Interview

Was macht eigentlich ein Cultural Strategist?

Im Interview mit Internetworld.de spricht Joana Stolz, Cultural Strategist bei Serviceplan, über ihren Job und gibt Einblicke in ihren Arbeitsalltag.

Joana-Marie Stolz

Joana-Marie Stolz

Cultural Strategist der Serviceplan Gruppe

  • Joana, du bist Cultural Strategist. Kannst du deinen Jobtitel etwas genauer erklären?

    Organisationen müssen heute vielmehr noch als vor einigen Jahren mit den Ansprüchen einer postmodernen und komplexen Welt und ihren Menschen umgehen und sich mit den damit veränderten Märkten, Herausforderungen und Fragestellungen auseinandersetzen. Eine gesunde Organisations- und Kreativkultur schafft Raum für lebendige Lernprozesse, Creative Leadership, einen spielerischen Umgang mit neuen Technologien und transparente Wissensteilung. Als Cultural Strategist ist es meine Aufgabe, den Rahmen für eine solche erfolgreiche und innovationsgetriebene Kultur zu schaffen. Ich entwickle beispielsweise Inspirations-Sessions, die ein wichtiger Teil sind, um den Geist in einer sehr schnelllebigen Agenturkultur zu erfrischen. Intern geht es dabei oft um das Antrainieren von Innovationstechniken, wie zum Beispiel Design Thinking oder kollaborative Ideenfindung. Wir arbeiten aber nicht nur mit internen Ressourcen. Um auch mal von Außen inspiriert zu werden, holen wir gerne auch externe Speaker, die dann über Trends, ihre eigene Erfolgsgeschichte oder von spannenden Zukunftsprojekten, wie neulich erst von Elon Musks Hyperloop, berichten. Das Ziel ist es, eine Plattform für interne und externe „Visionäre“, Startups und Freigeister zu schaffen, um den Arbeitsalltag zu durchbrechen und für frischen Wind zu sorgen. Darüber hinaus führe ich an unseren nationalen und internationalen Standorten Innovations-Workshops durch, entzünde gewissermaßen den innovativen Funken und begleite interne Agenturen auf dem Weg zu einer „Agency of the Future“. Mein Beruf ist eine Mischung aus Innovation, Strategie und Personalentwicklung. Und das finde ich wirklich großartig.

  • Wie genau definierst du die oft gehörten Buzzwords "Innovation" und "kreative Kultur?

    Das Wort Innovation wird heute sehr inflationär gebraucht. Deshalb benutze ich an dieser Stelle lieber die Begriffe neugierig, skeptisch, infrage stellend, kombinierend, transformierend oder zum Beispiel ganz einfach verrückt. Um all das entstehen zu lassen, ist Selbstreflexion enorm wichtig. Ohne das nötige Bewusstsein – für Widersprüche wie auch für den möglichen Wandel – kann man nicht innovativ sein. Innovation zuzulassen, ist eine Entscheidung. Erst wenn diese Offenheit da ist, sind Menschen bereit, sich Neuem zuzuwenden und die Augen zu öffnen für mögliche Veränderungen.
    Darüber hinaus wird Innovation oft mit technologischen Innovationen verwechselt, also neue Produkte. Für mich ist Innovation aber eher als eine Art Mindset zu verstehen. Es geht nicht darum das nächste selbstfahrende Auto oder eine Virtual Reality Drohne zu entwickeln, sondern vielmehr darum, die Qualität von Kreation, Beratung und Strategie zu steigern. Viele innovative Strategien sind heute oft angstgetrieben und defensiv. Sie haben mit der Zukunft nur so viel zu tun, dass sie das Schlimmste – also den Verlust des eigenen Geschäftsmodells – verhindern sollen. Aber: Wer vom Verhindern her denkt, denkt von Problemen aus, nicht von Lösungen. Und erzeugt auf diese Weise das Alte auf nur scheinbar neue Weise. Wenn man es schafft, Freiräume zu ermöglichen und mutig neue Wege zu gehen und dauerhaft lösungsorientiert zu denken, entsteht echte Innovation und im besten Fall eine lebendige kreative Kultur.

  • Welche Qualifikationen sollte man dafür mitbringen beziehungsweise über welche Stationen kamst du zu diesem Job?

    Ein hohes Maß an Kommunikationsaffinität und Pioniergeist sollte man auf jeden Fall mitbringen. Ich habe das meinem Studium in Germanistik, Kommunikation, Medien und Sozialpsychologie in Deutschland und den USA zu verdanken sowie der Lehre bei Hyperisland und IDEO U. Außerdem habe ich nicht zuletzt durch meine Tätigkeit als freiberuflicher systemischer Coach gelernt, Change- und Transformationsprozesse zu gestalten. Und ich hatte das Glück, dass ich oft Vorgesetzte hatte, die mir die Möglichkeit und Freiheit gegeben haben, immer wieder alte Strukturen und Prozesse zu hinterfragen und Neues zu erschaffen. Nur wer sich immer wieder selber hinterfragt, ist langfristig erfolgreich und innovativ. Das ist für mich keine leere Worthülse, davon bin ich wirklich überzeugt. Die Rolle des Cultural Strategists war für mich also gewissermaßen die logische Schlussfolgerung der Themen, mit denen ich mich schon lange beschäftige.

  • Braucht man Cultural Strategists "nur" in der Kreativbranche und in Agenturen oder auch in klassischen Industrien und nicht-werbe-affinen Umfeldern?

    Nein, auf gar keinen Fall – und das wird sich auch zunehmend in den nächsten Jahren verändern. Jede Organisationsform, die es versteht, dass Innovation nicht einfach beim Brainstormen entsteht, sondern nur in einem Umfeld, das langfristig den genannten Rahmen bietet, wird einen Wettbewerbsvorteil haben. Dazu werden unter anderem Menschen benötigt, die diesen psychischen als auch physischen Rahmen und Raum schaffen und fördern. Ein Cultural Strategist oder Environment Designer ist sicherlich nur eine Rolle von vielen weiteren wichtigen Verantwortlichkeiten in diesem Zusammenhang.

  • Was sind die größten Herausforderungen im Arbeitsalltag eines Cultural Strategist?

    Schwierig wird es für einen Cultural Strategist, wenn ein Unternehmen hauptsächlich auf den kurzfristigen Gewinn ausgerichtet ist. Innovation ist ein langlebiger Prozess. Eine langsame, aber sichere Steigerung der kreativen Qualität und Effizienz klingt in einigen Ohren leider nicht so attraktiv wie tolle Zahlen im nächsten Quartal. Wenn es um das Anstoßen von Innovationsprojekten oder Innovationskultur geht, darf man nicht die Wirtschaftlichkeit hochrechen. ROI, Innovation und Kultur sollten in der ersten Hochrechnung zunächst nicht auf demselben Blatt Papier stehen – hier gehören zuallererst eine große Portion Mut und auch die Möglichkeit zum Scheitern hin. Wer also in zehn Jahren noch erfolgreich sein möchte, muss jetzt in Langfristigkeit investieren.
    Außerdem müssen sich alle bewusst sein, dass etwas Neues oder Verrücktsein oft bedeutet, seine Komfortzone zu verlassen. Die wichtigste Sache bei Veränderungsprozessen ist, dass das oberste Management diese unterstützt. Wenn der Wille da ist, ist alles möglich. Man muss sich ja auch nicht von Tag zu Tag verändern, aber die Organisation muss in Bewegung kommen. Es gibt keine festen Spielregeln und jedes Unternehmen muss für sich selber experimentieren, um festzustellen, was an welcher Stelle die größte Effizienz bringt. Pilotprojekte, Minimum Viable Solutions, Tribe Building – hier ist alles erlaubt. Ein großer Vorteil ist in dieser Hinsicht sicherlich ein dezentrales Führungssystem, wie wir es bei Serviceplan haben. Das erlaubt einem Unternehmen, diese Bewegung an viele Stellen im Haus gleichzeitig zu starten und zu fördern.

  • Was ist deine Erfahrung: Sind "Innovations-Team" in Unternehmen seltener Luxus oder nehmen solche Berufsgruppen zu?

    Ich will es so formulieren: Es ist zur Zeit sicherlich noch eine Besonderheit, uns als sogenannte Innovationsfachkräfte zu benennen und uns die Möglichkeit zu geben, losgelöst aus dem Tagesgeschäft zu agieren. Allerdings ist meine Erfahrung, dass in vielen größeren Organisationsformen bereits sogenannte Super-Generalisten sitzen, die es sich als Aufgabe gemacht haben, eine Art Transferleistung zwischen allen Experten zu erbringen. Ob sie am Ende Design Thinker, Cultural Strategist, Innovation Director, Change Agents oder Transformation Officer heißen, ist nur eine Frage des Systems und der bereits vorhandenen Strukturen, in denen sie sich befinden. Sie zu identifizieren, an den wichtigen Stellen zu positionieren und kontinuierlich zu fördern, ist sicherlich Luxus, der sich langfristig jedoch auszahlt. Mein Wunsch für jede Organisation ist es, heute zum einen, den Mut zu haben Menschen einzustellen oder intern zu identifizieren, die lösungsorientiert über den Tellerrand hinausschauen und zum anderen, Teams und eine Kultur zu ermöglichen, in dem man Neues auszuprobieren darf, scheitern kann und bei aller Wirtschaftlichkeit nicht vergessen wird, dass auch Freude im Job ein wichtiger Indikator für Erfolg ist. Aber wie Paulo Coelho so schön sagt: „It’s the possibility of a dream come true, that makes life interesting.“ Ein bisschen Luft nach oben ist ja auch immer gut.

This page is available in EN