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„Hersteller von nachhaltigen Produkten sucht solvente Konsumenten mit Interesse an grünen Themen.“ So könnte eine Kleinanzeige aussehen, die grüne Hersteller und Konsumenten zusammenbringt. Leider sind Kleinanzeigen aus der Mode und diejenigen, die grüne Produkte kaufen, sind oft auch ganz anders als viele denken. Also wo findet man grüne Konsumenten? Und wie sehen sie aus?

Ein kurzer Blick zurück: Früher zeichneten sich Menschen dadurch aus, dass man sofort erkannte, wer zu welcher Gruppe gehört. Käufer in Bio-Läden gehörten in den 80ern beispielsweise zur grün-alternativen Subkultur. Man erkannte dieses grüne Milieu schon an der Kleidung. Bei Frauen: Birkenstock und Glockenrock. Bei Männern gerne Lederjacke und gestreifte Hosen. In dieser Gruppe teilte man nicht nur das Faible für nachhaltige Ernährung, sondern eine ganze Weltanschauung. Wer Bio kaufte, war auch gleichzeitig gegen Aufrüstung und gegen Atomkraft, aber für Nicaragua und für die Legalisierung von Haschisch. Über kleine Widersprüche sah man tolerant hinweg –  wie beispielsweise die Überkompensation des gesundheitsfördernden Effekts von Bio-Äpfeln durch massenhaften Konsum selbstgedrehter Zigaretten. Eine verrückte Idee, wie einen „Bio Supermarkt“ hätte man dagegen, um im damaligen Jargon zu bleiben, als immanenten Widerspruch begriffen, also als eine geradezu lächerliche Idee. Ein Bio-Laden hatte antikapitalistisch klein zu sein und Rapunzel o.s.ä. zu heißen.

Heute ist alles anders. Bio-Lebensmittel haben eine beispiellose Karriere gemacht. Es gibt nicht nur Bio-Supermärkte, Bio gibt´s sogar beim Discounter. Und unter dem erweiterten Begriff „nachhaltig“ gibt es sozusagen alles: vom fairen Smartphone bis zur Urlaubsreise.  Aber wo ist das glasklar zu identifizierende grüne Milieu geblieben?

Klare Antwort: Das gibt es nicht mehr. Klar umgrenzte Milieus in denen man von der Mode bis zur Weltanschauung alles teilte, sind entweder ausgestorben, bis zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpelt oder sind mehr oder weniger unfreiwillige Notgemeinschaften (z. B. Rentner in aussterbenden Dörfern). Stattdessen gibt es als individuelles Pendant zur Patchwork-Familie die Patchwork-Existenz. Man bedient sich aus einzelnen Schubladen eines riesigen Lebensstil-Regals und baut sich seine eigene Individualität zusammen. Und das oft nicht aus Lust, sondern weil es zur Notwendigkeit geworden ist. Wo Milieus fehlen, denen man sich anschließen kann, gibt es sozusagen einen Zwang zur Freiheit. Und der Preis dieser Freiheit ist zunächst einmal Orientierungslosigkeit. Deshalb ist die Suche nach Orientierung so ausgeprägt wie nie zuvor. Jeder Blick auf das Smartphone ist ein Blick, um sich zu orientieren. Bin ich noch up-to-date? Habe ich etwas Wichtiges verpasst? Was soll ich tun?

Um zu verdeutlichen, wie radikal dieser Wandel ist, noch einmal ein Blick zurück zu unserem grün-alternativen Milieu der 80er-Jahre. Dort wurde zwar pausenlos diskutiert, aber nur um sich selbst zu versichern, dass die geteilte Weltanschauung auf einem sicheren Fundament steht. Die gefühlte Progressivität der Gruppe ging zulasten der Individualität innerhalb der Gruppe. Hätte jemand gleichzeitig „Nein zur Aufrüstung“ und „Nein zu Nicaragua“ gesagt, hätte man günstigenfalls vermutet, derjenige hätte was Falsches geraucht. Dieser Konformitätszwang wurde aber nicht als Verlust empfunden – schließlich stand man ja auf der richtigen Seite. Im Gegenzug gab es ja auch viel Nestwärme und Bestätigung. Und genau dieses wohlige Gefühl fehlt heute. Wer die Gemeinschaft derjenigen sucht, die gleich ticken wie man selbst, muss ins Fußballstadion gehen.

Natürlich ist die Sehnsucht Gemeinschaften zu bilden auch über den Fußball hinaus noch da. Und tatsächlich ist es der Wille zur „Gemeinschaft der Guten“ zu gehören, der nachhaltigen Konsum treibt. Nur ist es eben nicht mehr ein geschlossenes Milieu, in dem dies stattfindet. Statistisch betrachtet gehört rund die Hälfte der Bevölkerung in entwickelten Ländern zur Gemeinschaft der „irgendwie nachhaltig Orientierten“. Wenn man jedoch nach Gemeinsamkeiten innerhalb dieser großen Gruppe sucht, wird es schwammig. Tendenz: Je wohlhabender und gebildeter, desto grüner. Je ärmer und bildungsferner, desto weniger Interesse an nachhaltigen Konsum. Das ist ja auch naheliegend. Interessanter ist es, die Motive für nachhaltigen Konsum zu betrachten. In geschlossenen Milieus mit hohem moralischen Anspruch – wie dem verblichenen grünen Milieu der 80er Jahre – war Konsequenz der wichtigste Treiber. Das heißt, man wollte das, für das man weltanschaulich steht, so gut und ganzheitlich wie möglich umsetzen. Tenor: „Schaffen wir eine bessere Welt“.

In der heutigen Welt der Patchwork-Existenzen geht es dagegen um Kompensation. Nicht alles, was man aus dem Lebensstil-Regal gezogen und in sein Leben integriert hat, ist nachhaltig. Genaugenommen ist vieles davon gar nicht nachhaltig. Und weil man sich dessen bewusst ist, tut man gleichzeitig Dinge um dies kompensieren: „Ich fliege nach Bali, aber fahre mit dem Fahrrad ins Büro“. Oder: „Ich wohne in einer sehr großen Wohnung, aber habe Solarzellen auf dem Dach.“ Verglichen mit der idealistischen Konsequenz der grünen Pioniere wirkt das natürlich etwas schlapp. Statt die Welt zu retten, begnügt man sich damit, ein bisschen was dafür zu tun, dass sie nicht untergeht. In der Summe ist der Saldo für die Nachhaltigkeit aber positiv: a) weil es viel mehr Menschen gibt, die sich zumindest sporadisch an nachhaltigem Konsum beteiligen und b) weil das Angebot nachhaltiger Produkte ständig wächst.

Bleibt als letzte Frage: Wie erreiche ich die große Masse der Konsumenten, die teilweise nachhaltig konsumieren? Die Antwort ist einfach: Indem ich Orientierung gebe. Oben wurde bereits gesagt, dass durch das Verschwinden geschlossener Milieus und das Auftauchen der Patchwork-Existenzen ein Zwang entstanden ist, sich selbst zu definieren. Entsprechend hoch ist die Nachfrage nach Orientierung. Eine Orientierung, die Unternehmen geben müssen. Wenn Verbraucher, die Orientierung suchen, gleichzeitig von Unternehmen gefragt werden, wie sie es denn gerne hätten, geht das nicht auf. Bildlich gesprochen: Es nützt nichts, wenn sich zwei Orientierungslose an einer Weggabelung gegenseitig nach dem Weg fragen. Es ist die Aufgabe der Unternehmen, mutig zu sagen, wo es langgeht. Sie müssen klar formulieren, wofür sie bei Nachhaltigkeit stehen und warum sie tun, was sie tun. Je attraktiver und glaubwürdiger diese Kommunikation ausfällt, desto wahrscheinlicher ist es, dass Orientierung suchende Konsumenten darauf anspringen.

Interessanterweise schließt sich hier ein Kreis: Die Welt gehört wieder den konsequenten Überzeugungstätern – nur, dass sie diesmal auf Unternehmensseite stehen.