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Soziodemografie kann die heutige Realität nur ansatzweise widerspiegeln

Auch wenn wir Menschen mit identischem Alter, Wohnort, Bildung und Einkommen betrachten, „ticken“ sie völlig unterschiedlich; ein klassisches Beispiel dafür sind Prinz Charles versus Ozzy Osbourne, ein anderes, jüngeres Matthias Schweighöfer versus Sido. Wir haben es hier mit komplett unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun, mit individuellen Einstellungen, Werten und Motiven und den daraus resultierenden Verhaltensmustern. Soziodemographische Merkmale alleine sagen wenig über ihre Lebensumstände, Konsumverhalten oder Produktpräferenzen aus.

Werte oder Handlungsmotive bieten deutlich bessere Einblicke ins Kaufverhalten

Die Kaufentscheidung hängt kaum mehr von etwa Alter und Geschlecht, also der Soziodemographie, ab, sondern wird viel mehr von den Werten, die einer Person wichtig sind, und ihren Handlungsmotiven beeinflusst. Die Psychografie ist ein erprobter und über Jahrzehnte erforschter Ansatz aus der Persönlichkeitspsychologie, der sich mit den Motiven menschlichen Handelns befasst. Auch das Kaufverhalten wird von Handlungsmotiven beeinflusst und lässt sich bis zu einem gewissen Grad vorhersagen, wenn die Motive bekannt sind. Ist eine Person eher leistungsorientiert, reagiert sie besser auf Werbemotive, die die Leistungen eines Produktes in den Vordergrund stellen, beziehungsweise die Erfolge, die sich damit erreichen lassen.

Ähnlich wie Menschen haben auch Marken Werte, die sie nach außen vertreten und einzigartig erscheinen lassen. Konsumenten assoziieren Marken mit diesen Werte, bewusst oder unbewusst. Markenwerte können mit Kommunikationsmaßnahmen gesteuert und gestärkt werden.

Gesundheit und Lebensfreude, aber auch Leistung und Luxus sowie viele weitere Werte bestimmen unser Kaufverhalten. Das diesem Verhalten zugrundeliegende wissenschaftliche Konstrukt wird als Self-Congruity bezeichnet. Self-Congruity zeigt sich darin, dass Konsumenten die Marken bevorzugen, die ihren eigenen Wertekanon widerspiegeln. So steht Miele für Qualität und ist gerade mit diesem Leistungsversprechen für einen spezifischen Kundenkreis attraktiv, Dyson hingegen steht für Innovation und Kreativität und adressiert damit einen anderen Kundenkreis.

Über neue Ansätze für die Mediaplanung kann man diese Werte und Motive gezielt ansprechen – und vermeidet es so, potenzielle Käufer nur auszuschließen, weil sie zum Beispiel nicht zu einer bestimmten Altersgruppe oder einem bestimmten Geschlecht gehören. Dabei werden auch Medienumfelder und Kreationen mit Werten assoziiert. Ein hoher Werte-Fit zwischen Mensch, Marke, Message und Medien (den vier Ms) maximiert dabei die Wirkung der Kommunikation und stärkt die Markenwerte.

ValueSphere: Was mir wichtig ist

Mit unserem agenturinternen ValueSphere-Modell werden zunächst diese Markenwerte identifiziert und gleichzeitig die anvisierte Zielgruppe. Um sich maximal vom Wettbewerb zu differenzieren wird ein individuelles Werteprofil aus Kundensicht erstellt. Dazu muss beantwortet werden, welches Werteprofil die Marke hat und wo die Stärken und Schwächen im Vergleich zum Wettbewerb liegen. Parallel dazu werden Werbeumfelder wie Webseiten, Zeitschriften und TV-Sender und -Sendungen in das gleiche Wertesystem eingeteilt, um die perfekt zur Marke bzw. zum Produkt passenden Medienumfelder zu finden. So lassen sich stimmige Ergebnisse erzielen, bei der die Werbung nicht nur besser ins Umfeld passt, sondern deshalb auch eine höhere Wirkung erzielt. Im psychografischen Targeting werden für jede Marke, beziehungsweise jedes Produkt, passende Personas definiert, die ganz unabhängig von Alter, Geschlecht oder anderen soziodemografischen Merkmalen funktionieren und sich über ihre Werte und Motive definieren. Als Konsequenz einer motivgesteuerten und situativen Ansprache müssen auch unterschiedliche Werbemotive entstehen, die je nach Handlungsmotiv passend gestaltet werden. Nicht nur die Mediaplanung, auch die Kreation muss sich mit dem Wegfall der Soziodemografie drastisch verändern und für die einzelnen Personas maßgeschneiderte Spots und Motive entwickeln.

Fazit

Es ist höchste Zeit für die Mediaplanung, umzudenken. Die Stereotypen der Vergangenheit (Männer interessieren sich für Autos, Frauen für Kosmetik, junge Menschen sind modern und aufgeschlossen, alte traditionell und altmodisch) helfen nicht mehr weiter. Die heutige Welt ist deutlich vielschichtiger, Menschen immer individueller und Gesellschaftsgruppen immer stärker durch gemeinsame Werte und Ziele verbunden. Wenn die Werbung auch künftig die richtigen Personen erreichen soll, muss sich die gesamte Werbebranche von der Soziodemografie als wichtigstem Kriterium verabschieden.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei W&V.

Die Digitalisierung hat weitreichende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Die Komplexität von Produkten, Prozessen und Technologien nimmt rapide zu, Menschen vernetzen sich weltweit, es herrscht eine neue Aufbruchsstimmung. Gleichzeitig befinden wir uns in einem permanenten Beta-Status. Gerade noch haben wir eine Software oder Oberfläche beherrscht, schon kommt ein Update und wir müssen umlernen. Dass wir uns mehrere Jahre an konstante Zustände gewöhnen, kommt kaum noch vor. Die einzige Konstante ist der Wandel. Für unsere Gesellschaft hat das weitreichende Folgen, aber auch für die Mediaplanung. In einer strukturierteren Gesellschaft waren soziodemografische Zielgruppenbeschreibungen bis vor einigen Jahren die einfachste und vielleicht auch eine ausreichende Möglichkeit, Kunden zu beschreiben.

Die heutige Realität kann Soziodemografie nicht einmal ansatzweise widerspiegeln. Auch weil die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau weitgehend ausgedient haben. Durch Bildungsniveaus sind beide Geschlechter schon lange nicht mehr zu unterscheiden und auch im Berufs- und Familienleben wird mit alten Stereotypen gebrochen. Haben 1980 noch 46 Prozent aller Männer eine Frau geheiratet, die formal weniger gebildet war, waren es 2016 nur noch 32 Prozent. Gleichzeitig stieg die Aufwärtsheirat der Männer, also das Verehelichen mit einem formal gebildeteren Partner, von drei auf zehn Prozent. Diese Entwicklung führt dazu, dass die Mittelklasse der Gesellschaft immer mehr zerfällt. Drastisch ausgedrückt gibt es nur noch gut gebildete Paare und schlecht gebildete Paare. Mischformen existieren immer seltener. Denn durchschnittlich 30 Prozent gut gebildeten Männer stehen 55 Prozent gut gebildete Frauen gegenüber. Da Frauen tendenziell seltener „abwärts“ heiraten, bleiben 25 Prozent der gut gebildeten Frauen Single – ein Umstand, den man in vielen Großstädten beobachten kann. Auf der einen Seite stehen also meist studierte Paare, die ein doppeltes Einkommen und damit andere Konsummöglichkeiten haben, auf der anderen Seite stehen Singles oder weniger gebildete Paare mit nur einem Einkommen. Natürlich haben alle diese Personen ein Geschlecht und ein Alter. Über ihre Lebensumstände und Konsummöglichkeiten sagt das jedoch herzlich wenig aus.

Werte oder Handlungsmotive bieten deutlich bessere Einblicke ins Kaufverhalten

Mit dem Wandel gesellschaftlicher Normen und Strukturen ergibt sich für Werbetreibende, insbesondere für Hersteller schnelldrehender Konsumgüter (FMCGs), ein massives Problem: Die bisher übliche Zielgruppe der „Haushaltsführenden zwischen 24 und 54 Jahre“ ist nicht mehr zielführend. Ein Beispiel: Hätte man für die Werbung von ökologisch-nachhaltigem Spülmittel mit Bio-Siegel vor zwanzig Jahren noch eindeutig Ehefrauen und Mütter in den Fokus genommen, würde man heute einen großen Teil der potentiellen Käufer damit ignorieren – ein bewusster, von Werten geleiteter Einkauf ist unabhängig von Alter und Geschlecht. Und nur noch etwa 30 Prozent aller Käufer gehören zu den Wiederkäufern. Die restlichen 70 Prozent sind Erst- und Wechselkäufer, die von Markentreue wenig halten. Für Marken gilt also, vor allem Wiederkäufer anzusprechen und zu binden – und das können heute zum erheblichen Teil auch ökologisch bewusste, männliche Singles sein.

Die Kaufentscheidung hängt mittlerweile kaum mehr von Alter und Geschlecht ab, sondern wird viel mehr von den Werten, die einer Person wichtig sind, und ihren Handlungsmotiven beeinflusst. Über neue Ansätze für die Mediaplanung kann man diese Werte und Motive gezielt ansprechen – und vermeidet es so, potenzielle Kunden mit seiner Werbung auszuschließen, weil sie zum Beispiel nicht zu einer bestimmten Altersgruppe oder einem Geschlecht gehören.

Psychografisches Targeting: Was Handeln heute antreibt

Eine gute Alternative zur Soziodemografie stellt das psychografische Targeting dar. Die Psychografie ist ein erprobter und über Jahrzehnte erforschter Ansatz aus der Persönlichkeitspsychologie, der vor allem menschliche Handlungsmotive identifiziert. Auch das Kaufverhalten wird von bestimmten Handlungsmotiven beeinflusst und lässt sich in gewisser Weise vorhersagen, wenn die Motive bekannt sind. Ist eine Person eher leistungsorientiert, reagiert sie besser auf Werbemotive, die die Leistungen eines Produktes in den Vordergrund stellen beziehungsweise die Erfolge, die sich damit erreichen lassen. Bei einem Auto wären das Attribute wie Geschwindigkeit oder besondere technische Features. Bei einer Person, deren Hauptmotiv die soziale Anerkennung und die Gesellschaft anderer ist, würde man dagegen gemeinschaftliche Erlebnisse und Erfolge in der Gruppe darstellen. Im psychografischen Targeting werden für jede Marke beziehungsweise jedes Produkt passende Personas definiert, die ganz unabhängig von Alter, Geschlecht oder anderen soziodemografischen Merkmalen funktionieren und sich hauptsächlich über ihre Werte und Motive definieren.

Als Konsequenz einer motivgesteuerten und situativen Ansprache müssen auch unterschiedliche Werbemotive entstehen, die je nach Handlungsmotiv passend gestaltet werden. Nicht nur die Mediaplanung, auch die Kreation muss sich mit dem Wegfall der Soziodemografie drastisch verändern und für die einzelnen Personas maßgeschneiderte Spots und Motive entwickeln.

ValueSphere: Was mir wichtig ist

„Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.“ Das Zitat des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth macht deutlich, dass wir alle bestimmte Vorstellungen davon haben, wie wir sein wollen und welche Werte unser Handeln leiten sollen. Gesundheit, Lebensfreude, Nähe, Modernität, Qualität und viele weitere bestimmen unser Kaufverhalten, denn die gekauften Produkte spiegeln immer auch den eigenen Wertekanon wider. Marken und Produkte repräsentieren ihrerseits gewisse Werte, die von den Konsumenten bewusst oder unbewusst wahrgenommen werden. So würde wohl jeder von uns Miele mit Qualität und Zuverlässigkeit in Verbindung bringen, Lego hingegen mit Kreativität und Spaß.

Mit unserem agenturinternen ValueSphere-Modell werden zunächst diese Markenwerte identifiziert und gleichzeitig die anvisierte Zielgruppe. Parallel werden Werbeumfelder wie Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sender und -Sendungen in das gleiche Wertesystem eingeteilt, um die perfekt zur Marke bzw. zum Produkt passenden Medienumfelder zu finden. So lassen sich stimmige Ergebnisse erzielen, bei der die Werbung nicht nur besser ins Umfeld passt, sondern deshalb auch eine höhere Wirkung erzielt.

Fazit

Es ist höchste Zeit für die Mediaplanung, umzudenken. Die Stereotypen der Vergangenheit (Männer interessieren sich für Autos, Frauen für Kosmetik, junge Menschen sind modern und aufgeschlossen, alte traditionell und altmodisch) helfen nicht mehr weiter. Die heutige Welt ist deutlich vielschichtiger, Menschen immer individueller und Gesellschaftsgruppen mehr durch gemeinsame Werte und Ziele verbunden. Die gesamte Werbebranche – vor allem auch die Kreation – muss sich von der Soziodemografie als alleiniges Kriterium verabschieden, wenn die Werbung auch künftig die richtigen Personen erreichen soll.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im OMG Jahrbuch.