Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass 2020 ein wirklich
seltsames Jahr war. Sicher, da ist diese globale Pandemie im Gange, und der
amerikanische Präsident weigerte sich, seine offensichtliche Wahlniederlage
einzugestehen und schimpfte stattdessen auf Twitter. Aber können wir einen
Moment innehalten und uns daran erinnern, dass Fleetwood
Macs Album „Rumours“ aus dem Jahr 1977 wieder in den Top 10 der
Billboard-Charts gelandet ist? Und zwar, weil ein Video von Nathan Apodaca, der
auf TikTok den poetischen Nutzernamen „420doggyface208“ trägt, viral
ging (über 20 Millionen Hits). Der Videoinhalt? Nathan fährt Skateboard zu „Dreams“
und trinkt Preiselbeersaft. Ja, diese Art von Jahr war 2020.
TikTok hebt virale Inhalte auf eine neue Ebene
Diese plötzliche Popularität obskurer viraler Inhalte ist keine
neue Entwicklung, aber TikTok, die so ziemlich beliebteste Social Media App des
Jahres, hat virale Inhalte sicherlich auf eine neue Ebene gehoben. Sie verhilft
einer neuen Generation von Schöpfer:innen zu Berühmtheit – und
im Fall von Herrn Apodaca sogar zu Reichtum. Im Gegensatz zu anderen Social
Media Apps spielen die Schöpfer:innen auf TikTok keine wirklich große Rolle, es
geht viel eher um die Inhalte. Und wie die Mitarbeiter:innen von TikTok gerne
betonen, hat wirklich jeder Mensch die Chance, vom Algorithmus beglückt zu
werden und über Nacht einen viralen Hit zu landen – auf der Plattform und
darüber hinaus. Oder vielleicht muss man auch einfach nur die richtigen
Hashtags benutzen…
Dies trägt sicherlich zum Charme von TikTok bei, vor allem
im Vergleich zu Instagram, der fast verflossenen Social-Media-Beliebtheit der
Vorjahre, wo Erfolg häufig aus einem endlosen Kampf um Follower-Zahlen und
Engagement-Raten resultierte; zumindest bis zu dem Punkt, an dem die Arbeit mit
Instagram-Influencern wie eine reguläre Mediabuchung anderswo gehandhabt wurde.
Ist das effizient? Absolut. Aber es fehlt auch die besondere Magie und
Aufregung, die Marken bei dem unberechenbaren Rabbit Hole TikTok finden. Gut,
dass die US-Regierung offenbar vergessen hat, dass
sie die App vor ein paar Monaten noch verbieten wollte. Eine Tatsache, die es
bei unserem Seltsamkeits-Level von 2020 nicht einmal in die Top-20 schafft.
Jedenfalls: Um Erfolg zu haben, muss man nach den Regeln von
TikTok spielen. Markeninhalte konkurrieren mit allem anderen, was die Plattform
zu bieten hat. Das bedeutet: Eine Kampagne Monate im Voraus zu planen, basierend
auf einer sorgfältig ausgearbeiteten Strategie mit einer perfekt ausgeführten
Kreation, ist schlicht und einfach zu langsam. Denn die sich ständig
weiterentwickelnden Plattform-Trends könnten zum Start der Kampagne schon
völlig anders aussehen. TikTok erfordert – wie andere digitale Plattformen auch
– Agilität und die Bereitschaft, schnell, aber nicht perfekt zu agieren, um
erfolgreich zu sein. Während Triller und Byte, zwei andere Vertical Video Apps,
eine ganze Reihe neuer kreativer Möglichkeiten bieten und Nutzer anziehen, die
nach Alternativen zum Giganten TikTok suchen, der inzwischen fast schon Mainstream
geworden ist.
Die Gaming-Welt wird
zum vielseitigen Unterhaltungs-Medium
Da ein großer Teil der Bevölkerung Zuhause festsaß, haben
Frühling und Sommer 2020 den ohnehin bereits boomenden Streaming-Diensten einen
zusätzlichen Schub verliehen. Vor allem Plattformen wie Twitch zogen Millionen
neuer Zuschauer:innen an, die Ablenkung in Spiel- und E-Sports-Streams fanden
oder einfach nach neuen Unterhaltungsangeboten suchten – nachdem irgendwann
auch Netflix komplett durchgeschaut war.
Streaming- und Gaming-Plattformen waren auch der einzige
Hoffnungsschimmer für viele Künstler:innen auf der ganzen Welt, von
Musiker:innen über DJ:anes bis hin zu Schauspieler:innen. Das Spielstudio Epic
Games, das bereits damit experimentierte, seinen Blockbuster-Titel Fortnite in
einen virtuellen Treffpunkt für Nutzer zu verwandeln, führte einen Party-Royale-Modus
ein: Dieser verwandelt den Multiplayer Shooter in einen Ort, an dem die
Spieler:innen Konzerte und DJ-Sets innerhalb der Gaming-Welt genießen können,
während Konzerthallen auf der ganzen Welt geschlossen sind.
Die Nutzung von Games für andere Zwecke als das Spielen
erfordert jedoch nicht unbedingt die Zustimmung und Kooperation der Studios.
Der Hollywood-Drehbuchautor Garry Whitta lancierte „Animal Talking“, eine Late Night Talkshow mit
prominenten Gästen, Live-Musik und Comedy – und zwar in der farbenfrohen,
niedlichen Gaming-Welt von Animal Crossing: New Horizons, live gestreamt auf Twitch. Auch
das hätte in keinem anderen Jahr funktioniert. Aber da alle großen Late Night Talkshows im
Fernsehen durch Covid-19 unfreiwillig Produktionspause hatten, verbrachten
prominente Gäste wie Elijah Wood, Brie Larson und Sting ihre Zeit damit, in Animal
Crossing ihre Inseln zu dekorieren – wie andere Normalsterbliche auch.
Deutschlands Twitch-Event des Jahres war nicht annähernd so
glamourös, aber dennoch erfolgreich. Während der deutsche Twitch-Streamer
Knossi zusammen mit Rapper Sido und zahlreichen Freund:innen 72 Stunden in
Brandenburg beim Angeln verbrachte, schalteten über das Wochenende über fünf
Millionen Zuschauer:innen ein und stellten neue Plattform-Rekorde auf.
Selbst Politiker:innen wenden sich dem Gaming-Bereich zu, um
junge Wähler:innen zu erreichen. Die US-Politikerinnen Alexandria
Ocasio-Cortez und Ilhan Omar verbrachten einen Abend auf Twitch, spielten „Among
Us“ mit einer Gruppe von Creator:innen und ermunterten die Zuschauer:innen, an
der bevorstehenden US-Wahl teilzunehmen.
Der Erfolg dieser neuen kreativen Content-Formate im Gaming-
und Streaming-Bereich steht in engem Zusammenhang mit den
Mediennutzungsgewohnheiten junger Zielgruppen. Gaming und Streaming stellen insbesondere
für die Gen Z echte soziale Räume dar – Orte, an denen man Freund:innen und
Gleichgesinnte trifft, um abzuhängen, Spaß zu haben und um einen Moment der
Erholung in unruhigen Zeiten zu genießen.
Diese Events sind nur die erste Welle einer neuen Ära der
Nischenunterhaltung, die in Zukunft wohl nur noch populärer werden wird. Das
Potenzial für Marken im Gaming-Bereich ist breit und derzeit noch weitestgehend
unausgeschöpft. Von der einfachen Produktions-Unterstützung über Sponsoring,
Produktplatzierung und Integration, bis hin zur Zusammenarbeit mit den
Creator:innen der Inhalte. Wie bei TikTok verändern sich die Trends und
Möglichkeiten hier jedoch sehr schnell. Es ist also ratsam, ein
vertrauenswürdiges Netzwerk von Content-Creator:innen aufzubauen, um Teil einer
neuen Generation von Unterhaltung für eine neue Generation von Konsument:innen
zu werden.