Beiträge

Herbert F. Barber hat mit VUCA – Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity, Englisch für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit – bereits 1992 einen Begriff ins Leben gerufen, der die heutige Zeit besser nicht beschreiben könnte. Initial wurde VUCA von ihm als Bezeichnung der strategischen Unternehmensführung eingeführt. Mittlerweile spiegelt sie wider, mit welchen Problemstellungen sich Führungskräfte auch außerhalb ihrer jeweiligen Organisationen auseinandersetzen müssen. Heute beschreibt der Begriff die Einflüsse, die globale Abhängigkeiten, politische Kontroversen, Technologisierung und verändertes Kundenverhalten auf Unternehmen und ganze Gesellschaftsbereiche ausüben – und dadurch Führungskräfte im 21. Jahrhundert in Schach halten.
Kaum einer dieser Einflüsse hat jedoch derartig tiefe Veränderungen nach sich gezogen wie die seit März andauernde COVID-19-Pandemie. Durch sie hat sich ereignet, was viele im Vorfeld für unmöglich gehalten haben:Die US-eCommerce-Penetration hat innerhalb von drei Monaten ein Wachstum von 16 auf ca. 34 % erlebt (zum Vergleich: Für den Anstieg von fünf auf 16 % brauchte es ca. zehn Jahre), interne Projekte wurden an nur einem Wochenende aus der Taufe gehoben, für die vorab ein Zeithorizont von rund drei Jahren angedacht war, und ganze Branchen wurden disrumpiert, wenn man sich die Auswirkungen auf beispielsweise die Gastronomie, das Gesundheitswesen oder den Handel vor Augen führt. Corona hat dazu geführt, dass bisher geltende Gewissheiten nicht mehr gültig sind, eine neue Normalität Einzug gehalten hat und damit die Bedeutung von VUCA eine neue Facette bekommen hat.

Digitalisierung als Konstante des New Normal

In der daraus entstehenden Unsicherheit steht Digitalisierung als ein zentrales Instrument auf der Agenda nunmehr aller Firmenlenker, um auf diese volatilen Einflüsse flexibler reagieren und Gegenmaßnahmen einsteuern zu können. Obwohl es bereits im Vorfeld für viele Unternehmen eine Herausforderung war, Unternehmensprozesse auf das nächste (digitale) Level zu heben, ist dies durch Corona jetzt zu einem Überlebensfaktor geworden, der über die Zukunft der Unternehmen entscheiden wird. Sei es, um Offline Sales in den Online-Bereich zu erweitern, Projekte komplett digital durchzuführen oder Teams über digitale Kanäle zu managen – durch digitale Services und Plattformen werden diese Initiativen in nur einem Bruchteil der initial angedachten Zeit ermöglicht und sind dementsprechend als ein zentraler Bestandteil der Unternehmensführung nicht mehr wegzudenken.

Die Herausforderungen für Führungskräfte sind dabei, die durch Homeoffice-Pflicht entstandene physische Distanz zu den einzelnen Kolleginnen und Kollegen zu überwinden und trotz vorwiegend dezentraler Teamverteilung Nähe durch digitale Interaktionen zu erzeugen, um Projektabläufe umzusetzen und den Teamgedanken zu fördern. Demzufolge hat die Pandemie die Dringlichkeit der Implementierung von digitalen Lösungen verstärkt, da nur so der Krise adäquat begegnet und auf die Auswirkungen der Einflüsse schneller reagiert werden kann. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass laut einer DMEXCO Trendstudie ca. 70 % der in DACH ansässigen Führungskräfte angeben, dass die Pandemie die Umsetzungsvorhaben ihrer digitaler Transformationsprojekte beschleunigen wird, um den neuen Anforderungen begegnen zu können.

Anpassungsfähigkeit entscheidet über den zukünftigen Unternehmenserfolg

Führungskräfte durchleben gerade einen Crashkurs zu den Themen Digitalisierung, aber auch Change Management und New Work – wobei vor allem der individuelle Umgang von „Remote Leadership“ in Unternehmen einen kritischen Erfolgsfaktor darstellt, da die Agilität und Flexibilität der zumeist crossfunktionalen und dezentral verteilten Teammitglieder fortlaufend sichergestellt werden muss. Somit ist es ein elementarer Aspekt für Unternehmen, wie fähig sie sind und mit welcher Schnelligkeit sie angemessen auf Krisen und Veränderungen in ihrem Organisationsumfeld reagieren und ihre Organisation darauf basierend anpassen können.

VUCA 2.0 als Gegenmittel für aktuelle Unsicherheiten

Angetrieben von den externen Einflüssen, sehen sich Führungskräfte gezwungen, neue Wege zu gehen und sich neue Fertigkeiten anzueignen, um den sich verschärfenden Existenzfragen begegnen zu können. Dafür ist es notwendig, ein klares Verständnis der gemeinsamen Orientierung der Organisation zu haben, diese erfolgreich in das Unternehmen vermitteln und zusammen bestreiten zu können. Dies gelingt durch die Vermittlung eines Zielbildes (Vision), das Verständnis des Kontextes (Understanding), vorgetragen mit Klarheit (Clarity) und der notwendigen Beweglichkeit (Agility) in der Umsetzung oder in Kurzform: durch VUCA 2.0. Es kann als das Antidot zu dem von Herbert F. Barber eingeführten VUCA-Begriff gesehen werden. VUCA 2.0 gibt Führungskräften Leitlinien, die sie in ihren operativen Führungsaufgaben anwenden müssen, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu bleiben:

V ision:

Führungskräfte brauchen mehr denn je die Fähigkeit, im Kontext von Veränderungen stetig die Orientierung zu geben und eine Vision aufzuzeigen, nach der sich die Organisation ausrichten kann. Dies bedarf nicht nur der Definition eines Nordsterns, sondern auch der Schaffung einer entsprechend notwendigen Transparenz, damit jeder Mitarbeiter sich mit auf die anvisierte Mission begibt. Gleichzeitig ist es wichtig, gemeinsames Verständnis für Werte sowie die Strategie der Organisation zu schaffen, sodass Führungskräfte in der Lage sind, relevante Unternehmensentscheidungen zu treffen und so den Teams den gemeinsamen Weg zu ermöglichen.

U nderstanding:

Neben der Definition einer gemeinsamen Vision ist ein weitreichendes Verständnis der Strukturen und Abläufe wichtig, um Fähigkeiten, die innerhalb des Unternehmens existieren, schnell und effektiv anwenden zu können. Gleichzeitig muss ein tiefgreifendes Verständnis für den Unternehmenskontext bestehen, um sich flexibel und agil an dynamische Anforderungen durch Kunden, Wettbewerber und politische Großwetterlagen anpassen zu können. Dafür müssen eine unternehmensweit transparente Kommunikation und Vernetzung etabliert sein, um gemeinsam den volatilen Einflüssen frühzeitig zu begegnen. Nur dadurch werden äußere Veränderungen flexibel beantwortet, Risiken minimiert und Resilienz gefördert werden.

C larity:

Dem komplexen internen und externen Organisationsumfeld kann durch fokussierte und klar formulierte Unternehmensführung entgegengetreten werden. Dadurch wird Klarheit in das vorhandene Chaos gebracht, Unsicherheit in Unschärfe umgewandelt. So können effektive Gegenmaßnahmen definiert und implementiert werden. Infolgedessen können Prozesse klarer strukturiert, Kommunikationskanäle effizienter genutzt und Unternehmensentscheidungen schnell und konsequent vermittelt werden, sodass sie trotz existierender Komplexität transparent an Mitarbeiter kommuniziert und kontinuierlich sichtbar gemacht werden können.

A gility:

Unternehmen müssen sich agil äußeren Anforderungen anpassen und flexibel auf ein sich veränderndes Umfeld reagieren können, um zukunftsfähig zu bleiben. Agilität muss sich deshalb nicht nur in den Unternehmensstrukturen und -prozessen widerspiegeln. Sie stellt gleichzeitig eine Führungseigenschaft dar, die durch ein agiles Mindset bei Führungskräften sichtbar wird. Deshalb ist die Initiierung eines kulturellen Wandels, das Aufsetzen von flexiblen Prozessen und crossfunktionalen Zusammenarbeitsmodellen eine zentrale Aufgabe heutiger Führungspersonen. Dafür müssen sie offen innerhalb der Organisation kommunizieren können und schnell entsprechende Lösungen zu äußeren Veränderungen finden, ohne dabei den Nordstern aus den Augen zu verlieren.

Digitalisierung ist entscheidend für den Erfolg von VUCA 2.0

VUCA 2.0 bietet Führungskräften eine Herangehensweise, an der sie sich in Zeiten von wachsender Unsicherheit orientieren können. Dazu müssen jedoch entsprechende Technologien genutzt, digitale Plattformen eingesetzt und der interne Wissenstransfer so ausgerichtet werden, dass relevante Informationen, Daten und Transparenz hinsichtlich sich verändernder Situationen schnell und flexibel ausgetauscht werden können. Organisationen müssen dafür Silos aufbrechen, bereichsübergreifende Kollaboration sowie Integration fördern und Mechanismen etablieren, die Selbstreflexion motivieren. Zusätzlich müssen Unternehmen ein Umfeld für kontinuierliches Lernen und eine wertebasierte Kultur schaffen, um Mitarbeiter mit Werkzeugen zum Umgang mit plötzlich unvorhergesehenen Ereignissen auszustatten. Dadurch werden einzelne Teams und Mitarbeiter ermächtigt, durch Selbstverantwortung und Eigenreflexion der auf absehbare Zeit existierenden Kombination von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit begegnen zu können. Ein solches Vorgehen führt dazu, dass Mitarbeiter und Führungspersonen befähigt werden, notwendige Informationen zielgerichtet und im Sinne des Unternehmens einzusetzen, sodass Ressourcenverteilung optimiert und Ineffizienzen vermieden werden können.

VUCA 2.0 als Kernkompetenz der Organisation von heute

Schlussendlich ist die Umsetzung der in VUCA 2.0 enthaltenen Leitlinien ein kritischer Faktor für Führungskräfte, um den Herausforderungen durch die VUCA-Einflüsse heute und in Zukunft standhalten und daraus gestärkt hervorgehen zu können. Durch die Definition einer Vision, das Verstehen der eigenen Organisation, Klarheit in der Kommunikation sowie eine gelebte Agilität in der Organisation kann Unsicherheit entschärft und somit die gemeinsame Vision verfolgt werden. Eine Veränderung des Management- und Mitarbeiterverhaltens im Sinne von VUCA 2.0 wird dann wirklich Früchte tragen, wenn sie in eine Linie mit entsprechenden Tools, Plattformen und Technologien gebracht wird. Doch Veränderung geschieht nur dann, wenn man sie ins Rollen bringt – und dafür ist es spätestens jetzt allerhöchste Zeit.

Dieser Artikel erschien zuerst im TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der siebten Ausgabe unter dem Leitthema „Rethink!“. Zum E-Paper geht es hier.

Florian Haller: Neu denken, sich selbst immer wieder neu erfinden – gehört „Rethink“ bei einem Tech-Unternehmen wie Facebook zur DNA?

Angelika Gifford: Es ist sogar ein wesentlicher Bestandteil unserer Facebook-DNA, immer Dinge zu hinterfragen, immer neu zu denken. Unsere Leitschnur dabei: Wir bleiben bei allem, was wir tun, unserer Unternehmensmission treu. Nämlich: Wir wollen mit unseren Plattformen Menschen verbinden und ihnen eine Stimme geben. Ein zentraler Treiber beim Neudenken ist für uns die Frage: Was brauchen die Menschen, die unsere Services nutzen, gerade? Wir haben zum Beispiel erst im Sommer Messenger Rooms gestartet, ein einfaches Videokonferenz-Tool im Facebook Messenger, nutzbar für jeden, und haben die Teilnehmerzahl bei Gruppen-Videoanrufen in WhatsApp auf acht erhöht, alles auf Basis des Feedbacks der Menschen da draußen. Rethink heißt für mich auch, dass man sich nie mit dem Stand X eines Produkts zufriedengibt, sondern sich immer fragt: Wie können wir die Dinge verbessern, vereinfachen, beschleunigen, anpassen und weiterentwickeln? Dieses Denken ist bei Facebook sehr ausgeprägt.

Florian Haller: Facebook heute ist nicht mehr Facebook von vor 16 Jahren. Gab es bestimmte Meilensteine der Veränderung im Laufe dieser Zeit, oder ist das eher ein ständiger Prozess?

Angelika Gifford: Es ist ein ständiger Veränderungsprozess, deshalb passieren Anpassungen oft kontinuierlich, graduell über Zeit und mögen dem Betrachter nicht direkt auffallen. Insgesamt haben wir uns aber deutlich weiterentwickelt, zum Beispiel beim Stichwort „Election Integrity“, also allem, was wir unternehmen, um transparente und sichere politische Wahlen sicherzustellen. Eine deutliche Veränderung sehe ich auch beim Thema Kommunikation: Ich glaube, wir sind über die Zeit besser im Erklären geworden, wer wir sind, was wir tun, wie wir denken, wie wir etwas anpacken und wieso. Das ist auch meine persönliche Ambition, „giving a face to Facebook“. Wir müssen nahbarer, erlebbarer sein. Wir machen natürlich auch Fehler und sind noch lange nicht da, wo wir sein wollen. Aber wir sind eine lernende Organisation und entwickeln uns ständig weiter, erfinden uns immer wieder neu.

Florian Haller: Was braucht es, um in Sachen Innovation immer die Nase vorne zu haben?

Angelika Gifford: Ich habe für sehr erfolgreiche Unternehmer arbeiten dürfen, 21 Jahre für Bill Gates und jetzt ein knappes Jahr für Mark Zuckerberg. Und ich erkenne viele Gemeinsamkeiten. Punkt eins: die Vision und die Ausdauer, starke, relevante Produkte auf den Markt zu bringen. Punkt zwei: eine hohe Vielfalt innerhalb des Unternehmens zu schaffen, nicht nur hinsichtlich Geschlecht, sondern auch bezüglich des religiösen, geografischern ethnischen, kulturellen und politischen Hintergrundes und so weiter. Man muss viele Stimmen hören und die Vielfalt der Nutzer und Kunden, die man bedient, intern widerspiegeln. Punkt drei: eine gewisse Rastlosigkeit, bei der man erst mal mithalten können muss. Da härten einen die Amerikaner wirklich ab. Das bedeutet konsequent unternehmerisches Denken, die Bereitschaft, sich zu verändern und eben eine lernende Organisation zu schaffen. Heißt: Es ist erlaubt und sogar erwünscht, auch Fehler zu machen – sofern man daraus lernt und sich weiterentwickelt. Und der vierte Punkt: Mitarbeiter*innen mitnehmen, sie befähigen und ermuntern, sich selbst und das Unternehmen immer wieder zu hinterfragen.

Florian Haller: Wie muss das Empowerment konkret aussehen, damit es bei den in Ihrem Fall mehr als 56.000 Mitarbeiter*innen weltweit auch wirklich ankommt und etwas bewirkt? Was ist Ihr Geheimnis?

Angelika Gifford: Wir versuchen erst mal, unsere Kultur überall im Unternehmen zu materialisieren, auch physisch, sei es auf Postern, Bildschirmschonern, Aufklebern, Unterlagen: Da liest man Dinge wie „Be bold“, „Move fast“ oder auch „What would you do if you were not afraid?“. Man muss die Leute immer wieder inspirieren, ermutigen und daran erinnern: Wir gehören zusammen, das ist unser aller Firma, jede Meinung wird gehört, jeder kann und soll etwas beitragen.

Florian Haller: Poster und Bildschirmschoner, mehr braucht es nicht?

Angelika Gifford: Doch, das waren nur einige konkrete Beispiele. Wir haben insgesamt eine sehr transparente, partizipative Unternehmenskultur und sind eine wirklich durchlässige Organisation. Von offenen Türen sprechen wir gar nicht erst, die Arbeitsflächen in unseren Offices haben oft nicht mal Türen. Außerdem der Grundsatz „Make others look great“, den finde ich wirklich einzigartig: Wenn Sie eine coole Idee haben, fühlen Sie sich befähigt, diese auszuarbeiten, andere ins Boot zu holen, sie dafür zu gewinnen. Und auch den Mut zu haben, damit dann an Führungskräfte heranzutreten, das ist für mich das Wichtigste überhaupt.

Florian Haller: Die Gesellschaft in Deutschland ist – noch – nicht sehr divers. Wie bringen Sie an allen Standorten Diversität in die Organisation?

Angelika Gifford: Erst mal, indem wir überall in Personalgewinnung und -weiterentwicklung großen Wert auf Diversität legen. Jeder unserer Mitarbeiter*innen in Job-Interviews hat vorher Schulungen zum Umgang mit Vorurteilen und viele weitere verpflichtende Trainings durchlaufen. Außerdem können wir als weltweit agierendes Unternehmen, in dem Englisch gesprochen wird, vielen Mitarbeiter*innen anbieten, in ein anderes Land zu wechseln, sei es zum Beispiel nach Deutschland, um hier zwei, drei Jahre lang den Markt und die Kunden kennenzulernen.

Florian Haller: Wie viel Mobilität erwarten Sie von potenziellen Mitarbeiter*innen?

Angelika Gifford: Wir stellen ganz aktuell auch dort Leute ein, wo wir gar kein Office haben, und statten sie dann mit einer Homeoffice-Ausrüstung aus. So gewinnen wir etwa osteuropäische Top-Talente für uns, die nicht unbedingt physisch aus unserem zentralen Office in Warschau arbeiten wollen oder können. Ich denke, das ist ein weiterer Schritt zu noch mehr Diversität bei Facebook, aber auch hin zu neuen, flexibleren Arbeitsmodellen. Wir schätzen, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren jeder zweite Facebook-Mitarbeiter dauerhaft von zu Hause aus arbeiten wird.

Florian Haller: Welche Rolle spielen Unternehmerpersönlichkeiten wie Mark Zuckerberg oder Elon Musk im Kontext von Innovation? Werden sie von der Öffentlichkeit überschätzt?

Angelika Gifford: Diese Unternehmer haben eine starke Vision, eine zündende Geschäftsidee. Mark Zuckerberg zum Beispiel ist ein wirklich außergewöhnlicher Mensch: Er ist 36, ein Visionär, disruptiv, unkonventionell und auch in manchen Dingen provokant. Und er hat eine sehr klare Vision: Menschen weltweit die Möglichkeit zu geben, sich austauschen und Gemeinschaften zu bilden. Das sind mittlerweile mehr als 3,1 Milliarden Menschen. Außerdem hat er bei Facebook eine wirklich offene, vertrauensvolle und Feedback-orientierte Kultur aufgebaut, die jeden befähigt und ermutigt, sich zu hinterfragen und eigenverantwortlich zu handeln. Er teilt seine Ideen, aber auch die Dinge, die nicht gut gelaufen sind. Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein CEO jede Woche vor seine gesamte Belegschaft stellt und Fragen beantwortet. Diese sind nicht vorbesprochen, alle können anbringen, was sie bewegt, von der IT-Ausstattung bis zur Unternehmensstrategie, und Mark geht darauf ein und erklärt seinen Standpunkt dazu. Und Unternehmer wie Mark Zuckerberg haben als Mehrheitseigentümer auch den Spielraum, eine langfristige, kohärente Strategie zu verfolgen und in Innovationen zu investieren.

Florian Haller: Facebook hat hauptsächlich junge Mitarbeiter*innen, Sie sind also sozusagen „the adult in the room“. Müsste die Europa-Chefin nicht eigentlich selbst eine 28- oder 30-Jährige sein?

Angelika Gifford: Vielleicht wäre das besser (lacht). Nein, ich glaube es wäre nicht besser. Wir haben sehr viele kreative, agile, schnell denkende, smarte Mitarbeiter*innen. Partizipation und Empowerment von Einzelnen sind essenziell, aber Agilität darf nicht in Chaos münden. Wir wachsen als Firma, da braucht es klare Rahmenbedingungen, Spielregeln, einen Kurs, Prioritäten, um aus diesem an sich sehr guten, kreativen Chaos eine Ordnung und ein Ziel ableiten zu können, was dann jeder mitträgt. Es braucht also aus meiner Sicht eine Symbiose aus strukturierendem Management und Kreativität sowie Agilität.

Florian Haller: Deutschland macht in Sachen Digitalisierung keine gute Figur. Welche Rethink-Hausaufgaben würden Sie dem Land und den Unternehmen mitgeben?

Angelika Gifford: Ich bin über den Digitalisierungsgrad hierzulande seit vielen Jahren enttäuscht. Dass wir so schlecht dastehen, hat auch etwas mit der Mentalität zu tun. Vor dem Neuen hat man in Deutschland oft erst mal Angst, zumindest große Skepsis. Das spüre ich, wenn ich mit Menschen rede, vor allem mit kleinen und mittelständischen Unternehmen. Menschen haben oft Vorbehalte vor Technologie, befürchten, dass künstliche Intelligenz die Welt regieren wird. Diese Angst müssen wir ihnen nehmen. Es muss ein Wandel in der Mentalität her, die Menschen sollten Technologie nicht als Bedrohung, sondern als Chance und Bereicherung sehen. Und ein weiterer Punkt: Schauen Sie sich an, welche bürokratischen Hürden heute beispielsweise zu nehmen sind, wenn man in Deutschland Innovation vorantreiben möchte. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir brauchen zum Beispiel ein starkes Datenschutzgesetz! Ich finde aber, wenn laut Bitkom bei jedem zweiten Unternehmen neue, innovative Projekte aufgrund von Datenschutzbedenken scheitern, dann ist das wiederum sehr bedenklich. Und zu guter Letzt das Thema Umsetzung: Oft wird von Digitalisierung groß geredet und es werden bunte, schöne Folien gezeigt, aber die wenigsten investieren richtig, setzen Dinge wirklich um und verändern somit auch ihre Geschäftsmodelle und ihre Kultur. Das alles aber müsste passieren, damit man von erfolgreicher Digitalisierung in einem Unternehmen sprechen kann.

Florian Haller: Wo geht aus Facebook-Sicht in Sachen Technologie die Reise hin? Was ist das Next Big Thing?

Angelika Gifford: Drei Themen beschäftigen uns besonders: Erstens haben wir zum Beispiel unser Facebook Artificial Intelligence Research Lab mit einem internationalen Team, das Grundlagenforschung im Bereich Künstliche Intelligenz betreibt. Ich bin zwar kein Techie, aber was dieses Team da macht, ist absolut führend. Mein zweites Lieblingsthema ist das, was Mark Zuckerberg als großen Trend nach Mobile sieht, nämlich Virtual und Augmented Reality. Wir haben kürzlich erst die neueste Version unserer Oculus-Quest-Brille vorgestellt und haben richtig spannende Anwendungsfälle, nicht nur im Privaten, sondern auch im Business-Umfeld: Ob das virtuelle Schulungen in Warenverteilzentren von DHL sind, virtuelle Operations-Trainings bei Johnson & Johnson oder virtuelle Hotel-Touren für Hilton-Mitarbeiter. Kommendes Jahr werden dann auch Smart Glasses ein großes Thema. Wir arbeiten daran, alle Anwendungen in einer kleinen Brille unterzubringen. Dann können Sie sich etwa eine Wegbeschreibung anzeigen lassen, wenn Sie zum Beispiel München zu Fuß erkunden. Ein drittes Thema ist Nachhaltigkeit. Viele wissen das nicht, aber Facebook ist schon heute der zweitgrößte Abnehmer erneuerbarer Energien weltweit. Darüber hinaus haben wir uns ganz konkrete Klimaneutralitätsziele für 2030 gesetzt: Selbst unsere Zulieferer müssen dann eigene Nachhaltigkeitsziele umgesetzt haben und wir wollen die innovativsten Rechenzentren der Welt am Netz haben. Außerdem haben wir ein Klimainformationszentrum geschaffen, ein Tool auf Facebook, das jeder über sein Menü aufrufen kann und mit dem wir unsere Nutzer mit konkreten Beispielen und Fakten zu einer nachhaltigeren Lebensweise inspirieren möchten.

Florian Haller: Dazu darf ich sagen, Sie sprechen mit dem Chef der ersten zertifizierten klimaneutralen Agenturgruppe Deutschlands nach hundert Tagen. Darauf sind wir richtig stolz. Aber lassen Sie mich bei einem Punkt nachhaken: Bei AR und VR habe ich das Gefühl, dass es in den letzten Monaten ein bisschen still geworden ist. Da fehlt mir der Bezug zum Alltag der Menschen.

Angelika Gifford: Wir arbeiten im Moment genau daran, die Technologie in den Alltag zu bringen – etwa in Brillen, die wir zusammen mit Ray-Ban, einer Marke von EssilorLuxottica, entwickeln wollen. Bis wir ein massentaugliches Produkt haben, das sich jeder morgens aufsetzt, wie er seine normale Brille aufsetzen würde, werden noch Jahre vergehen, sicher. Aber unsere Vision ist es, sinnvolle Produkte für Menschen zu entwickeln, und wir nehmen sie auf dieser Innovationsreise auch mit.

Florian Haller: Wie lautet Ihr wichtigster Rat für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen?

Angelika Gifford: Also, wenn ich die Zauberformel dafür in der Tasche hätte, würden wir uns heute wahrscheinlich nicht unterhalten (lacht). Nun, was müssen wir tun? Wir müssen die Digitalisierung konsequent weiter voranbringen, Innovationstreiber sein. Dafür braucht es die entsprechenden Kompetenzen. Das bedeutet auch, schon unsere Kinder entsprechend auszubilden und ihnen Spaß am Thema IT und Digitales zu vermitteln. Und genau da muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen, sei es bei Bildung und Ausbildung, aber auch bei flexiblen Arbeitsmodellen. Und wir alle müssen erkennen: Technologie ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Die müssen wir nachhaltig nutzen, um in der globalisierten Welt die Nase weiter vorne zu haben.

Florian Haller: Ich danke vielmals für dieses Gespräch.

Dieser Artikel erschien zuerst im TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der siebten Ausgabe unter dem Leitthema „Rethink!“. Zum E-Paper geht es hier.

Stellt euch vor, ihr habt jeden Tag zwei Stunden mehr Zeit zu Hause: Was würdet ihr damit anfangen? Eine Frage, die uns zu Beginn des vergangenen Jahres noch komisch vorgekommen wäre, wurde kurz danach zur bitteren Realität. Als die Wohnung geputzt und der Keller aufgeräumt war, blieb immer noch genug Zeit für Instagram, Netflix, Spotify und Co. – also für Medien. Die Beschränkungen im März und April haben einen regelrechten Boom ausgelöst. Der Medienkonsum stieg spürbar an. Wie es danach weiterging und was wir daraus für den gegenwärtigen Lockdown lernen können, haben wir folgend zusammengefasst.

Veränderter Tagesrhythmus wirkt sich auf Medienkonsum aus

Die Prioritäten der deutschen Bevölkerung im ersten Lockdown waren relativ klar verteilt: Während im Durchschnitt nur 13 Minuten länger geschlafen wurde, wurden ganze 33 Minuten länger Medien genutzt. Durch die Beschränkungen waren die Menschen an ihr Zuhause gebunden und haben dort einen großen Teil ihrer zusätzlichen Zeit für mediale Angebote genutzt. Während sich die Tagesreichweiten der Mediengattungen in vielen Fällen nur leicht verändert haben, waren die Auswirkungen auf die Nutzungsdauer wesentlich stärker. Sprich: Menschen haben vorwiegend den bereits bekannten Medienkanälen noch mehr Zeit gewidmet. Dennoch war neben der Ausweitung der Nutzungsvorgänge auch zu erkennen, dass Konsument:innen einige digitale Dienste zum ersten Mal ausprobiert haben. Der Video-Chatdienst Zoom ist ein gutes Beispiel dafür. Von 800.000 Downloads im Apple App Store im Januar 2020 auf über 36 Millionen im April – ein beachtlicher Anstieg.

Gestiegenes News-Interesse und Bewegtbild-Boom

Zu Beginn der Pandemie gab es ein sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach aktuellen Informationen. Nachrichten-Formate im linearen TV haben dadurch Reichweitenzuwächse generiert. Die Fernsehnutzung blieb auch den gesamten Abend über auf deutlich höherem Niveau. Der Wunsch nach Unterhaltung und Ablenkung war in dieser Zeit stärker präsent. Streamingdienste erfüllen dieses Bedürfnis in hohem Maße und sind ebenfalls intensiver genutzt worden. Netflix und der im März neu gestartete Dienst Disney+ haben neue Abonnenten gewinnen können. Netflix hat jüngst vermeldet, dass die 200 Millionen Marke geknackt wurde. In 2020 steht damit ein Plus in Höhe von 37 Millionen – mehr neue Kunden hat die Plattform innerhalb eines Jahres noch nie erreicht. Streaming konnte jedoch fast ausschließlich bis 22 Uhr zulegen. In der Zeit danach waren TV-Nachrichtenmagazine und -Talkshows zu den aktuellen Ereignissen stärker gefragt.

Phase der Normalisierung: Digitale Angebote profitieren nachhaltig

Mit den Lockerungen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in der zweiten April-Hälfte hat sich das öffentliche Leben wieder langsam normalisiert. Nach dem Peak im März und April ist die Mediennutzung zurückgegangen – allerdings nicht bei allen Angeboten. Digitale Dienste haben es zum Teil geschafft, Nutzer langfristig zu binden, während traditionelle Medien immer noch unter Druck bleiben. Digitale Kanäle übernehmen weiterhin soziale Funktionen. Dies ist einer der Gründe dafür, wieso Social Media Apps seit Krisenbeginn intensiver genutzt werden als zuvor. Nicht nur Apps mit integriertem Messenger oder Videochat-Funktionen wie Instagram oder Facebook verzeichnen höhere Nutzungszahlen, sondern auch TikTok – mit stärkerem Fokus auf Entertainment. YouTube liegt seit Beginn der Pandemie im Durchschnitt etwa 15 Prozent über dem Vorjahr – auch hier kann man von einer nachhaltigen Entwicklung sprechen. 

Online-News haben durch das anhaltend hohe Nachrichteninteresse in den letzten Monaten ihre Reichweiten längerfristig steigern können. Die lineare TV-Nutzung hingegen hat sich in den Wochen nach den Beschränkungen relativ schnell wieder auf Vorjahresniveau eingependelt. Hier hatte die Krise nur kurzfristige Auswirkungen. Zusammengefasst zeigt dies, dass die Pandemie diejenigen Entwicklungen weiter befeuert hat, die schon seit einigen Jahren zu beobachten waren: Die Mediennutzung entwickelt sich in Richtung einer flexiblen und individuellen Nutzung, bei der Medien verstärkt digital und non-linear konsumiert werden.

Was bedeutet das für den aktuellen Lockdown?

Auch in der aktuellen Phase ist davon auszugehen, dass die Mediennutzung durch die zunehmende Zeit zu Hause wieder sichtbar wächst. Im Frühjahr betrug das Nutzungsplus gegenüber den Wochen davor etwa 10 bis 15 Prozent. Da wir jetzt in der kalten Jahreszeit ohnehin mehr Zeit zu Hause verbracht hätten, dürfte die Steigerung der Nutzungsdauer diesmal etwas geringer ausfallen.

Aufgrund der weiterhin dynamischen Nachrichtenlage wird das Informationsbedürfnis in den kommenden Wochen auf hohem Niveau bleiben. Nutznießer dieser Entwicklung werden TV und Online News sein. Die positive Entwicklung bei den Digital-Abos von „Zeit“ und „Spiegel“ zeigen, dass Qualitätsjournalismus zur Einordnung der Ereignisse stärker nachgefragt wird. Immer mehr Menschen lesen auch hinter der Paywall weiter. Hier bietet die Krise eine echte Chance für die Akzeptanz von Paid Content. Die Verlagerung von Print zu Digital wird weiter vorangetrieben. Die Beschränkungen haben einen massiven Einfluss auf den Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften. Durch die geringere Mobilität der Bevölkerung und die Schließung des Einzelhandels werden die stationären Verkäufe weiter zurückgehen.

Auch Formaten für den Lean-Back-Modus zur Unterhaltung und Entspannung wird eine stärkere Bedeutung zukommen. Streamingdienste punkten mit einem kinoähnlichen TV-Erlebnis on Demand und werden noch mehr Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich ziehen. Klassisches Radio hat im ersten Lockdown die Verluste in der Drive-Time und die wachsende Konkurrenz durch Musik-Streaming zu spüren bekommen. Da aktuell – noch stärker als im März – Unternehmen dazu angehalten werden, Homeoffice für ihre Mitarbeiter anzubieten, könnten sich die Rückgänge in der Drive-Time noch stärker bemerkbar machen. In Bezug auf die Kommunikation über Messenger und Videochat-Dienste sind Hürden abgebaut worden – insbesondere bei den Älteren. Viele haben die Apps erstmalig installiert und genutzt. Die erneute Einschränkung von sozialen Kontakten wird zu einem weiteren Aufschwung der Dienste führen, die virtuelle Kommunikation ermöglichen.

Die Erkenntnisse aus dem Frühjahr und der anschließenden Phase der Normalisierung zeigen klar, dass die Pandemie der Digitalisierung bei der Mediennutzung einen deutlichen Schub gebracht hat. Digitale Apps und Plattformen sind die Krisengewinner und setzen klassische Kanäle noch stärker unter Druck als ohnehin schon. Der Peak hinsichtlich der Mediennutzungszeit in Lockdown-Phasen flacht in der Zeit danach sukzessive wieder ab. Digitale Angebote profitieren nachhaltig von der Entwicklung, da sich (neue) Nutzer an die Kanäle gewöhnt haben.

Warum es sinnlos ist, mit Kundenumfragen zu warten, bis „es vorbei ist“

Alle Industriezweige versuchen momentan, sich so gut wie möglich an die Herausforderungen anzupassen, die das Corona- Virus mit sich bringt. Einige sind dabei sehr erfolgreich, andere weniger. Es ist schön zu sehen, dass mein Bereich, die CX/UX-Forschungsgemeinschaft, ihre Fähigkeiten sehr effektiv verändert hat, um den Anforderungen des Arbeitens (und der laufenden Forschung) aus der Ferne gerecht zu werden.

Während dem letzten Status Call mit meinen internationalen Kolleginnen und Kollegen von UX-Fellows sagten alle, dass sie erfolgreich auf Fern-UX-Tests, Fern-IDIs und sogar auf ethnographische Fernforschung umgestellt haben. Und alle Kollegen, die aus Regionen wie Brasilien, USA, Europa, Russland, Singapur oder Australien kommen, stimmten darin überein, dass ihre Kunden und Teilnehmer qualitative Fernforschung ziemlich gut akzeptieren. Quantitative Forschung wird bereits seit einiger Zeit ausschließlich online durchgeführt und ist ohnehin nicht betroffen.

Ein Thema, das ich jetzt mit meinen Kunden diskutiere, ist jedoch nicht die Machbarkeit von Fernforschung. Es geht um ihre Validität, d.h. darum, was die Erkenntnisse, die wir erhalten, bedeuten, wofür sie stehen und wie lange ihre Bedeutung Bestand haben wird.

Die Fragen, die wir diskutieren, sind:

  • Werden die Teilnehmenden nur über die Corona-Situation sprechen? Werden alle Erkenntnisse von der Ausnahmesituation überschattet?
  • Sind die Teilnehmenden in der Lage, sich daran zu erinnern, wie sie vor der Krise geantwortet hätten, verhalten oder gefühlt haben?
  • Können wir angesichts der „unnatürlichen“ Situation überhaupt natürliches Verhalten beobachten?

In den letzten Wochen kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht die falschen Fragen sind. Es scheint immer offensichtlicher zu werden, dass wir nicht zu einem Zustand wie vor Corona zurückkehren werden – nicht so, wie wir ihn kannten.

Viele Länder sind jetzt seit sechs oder mehr Wochen im Lockdown. Nachdem sich die meisten Unternehmen und Privatpersonen nach dem plötzlichen Ausbruch der Ereignisse in einem Schockzustand befanden, versuchten sie, sich zu orientieren und ergriffen sofort Maßnahmen, um sowohl ihre physische als auch ihre wirtschaftliche Gesundheit zu schützen. Viele Unternehmen stellten ihre nicht lebensnotwendigen Ausgaben (z.B. für Kundenforschung) ganz ein.

Wir können jedoch davon ausgehen, dass diese Phase jetzt vorbei ist. Wir stellen uns auf die neue Situation ein, prüfen neue Geschäftsmöglichkeiten und Möglichkeiten, mit dem Virus zu leben. In der Tat scheinen viele die Tatsache zu akzeptieren, dass das Virus noch eine Weile bei uns bleiben wird und dass es eine neue Normalität geben wird, sobald es verschwunden ist.

Was bedeutet dies für die Kundenforschung?

Es macht nicht viel Sinn, mit Kundenumfragen zu warten, bis die Zeit vorbei ist, denn wir gehen nicht in eine Welt vor Corona zurück. Da die Schockphase vorbei ist, können wir auch davon ausgehen, dass die Kunden in der Lage sind, uns zu sagen, wie sie sich fühlen, was sie brauchen und was sie für die nächste Zeit als relevant erachten.

  • Corona ist ein technologischer Katalysator, der die Einführung von Technologien und Veränderungen im Nutzungsverhalten beschleunigt.
  • Digitalisierungsdefizite und Schmerzpunkte, z.B. bei einer papierbasierten Bürokratie, werden auffallend deutlich.
  • Besondere Bedürfnisse der Menschen werden fortbestehen – wie der Mangel an persönlichen Begegnungen, Einsamkeit, finanzielle Sorgen und andere existentielle Probleme.
  • Es scheint ein Wertewandel im Gange zu sein, z.B. hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Zahlreiche Persone denken darüber nach, wie sie jetzt zum Beispiel ihre lokalen Geschäfte, Restaurants und Gemeinden unterstützen können.
  • Langfristig können wir davon ausgehen, dass sich viele Kundenverhaltensweisen ändern werden, z.B. in Bezug auf Reisen, Arbeit, Einkaufen, Kommunikation. Wir können schon jetzt den Beginn dieser Veränderungen sehen.

Das bedeutet, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diese neue Normalität zu verstehen. Wir sollten die kundenzentrierten Forschungsinstrumente nutzen, die wir haben, um sie proaktiv zu gestalten.

Die Corona-Krise stellt derzeit viele Geschäftsbereiche vor Herausforderungen, eröffnet aber auch neue Chancen. In der ersten Live Session der Serviceplan Group zum Thema „Erfolgreich Handeln in der Corona-Krise“ stellte Verena Letzner, Geschäftsführerin von Plan.Net NEO, die Auswirkungen der Krise auf den Bereich Social Media vor. Wie die aktuelle Situation in Deutschland ist, welche Fragen sich Marken jetzt stellen sollten und warum sich ein Blick nach China lohnt, verrät die Digitalexpertin in diesem Fachbeitrag.

Die Nutzung von Social-Media-Plattformen, von Messenger- und Videoplattformen bis hin zu klassischen Social-Media-Plattformen wie Instagram, Facebook und Co. ist stark gestiegen. Aufgrund der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in Deutschland und der daraus resultierenden sozialen Isolation, nutzen Menschen das Social Web verstärkt, um sich zu informieren, zu diskutieren und mit anderen in Kontakt zu treten – auch mit Marken. Dies eröffnet Marken Handlungsfelder, um sich während der Krise nachhaltig zu positionieren. Relevant dabei ist das „Wie“: Nur Marken, die jetzt einen hilfreichen Beitrag leisten, werden Teil der Konversation und können gestärkt aus der Krise hervorgehen.

1. Die Situation der Menschen verbessern

Marken sollten im Social Web ein Angebot schaffen, das den vielen Menschen, die aktuell zuhause bleiben müssen, einen Mehrwert bietet. Marken können wichtige Lebensbereiche wie etwa Sport, Gesundheit und Bildung durch ihr Angebot unterstützen oder Alternativen schaffen für Aktivitäten, die aufgrund der Corona-Krise eingeschränkt sind oder komplett entfallen wie etwa gemeinsames Essen, Einkaufen und Pflege von sozialen Kontakten.

2. Haltung zeigen und Optimismus ausstrahlen

Aktuell ist die „Time with brands“ in einer Hochphase, das heißt, die Nutzer beschäftigen sich verstärkt mit Marken im Social Web. Für Marken gilt es, diese Zeit zu nutzen, um Werte wie Solidarität, Gemeinschaft, Fürsorge, Vertrauen und Optimismus authentisch ins Zentrum ihrer Kommunikation zu rücken und so ihr Markenkapital nachhaltig aufzustocken.

3. Von der veränderten Mediennutzung profitieren

Aufgrund des Rückzugs vieler Werbetreibender aus dem Paid-Social-Bereich, nimmt der Werbedruck aktuell ab und die Konkurrenz um Platzierungen sinkt. Deshalb kann es für Marken gerade jetzt sinnvoll sein, günstige Werbeplätze einzukaufen oder mehr Reichweite bei gleichem Budget zu erhalten.

Fünf Fragen, die sich Marken jetzt stellen sollten

Um die Potenziale im Bereich Social Media während der Corona-Krise zu nutzen, müssen sich Marken nun dringend mit der Frage nach einer erfolgversprechenden Social-Media-Strategie beschäftigen. Einen Leitfaden dafür bilden diese fünf Fragen:

  1. Welche Rolle kann Social Media im Kommunikationsmix während der Corona-Krise für meine Marke einnehmen?
  2. Wie gehe ich in Krisenzeiten mit meiner Community um?
  3. Welche Kanäle sind dabei für mich die richtigen?
  4. Wie kann ich einen Performance-orientierten Social-Media-Ansatz etablieren und mein Budget effektiv investieren?
  5. Wie messe ich meinen Erfolg – während und nach der Krisenzeit?

Ein Blick nach China – ein Blick in die Zukunft

Spannend ist sicherlich die Frage, was passiert, wenn die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland wieder gelockert werden. Dafür lohnt es sich, einen Blick nach China zu werfen, wo die Krise und ihre Auswirkungen den europäischen Ländern zeitlich voraus ist. Auch in China hat die Social-Media-Nutzung diverser Dienste und Plattformen stark zugenommen und der persönliche Austausch, der üblicherweise in den Stores stattfindet, etwa die Produkt- oder Kaufberatung, hat sich ins Social Web verlagert.

Und nach der Lockdown-Phase? In China ist die Social-Media-Nutzung unvermindert hoch. Lediglich die tägliche Nutzungszeit hat wieder leicht abgenommen. In einer Umfrage chinesischer Marketers, wie sie künftig Budgets investieren würden bzw. welche Bereiche sie nach der Krise stärker nutzen würden, gaben die meisten der Befragten den Bereich Social Media an.[1] Das zeigt, dass hier langfristig Business Opportunities gesehen werden.


[1] Dentsu Aegis Client & Leadership Survey, Feb 28 – March 02 2020

Neulich habe ich unseren Finanzchef Jørg im Aufzug getroffen. Er hob eine Braue, als er mich mit ein paar Paketen von Taobao in den Händen dastehen sah, und fragte sarkastisch: „Was hast du denn jetzt schon wieder gekauft?“ Peinlicherweise konnte ich die Frage nicht beantworten, weil ich es schon wieder vergessen hatte.

Jeden Abend vor dem Einschlafen klicke ich mich zur Entspannung durch Taobao oder JingDong … und finde immer etwas Inspirierendes oder Interessantes, was ich ausprobieren möchte. Das Frauenprivileg des „Window-Shopping” hat sich zum „Pad-Shopping“ gewandelt. Ein Tag, ohne ein paar Kleinigkeiten zu kaufen, verursacht bei mir Schuldgefühle. „Es ist schon fast so wie das Schuldgefühl, nichts zur Gesellschaft beizutragen“, erklärte ich Jørg. Tatsächlich ist Online-Shopping für Chinesen zum Ritual geworden. Es geht um kaufen, kaufen, kaufen, nicht aber darum, was gekauft wird!

Verglichen mit meinen deutschen Kollegen, die ziemlich reduziert und bodenständig leben, sind unsere chinesischen Kollegen unbeständiger und abenteuerlustiger. Die Kosten, etwas Neues auszuprobieren, sind so gering, dass wir leicht „Warum nicht?“ sagen, um dann Risiken und Ungewissheiten in Möglichkeiten zu verwandeln.

Da das Land weder eine ruhmreiche industrielle Vergangenheit noch eine erfolgreiche Geschichte in Bezug auf moderne Wirtschaftsentwicklung vor der Öffnung vorzuweisen hat, können die Chinesen „mit leichtem Gepäck reisen“, einfach ins Ungewisse springen und nach Herzenslust herumprobieren. Deswegen ist Taobao beliebter als Amazon, WeChat beliebter als WhatsApp und Didi beliebter als Uber. Ein Land, das noch nicht einmal über ein richtiges Kreditsystem verfügt, ist jetzt in der Lage, das weltweit beste Online-Bezahlungssystem zu entwickeln, und sorgt dafür, dass bargeldloses Zahlen selbst in die abgelegensten Gebiete Chinas vordringt. Hausierer und Omas gleichermaßen profitieren jetzt davon.

Wir Chinesen lernen schnell und ändern uns schnell. Für ein Land, das auch „Volksrepublik der Veränderung“ genannt wird, ist die Veränderung das einzig Unveränderliche, und die Veränderung hat uns still und heimlich in die nächste „Zukunft“ geführt.

Diese „Zukunft“ findet jetzt in China statt!

Vera Yu wird auf der International Roadshow: China Insights, 27.06.2017, zeigen, wie die Chinesen ihr Leben mit mehr verfügbarem Einkommen aufwerten und wie die zukünftige Art zu leben und zu wirtschaften ein ganz neues Vermarktungspotential mobilisiert.