Wie sehen Sie die aktuellen Diskussionen zum Thema Content Marketing und Corporate Publishing?
Thorsten Hebes: Wenn wir uns die gegenwärtige Entwicklung ansehen, ist man fast geneigt, zu sagen: „Wieder eine neue Sau, die die Werber durchs Dorf treiben“. Tatsächlich ist die Thematisierung von „Content Marketing“ und „Storytelling“ aber ein wahrer Segen – vor allem im Social Web und im Corporate Publishing. Die klassische Werbung ist jetzt gezwungen, sich auch mit echten Inhalten auseinanderzusetzen. Sie kann sich nicht mehr auf Platitüden zurückziehen. Für uns als PR-Agentur ist das ein erweitertes Geschäfts- und Aufgabenfeld, das uns näher an das Marketing und vor allem die Marketingbudgets heranrückt.

Das heißt: Marketers verschiebt es hin zu Content, Corporate Publishing hin zu Marketing?
Hebes: Corporate Publishing war schon immer auch Marketing. Es hat diese Aufgabe kanalunabhängig bereits früher wahrgenommen – mal mehr, mal weniger elegant, und jeweils abhängig von den Direktiven des Unternehmens. Es gibt hervorragende Ansätze, ebenso wie es Corporate-Publishing-Beispiele gibt, die im Grunde nichts anderes sind als bloße Kataloge. Tatsächlich müssen Marketers nun Inhalte vermitteln, die weit mehr sind als eine Überschrift oder ein Claim. Selbst die Media-Leute sehen sich plötzlich mit einem Wertewandel konfrontiert. Es reicht jetzt nicht mehr, nachzudenken, über welchen Kanal Kommunikation stattfindet und an wen sie sich richtet. Heute heißt die alles entscheidende Frage: „Was erzähle ich den Leuten?“ Das zwingt alle Kommunikatoren in ganz neue Dimensionen ihres Denkens.

Ist Content Marketing die nächste Entwicklungsstufe von Corporate Publishing?
Hebes: Für mich ist Content Marketing mehr als ein Treiber des Corporate Publishing, es ist die nächste Entwicklungsstufe der Kommunikation. In den großen Unternehmen gibt es derzeit einen echten Paradigmenwechsel. Wir hatten früher die Corporate Communication, die unter anderem für Wertevermittlung, Investor Relations oder Corporate Social Responsibility zuständig war. Und dann gab es die Produkt-Kommunikation, die versucht hat, das Produkt über PR-Agenturen im Markt zu pushen. Die beiden arbeiteten in der Regel unabhängig voneinander, zumindest ohne direkte Abstimmung.  Aber durch die digitale Evolution muss das Produkt plötzlich die Unternehmenswerte mittransportieren. Wenn sich ein großer Hersteller von Consumer Goods nun auf der Image-Ebene mit völlig anderen Werten schmückt, als die Produktebene halten kann, hat das auf das gesamte Unternehmen einen verheerenden Einfluss. Und das merken die Unternehmenskommunikatoren. Das Produkt ist ein nun auch Medium.

Wie ist der Zusammenhang von Corporate Publishing und Content Marketing?
Hebes: Corporate Publishing ist Auftragsschreiben, und je besser die Beteiligten ihre Kunden verstehen, umso besser ist das Content Marketing, das übers Corporate Publishing transportiert wird. Um es auf den Punkt zu bringen: Content Marketing ist die Weiterentwicklung des Advertorials, das Marketing nähert sich also dem Redaktionellen an.

Wie sehen Sie die Entwicklung und das Potenzial von Content Marketing und Corporate Publishing?
Hebes: Die Bereiche werden immer mehr zum Hybrid, es gibt immer mehr Mischformen. Das heißt, reine Corporate Publishing-Agenturen oder -Dienstleister werden immer digitaler. Sie müssen sich hier auch in puncto Zeitbedarf und Erscheinungshäufigkeit umstellen. Schnelligkeit ist ein entscheidendes Kriterium. Es gilt nicht mehr, nur quartalsweise zu produzieren. Auch ihre journalistische Kompetenz wird stärker geprüft. Mit dem Content Marketing findet eine Aufwertung des Corporate-Journalisten statt. Ebenso in der klassischen Werbung: Eine Long Copy darf immer seltener im Marketing- oder Broschüren-Deutsch abgefasst werden, sondern muss immer öfter spannend erzählen. Die Autoren müssen in redaktionellen Bildern und Geschichten denken. Es braucht Dramaturgie und klare Informationen, die nicht immer nur auf dem Produkt an sich beruhen. Das heißt, die Anforderungen werden höher – im Gegenzug wird das ganze Tätigkeitsbild interessanter, vielfältiger und spannender.

Beispiel Content Marketing:
Hebes: Plan.Net als digitale Lead-Agentur realisiert in Zusammenarbeit mit Serviceplan Public Relations die Website von s.Oliver redaktionell. Die Seite zeichnet sich durch eine starke redaktionelle Bildfläche aus. Hier, wie auch ganz grundsätzlich im Content Marketing, gilt es, die Kompetenz, die das Unternehmen hat, nicht nur in der Produktpalette, sondern im Verstehen des Informationsbedürfnisses des Kunden zu verwirklichen. Lesenswerte Inhalte gut zu vermitteln ist nicht nur redaktioneller Anspruch, sondern das Primat, dem sich das Marketing unterwerfen muss. Content Marketing ist letztlich die kommerzielle Möglichkeit, Informationen und Informationsflüsse zu kultivieren. Wir als Kommunikatoren haben endlich zur Kenntnis genommen, dass der Konsument plötzlich selbst zum Multiplikator wird, wenn er das Material, das man ihm zur Verfügung stellt, als weiter vermittelbar bewertet. Das alles entscheidende Kriterium im Wettbewerb der Informationskanäle ist dabei ganz klar: die Qualität des Contents.

Auszüge aus diesem Interview (geführt von Susanne Gillner) gibt es auch in der aktuellen Internet World Business.