Kunstgeschichten

Kampagnen und Kunstwerke stellen nicht nur eine kreative Leistung dar, beide erzählen immer auch eine Geschichte. Dr. Peter Haller hat die mal schillernden, mal skurrilen und manchmal auch traurigen Storys einiger bedeutender Kunstwerke zusammengetragen.

Mit berühmten Kunstwerken ist es wie mit bekannten Kampagnen: Sie erzählen eine Geschichte.

Bei der Werbung kurz und knapp, bevorzugt witzig, zwar intellektuell überschaubar – aber nicht eben leicht zu erfinden. Einerseits, weil Storytelling in der Werbung so kurz sein muss, andererseits, weil auch noch das Produkt oder die Marke eine wichtige Rolle spielen sollten. Große Filmemacher wie Federico Fellini haben immer wieder in Drehpausen zwischen zwei Spielfilmen bei TV-Spots Regie geführt, z. B. für Campari. „Nirgendwo anders lernt man mehr Disziplin und Konzentration als in der Werbung, wo man in nur 30 bis 40 Sekunden eine Story verständlich darstellen muss“, sagte Fellini einmal.

In den Geschichten über berühmte Kunstwerke geht es dagegen um den Künstler, seine Persönlichkeit, seine Erlebnisse, das Umfeld und den Zeitgeist, die ein Bild oder eine Skulptur geprägt haben. Um mehr Content also, aber auch mit mehr Raum zum Erzählen.

Einige Kostproben:

DAS BERÜHMTESTE BILD DER WELT

Was wollte uns Leonardo da Vinci mit dem berühmtesten Bild der Kunstgeschichte mitteilen, mit seiner „Mona Lisa“? Roberto Zapperi, der bekannteste Renaissance-Forscher Italiens, hat vor einigen Jahren in detektivischer Akribie eine ganz andere als die gängige Geschichte der Mona Lisa aufgedeckt:

Franz I., wehrhafter französischer König, hatte Leonardo in dessen letzten Lebensjahren an seinen Hof verpflichtet. Dort besuchte ihn Luigi d‘Aragona, ein römischer Kardinal. Dieser hatte, wie damals üblich, einen Sekretär dabei, der über jede Begegnung Protokoll führte. So auch über das Gespräch mit Leonardo, als dieser anno 1517 dem Kardinal drei Bilder erklärte, darunter auch die Mona Lisa. Leonardo, so die Aufzeichnungen, erzählte, dass er das Original des Bildnisses der Mona Lisa seinem langjährigen Ateliersgehilfen Salai geschenkt habe, als er selbst seinerzeit von Florenz nach Mailand zu Ludovico Sforza umzog.

Auftraggeber der Zweitausfertigung war – so Leonardo – Giuliano de’ Medici, der ihn 1503 gebeten hatte, für seinen unehelichen Sohn Ippolito ein Bild von dessen verstorbener Mutter zu malen, die der Junge sehr vermisste. Da Leonardo die Mutter aber nie gesehen hatte, malte er eben ein weiteres Mal Mona Lisa, die ihm leicht von der Hand ging und die den Betrachter gütig lächelnd aus dem Bild ansieht. Die Mona Lisa des Louvre ist also eine Kopie – zwar von Leonardo gemacht, aber eben nicht die Erstfassung.

Am 21. Januar 2017 hat der TV-Sender ARTE ein spektakuläres weiterführendes Ergebnis der Leonardo-Forschung veröffentlicht: Ein junger Kunsthistoriker, Andrew Graham-Dixon, hat zusammen mit dem französischen Forscher Pascal Cotte mittels dessen revolutionärer Kameratechnik entdeckt, dass unter dem Bild im Louvre, so wie wir es kennen, ein zweites Mona-Lisa-Bild verborgen war – und dieses rekonstruiert. Es sieht der bekannten Mona Lisa des Louvre täuschend ähnlich, wirkt jedoch jünger, frischer und auch schlanker. Die neu entdeckte Dame ist attraktiver, viel farbenfroher und modischer angezogen. Die uns allen bekannte Mona Lisa wirkt dagegen etwas älter, hat ein volleres Gesicht, gibt sich abgeklärt und gütig – eben mütterlich, was ja von Giuliano de‘ Medici auch so beauftragt war.

Man darf vermuten, dass die neu entdeckte Mona Lisa dem Original näher kommt als die Mona Lisa des Louvre. Das Original bleibt verschollen. Der Mythos lebt.

DIE VERWANDLUNG

Jesus’ angeblich erstes Wunder ist die Verwandlung von Wasser in Wein. Anlass: die Hochzeit zu Kana.

Die reichen und kunstsinnigen Benediktiner auf der Klosterinsel San Giorgio Maggiore hatten um 1560 den Stararchitekten Andrea Palladio beauftragt, ihr Kloster im seinerzeit modernen antikisierenden Stil der Renaissance umzubauen. Für das imponierende Refektorium wollte der Abt zudem ein wandfüllendes Bild: 6,70 Meter auf 9,90 Meter, also fast 70 Quadratmeter groß. Genauso berühmt wie Palladio sollte auch der Maler sein und nicht aus Florenz oder Rom stammen, sondern in Venedig ansässig sein – sowie Erfahrung mit Riesenformaten haben. Die drei prominentesten Vertreter waren: Tizian, Tintoretto und Veronese. Die Benediktiner entschieden sich für den Jüngsten der drei, den zugereisten Vero nese. Warum, wissen wir nicht genau. Veronese hatte zwar schon imponierende, große Bilder im Dogenpalast und in San Sebastiano gemalt, aber Tizian war der Berühmtere, sicher auch der Teuerste, Tintoretto hingegen der Billigste – beide jedenfalls auf Monate und zeitweise auf Jahre ausgebucht. Bei Tizian musste sogar Karl V. bis zu zwei Jahre auf ein neu bestelltes Bild warten. Mit großem Ehrgeiz machte sich Veronese an die Arbeit und schuf sein Meisterwerk, eines der spektakulärsten und meistgesehenen Bilder der Renaissance, kaum weniger berühmt als die Mona Lisa. Und das kam so:

Das Briefing des Klosters war klar – Veronese sollte die Hochzeit zu Kana malen, wo Jesus Wasser in Wein verwandelt hatte, natürlich zeitgenössisch im antikisierenden Stil der Renaissance in leuchtenden Farben, und nichts sollte er auslassen, was zu einer prominenten Hochzeitsfeier im Venedig des 16. Jahrhunderts gehörte.

126 Menschen hat Veronese zusammen mit seinem Bruder Benedetto und seinen Gehilfen ins Bild gesetzt. 119 Männer und nur sieben Frauen. Eine Promi-Galerie der damaligen Zeit: Wir erkennen im Bild links König Franz I. von Frankreich und seine Gattin Eleonore, Sultan Süleyman den Prächtigen, die römische Dichterin Vittoria Colonna (mit Bleistift) und sogar Karl V. am Kopfende des Tisches. Unten in der Mitte des Bildes sehen wir ein Musikerquartett in weißer Kleidung mit Halbglatze Veronese selbst, aber auch die Konkurrenten Jacopo Bassano, Tintoretto und am Kontrabass der älteste Akteur, Tizian höchstpersönlich. Rechts im Bild die Geistlichkeit mit Kardinal Reginald Pole, der beinahe Papst geworden wäre, und mit Blick nach oben Venedigs PR-Genie, Dichterfürst und Tizian-Freund Pietro Aretino. Ein Who’s who in der Mitte des 16. Jahrhunderts (ART-Juliausgabe 2017)!

Jesus und seine Jünger, im Hintergrund platziert, spielen nur eine Nebenrolle. Veroneses Bruder Benedetto ist als Sommelier unterwegs und prüft mit Kennermiene den gelungenen Wein – prominent in der Bildmitte unten.

Das spektakuläre Bild löste einen regelrechten Kulturtourismus aus: Maler, Dichter, Kulturinteressierte aus Italien, Frankreich, England und Deutschland pilgerten nach San Giorgio. Wer wollte nicht einen Blick in die „Hall of Fame“ des 16. Jahrhunderts werfen und endlich einmal die Leute betrachten, von denen alle Welt sprach, die man aber nie zu Gesicht bekam!

Veronese wurde für seine Arbeit mit 326 Golddukaten reich belohnt und mit vielen einträglichen Folgeaufträgen bedacht. Warum aber ist eines der großen Renaissance-Bilder bis heute eines der berühmtesten Kunstwerke geblieben? Weil es eine gute Geschichte hat:

Napoleon hatte 1797 auch die Serenissima besetzt. Sein Raubkunstkommissar Vivant Denon, das „Auge Napoleons“, fiel Veroneses Hochzeit zu Kana sofort auf. Er ließ das Riesengemälde in sechs Streifen schneiden und nach Paris ins Musée Napoléon transportieren, den heutigen Louvre. Dort hängt es immer noch, obwohl Frankreich 1815 beim Wiener Kongress dazu verdonnert wurde, alle 5.000 geraubten Kunstwerke zu restituieren. Nur eines nicht: die Hochzeit zu Kana. Die listigen französischen Diplomaten, allen voran wahrscheinlich Talleyrand, hatten Kaiser Franz von Österreich bezirzt, das Bild im Louvre zu belassen. Platzierung: vis-à-vis der Mona Lisa. Sie lächelt seit nunmehr 220 Jahren wissend zu Jesus und seinen Jüngern hinüber. Sie kennt den Trick mit den vertauschten Gläsern.

2005, schreibt die Zeitschrift ART, ist dann ein weiteres Wunder mit der Hochzeit zu Kana geschehen: Der Londoner Künstler und Digitaltechniker Adam Lowe wurde beauftragt, das fast 70 Quadratmeter große Bild zu scannen. Er zerlegte es in 1.591 einzelne Scans, jedes im Maß 22 x 35 Zentimeter, und setzte es auf einem Trägermaterial aus Leinen und Gips mittels Siebenfarbendruck wieder zusammen. Seit 2007 hängt die Hochzeit zu Kana nun wieder im Refektorium des Benediktinerklosters in Venedig. Unterschied zum Original: keiner.

TIZIANS SCHÖNSTES PORTRÄT

Kunst im 16. und 17. Jahrhundert war Auftragskunst. Die Auftraggeber brieften ungeniert, was sie bestellten, und feilschten obendrein bei den Preisen. Allen voran die große Kunstliebhaberin Isabella d’Este, von der einige besonders attraktive Porträts erhalten sind. Sie war berüchtigt für ihre bis ins Detail gehenden Vorgaben. Tizian machte da keine Ausnahme. Sie selbst soll laut Tizians Promotor Pietro Aretino indes „unglaublich hässlich und ihr Make-up völlig übertrieben“ gewesen sein … Auftragskunst eben (Sheila Hale: Titian).

Federico Gonzaga, für seine ausschweifenden Feste bekannter Renaissance-Fürst, war verheiratet mit Giulia d’Aragona, die bei der Eheschließung schon 38 Jahre alt und unfruchtbar war. Die Ehe war abgesegnet von Papst Clemens VII. und dem Habsburger Karl V. (in dessen Reich „die Sonne nicht unterging“). Durch einen Todesfall in der Familie wurde aber überraschend Federicos frühere Verlobte Marie von Monferrat zur steinreichen Haupterbin. Welch eine Chance! Federico beschloss, Giulia d’Aragona zu ersetzen. Der Papst dürfte bei der Aufhebung des Dekrets kein Problem darstellen, vermutete Federico; Karl V. hingegen hatte wichtigere Sorgen, z. B. mit dem aufrührerischen Luther und seiner immer mächtiger werdenden Protestantenbewegung, dazu kamen Auseinandersetzungen mit dem militanten französischen König Franz I., astronomisch hohe Schulden bei den Fuggern etc. Also kein Thema.

Der wichtigste Minister Karls V. und am nächsten an seinem Ohr war der 55-jährige Francisco de los Cobos. Den kannte Federico und wusste von dessen langjähriger Liebschaft mit einer der damals schönsten jungen Frauen Italiens, Cornelia Malaspina. Da Cobos in Spanien residierte und Cornelia in Bologna, sah er sie viel zu selten. Also müsste doch ein Porträt, gemalt von Tizian, eine grandiose Idee sein, Cobos als Bundesgenossen für die Annullierung seiner Ehe durch Karl V. zu gewinnen …

Die Zeit drängte. Tizian reiste nach Bologna, um Cornelia zu porträtieren. Diese war jedoch der Sommerhitze entflohen und nicht auffindbar. Tizian, am hohen Honorar seines großen Mäzens Federico Gonzaga sehr interessiert, ließ sich Cornelia von Bekannten beschreiben, besorgte sich eine kleinere, ältere Skizze von ihr und malte, wie man sagt, eines seiner schönsten Porträts – ganz ohne Modell.

Cobos war begeistert. So schön und so jung hatte er Cornelia überhaupt nicht mehr in Erinnerung. Also insistierte er bei Karl V. und setzte durch, dass dieser seine Unterschrift neben die von Papst Clement VII. setzte und den Ehevertrag annullierte. Leider ist das Porträt verschollen. Uns bleibt aber seine Geschichte.

PICASSOS FRAUEN

Picasso hat einmal zu seinem Biografen Sir John Richardson gesagt: „Meine Bilder sind mein Tagebuch.“ Und so kann man praktisch hinter jedem Bild des Jahrhundertgenies Picassos Lebenswirklichkeit entdecken.

Picassos Leben, wer weiß es nicht, drehte sich um Kunst – und um Frauen. Da seine Vita besser dokumentiert ist als die jedes anderen Malers, erkennen wir seine Liebschaften fast alle auf seinen Bildern wieder, selbst wenn sie heftig verfremdet daherkommen: Fernande, Olga, Marie-Thérèse Walter, Françoise Gilot, Dora Maar, Sylvette, Jacqueline Roque . Picasso hat Hunderte Bilder von seinen Geliebten gemalt. Einige davon gehören zu seinen eindrucksvollsten Werken. Aber eines fällt dabei auf: Von fast jedem seiner attraktiven, erotischen Frauenporträts gibt es auch abweisende, oft sogar abstoßend wirkende, dunkel gehaltene Versionen. Solche Porträts findet man von Marie-Thérèse Walter, die über viele Jahre der Star seiner erotischen Fantasien war, auch von Dora Maar, sogar von Jacqueline Roque und – von seiner ersten Frau Olga.

Jacqueline Roque fragte ihn nach den Gründen, wie der Biograf John Richardson berichtet: Picasso hatte eine kleine Schwester, Conchita, die er sehr geliebt hatte. Als er 14 Jahre alt war, erkrankte Conchita an Diphterie. Picasso schwor vor Gott, nie wieder zu malen, wenn Conchita überlebte. Er brach aber diesen Schwur, malte weiter, und kurze Zeit danach starb Conchita. Picasso fühlte sich schuldig und erinnerte sich zeitlebens daran, wenn er mit einer seiner Lebensgefährtinnen glücklich war. Zur Sühne des gebrochenen Schwures glaubte Picasso dann, seine Geliebte auf dem Altar der Kunst für alle sichtbar opfern zu müssen und stellte sie abstoßend bis morbide dar.

Natürlich gibt es bei Picasso auch andere Erlebnisse, die ihn zu seinen Frauenporträts veranlassten: Olga, eine attraktive, von allen bewunderte ehemalige Tänzerin aus der weltberühmten Diaghilev Compagnie, war die andauernden Affären ihres Mannes leid und reichte schließlich die Scheidung ein. Picasso war empört, dass ihm die einstmals so zurückhaltende, zarte Olga so dramatische Szenen machte. Er schwieg, aber malte. So entstanden auch hier zwei ganz unterschiedliche Darstellungen von ein und derselben Frau: vor und nach dem Krach.

DIE ADLERKRALLEN DES BARONS

Lucian Freud war in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts einer der gefragtesten Porträtisten. Ein zerrissener, widersprüchlicher Mensch, ganz ähnlich wie sein langjähriger Freund Francis Bacon. Sein chaotischer Lebensstil war eine lebenslange Provokation für die konservative englische Gesellschaft. Freud, ein Sexmonster, hatte 14 registrierte Kinder, fast alle unehelich, die einander zum Teil bei der Beerdigung des Vaters erstmals begegneten. Schätzungen von Freunden sprechen sogar von 30 Kindern.

Freud war zudem ein leidenschaftlicher Spieler, wettete bei Pferderennen, hatte ständig Spielschulden, die er oft mit Bildern bezahlen musste. Der größte private Freud-Sammler ist mit 25 Gemälden konsequenterweise sein Buchmacher Alfie McLean (Geordie Greig: Frühstück mit Lucian Freud). Freud sprach nie über seine Kunst, gab keine Interviews, reagierte handgreiflich auf Paparazzi, aber – er war der größte Porträtmaler des 20. Jahrhunderts.

Lucian Freud – ein Enkel von Sigmund Freud – war besessen davon, die größten Maler der Kunstgeschichte zu übertreffen, sogar Rembrandt und Velázquez, die er beide bewunderte. Das Spektakuläre an seinen Porträts ist, dass er im Gesichtsausdruck und in der Körpersprache seiner Modelle auf einzigartige Weise ihre Persönlichkeit, ihre Individualität und ihren Charakter ausdrückte – und eben nicht nur das, was man auf den ersten Blick ohnehin sah.

Dazu musste man sich allerdings erst einmal kennenlernen. Und das braucht Zeit. So saßen Freuds Modelle an rund hundert Tagen stundenlang im Atelier und wurden in Gespräche verwickelt, bis der Meister alle möglichen Regungen in Gesicht und Körpersprache seines Modells wahrgenommen hatte und auf der Leinwand wiedergeben konnte. Damit gehören Freuds Porträts zu den charismatischsten Studien, die sehr viel über die Menschen erzählen, die er gemalt hat.

Anfang der 80er-Jahre saß Freud wieder einmal in der Schulden falle seines Buchmachers. Er rief Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza an, damals der größte private Kunstsammler der Welt, und schlug diesem vor, ihn zu malen. 160 Vormittage saß der Baron Modell und flog dafür zwischen 1981 und 1985 sechsmal in seinem Privatflugzeug nach London – und das für nur zwei Porträts.

Die Gesichtsstudie eines charismatischen, etwas distanziert „abgehobenen“ Menschen gefiel dem Baron – das Ganzkörperbildnis hingegen ganz und gar nicht. Auch seine fünfte und letzte Frau Tita fand das Bild „abscheulich“. Der Baron hätte Hände mit Fingern wie „Adlerklauen“. Es solle umgehend verbrannt werden.

So ganz falsch ist der Eindruck nicht: Freud wollte den unstillbaren Hunger des Barons nach Kunst und Besitz ausdrücken (er kaufte angeblich 100 Gemälde pro Jahr) und zeigt einen Mann auf der Lauer nach Beute: mit langen Fingern, in der vorgebeugten Haltung des Jägers, der auf dem Sprung ist.

Simon de Pury war seinerzeit der Kurator von ThyssenBornemisza und später Star-Auktionator von Sotheby’s, der „Mick Jagger unter den Auktionatoren“. Er intervenierte in der Angelegenheit und bat darum, das Bild erst einmal in seiner Wohnung, einem Anbau der Villa Favorita des Barons in Lugano, verwahren zu dürfen. Mit Erfolg. Damit ist uns ein heute millionenschweres, attraktives Porträt von Lucian Freud erhalten geblieben.

Arm gestorben ist Freud nicht, Spielschulden hin oder her. Er hinterließ seinen 14 Kindern und zwei Ehefrauen 96 Millionen englische Pfund.

DIE TEUERSTEN BILDER DER WELT

Ihre beste Zeit als Sammlerin erlebte Peggy Guggenheim Ende der 30er-Jahre bis Mitte der 40er-Jahre in Paris. Dort traf sie sich mit den heute weltberühmten Malern und Bildhauern Picasso, Matisse, Ernst, Léger, Braque, Brâncuși usw. – mit den ersten meist schon zum Frühstück – und kaufte, wie sie selbst sagte, „a picture a day“. Die Nazis hatten die meisten dieser Maler zu „entarteten“ Künstlern erklärt, ihre Bilder konfisziert und billig ins Ausland verschoben – mit der Folge, dass die ohnehin schon günstigen Preise nun im Keller lagen. Als die Nazis Paris besetzten, floh Guggenheim nach New York und eröffnete 1942 ihre „Art of This Century Gallery“.

Das Museum Guggenheim war gerade im Bau, als sie dort einen jungen, gutaussehenden Handwerker traf, der sich ihr als Maler vorstellte und behauptete, dass seine Gemälde einst die „teuersten Bilder der Welt“ würden: den 30-jährigen Jackson Pollock.

Guggenheim, die sich immer erst den Mann hinter dem Maler ansah und dann erst seine Werke – „Langweiler malen keine spannenden Bilder“ –, war beeindruckt und nahm den völlig unbekannten Pollock in ihre Galerie auf. Bedingung: Alles, was Pollock produzierte, müsse an sie geliefert werden. Äquivalent: zunächst 150 Dollar pro Monat, später 300 Dollar.

Peggy Guggenheim gab sich alle Mühe, Pollocks Bilder zu verkaufen. Die Preise für kleinere Papierarbeiten lagen bei 25 Dollar, für die großen Leinwände bei 750 Dollar. Dennoch: Guggenheim verkaufte viel zu wenig und sagte, was Pollock anging, sehe sie sich eher als Sammlerin denn als Verkäuferin. Einige seiner Bilder soll sie sogar verschenkt haben.

Jackson Pollock war finanziell in einer prekären Lage. Er arbeitete tagsüber als Aufseher im „Museum of Non-Objective Painting“, das von Guggenheims Lieblingsfeindin Hilla von Rebay, der Chefkuratorin des späteren Guggenheim Museums, geführt wurde.

Erst ein Artikel in der Zeitschrift Life mit einer größeren Bildstrecke über Jackson Pollock, der die am Boden liegende Leinwand zu Swingmusik bemalte – „Is he the greatest living painter in the United States?“ –, sorgte für Auftrieb. Das MoMA kaufte und einige große amerikanische Sammler schlossen sich an.

Der Erfolg stieg Pollock rasch zu Kopf. Er erwarb zusammen mit seiner Frau, der heute berühmten Malerin Lee Krasner, auf den East Hamptons ein teures Farmhouse, dessen erste Ratenzahlung von Peggy Guggenheim übernommen wurde. Dann begann sein kometenhafter Aufstieg, der in einem fatalen Autounfall endete: 1956 verunglückte Jackson Pollock volltrunken mit seiner Freundin Ruth Kligman, die überlebte. Er wurde nur 44 Jahre alt. Seine Bilder bringen heute in Versteigerungen tatsächlich dreistellige Millionenbeträge.

Peggy Guggenheim hatte ihre New Yorker Galerie bereits 1949 wieder geschlossen und war nach Venedig in den Palazzo Venier dei Leoni gezogen, der mit seiner exquisiten Sammlung klassischer Moderne immer noch eine Reise wert ist. Alle Maler, die Guggenheim in New York vertreten hatte, vertraute sie ihrer Galeristenkollegin Betty Parsons an. Die beiden Frauen Guggenheim und Parsons sind es, denen der amerikanische Expressionismus seinen Aufstieg verdankt. Sie waren begeisterte und finanziell selbstlose Anhängerinnen der vier großen Künstler („The Four Horsemen“) Mark Rothko, Clyfford Still, Barnett Newman – und eben Jackson Pollock. Auch ein großes Format von Mark Rothko konnte man damals für 1.000 Dollar erstehen. Heute muss man dafür einen hoch zweistelligen Millionenbetrag investieren.

HELDEN

Die bekannteste und wertvollste Werksgruppe von Georg Baselitz sind seine „Helden“. Er hat sie Mitte der 1960er-Jahre gemalt: 60 Leinwände, 130 Zeichnungen und 38 Grafikserien. Die Werksgruppe „Helden“ ist immer wieder ausgestellt worden – zuletzt im Frankfurter Städel. Wenn, was selten ist, eines von Baselitz‘ „Helden“-Bildern in einer Aktion auftaucht, so wie vor Kurzem bei Sotheby’s das Motiv „Mit roter Fahne“, fällt der Hammer kaum unter einem zweistelligen Millionenbetrag.

Das hätte sich der damals 27-Jährige nicht träumen lassen, zumal er seine „Helden“ zwar so nennt, sie aber ganz und gar nicht so aussehen, im Gegenteil: Sie kommen wie Clochards daher, wirken abgerissen und stehen deprimiert und alleingelassen in einer trostlosen Landschaft herum. Also nicht wie Sieger, sondern wie Besiegte.

Baselitz nahm mit seinen deutschen Helden vorweg, was zwei Jahre später in den Demonstrationen der 68er deutlich wurde: der Protest gegen die Vorgänger-Generation, die sich unter der Nazi-Diktatur erst als Helden sah und dann kläglich scheiterte.

Kurz zuvor war Baselitz zu einem Studienaufenthalt in der Villa Romana in Florenz eingeladen worden und dort vor allem von den Manieristen wie Parmigianino, Bronzino und Tintoretto fasziniert, die sich wenig um anatomische Korrektheit kümmerten, sondern um möglichst dramatischen Ausdruck. Parmigianinos berühmte Madonna z. B. hat einen Hals in Überlänge, was auf den ersten Blick nicht auffällt, da sich der Betrachter im Sinne des Künstlers auf den Ausdruck konzentriert.

Auch die „Helden“ von Baselitz, die kurz nach seinem Aufenthalt in Florenz entstanden, sind anatomisch alles andere als korrekt: Die Köpfe sind zu klein, Hände und Füße zu groß und die Figuren zum Teil stark verkürzt. Darauf kam es Baselitz aber genauso wenig an wie den Manieristen. Baselitz – geschichtsbewusst wie Anselm Kiefer – wollte mit der Werksgruppe ironisierend darstellen, was in den 1960er-Jahren einen Deutschen ausmachte, der den Krieg verloren hatte, um seine Reputation kämpfte und sein nationales Selbstbewusstsein verloren hatte.

Und heute?

2005 hat Baselitz beschlossen, die Motive, die er damals als junger Mann gestaltet hatte, noch mal zu malen. Natürlich auch die „Helden“-Serie.

Der „Held“ von 2013 ist kein zerknitterter Clochard mehr, der verloren in einem trostlosen Umfeld herumsteht, sondern ein selbstbewusster großer Kerl, der herausfordernd über seinen Gartenzaun in die Welt schaut, der „Maler“ ist, wie der Bildtitel verrät – einer von heute, der es geschafft hat. Vielleicht sogar Baselitz selbst. Das Gesicht erinnert skizzenhaft ein wenig an Otto Dix, die Farbtöne an Kirchner und die Drippings auf schwarzem Hintergrund sind, wie so oft bei Baselitz, eine Reminiszenz an Jackson Pollock. Das Bild ist aber dennoch ein unverkennbarer Baselitz, auch wenn das Motiv nicht umgedreht daherkommt. Helden stellt man eben nicht auf den Kopf.

Die „Helden“ von 1965/66 sind viel wertvoller und kunstgeschichtlich bedeutender, aber den Helden von heute hängt man sich lieber an die Wand, wenn man als Sammler täglich daran vorbeimuss. Wer will schon immer wieder an eine Zeit erinnert werden, die wir zwar nicht vergessen sollten, aber die unsere Generation doch allmählich überwinden möchte.

Dr. Peter Haller

Gründer und Managing Partner Serviceplan Gruppe

Im Jahr 1970 gründete Dr. Peter Haller gemeinsam mit Rolf O. Stempel die Agentur Serviceplan, die mittlerweile Europas größte inhabergeführte Agenturgruppe ist. Sein Sohn Florian übernahm die Position des Hauptgeschäftsführers der Serviceplan Gruppe im Juli 2002. Kurz zuvor war Dr. Haller die Auszeichnung „Agenturmann des Jahres 2001“ zugesprochen worden. Seine Liebe zur Kunst spiegelt sich nicht nur an den Agenturstandorten wider, wo Bilder und Skulpturen aus seiner Privatsammlung ausgestellt sind, sondern auch in der Publikation der Bücher „Abstrakte Kunst nach 1948. Sammlung Serviceplan“, herausgegeben 2007 und 2012, sowie „Bilder der Seele“, erschienen bei Hirmer 2015. Am 19. März 2013 wurde Dr. Peter Haller gemeinsam mit seinem Sohn Florian von der WirtschaftsWoche und dem GWA in die „Hall of Fame der deutschen Werbung“ aufgenommen.

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