„Frei ist, wer nicht gebunden ist.“ Dieses Mantra besagt, dass echte Freiheit und Zufriedenheit ganz natürlich kommen, wenn wir unsere Hoffnungen nicht auf externe Entwicklungen und materiellen Besitz fixieren. Damit zeichnen wir uns im Gegensatz zu einem rein materiellen Dasein als menschliche Wesen aus.
Die Entwicklung der „Sharing Economy“ auf Basis der rapiden Umsetzung neuer Technologien nimmt bedeutenden Einfluss auf unser tägliches Leben und lässt dieses Mantra immer realistischer klingen. Was ich in Peking erlebt habe, war mein persönlicher Beweis dafür.

Der 3. November 2016 war ein genauso geschäftiger Tag, wie jeder andere. In meinem Tagesplan standen drei Besprechungen mit Kunden und ein Treffen mit Freunden. Die Orte dafür lagen kreuz und quer über die Stadt verteilt, vom sechsten Stadtring im Süden bis zum fünften Stadtring im Norden, und vom Kunstviertel 798 bis zum Dong Si Shi Tiao-Bezirk. Und das bei meinen bemitleidenswerten Fahrkünsten und den berüchtigten Staus in Peking! Der Frust war vorprogrammiert. Aber unser Büroleiter erwies sich als das Genie des Tages: Mit DER Mitfahr-App Chinas, Didi Zhuanche (滴滴专车), hatte er einen Wagen gebucht, so dass ich auf dem Weg von einem Ort zum anderen telefonieren und E-Mails beantworten konnte.

Die Themen der Besprechungen an diesem Tag waren inspirierend: In einer ging es um neue Ansätze zur gemeinsamen Nutzung von Automobilen und der Flottenverwaltung für Großunternehmen, bei der nächsten sprachen wir über die gemeinsame Nutzung von Finanzdaten für transparentere Bonitätsprüfungen, die einen schnelleren Kreditzugang möglich machen sollen, und in der dritten Besprechung ging es um die Optimierung der Benutzererfahrung beim Car-Sharing.

Zwischendurch gab es einen kleinen Happen in einem Restaurant, das von der beliebten Restaurantbewertungs- und Gruppenkauf-App Dianping (点评) empfohlen wurde. Nachdem die Besprechungen endlich alle bewältigt waren, traf ich mich mit Freunden in einem Hutong für ein entspanntes Abendessen. Um unserem Freund aus Übersee – Karl Krainer, dem Vordenker der GEDANKENFABRIK – etwas Besonderes zu bieten, hatten wir über einen lokalen Wettbewerber von Airbnb, Xiaozhu.com (小猪短租), einen privaten Raum gemietet. Den gut aussehenden Koch hatten wir über die private Koch-Plattform „Good Chef“ (好厨师) ausgewählt. Er hatte mit den Zutaten, die er selbst mitgebrachte, bereits zu kochen begonnen. Und so konnten vielbeschäftigte Freunde ganz ohne Stress zusammenkommen, um gemeinsam eine schöne Zeit mit Gesprächen und einem Drink zu verbringen.

Während des Abendessens lernten wir eine andere Gruppe aus Xiangtan in der Provinz Hunan kennen, die im Stockwerk über uns übernachteten. Sie hatten den Raum auch über Xiaozhu.com gemietet.  Sie waren von unserem Austausch mit dem Koch und den interessanten Gesichtern meine „Laowai“-Freunde fasziniert und suchten das Gespräch mit uns. Später forderten sie uns auf, Mah-Jongg mit ihnen zu spielen. Schnell hatten wir zehn Partien gespielt und zufällig zusammengewürfelte Menschen amüsierten sich großartig zusammen. Sie teilten natürlich Fotos von diesem unvergesslichen Abend und seinem Gewinner mit ihren Freunden zu Hause über die Super-App „WeChat“, die Facebook, Twitter und WhatsApp zusammenführt.

Die Aktivitäten des gesamten Abends wurden über die Livestream-Plattform Yizhibo (一直) verbreitet. Ich verstehe nach wie vor nicht wirklich, warum, aber dieser Stream hat ohne jede Werbung oder Ankündigung 200 Seitenabrufe und 14 Likes gesammelt. Nicht schlecht!

Auf dem Weg nach Hause fiel mir auf, dass ich den ganzen Tag lang kein Bargeld ausgegeben hatte. Bezahlt hatte ich mit meinen mobilen Zahlungskonten von WeChat Pay oder Alipay. Das machte mich nachdenklich: Muss ich wirklich ein Auto, ein Haus, zehn unterschiedliche Kochgeräte, 20 Schuhpaare, 50 Outfits und 1000 Bücher besitzen? Wären nicht zwei volle Koffer ausreichend, um den Rest meines Lebens zu gestalten? Meine Antwort lautet: Ja! Vor zehn Jahren wäre es eventuell noch schwierig gewesen, aber heute ist es möglich.

In der alten industriell geprägten Gesellschaft waren Produktivität und das Eigentum von Ausgangs- und Rohstoffen entscheidend, um Erfolg zu haben. In der Informationsgesellschaft von heute haben wir jedoch mithilfe technologischer Lösungen unsere Effizienz gesteigert und die Ressourcenverteilung optimiert. Dadurch werden individuelle und präventive Lösungen möglich.  Und deshalb müssen wir nicht mehr so viel privates Eigentum anhäufen und können mehr Ressourcen und Grundstoffe für ein besseres Leben nutzen. Dank der „Sharing Economy“ sind wir der wirklichen Freiheit einen Schritt näher gekommen.

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