Beiträge

Das Geschäft in den Wachstumsmärkten gewinnt für multinationale Unternehmen seit dem vergangenen Jahrzehnt ständig an Bedeutung. Doch viele Unternehmen konzentrieren sich bei ihrer Expansion in die neuen Märkte zu stark auf den Premiumbereich und vernachlässigen dabei das große mittlere Marktsegment. Westliche Manager unterschätzen gerne, wie viel Kaufkraft zwischen den führenden zehn Prozent der Bevölkerung, den „Super-Konsumenten“, und den Verbrauchern mit geringen Einkommen in bäuerlichen Gegenden des jeweiligen Hinterlandes existiert.

Das Potenzial der gehobenen Mittelschicht und der Economy-Schicht ist jedoch riesig. Daher liefert eine kluge Markendehnung eine wirksame Chance, die Reichweite und den Umsatz einer Marke über das Premiumsegment hinaus zu erweitern. Sie wird als Strategie in Wachstumsmärkten häufig genutzt, weil sie zudem viel schnelleren Zugang zum Markt erlaubt und deutlich geringere Kommunikationskosten verursacht. So ist es beispielsweise nicht erforderlich, die Verbraucher über eine völlig neue Marke zu informieren und aufzuklären. Im Detail beschrieben wird das in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ von Dr. Niklas Schaffmeister (Managing Partner Globeone) und Florian Haller (CEO Serviceplan Gruppe).

Marktanalyse: Relevante Segmente und Kundenwünsche

Zahlreiche Fragen müssen beantwortet werden, bevor eine Marke gedehnt wird. Zunächst gilt es, die Marktchancen zu klären. Wie groß sind die relevanten mittleren Segmente? Wie intensiv ist dort der Wettbewerb? Wie lauten die wichtigsten Kundenwünsche und -trends? Und einer der wichtigsten Aspekte: Wie fallen die erwarteten Gewinnmargen aus? Ein weiterer entscheidender Faktor, der geprüft werden muss, sind die Kosten der Herstellung und Organisation sowie die Fähigkeit des Unternehmens zur Anpassung. Nach unserer Erfahrung ist dies der schwierigste und verzwickteste Aspekt. Viele weltweite Unternehmen leisten Hervorragendes, wenn es um die Entwicklung komplexer, leistungsstarker Produkte geht. Aber gerade aufgrund ihrer Ingenieurskunst und der auf Qualitätsoptimierung angelegten Denk- und Arbeitsweise fällt es ihnen schwer, Produkte weniger komplex, weniger leistungsstark und kostengünstiger zu gestalten. Wieder zur strategischen Flexibilität des „Verlernens“ zurück zu finden und wichtige Aspekte eines Geschäftsmodells neu zu erfinden, sind wichtige Bestandteile beim Aufbau einer starken und nachhaltigen Position in den wachsenden mittleren Marktsegmenten der Schwellenmärkte.

Reichweite: Das Einbeziehen benachbarter Einkommensschichten

In den aufstrebenden Märkten wird die vertikale Markendehnung sehr häufig eingesetzt, um die Produktreichweite zu vergrößern. Diese Strategie wird seit vielen Jahren im Automobilsektor genutzt. Man spricht von einer vertikalen Markendehnung, wenn man hinsichtlich des Preises und/oder der Qualität von der Kernmarke nach unten
oder oben abweicht, um zusätzliche Marktsegmente zu erreichen. Dieses Vorgehen nutzt etwa Mercedes hinsichtlich der vertikalen Markendehnung von der S- bis zur A-Klasse. Auch Volkswagen nutzt die ganze Bandbreite der Modelle vom Luxusflaggschiff Phaeton bis hin zum Kleinstwagen up!. Gewiefte Marketingmanager sehen in der Markendehnung den schnellsten Weg, den Wert einer Kernmarke wirksam einzusetzen, um in zahlreicheren Marktsegmenten attraktiv zu sein.

Identität: Die Kernmarke und die neue Marke müssen sich unterscheiden

Vertikale Markendehnung sollte jedoch mehr als nur Preisgestaltung beinhalten. Sie kann auch eine Veränderung bei der Produktzusammensetzung oder Verpackung umfassen, um eine größere Bandbreite von Kunden anzusprechen und so die Umsätze zu steigern. Um zu verhindern, dass die Kernmarke zu stark ausgeschlachtet wird, ist es angeraten, zwischen der Kernmarke und der neuen Marke in Bezug auf Geschmack, Geruch, Funktionen, Performance, Anwendungen, Verpackung und Markenkommunikation zu unterscheiden. Wäre der Preis der einzige Unterschied, könnten Kunden aus höheren Einkommensschichten versucht sein, zu der günstigeren Marke zu wechseln, was zu Umsatzverlusten führen würde. Ein gutes Beispiel, wie eine erfolgreiche Abgrenzung der Marken funktionieren kann, liefert die von Procter & Gamble hergestellte Zahnpasta „Crest“. Um im mittleren Marktsegment in China weiter zu expandieren, veränderte Procter & Gamble die Zusammensetzung und Verpackung der Marke. Die Premiumversion „Pro Health Complete 7“ richtet sich an die gehobenen Verbraucher. Sie wurde so positioniert, dass sie gegen sieben Probleme der Mundhygiene wirkt, die durch die moderne Lebensweise hervorgerufen werden. Die Eigenschaft und der Claim, das natürliche Zahnweiß wiederherzustellen, wurde ausschließlich für die Premiumprodukte von Crest reserviert. Bei den günstigeren Produkten standen dagegen die Basiseigenschaften zur Kariesprophylaxe im Mittelpunkt.

Neue Forschungen bestätigen, dass Markendehnung ein maßgeblicher Faktor für nachhaltiges Wachstum in den großen Wachstumsmärkten ist. Das Marktforschungsinstitut Nielsen beschrieb in einem „Featured Insight“ die Ergebnisse einer umfassenden Marktstudie, die 82 Markendehnungen in 46 unterschiedlichen Kategorien im indischen FMCG-Markt (Fast Moving Consumer Good) untersuchte. Laut der Studie werden bereits 30 % vom Umsatz der führenden 23 FMCG-Marken durch Markendehnung erzielt. Und noch wichtiger: Es erwies sich, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit von Markendehnungen fünfmal größer ist als die der Einführung neuer Produkte.

Ein Beitrag von Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe, und Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone

Insider wissen es längst: Wenn ausländische Unternehmen in Wachstumsmärkten Erfolg haben, dann steht die Hälfte der Erfolgsfaktoren in direktem Zusammenhang mit der Anpassung oder Lokalisierung von Schlüsselelementen der Markenstrategie. Die Gretchenfrage ist, wie man eine Marke am besten an lokale Erwartungen und Erfordernisse anpasst. Auf der Grundlage unserer langjährigen Beratungserfahrung haben wir bei Globeone dazu den sogenannten marktgetriebenen Positionierungsprozess entwickelt. Dieses mehrstufige Verfahren stellt sicher, dass alle relevanten internen und externen Faktoren in der Analyse und Ausarbeitung der Positionierungsstrategie berücksichtigt werden. Am Ende steht ein Positionierungskonzept, das tatsächlich auf die Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnitten ist und gleichzeitig die Marke selbst vor einer Überdehnung schützt. Im Detail sind die sechs Schritte nachzulesen in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ (Autoren: Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone, und Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe).

1. Marktanalyse: Den Überblick gewinnen

Das Problem vieler Unternehmen ist nicht, dass sie über keine Informationen verfügen, sondern oftmals werden diese Informationen schlichtweg nicht so aufbereitet, dass sie die Entwicklung sinnvoller und realisierbarer Strategien befördern. Der erste Schritt besteht also darin, alle relevanten Daten innerhalb der Organisation zusammenzutragen und – falls notwendig – durch zusätzliche Markt- und Verbraucherforschungen zu ergänzen. Aus den verfügbaren Unternehmensdaten, Wettbewerbsanalysen, Marktstatistiken und relevanten Medienberichten lässt sich dann ein Überblick über den Zielmarkt und erste Positionierungsmöglichkeiten gewinnen.

2. Relevanzanalyse: Verstehen, was den Verbrauchern wichtig ist

Voraussetzung für eine erfolgreiche Positionierung ist immer die lokale Relevanz einer Marke oder eines Produktes. Im zweiten Schritt werden deshalb die wichtigsten Entscheidungstreiber für die Marke herausgearbeitet und analysiert, wie die Marke den Aufbau von bestimmten Präferenzen am besten unterstützen kann. Dabei ist es wichtig, neben den funktionellen Markentreibern auch solche in die Auswertung mit einzubeziehen, die den Kunden auf der emotionalen Ebene ansprechen. Unserer Erfahrung nach beginnen viele ausländische Unternehmen nicht mit dieser Relevanzanalyse, sondern gehen stattdessen von vornherein von einer viel enger gefassten Ausgangsposition aus, was langfristig aber substantielle Risiken birgt.

3. Realisierbarkeit: Nicht jeder Verbraucherwunsch passt zur Marke

Die Bedürfnisse der Verbraucher zu erkennen, ist eine Sache – sie jedoch erfolgreich zu bedienen, eine andere. Wenn ein Unternehmen den lokalen Zielmarkt und die Zielgruppe unvoreingenommen analysiert hat, muss es sich natürlich dafür entscheiden, welche Verbraucherbedürfnisse und -wünsche es am besten befriedigen kann. Was tatsächlich realisierbar ist, hängt möglicherweise nicht nur vom Portfolio ab, sondern auch vom gegenwärtigen Image der Marke. Das Image muss zum Angebot der Marke passen, weil ansonsten eine überzeugende Grundlage fehlt, die den Verbraucher zum Kauf bewegt. Wenn dem Unternehmen oder der Marke die relevanten Image-Assoziationen für bestimmte Produkte fehlen, ist eine systematische Markenentwicklung erforderlich.

4. Konsistenzanalyse: Vorsicht vor zu starker Anpassung

Das Austarieren des globalen Markenversprechens und der lokalen Positionierung ist unglaublich wichtig, um eine Verwässerung der Marke zu vermeiden. Die Anpassung an den lokalen Zielmarkt darf nicht im Widerspruch zur globalen Markenpositionierung stehen, weil es ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach zu Konflikten im Markenmanagement kommen wird. Im vierten Schritt muss deshalb die Konsistenz der Positionierungsroute mit dem globalen Markenversprechen überprüft werden. Droht die Anpassung an den lokalen Zielmarkt zu stark auszufallen, sind Unternehmen in der Regel gut beraten, eine separate Marke aufzubauen.

5. Differenzierung: Den Unterschied ausmachen

In einem weiteren Schritt müssen die Positionierungsstrategien der lokalen und globalen Wettbewerber analysiert werden, denn die Zusammensetzung der Wettbewerber in den einzelnen Märkten kann sehr unterschiedlich sein. Viel wichtiger aber noch: Die Wettbewerber selbst wählen mitunter unterschiedliche Positionierungsstrategien pro Land. Markenverantwortliche können sich also nicht blindlings darauf verlassen, dass die Positionierung eines Wettbewerbers in dem einen Markt auch seiner Positionierung in einem anderen Markt entspricht. Dabei muss auch die Kommunikation der Wettbewerber unter die Lupe genommen werden: Wie wird die Positionierung etwa in Printmedien, Werbekampagnen, in digitalen Kanälen und andernorts umgesetzt? Auf der Grundlage dieser Analyse kann dann eine Positionierungskarte erstellt werden, anhand derer sich die Positionierungslücken identifizieren lassen.

6. Positionierung: Das beste Wertversprechen finden

Die verbleibenden Optionen, die sich aus den vorherigen Schritten ergeben haben, können jetzt durch detaillierte quantitative und qualitative Tests auf ihre Attraktivität hin validiert werden. Dieser letzte Schritt ist nicht zu unterschätzen, denn nur die wirklich optimale marktgetriebene Positionierung hilft der Marke, langfristig im lokalen Zielmarkt relevant zu bleiben. Dieser Prozess kann auch dazu genutzt werden, auf ähnliche Weise überzeugende Produkt- und Servicekonzepte zu entwickeln.

Infografik marktgetriebene Positionierung