Lustig, nicht wahr: Ein Comedian fragt in einem Video Nazis, ob sie denn eigentlich wissen, wie blöd sie seien. Tja, wenn die noch nicht mal ein Hakenkreuz richtig hingesprüht hinkriegen und ihre vollmundige Ankündigung „Sigh Heil. Well be bak“ lautet, diese Steilvorlagen kann sich der Comedian natürlich nicht entgehen lassen.

Kommunikationstheoretisch betrachtet wendet sich der Comedian mit seiner Frage „weißt du…?“ an die Nazis. Keine schlechte Idee vielleicht, einer Gruppe ein Dialogangebot zu machen, die schon aufgrund ihrer erschreckend zunehmenden Größe relevant ist. Da ist es natürlich nur angemessen, das Video von einem öffentlich rechtlichen Sender produzieren und die geballte Reichweite der ARD hinter sich zu bringen.

Aber der Comedian ist, anders als seine vorgegebene Zielgruppe, natürlich nicht blöd. Bestenfalls erwartet er Morddrohungen, die die Wirkung seines Videos in seiner eigentlichen Zielgruppe nur verstärken würden. Denn er will gar keinen Dialog und er betrachtet es auch nicht als seine Aufgabe, Andersdenkende zum Nachdenken anzuregen. Vielmehr will er Gleichdenkenden eine Stimme geben und sie so in ihrem Gleichdenken bestätigen und bestärken. Willkommen in der Echokammer.

Echokammer, das ist die kommunikationswissenschaftliche Bezeichnung für ein Meinungsghetto. Dort trifft sich, wer sich vor allem dort informiert, wo er vor allem Bestätigung für seine Meinungen findet. Man festigt sein Weltbild zum Beispiel über das zustimmende „Echo“ in Form von Likes. Ein Post zur Realität von Reichsflugscheiben, die von „freier Energie“ angetrieben werden, findet ungestört Zustimmung und Verbreitung, denn Echokammern – egal, ob sie von Nazis oder Aufgeklärten unterhalten werden  – sind kontext-inzestuöse Selbstbefruchtungsbiotope.

Man muss aber gar nicht in solche Abgründe hinabsteigen um im digitalen Alltag Mechaniken zu begegnen, die in echokammerhafte Milieus führen. Einfach, weil es geht, werden Angebote, Nachrichten, Werbung, Partnerschaftsvorschläge, etc. vorauseilend „intelligent“ mit der Annahme bestimmter Affinitäten gefiltert. Unsere Data-Mining-Findings ergeben eindeutig: Der Mann interessiert sich für ein sportliches Cabrio! Da werde ich doch nicht so blöd sein, ihm einen Hybrid-Kleinbus anzubieten! Ha, Streuverlust, jetzt hab ich dir aber mal so richtig gezeigt! Konsequent effizient betrieben macht man so aus bunter Vielfalt graue Einfalt ohne Inspiration.

Nun, der Autor will nicht übers Ziel hinausschießen, indem er die Errungenschaft differenzierten Targetings diskreditiert, im Gegenteil. Sie sollte sich aber eben bereichernd auswirken, nicht einschränkend. „Personen, die dieses (asylkritische) Buch gekauft haben, wählen auch diese (rechtspopulistische) Partei.“ Dieser Hinweis ist nicht überraschend, aber bestimmt gut für die Partei. Ein kurzfristig angelegtes Effizienzmuster könnte man jetzt sinnstiftend durchbrechen, indem man in diesem Umfeld – „Das könnte Sie auch interessieren“ – die Lebensbeichte eines Aussteigers aus der rechten Szene, gleichsam auf die Lauer legend platziert. Die Wirkung wird zwar bei demjenigen verpuffen, der in seiner Gesinnung gerade sehr stabil ist. Aber demjenigen, der beginnt zu zweifeln, wird ein Ausweg aus der Echokammer gewiesen. Im Marketing für High-Involvement-Produkte kennt man diesen Effekt, wenn es darum geht einen Marketingspeicher langfristig aufzuladen, bis ausreichend verfügbares Einkommen die Kaufentscheidung, beispielsweise für einen Sportwagen, beflügelt.

Auf geradezu unerhörte Art hat sich die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ Zugang zu einer Echokammer verschafft, der bei höflichem Anklopfen gewiss kein Einlass gewährt worden wäre. Ihre Kampagne „Search racism. Find truth“ besetzt die Werbesekunden vor dem Start rassistischer YouTube-Videos: Wer also die Rede eines Islamhassers sehen will, muss sich – zu dumm: die Ads sind „non skippable“ – erstmal anhören, was ihm ein Flüchtling zu sagen hat. Und der polarisiert nicht, indem er beschimpft, sondern wirbt um Verständnis, indem er lebensnah sein Dilemma schildert.

Die Echokammer ist das Musterbeispiel des vielzitierten digitalen Lagerfeuers. Wer sich da wärmt, sollte Gäste willkommen heißen, ihre Geschichten anhören, und selbst mal in friedlicher Absicht und mit offenem Interesse andere Lagerfeuer besuchen und ein Stöckchen reinwerfen.