Beiträge

„Herr Ritter ist empört“, kann man seit Tagen auf BILD Online lesen. Dem Schokoladenhersteller mit dem kämpferischen Namen werden ob so viel geheuchelten Mitgefühls sicher die Nüsse im Hals stecken bleiben. Schließlich war es doch das gleiche Kampfblatt für Verbraucherrechte, das nur einen Tag vorher mit der Schlagzeile: „Ritter Sport: mangelhaft“ den Grund der Empörung ins Land hinausposaunt hat.

In Wahrheit ist Herr Ritter gar nicht empört. Er beißt vor Wut in seinen Schreibtisch. Denn ihm wird klar, dass alles, was er in den letzten Jahren für die Marke erreicht hat, wegschmilzt wie Schokolade in der Hosentasche. Hat er sich nicht strikt an jede gesetzliche Vorgabe gehalten und Millionen in Qualitätskontrolle investiert? Hat er nicht Zulieferer, die ihm schwören, dass keine Kakaobohne von einem Berufsschüler, Pollen-Allergiker oder Angehörigen einer verfolgten ethnischen Minderheit gepflückt wird? Und wie viel hat er in den Kundenservice gesteckt, damit auch die hirnrissigste Anfrage geduldig, ehrlich, freundlich und wertschätzend beantwortet wird?

Nur damit die allwissende Stiftung Warentest in einem einzigen Tag alles zunichtemacht? Weil sie tausend verschiedene Produkte durch den Testwolf dreht und am Ende den Brei in ein Standard-Raster packt. Ist natürlich auch gut für die Auflage, wenn am Schluss eine bekannte Marke am Pranger steht. Dabei geht es doch nur um eine einzige Sorte. Und der fragliche Aromastoff steht nicht einmal im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Strittig ist doch nur, ob er aus einer Pflanze gepresst oder im Labor aus seinen Bestandteilen zusammengebaut wird. Was für ein Luxusproblem.

Ja, ich habe jedes Verständnis für die Empörung von Herrn Ritter. Aber als Agentur-Kommunikator möchte ich ihm am liebsten zurufen: „Tu‘s nicht!“ Aber er tut es doch. Denn was das Unternehmen mutmaßlich durchläuft, ist ein Musterbeispiel für „Die fünf Phasen schlechter Krisenkommunikation“:

 

Phase 1: Nichtwahrhabenwollen (ist schon abgeschlossen): Erst wird geleugnet. Dennoch scheint Hoffnung zu bestehen, dass alles nur ein Missverständnis ist: Der Fehler wird beim Testlabor gesucht. Messungenauigkeit? Vertauschte Proben? Es wird verglichen, nachgemessen, konferiert. Was in dieser Phase noch nicht stattfindet: Selbstreflexion, kritische Fehleranalyse. Dabei zählt gerade in dieser frühen Phase jede Sekunde: Je schneller das Unternehmen die „Warum-gerade-wir-Phase“ abschließt und sich den Fakten zuwendet, desto mehr Handlungsoptionen bleiben. Wartet es ein paar Stunden zu lange, diktieren andere die nächsten Schritte.

Phase 2: Zorn (läuft noch). Hat sich herausgestellt, dass der Vorwurf nicht in wenigen Minuten entkräftet ist, blasen Unternehmen gern zum öffentlichen Gegenangriff: Lieferanten beschuldigen, Medien schelten, juristische Schritte androhen – selbst wenn die rechtlichen Grundlagen fehlen. Einziger Effekt: Jetzt wird auch der letzte bildungsferne Konsument auf die Vorwürfe aufmerksam. Auch wenn’s weh tut: Unbedingt gute Miene machen, Ursachen erforschen und alle Beteiligten in die Aufklärung einbinden. Das nimmt die Hälfte des Drucks aus der Krise. Für eine Abrechnung ist hinterher noch genug Zeit.

Phase 3: Verhandeln (kommt noch). Sind die juristischen Mittel ausgeschöpft, werden die Töne versöhnlicher. Jetzt versuchen Unternehmen „under fire“, die Vorwürfe durch jedwede Zertifikate, Siegel, DIN ISO Normen und Dankschreiben vom Kleintierzüchterverein zu entkräften. Größere Unternehmen schalten dann auch ganzseitige Image-Anzeigen oder bunte Advertorials. Dort kommen dann auffällig häufig die Wörter „Vertrauen“ und „Transparenz“ vor. Löst aber leider das Problem überhaupt nicht. Wichtiger ist es in dieser Phase, gemeinsam mit den Kritikern Sofortmaßnahmen und Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Sonst wird die Krise nur verschleppt.

Phase 4: Depression (hoffentlich doch nicht). Einige Wochen nach der akuten Krise herrscht eisiges Schweigen. Über „den blöden Test“ wird nur noch im Flüsterton gesprochen. Stattdessen warten alle gespannt auf die neuesten Marktforschungsdaten. Parole: „Wird schon nicht so schlimm werden.“ Wird es aber doch. Und eines ist sicher: Das Internet vergisst nichts! Deshalb muss auch im Unternehmen offen gesprochen werden. Vor allem geht es darum, ein Wiederaufflammen zu verhindern, wenn nötig durch strukturelle oder personelle Maßnahmen.

Phase 5: Akzeptanz (hoffentlich). Noch lange nicht das Ziel, aber ein wichtiger Schritt. Wenn ein Unternehmen die unvermeidliche Tatsache anerkennt, dass es auch Zugeständnisse machen muss, besteht die Chance, aus der Studie-Gegenstudie-Spirale herauszukommen. Die souveräne Haltung entscheidet über den Erfolg, nicht die Maßnahme. Nur so kann eine langfristige Kommunikationsstrategie umgesetzt werden, die den angerichteten Image-Schaden langfristig repariert.

 

Frustrierend für Agenturen dabei: Sie können ihre Kunden nur durch die ersten drei Phasen führen. Sie müssen analysieren, moderieren, den Schaden begrenzen. Aber sobald der Kunde in Depression fällt, können sie ihn nur noch begleiten. Den Weg aus dem Zustand des latenten Beleidigtseins müssen Geschäftsführung und Kommunikationsverantwortliche ganz alleine finden – und der Kurswechsel muss Konsens sein. Sonst bekommt jede Kommunikationsagentur, die diesen unvermeidlichen Weg aufzeigt, mit Sicherheit mächtig auf die Nüsse.

Ritter Sport muss sich aber nicht grämen. Die Marke hat längst noch genug emotionalen Dispo-Kredit bei Millionen Fans. Nur ist auch der irgendwann aufgebraucht, wenn Kommunikationskrisen nicht mutiger und flexibler gemanagt werden.

Was ist Leadership Reputation?

Frank Keuper: Einfach gesprochen: Es geht um die Reputation der Führungsriege von Unternehmen. Hieraus ergibt sich die Frage nach dem Reputatationsbegriff. Abraham Lincoln beschrieb ihn einst mit den Worten: „Character is like a tree and reputation like a shadow.“ Während der Baum real ist, stellt der Schatten nur ein Abbild dar, das uns erahnen lässt, wie der Baum wohl aussehen könnte. Während der Charakter also die Person selbst beschreibt, liefert die Reputation einen Hinweis darauf, wie sie auf andere wirkt.

Welche Bedeutung hat die Reputation einzelner Führungskräfte für Unternehmen?

Keuper: Als Josef Ackermann im Januar 2009 einen Schwächeanfall erlitt, brachen die Aktienkurse der Deutschen Bank innerhalb weniger Stunden um 3 % ein. Das gleiche Phänomen ließ sich während der Amtszeit von Steve Jobs bei Apple gleich mehrfach beobachten. Auch hier reagierte der Aktienkurs stets sehr sensibel auf neue Gerüchte um den Gesundheitszustand des Konzernchefs. Dies sind nur zwei Beispiele unter vielen, die zeigen, wie eng der Glaube an den Firmenerfolg an einzelne Personen geknüpft sein kann. Sie machen darüber hinaus deutlich, dass CEOs nicht nur Entscheider sind. Sie verkörpern besondere Werte und beeinflussen auf diesem Wege auch die öffentliche Wahrnehmung des Unternehmens und seiner Marke.

Wie baut man in Unternehmen CEO- und Leadership Reputation auf?

Jörn Becker: Zunächst durch die Akzeptanz innerhalb des Unternehmens, dass „unsichtbar“ handeln, also zurückgezogen von Öffentlichkeit und Medien, immer schwieriger wird. Auch Kunden fragen immer häufiger: Wer managed und führt das Unternehmen eigentlich auf welche Art und Weise? Anschließend gilt es eine eigene Kommunikations- und Auftrittsagenda für CEOs bzw. ausgewählte Führungskräfte entlang der Unternehmensstrategie zu entwickeln. Mit klaren und dauerhaften internen und externen Botschaften.

Ist Leadership Reputation in der heutigen Zeit wichtiger als in der Vergangenheit?

Keuper: Heute ist es für jedes Unternehmen bedeutsam, alle sich bietenden Möglichkeiten zur klaren Abgrenzung von der Konkurrenz zu erkennen und zu nutzen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein dominierte das Angebot die Nachfrage. Für nahezu alle Warengruppen galt, dass die Nachfrage die Anzahl der verfügbaren Produkte deutlich überstieg. Dies hat sich insbesondere durch die Globalisierung und in den vergangen Jahren nochmals erheblich durch die Digitalisierung geändert. Differenzierung ist deshalb das A und O heutiger Marketingerfolgskonzepte. Die Marke CEO leistet hierzu einen Beitrag, den nur die wenigsten Unternehmen bisher für sich zu nutzen wussten. Leadership Reputation ist somit bis heute ein echtes Alleinstellungsmerkmal.

Wie lässt sich Leadership Reputation steuern?

Becker: Letztendlich sprechen wir über die Einführung eines ganzheitlichen Reputationsmanagements. Die Leadership Reputation ist hier ein bedeutender Wahrnehmungs- und Kontaktpunkt der Stakeholder. Erfolgreiche Unternehmenskommunikation greift daher zur Steuerung von Maßnahmen auf ermittelte KPIs und etablierte Bewertungsraster zurück. Erfolgsfaktoren sind aber vor allem die Klassiker: Authentisch bleiben, Inhalte und Botschaften entwickeln, Führung und Kultur gestalten und Meilensteine nutzen.