Erfahrungen aus dem Einzelbüro. Und: Was jetzt zu tun ist. Und wie.
Beginnen wir
mit dem, was wir alle am meisten vermissen – mit guten Nachrichten: Das in den
Kanälen von Venedig ist kristallklar, seit die Touristen ausbleiben. Die
meisten Venezianer sehen zum ersten Mal Fische und sogar Delfine in ihrer
Stadt. In Peking guckt man nach oben und sieht: den Himmel. Jeden Tag, den
ganzen Tag, morgen wieder. Wir schaffen es tatsächlich und entgegen allen
Beteuerungen, einfach mal nicht nach Bali zu fliegen. (Nimm das, Klimawandel!) Und
es geht noch weiter: In dem Haus, in dem ich lebe, wohnen auch Leute, die es
vor einigen Wochen noch
abgelehnt hatten, ein Paket für andere anzunehmen, die jetzt ältere Nachbarn
fragen, ob sie ihnen etwas aus dem Supermarkt mitbringen können. Ich, zum
Beispiel. Seriöse Medien gewinnen wieder an Einfluss, Fake-News werden
gemeinsam bekämpft, selbstverliebte Mein-Urlaub-ist-schöner-als-deiner-Postings
sind über Nacht verschwunden, Klopapierrollen werden an Bedürftige verschenkt. Hunderttausende
von Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice erfahren, dass sich ein Arbeitsplatz
oder eine Erfolgskultur nicht durch einen Tisch oder ein Eckbüro definieren und
hochwertige Meetings nicht durch Kekse und Mineralwasserflaschen im
0,2-Liter-Format. Mein Sohn (3. Klasse) vermisst die Schule. Ich wiederhole: Mein!
Sohn! Vermisst! Die Schule! Wir sind lernfähig, anpassungsfähig und schaffen
es, grundlegende Verhaltensmuster innerhalb weniger Tage zu ändern. Ist das
nicht schön? Stimmt einen das nicht hoffnungsfroh?
Geht so,
ehrlich gesagt. Denn die Welt geht natürlich trotzdem unter. Covid-19 ist nicht
mit einer normalen Grippe vergleichbar. Sondern eher mit einer Grippe, wenn
Männer sie haben. Also wirklich schlimm. Und mit einer besonderen Nebenwirkung:
Je mehr man sich damit beschäftigt, desto schlechter fühlt man sich. Um das zu
untermauern gibt es mittlerweile zahlreiche sehr überzeugende Texte, Zahlen und
Diagramme sowie Dr. Christian Drosten, den ersten Menschen, der für einen
Podcast das Bundesverdienstkreuz bekommen wird. Ganz bestimmt. Und ganz
zurecht. Obwohl er schon eins hat.
Dazu kommt: Wir
leiden nicht nur unter einer Krise, sondern das Coronavirus infiziert jede
Branche und jedes Thema. Es herrscht eine große Alles-Krise und es fühlt sich
so an, als lebten wir in einem mittelmäßigen Horrorfilm. Wird alles wieder so
sein wie vorher, wenn alles vorbei ist? Natürlich nicht. Amazon und Youporn
werden Giganten sein, Toilettenpapier und Spülmaschinentabs werden Statussymbole
unseres Wohlstands werden. Aber stecken nicht auch Chancen in der Krise so wie
in jeder Krise? Klares Ja. Zumindest für alle, die es nach der Krise noch gibt.
Ich möchte mich
nicht in die lange Liste all derer einreihen, die jetzt ganz genau wissen, was
zu tun ist. Denn offen gestanden, weiß ich es auch nicht. Ich möchte aber gern
einen Einblick geben in das, was passiert, wenn es passiert, welche Erfahrungen
wir in unserer Firma gemacht haben und was wir daraus gelernt haben.
Eine
Mitarbeiterin von uns war in
Vorausgangsperren-Zeit samstags in der ‚Trompete‘ feiern. Normalerweise
nichts Ungewöhnliches. Aber ihr Besuch an jenem Abend führte dazu, dass wir
zehn Tage später in unserer 170-köpfigen Agentur in Berlin einen relativ frühen
Corona-Fall hatten. Nichts zum Angeben. Das war vor fast vier Wochen, also in einem anderen Zeitalter. 50
Leute mussten in Sofort-Quarantäne, drei Millionen Fragen kamen auf, nur auf
wenige gab es klare Antworten. Nach der anschließenden
Krankenhausreinigung unserer Büroräume hätte man dort offene Brüche operieren
können. Außerdem war die Digitalisierung unserer Arbeitsplätze abgeschlossen.
Kommunikationsagenturen
erkannte man früher daran, dass sie sich selbst für die größten, besten,
kühnsten hielten. Vor Corona genügte es, sich selbst geil zu finden. Heute gilt
ein anderes Gesetz. Heute muss man liefern. Und das sieht so aus:
Digitalisierung nicht nur predigen, sondern beherrschen. New Work nicht nur auf
selbstklebende Zettel schreiben, sondern zulassen und organisieren. Transparenz
nicht nur loben, sondern selber umsetzen. Mitarbeiter als erwachsene Menschen
sehen und ihnen vertrauen. Loslassen. Springen. Und gleichzeitig da sein und
führen. Das ist alles kein Widerspruch. Niemand hat etwas gegen eine klare
Guidance und verlässliche Informationen. Das gilt nicht nur in Krisenzeiten. Die
Reaktionen auf die Fernsehansprache unserer Bundeskanzlerin unterstreichen
dies.
Bei mir funktioniert Homeoffice, wenn ich das Gefühl bekomme, alle anderen sind in der Agentur, nur ich nicht. Dabei hilft mir das mächtigste soziale Netzwerk, das es für uns als Agentur derzeit gibt: Microsoft Teams. (Natürlich gibt es lange Listen mit hunderten von Links zu supercoolen Tools, die womöglich noch viel besser sind. Aber wann, bitte, soll man sich mit all denen auseinandersetzen? Bei uns in der Agentur hat sich einer mal die Mühe gemacht, Teams ausgewählt und gut.) Wir arbeiteten schon vor Corona mit dieser Software. Denn sie erfüllt alle wichtigen Bedürfnisse: Meetings, Abstimmungen, Chats, Datei-Organisation. Ich kann sehen, wer woran arbeitet, wie der Stand ist usw. Es klappt prima. Von einem Strömungsabriss kann keine Rede sein. Wir machen sogar unsere wöchentlichen Management-Meetings per Teams mit 150 Teilnehmern rund um den Globus. Es waren mit die strukturiertesten und konzentriertesten Management-Meetings der letzten Jahre. Außerdem weiß ich jetzt, wie das Wohnzimmer von Giovanni aussieht, der in Mailand quasi im Hausarrest sitzt.
Es gilt allerdings,
drei einfache Grundregeln zu beachten:
- Angesetzte Meetings finden statt. Niemand fehlt
unentschuldigt.
- Je weniger Teilnehmer in einem Meeting, desto produktiver (ansonsten
funktioniert es auch, ist aber umso wichtiger, dass einer das Meeting führt und
moderiert).
- Wenn einer redet, sind die anderen bitte still.
Diese Regeln
sind leicht zu merken, weil es dieselben sind wie sonst.
Die einzige
Regel, die neu ist, ist Regel Nummer vier: Nehmt Rücksicht auf Eltern. Homeoffice
mit Kind ist eine ganz andere Herausforderung, besonders wenn man in der Zeit
auch noch einen vorgegebenen Lehrplan abarbeiten muss. Ich weiß von einem
Kollegen, der zeitweise im Auto arbeitet. Habt Verständnis dafür, dass bei den
betroffenen Eltern nicht jeder Tag so produktiv ist wie gewohnt. Und liebe
Eltern, entspannt Euch. Es ist nicht schlimm, wenn bei der Videokonferenz im
Hintergrund ein quengelndes, weinendes, kreischendes, ausflippendes oder
hopsendes Kind zu sehen ist. Oder auch zwei oder drei davon. Und vergesst
nicht: Heimtückischer Mord wird mit empfindlichen Freiheitsstrafen geahndet.
Homeoffice
birgt natürlich auch Gefahren. Womit wir wieder bei mir wären. Die größte Gefahr: Ablenkung. Das Schreiben
dieses Textes ist eine. Oder vorletzte Woche die einzige mir bekannte
Sportveranstaltung, die dann noch stattfand.* Denn das war eine, die auch in
normalen Zeiten die für mich spannendste wäre: das Kandidatenturnier in
Jekaterinburg, dessen Sieger Herausforderer von Schachweltmeister Magnus
Carlsen Ende diesen Jahres wird. Aus Protest dagegen, dass das Turnier gespielt
wurde, hat Ex-Weltmeister Vladimir Kramnik seinen Auftritt als
Kommentator bei chess24.com abgesagt. Und wer ist kurzfristig für ihn
eingesprungen? Nein, nicht Dr. Drosten, sondern Weltmeister Magnus Carlsen
himself. Man übertrage das bitte einmal auf seine persönliche
Lieblingssportart. Mehr geht nicht. Ich wiederhole deshalb nochmal Regel Nummer
eins: Meetings finden statt. Dazu gehört auch: Timings werden eingehalten.
Sonst würde aus Homeoffice schnell ein
„ich-mach-halt-so-ein-bisschen-was-Office“.
Ansonsten haben
wir unsere Briefpost digitalisiert, unsere Hände wundgewaschen und empfohlen,
mit dem Nägelkauen, Nasebohren und Rauchen aufzuhören. Es ist eine gute
Gelegenheit. Unsere Agentur läuft genauso hochtourig wie vorher. Ich wage fast
zu behaupten, dass das Zugehörigkeitsgefühl gewachsen und die Stimmung noch
besser geworden ist. Dazu tragen auch tägliche Challenges bei wie „Wie sieht
Euer Arbeitsplatz aus?“, „Wer hat welchen Blick aus dem Fenster?“ oder „Wie
stellt Ihr die Kaffeequalität sicher?“. Es macht richtig Spaß. #HomeOfficeDerKommunikation
#MyHomeIsMyHoc
Dann wären da
noch die Kunden. Auch die wissen nicht, wie es weitergeht. Auch die machen sich
Sorgen. Auch die überlegen sich, wie sie Kosten einsparen können. Auch die
müssen im Homeoffice klarkommen (Wir haben schon mehrere
Neugeschäftspräsentationen per Video gemacht. Überraschung: Es funktioniert.). Aber
gibt es eine bessere Gelegenheit, die emotionale Ebene, das persönliche Vertrauen
zu stärken als jetzt? Unser Job ist es, Kunden zu beraten und kreative,
proaktive Lösungen zu entwickeln. Kunden sind selten so beratungsbedürftig wie
jetzt. Bei all den Damoklesschwertern, die über uns hängen, ist das tatsächlich
eine große Chance. Einfach mal anrufen. Dafür wurde das Telefon erfunden.
Aber ist das
nicht alles unwichtig, wo wir doch alle eh bald unseren Job verlieren? Ich
glaube, das Gegenteil ist richtig. Gerade jetzt ist all das ganz besonders wichtig.
Das Feilen an Texten, das Abstimmen von Strategien und das Einbringen großer
und kleiner Ideen. Der Kerngedanke ist: Es geht nicht um uns, sondern um die
Frage, wie können wir unseren Kunden jetzt helfen?
Dr. Peter
Haller, der Serviceplan vor 50 Jahren gegründet hat, sagte im
Management-Meeting: „Das ist meine siebte Krise. Und auch die wird wieder
vorbei gehen. Nach jeder Krise waren wir stärken als vorher. Und die Kunden,
die auf uns gehört haben, auch. Entscheidend ist, dass wir jetzt folgendes
tun:“. Was er dann gesagt hat, erzähle ich allerdings nur persönlich – also am
Telefon, per Video oder im Chat.
P.S.: Beten hilft natürlich auch. Zum Beispiel dafür, dass das Internet nicht zusammenbricht.
*Das Turnier wurde inzwischen leider bzw. zum Glück auch unterbrochen.