Die Veränderungen am Markt schaden den Agenturen. Wenn sie ihre Chancen verschlafen

Die Agenturen überlassen das Feld aktuell anderen Playern: Unternehmensberatungen und IT-Dienstleistern. Sie haben die richtigen Zugänge. Was ihnen jedoch fehlt, ist die Verknüpfung von Daten aus Vertrieb, Media oder Kommunikationskennzahlen. Das sind in Zukunft die Hebel für die Optimierung! Dem Kunden ist es letztendlich egal, wo und wie er einkauft. Hauptsache, günstig und bequem. Und was tun die Agenturen? Sie sind dabei, eine große Chance zu verschlafen, neue Kunden und neues Business zu generieren. Stattdessen beklagen sich Agenturchefs immer lauter über mangelndes Commitment, den steigenden Anteil an Projektaufträgen und über die Unlust der Kunden an langfristiger Agenturbindung. Aber kaum ein Agenturchef stellt sich die Grundsatzfrage: warum?

Außer lautem PR-Gebrüll einiger Kollegen in der Fachpresse ist in puncto neuer Leistungsangebote wenig passiert. Auch auf Unternehmensseite wachsen die Anforderungen so schnell, wie Veränderungen eintreten: Noch nie war der Druck so groß, noch nie sind Jobs so schnell verändert worden, und noch nie in den letzten Jahrzehnten sind Marketingchefs so schnell wieder entsorgt worden, wie sie gekommen sind. Wo sind die Neuentwicklungen, die Testlabors, neue Vertriebskonzepte, die kommunikative Neuausrichtung des Geschäftsmodells? Wie können Händler oder
Marken mit Vertikalisierungskonzepten zukünftig die Schlacht um den Kunden gewinnen? Wo sind die Cases?

Es fehlt auf beiden Seiten an neuen Lösungen, innovativen Ideen und zukunftsträchtigen Visionen. Am Beispiel Onlinehandel möchte ich dies näher erläutern: Bereits 2020 wird jeder dritte Euro im Handel online umgesetzt werden. In den vergangenen Jahren sind die Umschichtungen anschaulich im Weihnachtsgeschäft in den Innenstädten sichtbar gewesen. Volle Weihnachtsmärkte – aber keine vollen Einkaufstüten bei den Besuchern. Nach kumuliert 23 Prozent Frequenzrückgang im Retail in den letzten Jahren ging es mit dem Besuch des traditionellen Geschäfts weiter bergab.

Nun sind Pure Player, also reine Onlineanbieter, die oft 60 Prozent geringere Kostenstrukturen haben, die Hauptwettbewerber im Markt. Anbieter wie Booking.com, Zalando oder Westwing kämpfen mit neuen, digitalen Instrumenten gegen etablierte Anbieter. Diese sind über die Wucht der Transformation meistens überrascht, verunsichert und vielfach hilflos. Viele Unternehmen, teilweise ganze Branchen, haben die Konsequenzen hinsichtlich ihres Geschäftsmodells massiv unterschätzt. Ganz vorn dabei die Fashionindustrie und der Modehandel.

Marktbereinigungen dauern heute auch nicht mehr viele Jahre, sondern passieren immer öfter innerhalb weniger Monate. Die Digitalisierung stellt dabei ganze Geschäftsmodelle auf den Kopf beziehungsweise infrage. 1 und 1 macht nicht mehr 2, sondern ist aktuell schon 5. Kein Wunder.

Und was passiert gerade in den etablierten Unternehmen? Wer als Unternehmen nicht die Kapitalkraft hat, kann innerhalb weniger Monate vom Markt verschwinden, da die Investitionen in Digitalisierung Budgets und vor allem in den Geschäftsprozessen Zeit brauchen. Was vielen Händlern und Firmen nicht bewusst ist: Strukturell sind erfolgreiche Onlineplayer für die Zukunft oft viel besser aufgestellt. Die Logistikkette steht, CRM und individualisierte Angebote sind seit Jahren immer wieder optimiert worden, die Transformation zum Mobile-Commerce ist fast abgeschlossen. Marketingchefs gelten, genau wie Agenturen, in vielen Unternehmen als Paradiesvögel. Sie sollen inspirieren – mal was anderes machen. Aber die Company neu strukturieren? Das Businessmodell verändern? Neue Vertriebsstellen anschieben oder das Pricing diskutieren? Fehlanzeige.

Dem Endkunden sind diese Überlegungen völlig egal. Für ihn zählen die sichtbaren Vorteile: Der Service, der im Internet geboten wird, die Vergleichbarkeit und die ständige Verfügbarkeit. Das Motto lautet: Alles zu jeder Zeit, zum günstigsten Preis und am besten bewertet. Noch ist es nicht zu spät für Agenturen. Aber nur, wenn sie schnell sind, neue Angebote kreieren und den Lead übernehmen.

(Erschienen in Werben&Verkaufen, Nr. 14)