „Zukunft“ findet jetzt in China statt!

Vera Yu wird auf der International Roadshow: China Insights, 27.06.2017, zeigen, wie die Chinesen ihr Leben mit mehr verfügbarem Einkommen aufwerten und wie die zukünftige Art zu leben und zu wirtschaften ein ganz neues Vermarktungspotential mobilisiert.