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Olaf Scholz ist kein zweiter Barack Obama. Aber mehr aus der Reserve wagen dürfte er sich bei seiner Kommunikation schon. Weil das Land einen Checker Tobi“ im Kanzleramt braucht.

„Never complain, never explain“ – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird nachgesagt, Anhänger der Kommunikationsmaxime des britischen Königshauses zu sein. Entsprechend zurückhaltend fällt die Kommunikation des Kanzlers im ersten halben Jahr seiner Amtszeit aus. Er scheint als pragmatischer Macher und besonnener Kanzler, der anpackt, wahrgenommen wollen zu werden. Als Einer, der Probleme nicht beschreibt, sondern auf Basis gründlicher Analysen ohne großen Aufhebens löst. Kritiker will der Kanzler mit dieser Strategie wohl ins Leere laufen lassen. Er möchte vermeiden, sie aufzuwerten, indem er auf ihre Argumente eingeht.

Olaf Scholz ist nicht auf Lebenszeit König von Deutschland

Das Problem dabei ist: Diese aus dem 19. Jahrhundert stammende Kommunikations-Maxime ist im digitalen Zeitalter bestenfalls begrenzt wirksam. Olaf Scholz ist nicht auf Lebenszeit König von Deutschland, sondern als Kanzler für die nächsten vier Jahre bestellt. Hinzu kommt: Die Zustimmung für Olaf Scholz ist ausbaufähig. Mit knapp 26 Prozent der abgegebenen Stimmen haben bei Berücksichtigung der Nichtwähler über zwei Drittel aller Bundesbürger Olaf Scholz und die Kanzlerpartei SPD nicht gewählt. Breite Zustimmung sieht anders aus. 

Alleine um diese riesige Gruppe der Nicht-Fans für sich einzunehmen, wäre es sinnvoll, wenn der Kanzler seine Politik stärker erklären würde. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hat kürzlich im Fachmagazin „journalist“ die zurückhaltende Kanzler-Kommunikation verteidigt und gesagt, er wolle Scholz nicht verbiegen und setze auf Glaubwürdigkeit und Authentizität. „Wenn man versuchen würde, aus dem Kanzler kommunikativ einen Barack Obama zu machen“, fürchtet sein Chefkommunikator, „geht das nach hinten los“.

Ein Checker Tobi im Kanzleramt wäre hilfreich

Ich finde, Scholz muss nicht gleich zum deutschen Obama werden. Aber der „Scholzomat“ – so wird der Kanzler oft wegen seiner ausweichenden Sprache und seiner eher monotonen Sprechmelodie von Medien tituliert – sollte anders kommunizieren. In Zeiten fundamentaler Umbrüche ist mehr und gewinnende Kommunikation zwingend erforderlich. Viele Menschen haben in diesen Tagen nicht nur Sorgen, sondern echte Angst: Die Pandemie, der Krieg vor unserer Haustür in der Ukraine, der Klimawandel – das sind alles Themen, die die Menschen umtreiben. Was bedeutet das für uns als Gesellschaft? Und vor allem: Was bedeutet es für mich ganz persönlich? Da wäre so eine Art „Checker Tobi“ im Kanzleramt eine große Hilfe. Einer, der in verständlicher Sprache spricht, der Komplexität reduziert. Einer der die Perspektive der Empfänger einnimmt, der anhand von konkreten Beispielen politische Entscheidungen verständlich erklärt, anstatt sie einfach nur bekannt zu geben mit dem typischen Scholz Satz: „Ich habe beschlossen, dass…“.

Es gibt bestimmt viele gute Gründe – zum Beispiel über die Lieferung schwerer Waffen in ein Kriegsgebiet wie die Ukraine – sehr gründlich nachzudenken, mögliche Konsequenzen daraus fundiert zu prüfen und nicht mal eben so ad-hoc zu entscheiden.

Gute Kommunikation besteht zu 80 Prozent aus Begründung 

Doch es ist es genauso wichtig, die Hintergründe einer solchen wegweisenden Entscheidung – und auch des Überlegungsprozesses dahin – transparent zu machen und die Menschen mitzunehmen. Wirksame Veränderungskommunikation besteht zu 20 Prozent aus der Beschreibung dessen, was sich ändert und zu 80 Prozent aus der Begründung, warum diese Veränderung wichtig und richtig ist.

Wie man erfolgreich kommuniziert, kann Scholz übrigens von seinem eigenen Vizekanzler lernen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich mit der Darstellung seiner eigenen inneren Konflikte bei schwierigen Entscheidungen an die Spitze der Beliebtheitsskala der deutschen Politik gesetzt. Und wenn er anschaulich Probleme mit Öl-Raffinerien oder Alternativen via LNG-Terminals erklärt, dann ist er da, der perfekte Checker-Style. Habeck vermittelt, so wie ein guter Lehrer, dem Schülerinnen und Schüler aufmerksam und gerne zuhören. Weil man am Ende klüger ist und nachvollziehen kann, wieso, weshalb, warum etwas so ist oder passiert. Gecheckt. 

Der Bundeskanzler beweist rhetorisches Geschick

Und auch ein anderes, bei der Bevölkerung laut Umfragen immer beliebter werdendes Mitglied des Kabinetts, Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hat dem schweigsamen Kanzler eine grandiose Steilvorlage für ein Narrativ dieser Kanzlerschaft geliefert. Ihr Satz „wir sind in einer neuen Welt aufgewacht“ könnte die Ouvertüre für die große Geschichte des Olaf Scholz sein. Jetzt müsste Scholz nur noch vermitteln, was diese neue Welt für uns bedeutet und wie wir uns als Land bestmöglich darin zurechtfinden. Steilpass Baerbock, Tor durch Scholz – es könnte eigentlich ganz einfach sein.

Ob Scholz die Kurve zum kommunizierenden Kanzler hinbekommt, weiß ich nicht. Ein Beweis für vorhandenes rhetorisches Geschick zeigte der Kanzler jüngst bei einer Kundgebung zum 1. Mai in Düsseldorf. Als ihn Demonstranten aus dem Querdenkermilieu auspfiffen, niederbrüllten und als Kriegstreiber beschimpften, brüllte der Bundeskanzler ebenso energisch wie dynamisch zurück:

„Es ist zynisch, den Menschen in der Ukraine zu sagen, sie sollten sich ohne Waffen verteidigen“

Kanzler Scholz bei einer Kundgebung am 1. Mai 2022

Scholz kann also auch laut und kämpferisch. Der „Scholzomat“ hat einen Regler für die Lautstärke. Und sogar einen für Emotionalität. Wenn er den künftig häufiger – digital auf Twitter oder real im Bundestag – bei Interviews und Auftritten angemessen hochdrehen würde, gäbe es bestimmt nicht nur von mir mehr Applaus und regelmäßig den Kommentar: „Yes you can, Kanzler!“

Donald Trump ist ein Totalversager. Vor allem im Marketing. Und er ist ein Lehrbeispiel, was man dabei alles falsch machen kann. Dabei hätte er es besser wissen müssen.

Donald Trump – och nö, nicht der schon wieder. Diesseits des Atlantiks möchten wir eigentlich gar nichts mehr hören oder sehen oder lesen von dem Präsidenten-Darsteller da drüben. Bis zu der Nachricht, dass er endlich weg ist. Daran allerdings arbeitet er emsig mit. Und diese Tatsache macht ihn – trotz aller Ermüdungserscheinungen – wiederum interessant. Speziell für alle, die sich mit Marketing beschäftigen. Denn mit Trump wählten die Amerikaner schließlich zum ersten Mal nicht einen Politiker an die Spitze des Staates, sondern einen, der stets bestritt, einer zu sein. Vielmehr war Trump bis dahin eine Marke, so etwas wie Coca-Cola, Oreo oder Ariel. Etwas, das man so oft im Fernsehen gesehen hat, dass man es halt irgendwann mal ausprobiert. Seither allerdings läuft es gründlich schief mit der Marke Donald Trump.

Das hat zum einen natürlich etliche politische Gründe, aber die sind eben nur ein Teil der Geschichte. Trump überschreitet regelmäßig rote Linien – die von Charlottesville war offenbar eine zu viel. Er hat damit klar gemacht, dass er nicht nur der Ausländerfeindlichkeit, des Rassismus und Antisemitismus verdächtig ist und mit Rechtsradikalen und Neonazis sympathisiert. Wäre der Geschäftsmann Trump nicht gar zu selbstverliebt und würde sich nur mehr mit Speichelleckern umgeben, er würde sich angesichts der dadurch entstandenen Situation wahrscheinlich seinen Marketingchef zur Brust nehmen. Denn es ist ein bisschen so, als würde McDonald’s nur mehr den BigMac verkaufen wollen und sonst nichts. Trump bedient hartnäckig die alteingesessene Stammkundschaft, allen Umfragen nach inzwischen eine deutliche Minderheit. Er versucht nicht mal, neue Klientel anzusprechen. Trump betreibt Schildkröten-Geschäfte. Oder ist er vielleicht an einer Wiederwahl gar nicht interessiert?

Dabei kann eine Persönlichkeitsmarke wie er etwas durchaus Positives sein, und Werber wären froh, es gäbe mehr davon. Denken wir – in sehr viel harmloserem Zusammenhang freilich – nur an den Kaffeeröster Albert Darboven, der im Fernsehen seine Bohnen anpries. Oder an Claus Hipp, den freundlichen Babybrei-Patriarchen. Das sind Menschen, die Vertrauen schaffen können. Gesichter, die für ein Produkt stehen und gleichzeitig für das Unternehmen, das es herstellt. Sie vermitteln Wahrhaftigkeit. Die Marke Trump, die für den Präsidenten aller Amerikaner stehen sollte, ist dagegen endgültig zu einem Fake verkommen.

Dabei hat er es ja akribisch aufgebaut, dieses Image des knallharten Immobilienmoguls, der mit unkonventionellen Mitteln und jeder Menge Ellenbogeneinsatz zum Milliardär geworden ist (was wir, nebenbei bemerkt, nicht wissen, da er seine Steuererklärung ja hartnäckig unter Verschluss hält). Die alte Jeder-kann-es-schaffen-Geschichte. Im Marketing gibt es den klassischen Dreiklang für Markenvertrauen: Bekanntheit schaffen, Sympathie erzeugen, Kaufbereitschaft wecken. Trumps Wahl bedeutete: Operation gelungen. Die Wähler haben ihn gekauft. Wenn man es mit der Business-Brille sieht: Er hat seine Marke in einem vollkommen neuen Markt erfolgreich etabliert. Der Superman aus der Geschäftswelt zeigt jetzt auch in der Politik, wie der Hase läuft. Und dann hat er, ganz Egomane, dem Hasen unnötig das Fell über die Ohren gezogen.

Trumps Erfolg als Wahlkämpfer hängt auch damit zusammen, dass heutzutage eine Ökonomie der Aufmerksamkeit herrscht. Twitter, das bevorzugte Kommunikationsmittel des US-Präsidenten, hat im ersten Quartal dieses Jahres unerwartet viele neue Nutzer gewonnen, neun Millionen. 8,9 Millionen davon werden Trump zugeschrieben. Auch die seriösen Zeitungen New York Times und Wall Street Journal verzeichnen bemerkenswert wachsenden Zuspruch, seit er angetreten ist. Offensichtlich suchen Menschen nicht nur Neuigkeiten, sondern auch Wegweiser durch den Dschungel aus Nachrichten, den das Internet uns beschert. Das Web ist schließlich nicht nur bequeme alltägliche Informationsquelle, sondern durch seine Überfülle auch ein Hort an Desinformation. Zu viel, zu schnell, zu oft, zu unverlässlich prasseln Nachrichten und Anreize über uns herein, ob aus der Politik oder der Wirtschaft, und jeder will Begehrlichkeiten wecken. In diesem Dickicht suchen wir nach Orientierung. Anders ausgedrückt: nach Wahrhaftigkeit und Vertrauen. Dafür stehen Marken. Habe ich „meine“ Marke gefunden, ist meine Welt geordnet und ich kann den Rest getrost außen vor lassen.

Man könnte da jetzt hinein interpretieren, dass eine Marke etwas Gutes sei. Ist sie nicht. Gut ist sie nur für den Verkauf. In der Politik beispielsweise hat in den letzten Jahren die Marke des Populismus massiv an Wert gewonnen, analysierte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in seiner Keynote zu den diesjährigen Best Brands, jener Veranstaltung, bei der die besten Marken in Deutschland prämiert werden. Populismus bedeutet Orientierung der simplen Art mit klaren Leitplanken und vor allem mit Feindbildern. Womit wir wieder bei Donald Trump sind. Sein Populismus hat nicht nur der eigenen Marke geschadet, sondern dieser Bewegung insgesamt. In Holland und in Frankreich sind die Populisten weit weg geblieben von der Macht, auch in Deutschland wird das so sein. Im Fahrwasser von Trump kann man nicht gewinnen.

Dabei kann der Mann Marketing, das hat er im Wahlkampf bewiesen. Aber er kann nicht Politik. Deshalb tritt er immer noch so auf, als sei Wahlkampf. So gerne wir über Politiker schimpfen, The Donald macht deutlich, dass auch dieses Gewerbe eines für Profis ist. Interessant wäre es zu wissen, welchen Verlauf die Geschäfte seiner Firma angesichts des politischen Debakels nehmen. Wohltätigkeitsvereinigungen würden nach Charlottesville nicht mehr seinen Golfclub in Florida buchen, wo sie für viel Geld gerne Treffen veranstaltet hätten, heißt es in der amerikanischen Presse. Und eine Ferienvilla in der Karibik würde ihm trotz Preisnachlass niemand abkaufen, heißt es. Was womöglich am innenarchitektonischen „Diktatoren-Chic“ liege. Mehr erfährt man leider nicht.

Dass die Marke Trump aber mittlerweile eine finanzielle Belastung für das Unternehmen Trump geworden ist, kann man nicht ausschließen. Denn das Wichtigste, was es heute für eine Marke gibt (und das von den Verantwortlichen gerne mal unterschätzt oder übersehen wird), ist das Produkt. Wer ein Versprechen zu einem Produkt abgibt, muss es auch halten. Wäscht das Waschmittel nicht tatsächlich weißer, dann ist es mit dem Kundenvertrauen, dem essentiellen Kapital der Marke, ganz schnell Essig (nebenbei bemerkt: Ist Ihnen aufgefallen, dass es derlei Werbung kaum mehr gibt? Das hat seinen Grund!). Macht der Präsident statt Politik nur Sprüche und hält seine Versprechen nicht (wie man das von Politikern eigentlich kennt, von diesem Anti-Politiker aber nicht erwartet hatte), ist etwas mit dem Produkt faul. Nie war Qualität so wertvoll wie heute.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Horizont

Ein Beitrag von Jörg Ihlau und Anselm von Stülpnagel.

Sommer in Deutschland, knappe Hosen, eisschleckende Kinder und knipsende Touristen prägen wie jedes Jahr viele Stadtbilder. Der einzige Unterschied: 2017 ist Wahljahr. Seit Anfang August schmücken die Parteien die Straßenzüge mit Sprüchen und Konterfeis.

Man fragt sich alle vier Jahre wieder: Wählt wirklich jemand die CDU, nur weil Frau Merkel so nett auf einem Plakat lächelt? Natürlich nicht. Den Parteien geht es vor allem darum, die eigenen Anhänger ans Wählen zu erinnern. Dennoch sind Wahlplakate auch Symbole, in denen sich der Kern der Parteien offenbart und an denen sich die Strategie zur Stimmenmaximierung diskutieren lässt. Wahlplakate wirken nicht nur direkt im Stadtraum auf die Zielgruppen, sie illustrieren auch die journalistische Begleitung des Wahlkampfs und bilden so den visuellen Hintergrund für die gesamte Selbstpräsentation der Parteien.

Wie schlagen sich die Wahlplakate der Parteien im Vergleich?

CDU – Stabilität für Deutschland

Die CDU hat es ganz bequem. Nach einer kurzen Aufregung Anfang des Jahres, als Martin Schulz als Herausforderer auftauchte, hat sich die Union mittlerweile mit guten zweistelligen Prozentpunkten vor die SPD geschoben – und das schon über Monate.

Die CDU-Plakate dokumentieren Stabilität und verzichten auf Auffallen. Gestalterisch gewagt ist bestenfalls, wie die langjährige CDU-Auszeichnungsfarbe Orange mit den Patriotenfarben Schwarz-Rot-Gold gemixt wurde. So entsteht ein unruhig bunter Gesamteindruck für den klassisch konservativen Weiter-so-Appell.

Textlich ordnen sich die Plakate nahtlos in die Kantenlosigkeit der Merkelschen Sprache ein und ecken nie an. Starke Inhalte oder einfallsreiche Programmatik sucht man hier vergebens, kein Wunder, ist das Erfolgsgeheimnis der Merkel-CDU. Das Motiv zum fairen Lohn für gute Arbeit würde auch ein Gewerkschaftsflugblatt schmücken. Abgebunden wird mit einem elend langen Wahlslogan inklusive eingebautem Relativsatz, hier hatte sicher nicht der Werbetexter das letzte Wort.

So spiegeln die Motive das Selbstverständnis der CDU: Schwarz-Rot-Gold im Kuschelmodus, keine Experimente, keine störenden Kanten, offen für fast alle und alles.

SPD – In der Strategiefalle

Die Sozialdemokraten stecken in einer Falle: Warum polarisieren, wenn keine Wechselstimmung spürbar ist? Stellt man sich als Regierungs- oder als Oppositionspartei dar?

Die Partei, die als Junior-Partner in der Großen Koalition ihre Programmatik durchaus erfolgreich durchgesetzt hat, kann kaum einen grundlegenden Politikwechsel fordern. Die Geschichte lehrt: SPD-Kandidaten können Wahlen nur mit einem glaubwürdigen gesellschaftlichen Modernisierungsprogramm gewinnen, aber genau das vermisst gerade niemand. Ein Deutschland mit mehr Jobs denn je und vollen Staatskassen, aber umgeben von vielen Unsicherheiten, schätzt Sicherheit – nicht Veränderung.

Deshalb zeigt sich die SPD in einer betont positiven Bildsprache, mit schönen Menschen, einer modernen Typo und einem gelungenen Bildaufbau. Der Copykasten spiegelt das quadratische Parteilogo und die Parteifarbe Rot ist die einzige, die auffallen darf – bestes Gestalterhandwerk.

Nur kann Martin Schulz, dessen Authentizität eine große Chance für die SPD ist, neben den Werbebildern gerade nicht mit dieser Stärke punkten. Die Optik wirkt zu glatt für den bodenständigen Mann aus Würselen.

Die getexteten Forderungen versuchen, kämpferischer zu wirken als die Bildsprache. Aber beim Motiv zum Gender-Pay-Gap verkürzen sie bis zur Unkorrektheit. Familienpolitik ist – strategisch richtig – stark betont, dumm nur, dass die CDU inzwischen fast alle programmatischen Flanken dazu geschlossen hat.

So schafft es die SPD mit glatten Werbemotiven nicht, die Strategiefalle zu lösen: Eine erfolgreiche Regierungspartei zu zeigen, die nun aber alles anders machen will.

Bündnis 90/Die Grünen – emotionslos in Stein gehauener moralischer Anspruch

Die Grünen haben eigentlich alle Chancen, kommunikativ aufzutrumpfen: Donald Trump verlässt das Pariser Klimaabkommen, Deutsche Autobauer pfuschen beim Diesel und mit Schwarz-Gelb droht eine Koalition des klimapolitischen Rollbacks. Doch wer nimmt die Partei als den starken Gegenpol wahr? Das Fehlen glaubwürdig kämpferischer Köpfe kann auch die Werbeagentur nicht kompensieren.

Die Typo brüllt den Passanten mit ihren Versalien förmlich an, auf Kosten der schnellen Lesbarkeit. Die Serifenschrift unterstreicht den Eindruck von in Stein gehauenen ewigen moralischen Wahrheiten. Zudem folgen nun auch die Grünen dem Modetrend (etwa der FDP, davor der SPD), als Sekundärfarbe schrilles Magenta einzusetzen.

Diese gestalterische Lautstärke ersetzt den Spirit der ethisch überlegenen Bevormundung, die in zurückliegenden Wahlkämpfen noch inhaltlich vom Veggie-Day repräsentiert wurde. Winfried Kretschmann hat in Baden-Württemberg gezeigt, dass Grün auch anders gehen kann.

Die Sprüche sind durchaus flott, aber null überraschend. Personalisierung mit zwei Spitzenkandidaten ist für gewöhnlich schwer. Schade, dass die Partei ihre Programmatik aus der Opposition heraus nicht origineller inszeniert, um den vorbildlich knappen Claim „Darum Grün“ aufzuladen. Und unverständlich, dass die Gestaltung auf jede Form von Emotionalität verzichtet.

Alles in allem ist die Kampagne die Verlängerung vieler bisheriger Grünen-Wahlkämpfe: Erstaunlich unkreativ, nur lauter beim Anbrüllen des Lesers.

FDP – Popstar meets politics

Über die Liberalen (oder freie Demokraten, wie sie sich jetzt nennen) lässt sich dieser Tage trefflich schreiben. Zu verlockend ist die Wandlung von bodenständiger Traditionspartei zu einer schrillen, fast hippen Partei, in der die Handschrift vom jungen Christian Lindner alles bestimmt. Der Parteivorsitzende weiß, mit welchen Themen er die Bundestagsparteien vor sich hertreiben kann, und tut dies auch mit Genuss. Die Kampagne lebt von der Freiheit einer außerparlamentarischen Opposition – Belege, wirklich keine Gefälligkeitspartei mehr zu sein, bleibt die Partei noch schuldig. Das kürzlich auftauchende Putin-Kuscheln nährt die alte Angst vor der Wirtschafts- statt Wertepartei, so was könnte das gebrechliche öffentliche Wohlwollen gegenüber der Partei noch gefährden.

Die Kampagne inszeniert mit einer markigen Optik Christian Lindner wie einen Popstar. Niemand würde sich über ein Plattencover in diesem Design wundern: Der Spitzenkandidat als leicht melancholischer Singer-Songwriter, der auch ein bisschen Liebe verdient. Und den Vorwurf der übertriebenen Personalisierung kontert die Partei mit (im Normalfall) unlesbar kleinen Texten, die Programmatik symbolisieren sollen. Strategisch sauber, die Erinnerung an die alte FDP nicht aufkommen zu lassen, weder in Look & Feel noch in der Headline-Sprache.

Der Claim „Denken wir neu“ zeigt sich sowohl in Gestaltung als auch in den Texten – die Motive wirken frisch und die Sprüche fordernd.

Gute Arbeit: Kommunikation und Spitzenkandidat passen optimal zusammen – auch wenn die Hyperinszenierung nicht jedem gefallen dürfte. Vorbildlich: Partei und Agentur haben sich nicht erst zum Wahlkampf zusammengetan, vielmehr hat die FDP unverwechselbare kreative Kommunikation über Jahre als Schlüsselelement ihres Wiederaufbaus eingesetzt.

Die Linke – gut inszenierte Protestkultur

Diesen Wahlkampf muss die Linke ohne ihr langjähriges Zugpferd Gregor Gysi auskommen. Mit Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch zieren allerdings zwei bekannte Köpfe die Wahlplakate, die ihre Chance nutzen, als einzige Partei nicht als Koalitionspartner für Frau Merkel in Frage zu kommen. Dass sie nicht moderieren müssen, zeigen sie mit üblicher Klarheit – damit schaffen sie es ein älteres, eher biederes Zielgruppensegment zu binden und zugleich junge, engagierte Linksopposition zu adressieren.

Die Gestaltung ist einfach und fokussiert die Botschaften, die auf den Themenmotiven schnörkellos mit den zusätzlichen, aber deutlich zu bunten Bildelementen spielen. Die Kandidatenmotive hingegen bleiben bieder, sollen wohl die Stammwählerschaft im Osten nicht erschrecken.

Botschaften und Visualität sind dabei nicht neu, aber gut und klar umgesetzt. Die Typo-Plakate im Stil eines fix zusammengeklebten Demo-Transparents passen zur linken Protest-Identität, sind schnell konsumierbar und handwerklich gut getextet.

AfD – Rassismus in Biederbürgerbildsprache

Die AfD hat laut aktueller Demoskopen gute Chancen, die Fünfprozenthürde zu schaffen. Sie hat es in der Flüchtlingskrise geschafft als die aktuell profilierteste Protestpartei Nichtwähler zu mobilisieren und segelt mit islamophober, rassistischer Positionierung weit am rechten Rand.

Dieses Weltbild zeigt sich auch in den Wahlmotiven: Menschenfeindliche NPD-Forderungen in betont biederer Kleinbürger-Optik. Man sieht eine unverfängliche Schwangere, der Text ist aber eindeutig: Genetisch deutsche Kinder sind besser als Ausländerkinder. Zuwanderer im Flüchtlingsboot sind kriminell. Und dem deutschen Spießbürgermann redet man die Angst ein, er müsse wegen der ach so vielen Burkas bald auf den Anblick kecker Bikinimädchen verzichten. Selbst das niedliche kleine Ferkel geben sie zum Schlachten und Aufessen frei, nur um es dem Islam mal richtig zu zeigen.

Die Bildmotive glänzen dabei mit matschig-bunter Optik, vermutlich zusammengeklebt aus Stockbildern. Die Kampagne ist eine konsequente Übersetzung des politischen Angebots: Irgendwie provokant, irgendwie altbacken und irgendwie passt nichts zusammen. Diese Unprofessionalität verkleidet hart rassistische Aussagen. Eine Kampagne, die treffsicher daran appelliert, einfach das Schlechteste im germanischen Menschen rauszulassen, „wird man doch wohl noch sagen dürfen“.

Am Ende gilt: Der Wähler macht erfolgreich

Die Parteien haben gute und weniger gute Kampagnen auf die Straße gebracht. Die FDP zeigt Mut zur Einzigartigkeit, die CDU zur gefälligen Profillosigkeit. Die SPD beweist gestalterisches Geschick ohne strategische Idee. Die Grünen enttäuschen mit magenta-gepimpter Grabsteinoptik, die Linke pflegt sauber ihre Protesttradition und die AfD kleidet Menschenfeindlichkeit in bunte Bieder-Bilder.

Erstaunlich, wie wenig Vorwahlspannung im Lande zu spüren ist, denn welche Koalition eine Mehrheit bilden kann, ist ja keineswegs klar. Wie gut, dass immerhin die Wahlplakate Gesprächsstoff liefern.

 

Dieser Beitrag erschien auf www.wuv.de.

Als vor einem Vierteljahrhundert die Grenzen zwischen den Blöcken in Europa fielen, sagten die skeptischen unter den weitsichtigen Beobachtern eine neue Phase der Unsicherheit in der internationalen Politik voraus. Im Trubel der Freude über die friedliche Revolution in immer mehr europäischen Ländern war das bestenfalls ein Störgefühl. Aber auch die Skeptiker unter den Skeptikern hätten sich kaum so einen Block an Verunsicherung vorstellen können, wie wir ihn nun erlebt haben:

Das G8-Partnerland Russland erobert Teile des EU-Assoziationspartners Ukraine. Die vertraglichen Verpflichtungen von EU-Partnerländern werden in Nullkommanix zum Spielball nächtlicher Feilschereien in Brüssel. Die heilige Grundregel einer unabhängigen, nur der Geldwertstabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank implodiert in einem Billionen-schweren Aktionismuswirbel. Schließlich produziert eine religiös-militärische Eskalation im nahen Osten Flüchtlingszahlen, die nur von der Vertreibung in der Nachkriegszeit überboten wurden. Und Fanatiker bedrohen unser aller Leben explizit deshalb, weil wir es so leben, wie wir es leben.

Blitzschnell verändert hat sich aber nicht nur die internationale Politik. Unvorstellbar wäre vor 25 Jahren auch gewesen, dass ein offen schwuler CSU-Abgeordneter den Bund der Vertriebenen leitet. Oder dass an immer mehr Tagen im Jahr der Wind der wichtigste Stromerzeuger ist. Dass der Kaiser mit Korruption in Verbindung gebracht wird und Pornos immer und überall verfügbar sind, während Raucher an den Rand der Gesellschaft und der Bürogebäude gedrängt werden.

Für die Politik bedeutet diese Veränderungsgeschwindigkeit eine neue Qualität von Herausforderung. Eine Kernaufgabe politischer Führung ist es stets, Orientierung zu stiften. Sie muss gerade in einer repräsentativen Demokratie den Eindruck vermitteln, als wüsste sie, was zu tun ist und als wäre jede Entscheidung abgeleitet aus einem breiten Wertekonsens.

Nun fehlt politischen Entscheidern oft – darauf hat etwa Helmut Schmidt immer wieder hingewiesen – das erforderliche umfassende Wissen, um in schwierigen Situationen objektiv richtig zu entscheiden. Das mag man bedauern, aber es ist nicht zu ändern. Nun aber wächst genau dieses Problem: Die – durch eine historische Brille betrachtet – blitzschnellen Veränderungen etwa religiöser und sexueller Werte verbauen der Politik die klare Bezugnahme zu jedem Wertekonsens. Bevölkerungsteile außerhalb der urban-ökologischen, akademisch dominierten Toleranz-Szene fühlen sich abgehängt von der aktuellen politischen Entscheider-Elite. Zugleich erschweren in der internationalen Politik die „failed states“ in Afrika, militärisch aggressive Regionalmächte in wechselnden Bündnissen sowie gewaltbereite und religiös fanatisierte Gesellschaftsteile mehr und mehr Prognosen, wie welcher Akteur in welchem Konflikt auf welche Situation reagieren wird.

In einer derart verunsichernden Unordnung bleibt nur die Kommunikation von Köpfen als Vertrauensanker für repräsentative Macht. Je weniger Bindungskraft von „organisierten Werten“ in Kirchen, Parteien und Medien ausgeht, desto größer wird die Last, die das Vertrauen in Führungspersonen schultern muss. Je unberechenbarer dem Wahlbürger die politische Welt erscheint, desto mehr ist er angewiesen auf das gute Gefühl, dass „die da oben“ schon ungefähr wissen, was sie tun.

2016 wird sich zeigen, wohin uns dieses Bedürfnis nach Vertrauensprojektion führt. Zahlt sich die entschlossene unideologische Linie für das Nüchternheits-Duo Merkel-Steinmeier aus, auch wenn oder gerade weil es sich weiter jedes Heilsversprechens durch politische Befreiungsschläge enthält? Oder finden sich Populisten, die diese für ihre Fähigkeiten ideale Ausgangslage zu nutzen verstehen?