Glück, Fiktion, Design: Dreißig Gedanken zum Zukunftsmanagement, die Sie vielleicht überraschen werden

Mit welchen Strategien bin ich auch morgen am Markt erfolgreich? Nie war es schwieriger als in diesen Zeiten beständigen Wandels, Antworten auf diese Frage zu finden. Marketingexperte Prof. Dr. Christian Blümelhuber skizziert Wege, wie man die Zukunft managen kann, ohne sie zu kennen.

Alles Zukunft, oder was?

Sie zieht ein (Siemens) und sie gehört uns allen (Opel). Wir sollen sie schreiben (Nike) und „shapen“ (Innogy), sie suchen (Jeff Parker) und sozialisieren („Nobbi“ Blüm), erfinden und erinnern: So viel Zukunft war wohl noch nie. Sie ist überall, es gibt kein Entkommen. Folgerichtig kultivieren Unternehmen ihre Zukunftsbereitschaft und Zukunftsfähigkeit. Sie geben „alles“, um ja keine Zukunftstechnologie zu verpassen und bereit zu sein für die Märkte der Zukunft.

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Jedes Handeln und Entscheiden, jedes Strategisieren und Experimentieren ist ohne Zukunftsbezug undenkbar. Wie schön, wie effektiv und effizient wäre es da, die Zukunft zu kennen, ein Orakel über das Morgen befragen zu können oder einfach die Fährte von Trends aufzunehmen, um Risiken zu minimieren und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu erhöhen. Denn gerade wenn Unsicherheiten zunehmen, wenn die Zukunft immer unschärfer, unberechenbarer und ungewisser erscheint, gewinnen kompensatorische Sicherheiten an Wert. Deswegen versucht ein Zukunftsmanagement klassischen Zuschnitts, schwache Signale und sonstige Zukunftsindikatoren zu verarbeiten, die Zukunft zu prognostizieren und den Effekt von Überraschungen durch eine disziplinierende Bürokratie zu minimieren.

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Wenn unsere flüchtigen Zeiten, so wie sie Zygmunt Bauman beschrieben hat, aber immer schnelleren und sprunghafteren Veränderungen unterworfen sind, verkommen langfristige Prognosen, die in Zeiten der soliden Moderne noch angemessen erschienen, zur bloßen Leerformel. Die Unübersichtlichkeit des Vorläufigen, des Fließenden und Riskanten führt bewährte Erklärungsmodelle und Entscheidungslogiken an ihre Grenzen.

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An ihre Grenzen stoßen auch Trendscouts und Futurologen, die als Nachfahren der biblischen Propheten eine klare Sicht auf das Morgen kommunizieren und ihren Kunden versprechen, den Schleier der Zukunft zu lüften. Das Kernproblem der Trend- und Zukunftsforschung ist m. E. die mit ihr verbundene falsche – überhöhte! – Erwartung, oder schärfer formuliert: die Rezeption ihrer Ergebnisse als zukünftige Gegenwart. Denn selbst die präzisesten Vorhersagen sind, auch und gerade dann, wenn mit immer feinerem mathematischem Besteck Vergangenheitsdaten extrapoliert werden, immer nur … Fiktionen.

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Fiktionen sind bunt und laut, ansteckend und provozierend. Denken Sie nur an Ihre Lieblingsserie oder an den „Unendlichen Spaß“ von David Foster Wallace. Im Gegensatz zur komplexen Serie fokussieren manche Zukunftsrepräsentationen aber lediglich auf nur eine (oder einige wenige) Variable(n) und wirken bzw. sind deswegen, auch wenn die sauber aneinandergereihten Datenpunkte durchaus eine appellative Wucht entfalten können, etwas unterkomplex. Natürlich wird sich die Zukunft nicht als Datenpunkt entfalten, sondern eher als eine Art Landschaft, die technische mit soziokulturellen und institutionellen Faktoren verlinkt, die in komplexen Interaktionen von Präferenzen und Ressourcen, von formellen und informellen Regeln, Normen und Gewohnheiten, von unterschiedlichen Zeichen, Sprechweisen und Bedeutungssystemen entsteht. Um über die Zukunft (bzw. die Strategien, die eine Zukunft hervorbringen) entscheiden zu können, sollte sie deswegen auch als mehrdimensionaler Raum erfahrbar sein, quasi als Landschaft, in der (auf Vorrat) gehandelt und entschieden wird. Als geeignetes Medium hierfür empfehle ich das Spiel (siehe Punkt 18 f.).

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Spiele machen nicht nur Spaß, sie bieten vor allem auch die Möglichkeit zu glänzen. Im Spiel kann man sich beweisen – und Zukunft gestalten. Und zwar in Form von Strategien. Folgerichtig sind es die Strategen, die in Unternehmen die Autorenschaft über die Zukunft übernehmen und die Pfade schlagen, die uns in die (unbekannte) Zukunft führen.
Wie man nun die Zukunft managen kann, wenn man die Zukunft nicht kennen kann, davon handeln die folgenden drei Vorschläge, die Sie dabei unterstützen sollen, die Strategiefähigkeit Ihrer Organisation zu erhöhen. Probieren Sie es aus und fordern Sie die Routinen eines prognosebasierten Zukunftsmanagements heraus; ersetzen Sie Ihre Planung durch ein bisschen Spielerei – und nutzen Sie die Fadesse Ihres Erfolgsprogramms!

Vorschlag 1
Luck Management

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Philip Kotler, der Superstar des Marketings, hat einen Pfad vorgezeichnet und uns mit APIC (Anaylsis, Planning, Implementation, Control) ein quasi mythisches Konzept des Managements geschenkt. Dass dabei das „P“ besonders großgeschrieben wird, versteht sich von selbst. Alles erfolgt nach Plan: die Kommunikation, das Design, die Strategie, das Produkt, seine exakte Nutzung. Nichts wird dem Zufall überlassen, wirklich gar nichts.

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Mit dieser Idee erinnert uns Kotler an die Zeit der verlässlichen Routinen, der gemächlichen Veränderungen, der berechenbaren Zukunft, der relativen Langlebigkeit, der nachhaltigenWettbewerbsvorteile. Aber das ist, wie wir alle tagtäglich erleben, vorbei. Geschichte.

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Um trotzdem handlungs- und zukunftsfähig bleiben zu können, brauchen Unternehmen, so (m)ein Vorschlag, mehr Glück! Glücklich, wer über Glücksstrategien, wer über ein Luck Management verfügt.

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Auf den Zufall zu setzen, auf ihn zu vertrauen, ist freilich eine Zumutung. Entzieht er sich doch unserer (persönlichen und organisationalen) Kontrolle und gilt deswegen als die dunkle Seite der Strategie. Eine faire Bilanzierung erkennt aber auch, dass Post-its, Viagra und Ryanair, um nur einige zu nennen, Launen des Zufalls waren. Dass glückliche Umstände – wie die Prohibition im Falle Boeings oder eine wilde Prügelei unter Betrunkenen in der Nacht vor Mel Gibsons Audition für die Rolle des „Mad Max“ – Erfolgsgeschichten erst ermöglichen. Kein Wunder, dass immer mehr Unternehmensgründer und General Manager (ganz im Gegensatz übrigens zu „Middle Managern“ oder Angestellten im Lower Management) auf die Frage nach den Ursachen ihres Erfolges, mit einem simplen „Wir hatten einfach Glück“ antworten. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn das Glück muss/kann man sich hart erarbeiten: „Luck is a qualification“ heißt es beispielsweise im Manifest für Wikinger-Strategen: Qualifizieren Sie sich und integrieren Sie ein Management des Zufalls in Ihre organisationalen Zukunfts- und Strategiekalküle – statistisch betrachtet, ist es recht einfach, die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Zufall zu erhöhen: Vermehren Sie die Gelegenheiten, in denen er Sie treffen kann.

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Ein kleiner Exkurs: Der Birkenspanner ist ein Nachtfalter, dessen Flügel aussehen wie Birkenrinde. Diese Ästhetik sichert dem Biston betularia sein Überleben. Als sich im 19. Jahrhundert die Luft mit Ruß aus Fabrikschloten füllte, hatten „plötzlich“ schwarze Birkenspanner Konjunktur. Die Spezies passte sich nicht im langsamen Evolutionstempo an, sondern ad hoc. Darwinistisch gesprochen eine Exaptation: eine spontane, kreative Anpassung.

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Was dem schwarzen Birkenspanner gelang, das erreichen im Management die strategischen Experimente. Als sogenannte Sperm Strategies setzen sie nicht alles auf eine Karte, sondern investieren in Vielfalt und Flexibilität und verfolgen mehrere Strategien parallel. Welche der Strategie-Optionen sich schließlich durchsetzen, das entscheidet kein Planungskomitee in einem schummrigen Politbüro, das entscheidet der Markt (oder der Kontext, wie im Fall unseres gebirkten Falters). Schwergewichte wie Google, Apple, Virgin und die „Jute Bäckerei“ bei mir um die Ecke vertrauen auf dieses Erfolgsrezept. Sie platzieren „bets“, wetten auf unterschiedliche Zukünfte und akzeptieren, dass jedem Strategieversuch das Label ‚möglich‘ anhaftet, dass jede Option nur ein ‚Vielleicht‘ ist, eine Hypothese, ein potenzieller Erfolg, aber auch ein mögliches Scheitern.

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Für diese Variante des Luck Managements formulieren wir den Imperativ mit Eric Beinhocker: Managen Sie parallele Strategien und investieren Sie in ein Portfolio an Experimenten – unterstützen Sie die Gewinner und verabschieden Sie sich von den Verlierern.

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Eine zweite Aufgabe des Luck Managements formulieren Katja Ebstein und ihr Texter Günter Loose. Im Schlüsselwerk des deutschen Glamrock-Schlagers bringen sie das der chinesischen Strategiekunst entlehnte Konzept des Situationspotenzials folgendermaßen auf den Punkt:

„Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehn. Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehn.“

Die Aufforderung, günstige Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen, wird vor allem denjenigen gelingen, die vorbereitet sind (preparedness) und schon auf Vorrat gedacht, gestrategized und gehandelt haben. Denn sie kultivieren die Kernressource des Zukunftsmanagements.

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Das Future Memory. Darunter versteht man konkrete Zukunftsvorstellungen, die sich schon heute in Gedächtnisse einschreiben und so Andockstellen für zukünftige Ideen, Innovationen und Interpretationen schaffen. Was dabei entsteht, sind prepared Minds und ein erleichterter Umgang mit Wissenspartikeln, Innovationen und Zufälligkeiten, die aufgrund ihrer Erstmaligkeit noch nicht in mentale Netze eingewoben sind, deswegen übersehen werden oder ungenutzt blieben. Das Future Memory bereitet Akteure auf überraschende, fremde oder unbequeme Informationen vor und holt diese in den Bereich des Möglichen und Akzeptierbaren. Wenn sie (also die angesprochenen Akteure) sich in einer konkreten Handlungssituation bspw. an eine bereits erlebte Zukunft erinnern, so erhöht das nicht nur ihre Reaktionsgeschwindigkeit auf neue Umweltparameter, sondern auch die Qualität ihrer Reaktion.

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Spiele (Punkt 18 f.) liefern die Kontexte für kreative Anpassungen (Punkt 20) wie die des Birkenspanners (Punkt 10): Im Spiel lässt sich die Zukunft erleben und gestalten. Sie müssen (und sollten) nicht warten, bis Sie im Ruß der Fabriken Ihrer Wettbewerber nichts mehr sehen und real unter Druck geraten – im Spiel lassen sich Exaptationen als Vorrat anlegen. Wenn die Zukunft ungewiss ist, kann sich ein Zukunftsmanagement nicht (nur) darum drehen, Reaktionsmuster einzuüben. Sie benötigen Fiktionen, die Sie inspirieren und herausfordern, sich im Voraus mit einer Bandbreite von möglichen Strategien einzudecken.

Vorschlag 2:
Management by Fictions

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Egal, ob wir fantasieren, zeichnen oder interpretieren, ob wir rechnen, modellieren oder gar extrapolieren: Die zukünftige Realität werden wir so nicht einfangen. Dennoch haben Zukunftsinstrumente eine wichtige Funktion. Sie liefern produktive Fiktionen (Punkt 3).

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Fiktionen erzählt man (weiter): Das ist das lukrative Geschäft der Trendgurus, der Orakel und Science-Fiction-Autoren. Sie zu spielen, das ist unser Geschäft. Das Geschäft der Strategen. Das Geschäft des Zukunftsmanagements. Denn im Spielen entstehen im Schnittfeld von überwältigenden Ideen und realen Ressourcen Möglichkeiten: Möglichkeiten, die kein Zukunftserzähler wissen kann, weil sie erst im Kontakt mit den Bedingungen zum Vorschein kommen und daher nicht nur bloße Erzählungen, sondern reale Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sind, die sich bereits in der Gegenwart umsetzen lassen.

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Ein (Voraus-)Spielen der Zukunft ist daher auch keine Form der Simulation, sondern eine ergebnisoffene Versuchsanordnung im Modus von What if. Wir greifen voraus, ohne die Zukunft vorhersagen zu wollen, laufen keinen Prognosen hinterher, sondern versuchen dem Spiel die Ressourcen zu entlocken, die die Zukunfts-, man könnte auch sagen die Strategiefähigkeit eines Unternehmens sicherstellen. Konzeptionell setzt dieser Vorschlag am sogenannten Resource-based View der Strategielehre an und bringt die einzigartigen, schwer imitierbaren Ressourcen eines Unternehmens in Stellung, um (zukünftige) Wettbewerbsvorteile zu sichern. Wir suchen also nach den strategischen Ressourcen, die dem – bzw. Ihrem – Unternehmen auch in ungewissen Zeiten Zukunftserfolge versprechen, ganz egal, wie sich die zukünftige Gegenwart konkret ausgestaltet (Punkt 26).

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Hierzu haben wir eine Methode entwickelt – wir nennen sie Gooling (siehe Erklärung rechts) – die beide Spielhaltungen, Paidia und Ludus, in einem Experimentalprogramm vereint. Die Freude am spielerischen, kreativen, ja, übermütigen Handeln genauso wie die Disziplinierung durch Regeln bzw. die Logik der Steigerung.

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Auch im Spiel können Zukünfte nicht vorhergesagt werden: Das Als-ob der Fiktion ermöglicht aber, dass wir mit alternativen Realitäten (oder anders formuliert: mit fiktiven Zukunftslandschaften, Punkt 4) spielen, und das Unternehmen so in unterschiedlichen Kontexten (Zukünften) platzieren können. In Welten, in denen andere Regeln herrschen als in der heutigen, die Trends ins Extrem steigern oder Vertrautes einfach abschaffen. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt – wir reisen in die Extreme Democracy, auf Robotinis oder nach Hypersensibirien.

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Der Clou ist, dass die konkreten Fiktionen/Zukünfte nicht für die Effektivität des Spiels ausschlaggebend sind. Ob sie mehr oder weniger wahrscheinlich sind, ist im Spiel nicht entscheidend. Sie sollten sich nur gezielt von den heutigen Annahmen distanzieren und deutliche Unterschiede zum Jetzt markieren, sodass die Spieler mit ausreichend Überraschungen und Störungen versorgt werden, um auf ihrer (mentalen Zeit-)Reise aus der Komfortzone herausgerissen zu werden. So können kreative Lösungen gefunden und und erprobt werden, die nicht von der Wahrscheinlichkeit unserer Prognosen abhängig sind, sondern die Wahrscheinlichkeit des glücklichen Zufalls maximieren (Punkt 8 f.). Und nein, Gooling ist trotz allem kein Glücksspiel! Es handelt sich um komplexe Landschaften (Punkt 4), die analytische, strategische und kreative Aspekte des Zukunftsmanagements verbinden.

Vorschlag 3:
Design-Management

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In unserer Kultur werden Spieler und Scouts, Abenteurer, Pioniere und Innovatoren mehr verehrt als Beamte, Händler, Versicherungsmathematiker und Manager im ‚mittleren Dienst‘. Kreativ zu sein, zu basteln und zu hacken, ist tief in die Logik unserer Lebensführung eingesickert und wird sozial erwartet. Gleiches gilt für den Drang zu handeln, für unbedingte Flexibilität und den Mut, jetzt sofort eine Entscheidung zu treffen (und zu vertreten), auch wenn Informationsdefizite die Entscheidung noch aufschieben sollten. Wer sich den Kreativitäts- und Zukunftsimperativen verschließt, wer durchatmet und mit seiner Entscheidung so lange wartet wie irgendwie möglich, der wirkt aus der Zeit gefallen, langweilig, altbacken. Andererseits sind Institutionen (Unternehmen und Marken) aber deswegen erfolgreich, weil sie Kontinuität versprechen, Wiedererkennungswert haben und sich nicht von jeder Mode beeindrucken lassen. Weil sie auf die Unruhe der Zeit mit kompensatorischer Stabilität reagieren und dadurch nervösen, aktionistischen und hyperbeschleunigten Märkten einen Stempel aufdrücken können, der sich so leicht nicht wieder abwaschen lässt.

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Der Zukunft offen(siv) zu begegnen, bedeutet also nicht, dass man sich ihr unterwirft, dass man auf den Beschleunigungsdruck, auf hysterische Moden und geschrumpfte Zeitspannen, die zum Auskosten von Weltoptionen zu Verfügung stehen, mit immer kürzeren Anpassungszyklen antwortet. Der Zukunft offen(siv) zu begegnen bedeutet, dass man sie entwirft. Dass man sie designt. Dass man – auch mal mit schmerzlicher Geduld – vormacht, was auch noch sein könnte, statt immer nur und überall mitzumachen.

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Design bedeutet, die Welt nicht nur für unser Auge, sondern auch für unseren Geist attraktiver zu machen. Eine organisationale Gestaltung setzt deswegen am Konzeptionellen an, und das bedeutet in unserem Fall: an einer Balance von Anpassung/Veränderung und Stabilität bzw. Ordnung. Von Zeit zu Zeit müssen Unternehmen in alle möglichen Richtungen losstürmen, um sich ihre Zukunftsfähigkeit zu bewahren (Punkt 11 f.). Gleichzeitig brauchen sie Ruhepausen, um Ordnung in das Chaos zu bekommen und die smarte Macht des Vertrauten auszuspielen.

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Organisationen brauchen also (auch) eine gewisse Fadesse. Sie brauchen Akteure, die sich darum kümmern, dass Prozesse und Projekte on time und on budget erledigt werden. Akteure, die dem Mantra der Flexibilität und Agilität gelassen gegenüberstehen und in der Kunst des klugen Abwartens und Lauerns (auf die gute Gelegenheit nämlich, Punkt 13) geübt sind. Und zusätzlich brauchen Organisationen Ideen und Programme, die Prämissen setzen, die dem nächsten Hype widerstehen und als Basis-Code der Zukunft das Unternehmen stabilisieren.

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Sie bezeichne ich als das strategische Fundament eines Unternehmens. Leider zeigt die Erfahrung, dass viele Unternehmen ihr Fundament gar nicht kennen. Ihnen empfehle ich, Texte und Datensätze, wie sie bspw. in Zukunftsspielen (Punkt 19) entstehen, übereinanderzulegen, um nicht nur Veränderungs-, sondern vor allem auch Stabilisierungsmuster sichtbar zu machen. Darin erkennt man die Seele des Geschäfts. Eben das strategische Fundament, das aus einigen wenigen Praktiken und Ressourcen besteht, die unabhängig von veränderten Rahmenbedingungen und Zukünften erfolgsentscheidend sind (und bleiben werden) und daher als stabiler Kern das organisationale Design des Unternehmens definieren. Das Fundament muss gepflegt und kultiviert werden. Und es braucht Zeit, um zu reifen. Handeln bedeutet in diesem Zusammenhang auch einmal Nicht-Handeln. Sich unbeeindruckt zeigen von den Verführungen des technologischen und kulturellen Wandels. Darauf vertrauen, dass aus der sicheren Basis heraus, resiliente Strukturen des Zukunftsmanagements möglich werden.

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Einerseits also der Glamour der Moden, Hypes und Zukunftsbilder und andererseits die produktive Fadesse einer unaufgeregten, auf das Prinzip der Wiederholung vertrauenden Designstrategie des stabilen Fundaments. Diese Pole bestimmen nicht nur das Feld, in dem Strategen in die Zukunft navigieren, sondern auch die Arena, in der Stakeholder die Legitimität des Unternehmens verhandeln: Manche haben ein Faible für Sicherheit, Gewissheit und klare Ansagen. Andere fordern dazu auf, die Zukunftsfrage zu klären, auf die großen Megatrends zu reagieren und endlich agiler zu werden.

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Unternehmen müssen sich zunehmend mit solchen paradoxen Anforderungen auseinandersetzen. Sowohl kreatives Chaos als auch Ordnung organisieren. Flexibel sein und stabil. Improvisieren, aber auch strikten Anweisungen folgen. Die Erwartungen der sich verändernden Umwelt erfüllen, aber auch die Effizienzerfordernisse der Organisation. Beide Seiten wirksam werden zu lassen, das ist die Kunst des Managements. Dass dazu auch ein dosierter Einsatz produktiver Heuchelei zählt, ist offensichtlich.

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Weniger offensichtlich ist aber diese Kernaufgabe des Zukunftsdesigns. Nämlich die Rückeroberung der Zeitlichkeit. Das bedeutet, nicht (nur) in Quartalen oder Planungszeiträumen zu denken, sondern in Fiktionen (Punkt 16). Sich den Launen der Zeit nicht auszuliefern, sondern die Zeitlichkeit auch mal ausschalten und Teile der Organisation auf Stabilität programmieren zu können. Und sich trotzdem die Flexibilität zu erarbeiten, die Wunder (Punkt 13) zulässt.

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Anstelle einer Zusammenfassung gehört der letzte Gedanke natürlich Ihnen. Wie werden Sie die Zukunft gestalten?


Literatur:
Zygmunt Bauman, Flüchtige Zeiten, Hamburger Edition, 2008
Eric Beinhocker, The Origin of Wealth, Harvard Business Review Press, 2007
Friedrich von Borries, Weltentwerfen, Suhrkamp 2016
Thomas Düllo et al. (Hrsg), Texturen Nr. 2: Spielen, UdK Verlag 2015
Elena Esposito, Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität, Suhrkamp 2007
Gilles Lipovetsky, De la légèreté, Grasset & Fasquelle 2015
Franz Liebl & Thomas Düllo, Strategie als Kultivierung, Logos 2015
Konrad Paul Liessmann, Zukunft kommt!, Styria 2007
Ethan Mollick, People and Processes, Suites and Innovators, Strategic Management Journal, 33/2012
Steve Strid & Claes Andreasson, The Viking Manifesto, Cyan 2007
David Foster Wallace, Unendlicher Spaß, Kiepenheuer & Witsch 2009
www.goolin.studio

Beispiel für Spiele/Spielbretter:
Versicherung 2030 (© Daniela Kuka (Goolin Pre:experience Studio) & Christian Bluemelhuber)
Future Customer Journey (© Daniela Kuka (Goolin Pre:experience Studio) & Good School

Foto: Prof. Christian Blümelhuber

Prof. Dr. Christian Blümelhuber

Professor für Strategische Organisationskommunikation an der Universität der Künste in Berlin (Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation)

Prof. Dr. Christian Blümelhuber lehrt als Professor für Strategische Organisationskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Zuvor hatte er viele Jahre den InBev-Baillet-Latour-Lehrstuhl für Euromarketing inne und war Professor an der Solvay Business School der Université Libre de Bruxelles. Er forscht(e) und lehrt(e) an Universitäten in Europa (München, Brüssel), Asien (Ho Chi Minh City, Seoul) und den USA (Virginia Tech) und gründete das European Marketing and Sales Lab. Seine Forschungsarbeiten umfassen Markenmanagement, Kommunikation und Glücksstrategien im Management. Darüber hinaus entwickelt der gebürtige Münchner Marken- und Forschungstools und individuelle Spielformate. Christian unterstützt mittelständische Unternehmen ebenso wie Großkonzerne auf ihrem Weg zu erfolgreicher Kommunikation und effizientem Marketing. Der hoch angesehene Akademiker versteht sich als „Übersetzer“ zwischen den beiden Welten Wissenschaft und Praxis und präsentiert aktuelle und relevante Forschungsergebnisse prinzipiell auf anschauliche und spannende Art und Weise. Dabei greift er nicht nur auf den bestehenden Marketing-Werkzeugkasten zurück, sondern erarbeitet eigene Konzepte, in denen er anerkannte Theorien mit eigenen Forschungsarbeiten verknüpft. Das Ziel sind originelle, dabei stets seriös fundierte Ideen.

Rhetorisch brillant und höchst inspirierend – beim Best Brands College 2017 begeisterte Prof. Christian Blümelhuber das Publikum mit seinem Vortrag zum Thema „Future Management – Zukunft kann man nicht planen, man kann sie nur spielen!“

Gooling

Gooling heißt, unter unsicheren Bedingungen strategisch und kreativ zu denken, zu interagieren und zu handeln, um unternehmerische, soziale und kommunikative Herausforderungen der Zukunft zu managen, Innovationen zu kultivieren und Neues zu gestalten.

Ein Gool kreuzt logisch-strukturierende (Ludus) und explorativ-spontane (Paidia) Werkzeuge (also Tools) zu einem Spiel (Game), das die Ressourcen Glück, Fiktion und Design in das Zukunftsmanagement einführt, ohne die Rahmenbedingungen der (spielenden) Organisation zu vernachlässigen. Gools nehmen die Offenheit von Zukunft überaus ernst, jedoch ohne Chaos anzurichten!

Anders als (die meisten) Tools sind Gools nicht darauf aus, schon Bekanntes schneller, besser und effizienter zu machen, sondern neue Problemzugänge und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen und in der Gegenwart nutzbar zu machen. Und anders als (die meisten) Games geben sie auch keine von einem Designer in ihren Strukturen, Parametern und Variablen schon durchdeklinierten Welten vor, in denen nur noch der Spieler der Unwissende ist und anhand der designten Regeln und Aufgaben Schritt um Schritt zum (Auch-)Wissenden wird. Wenn es um die Zukunft geht, sind wir alle Nichtwissende. Wir und Sie müssen daher zu Co-Autoren des Spiels Zukunft werden.

Ganz ohne Regeln und Inhalte geht es natürlich trotzdem nicht. Das ist unsere Aufgabe: Auszuloten, in welchem Setting die spezifischen Vorbedingungen einer Organisation und fiktionale Zukünfte auf überraschende Weise so zusammengebracht werden können, dass Ressourcen auf Vorrat entstehen. In der Praxis funktioniert das, Sie ahnen es, in drei Schritten:

Zuerst wird eine Organisation als Spiel – als Brettspiel – modelliert: das Geschäftsmodell, die Kernressourcen, -prozesse und -praktiken, die Produkte, Markenwerte und Touch Points. Dadurch wird die Essenz einer Organisation zugänglich und aus verschiedenen Blickwinkeln beobachtbar.

Im zweiten Schritt kommt die Zukunft, nein, kommen Zukünfte ins Spiel. Und zwar in Form von produktiven Fiktionen, die neue Umwelten bilden – provokative Veränderungskontexte, Unterschiedswelten in Serie, Exaptations-Anlässe. Es passiert, was in konventionellen Spielen normalerweise nicht passiert: Das Spiel der Organisation (1) kann nicht weitergehen, wie man es kennt. Irgendwo muss an Stellschrauben gedreht werden – am Geschäftsmodell, an den Kernressourcen, -prozessen und -praktiken, den Produkten, Markenwerten oder Touch Points. Das schaffen wir durch experimentelles Handeln auf Probe. Neue organisationale Realitäten manifestieren sich dabei in Form von konkreten Erlebnissen, Geschichten, Konzepten und Artefakten – nicht als abstrakte Datenwolken oder Future Buzzwords.

Im dritten Schritt werden die Ergebnisse verschiedener Spielrunden (die Episoden einer Serie) übereinandergelegt. Veränderungspotenziale, aber auch Resistenzen werden sichtbar. Es entsteht ein Fundus überraschender Ideen und Möglichkeiten. Noch nie kam dabei übrigens heraus, dass alles anders werden muss – im Gegenteil: Sie werden nicht nur vom Neuen, sondern auch von den Schätzen, die Sie schon haben, überrascht. Das Spiel regt die Spieler nun zum Handeln und Erzählen an.

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