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Muss man Menschen mögen, um sie zum Thema seiner Kunst zu machen? Müssen Kunstwerke eine Botschaft haben? Und warum braucht der moderne Mensch in einer digitalisierten Welt Kultur, um optimistisch in die Zukunft zu schauen? Das wollten wir vom Bildhauer Stephan Balkenhol wissen. Wir besuchten den international bekannten Künstler in seinem Atelier im Kasseler Stadtteil Nord-Holland.

FLORIAN HALLER: Ihre Figuren wirken oft emotionslos. Warum dieser immer gleiche stoische Gesichtsausdruck?

STEPHAN BALKENHOL: Ich bevorzuge eine Ambivalenz im Ausdruck, statt eine extreme Emotion darzustellen, wie z. B. Lachen oder Weinen. Wenn ich das in Holz hauen würde, wirkte es wie eingefroren. Wenn ich einen indifferenten Ausdruck zeige, ist das offener. Das heißt, man kann sich als Betrachter oder Betrachterin alle emotionalen Befindlichkeiten denken. Der Ausdruck ist dann tatsächlich lebendiger.

Beim Betrachten Ihrer Figuren habe ich jedes Mal das Gefühl, als könne ich in diese Person hineinschauen. Erklären kann ich mir diesen Effekt nicht …

SB: Eine Schülerin meiner Frau hat einmal in einem Referat über meine Werke gesagt, sie seien wie hölzerne Spiegel. Ich glaube, sie sind eine Mischung aus Spiegel und Projektionsfläche. Man kann sich bei einer Figur überlegen: Was ist das für ein Mensch, was macht er, was denkt er, wo geht er hin, wo kommt er her? Oder man stellt sich vor, man selbst sei dieser Mensch. Man spiegelt sich mit seinem Empfinden in ihm. Beides ist möglich.

Sie sind, wenn ich das so sagen darf, nicht gerade der Typ extrovertierter Unterhalter …

SB: Nee.

Mögen Sie Menschen?

SB: Ich habe nichts gegen Menschen, aber ich habe sie nicht immer gerne
um mich. Ich bin auch gerne allein. Beim Arbeiten muss ich sogar allein sein, abgesehen von meiner Frau, das geht immer.
Aber bei den Kindern fängt es schon an, gleichwohl ich sie liebe, ist es tagesformabhängig, wie sie drauf sind und wie ich drauf bin. Grundsätzlich kann man nicht alle Menschen mögen, ich bin aber kein Misanthrop.

Sie haben mal gesagt, beim Arbeiten seien Sie in einem ständigen
Dialog mit dem Werkstück. Wie kann ich mir das vorstellen?

SB: Ich denke, dass ich mich über meine Skulpturen ausdrücken kann. Es ist meine Form von Kommunikation mit der Welt und gleichzeitig meine Erkundung von Welt.

KATHRIN BALKENHOL: Da muss ich mal einhaken. Ich glaube, dass Stephan sich durch die Arbeit selbst besser versteht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass etwas Diffuses in ihm arbeitet, was er erst, wenn er sich einmal durch die Welt geschnitzt hat, begreifen und anfassen kann.

Hat das Schaffen eines Kunstwerks also einen therapeutischen Aspekt?

SB: Künstlerische Arbeit kann – wie jede andere Arbeit – auch heilsam sein.
Nicht primär, aber sekundär. Mir tut es natürlich gut zu arbeiten. Und das Betrachten einer Skulptur kann auch therapeutische Effekte haben. Ich hatte mal ein Erlebnis in Rom, da hatte ich eine große Skulptur, den „Sempre più“, auf dem Forum Romanum platziert. Plötzlich kam eine Italienerin auf mich zu und sagte, der Tag habe so schlecht angefangen – ich
weiß nicht mehr, ob Ehescheidung oder Steuerprüfung, auf jeden Fall war es ganz schlimm –, aber jetzt bei der Eröffnung würde es ihr schon besser gehen.

KB: Das Betrachten von Kunst kann einen neuen Reflexions- und Erkenntnisraum öffnen. Sicherlich hat jede:r in seinem oder ihrem Inneren Punkte … für die er oder sie keine Wörter und Bilder hat und um die er oder sie einen weiten Bogen macht. Das Kunstwerk kann helfen, Gefahren zu bannen und Ängste zu entkräften, indem es verbildlicht. Dann müsste man eher von einer magisch-kultischen Wirkung sprechen als von einer therapeutischen.

SB: Ja, aber diese existenziellen Fragen werden nicht illustrativ in den Skulpturen behandelt, sondern indirekt oder metaphorisch. Das ist ja manchmal so ein Missverständnis bei Kunst, dass einige Leute direkt irgendetwas erkennen oder eine Botschaft ablesen wollen. Und da entsteht dann bei meinen Arbeiten oft eine Irritation. Wie z. B. der Bojen-Mann, der in Hamburg auf der Außenalster steht, nichts verkünden will und sich dieser Erwartung verweigert. Von früher her ist man es gewohnt, dass Denkmäler im öffentlichen Raum automatisch eine wichtige Person darstellen sollen. Wenn das einfach ein Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose ist, braucht das bei manchen seine Zeit, bis sie verstehen, es könnte jeder sein, es könnte ich sein oder du.

Sie arbeiten hauptsächlich mit Holz. Warum dieses Material?

SB: Persönliche Affinität, und weil es mir eine Art von Freiheit gibt. Ich kann Holz selber bearbeiten und brauche keine Assistenten. Wenn ich einen Bronzeguss mache, dann geht das durch drei, vier Hände, bis die Arbeit fertig ist. Bei Holz dagegen kann ich wirklich alles selber machen. Ich könnte sogar selber in den Wald gehen und einen Baum fällen und daraus eine Skulptur machen. Holz kann man außerdem relativ schnell bearbeiten und es gibt keinen Umsetzungsprozess. Bei Ton oder Gips ist eine Umformung dabei, bei Holz hat man von Anfang bis Ende das Resultat vor sich.

Wie läuft dieses Arbeiten an einem Werk ab?

SB: Das Arbeiten ist eine Kommunikation mit dem Material. Ich könnte ja einmal mit der Kettensäge reinsägen und sagen: „Jetzt ist es fertig.“ Das Interessante ist die Entscheidung, wann höre ich auf. Es gibt ja Skulpturen, die bozzettohaft sind, also halb fertig, relativ grob gehauen, und andere sind wieder feiner. Diese Kommunikation, dieses Drumherumgehen und Überlegen, das macht das Arbeiten spannend. Da gibt es diesen Witz mit dem Bildhauer und dem Löwen, wo ein Besucher den Bildhauer fragt: „Ist das eigentlich schwierig, einen Löwen aus Marmor zu hauen?“ Und der Bildhauer sagt: „Es ist eigentlich ganz einfach, du musst alles weghauen, was nicht nach Löwe aussieht.“

KB: Es ist halt auch so, dass Stephan nur so schnell hauen kann, wie er denkt. Bei Stein oder Ton ist das anders. Stephan hat für Leipzig mal eine Richard-Wagner-Bronzeskulptur gemacht. Das Tonmodell für den Guss war fertig und sollte abgeholt werden. Wir wollten in zwei Tagen heiraten. Es hätte also viele Sachen gegeben, die getan werden wollten. Und dann ist Stephan morgens um fünf zum Atelier und hat dem Wagner noch mal ein völlig anderes Gesicht verpasst. Weil das Modellieren mit Ton eben so schnell geht und jeder Druck mit dem Finger schon einen Gesichtsausdruck produziert. Dieses additive Verfahren führt zu einem anderen Entscheidungsprozess. Das Verfahren mit dem Runterschlagen und Wegnehmen liegt Stephan irgendwie mehr.

SB: Wenn ich beim Schnitzen das Gefühl habe, ich habe keinen Blick mehr, dann mache ich eine Pause. Und wenn ich wieder weiß, wo es hingeht, arbeite ich weiter. Für einen Besuchenden im Atelier ist dies etwas irritierend, weil er oder sie mich die meiste Zeit beim Arbeiten rauchend um die Skulptur laufen sieht.

© Stephan Balkenhol / VG Bild-Kunst, Bonn

Macht es einen Unterschied, mit welchem Holz Sie arbeiten?

SB: Aus der Erfahrung weiß ich, für welchen Zweck welches Holz am besten geeignet ist. Die Reliefs für Serviceplan z. B. sind aus Pappelholz. Da weiß ich, dass die Farbe sich im Laufe der Zeit nicht verändert. Wenn wir Nadelholz nehmen würden, würde es durch das Harz mit der Zeit dunkler werden und es bildet kleine Risse. Aber generell nehme ich das Holz, das ich dahabe oder gerade angeboten bekomme. Ich habe bestimmt schon aus zwanzig verschiedenen Holzarten Skulpturen gemacht. Es ist nicht so wichtig. Ich mache ja keine Holzskulptur, um zu zeigen, wie toll Holz ist, sondern ich benutze das Material als Mittel zum Zweck.

Holz ist, anders als Stein, ein organisches, lebendiges Material. Spielt das eine Rolle für Sie?

SB: Ja, Holz ist ein lebendiges Material und arbeitet immer. Auch in hundert Jahren noch. Stein würde ich auch noch als lebendiges Material bezeichnen, aber Stahl oder Kunststoff sind eher leblos.

Bei Skulpturen denkt man sofort an die Meisterwerke der Antike. Ist die Antike für Sie Inspiration?

SB: Ja, durchaus. Ich bin schon immer besonders gerne in Museen gegangen, die eine Antikensammlung haben. Die Glyptothek in München z.B. ist fantastisch.

Mich hat das archäologische Museum in Neapel total beeindruckt. Diese riesigen Statuen haben eine wahnsinnige Kraft.

SB: Die antiken Mythen, das sind schon große Erzählungen. Das sind große Bilder, und da wird immer über Bande gespielt, das ist ja das Schöne. Es ist nie dieses Unmittelbare, Direkte, sondern etwas Rätselhaftes. Und obwohl es göttliche Geschichten sind, ist es eigentlich der Mensch, der sich darin spiegelt.

Apropos spiegeln: Findet sich Ihre eigene Lebensgeschichte in Ihren Werken wieder?

SB: Sicher, das kann man ja nicht verhindern. Ich stamme aus einem ganz bestimmten kulturellen Milieu in Mitteleuropa, Deutschland. Da ist man natürlich geprägt von bestimmten Einflüssen. Ich komme aus einem katholischen Elternhaus und musste sonntags immer in die Kirche gehen. Dabei habe ich mich oft gelangweilt. Was mich aber fasziniert hat, war, die Heiligenfiguren zu betrachten. Irgendwann ist mir aufgegangen, diese Figuren sollen zwar den heiligen Antonius, die heilige Elisabeth und andere darstellen, aber eigentlich hat sich der Bildhauer aus dem 14. oder 17. Jahrhundert selbst und die Zeit, in der er gelebt hat, verewigt. Man spürt beim Betrachten solcher Figuren die Zeit und auch ihre Überzeitlichkeit. Das fand ich schon immer spannend.

Haben Sie ein Lieblingswerk von sich selbst?

SB: Im Prinzip ist es immer das, an dem ich gerade arbeite. Sonst könnte ich ja nichts anderes mehr machen. Dann hätte man ein Werk und könnte aufhören.

Was ist Kunst?

SB: Keine Ahnung (lacht). Das Gute an Kunst ist, dass sie zu nichts nutze ist – nicht nützlich sein muss. Und der Nutzen erst erfunden wird, wenn sie da ist und sich beweist. Dann merkt man, dass man nicht mehr darauf verzichten kann. Aber warum das so ist, ist individuell, das muss jede:r für sich selbst herausfinden.

Hat Kunst etwas mit Zeitgeist zu tun?

SB: Zeitgeist finde ich zu kurz gedacht. Es ist auch nicht Aufgabe der Kunst, irgendwelche Zeitgeist-Phänomene zu spiegeln. Dass sie natürlich beeinflusst wird durch irgendetwas, ist unbestritten und legitim, das kann man wahrscheinlich auch nicht verhindern. Die Erwartung, dass Kunst es zur Aufgabe hat, dieses Etwas zu kommentieren oder gar die Welt zu verbessern oder Gerechtigkeit zu verbreiten, das finde ich nicht richtig.

© Stephan Balkenhol / VG Bild-Kunst, Bonn

Steht ein Kunstwerk für sich oder immer im Kontext mit dem Menschen?

SB: Kunst hat immer mit Menschen zu tun, weil sie von Menschen gemacht ist. Und weil der Mensch derjenige ist, der sich das Kunstwerk anschaut, und ihn dies beeinflusst. Es verändert seinen Erlebnis- und Erkenntnishorizont, und das ist Teil des Kunstwerkes.

Wie stehen Sie eigentlich zum Kunstmarkt? Jede:r Künstler:in sagt ja erst mal: „Ist mir egal.“ Aber im Gespräch kommt dann doch ganz schnell: „Der und der hat mich jetzt wieder überholt im Preis.“ Wenn der Markt ganz so unwichtig wäre, dann würde man sich doch nicht messen, oder?

SB: Ich bin Teil des Betriebs und lebe davon, insofern bin ich dankbar, dass es den Kunstmarkt gibt. Sonst könnte ich so nicht arbeiten, wie ich arbeite. Dass jedes Marktgeschehen auch seltsame Blüten treiben kann, im Sinne von einem Hyperventilieren, ist halt so. Jonathan Meese hat mal was Schönes gesagt: Das mit dem Ruhm sei alles gut und schön, aber das Wichtigste für einen Künstler sei, wenn er in seinem Atelier stehen und arbeiten kann. Das ist das größte Glück.

Also hat Kunst tatsächlich etwas Therapeutisches …

SB: Glück ist immer therapeutisch.

Welche Rolle kann Kultur in unserer modernen Gesellschaft spielen?

SB: Vieles, was den Menschen früher Halt und Sicherheit gegeben hat, ist heute nicht mehr da oder hat seine Bedeutung verloren. Es gibt eigentlich nur noch die Hoffnung, dass der Staat oder die Politik alles einigermaßen so managt, dass man halbwegs gut leben kann. Ich glaube, dass Kultur die Funktion hat, eine immaterielle Ebene in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, die eine andere Art der Sicherheit schafft – beziehungsweise die Unsicherheit nicht als bedrohlich erscheinen lässt, sondern als natürlich: dass man trotz des Bewusstseins vom Tod und aller Schwierigkeiten glücklich sein kann!

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview erschien zuerst in TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der achten Ausgabe unter dem Leitthema „A Human-driven Future: Wie der Mensch das digitale Morgen prägt“. Zum E-Paper geht es hier.

Kaum ein Markt weltweit verspricht europäischen Investor:innen so gute Geschäfte und einen einigermaßen leichten Zugang wie die USA, denn die kulturellen Unterschiede erscheinen vermeintlich gering. Doch knapp dreiviertel aller Auslandsinvestitionen dort scheitern. Grund sind oft mangelndes kulturelles Verständnis und die falsche Kommunikationsstrategie. Die Serviceplan Group zeigt in ihrer digitalen Veranstaltungsreihe International Roadshow 2021, wie die US-amerikanische Kultur sowie die aktuellen politischen Entwicklungen geschäftliche Entscheidungsprozesse, Kaufinteressen und vor allem die Kundenloyalität beeinflussen und was für eine globale Brand wichtig zu beachten ist, um im größten Binnenmarkt der Welt erfolgreich zu sein.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse direkt vorneweg: Einen einheitlichen Markt USA gibt es nicht. Die schiere Größe des Landes und seine vielfältigen Regionen und Einwohner:innen mit unterschiedlicher Familiengeschichte oder Herkunft, verhindern das.

Die Un-Vereinigten Staaten von Amerika

„Es gibt sehr starke Kräfte, die Amerika heute prägen. Von Fragen des sozialen Bewusstseins bis hin zur heiß umkämpften Präsidentschaftswahl, die auch Monate nach dem Wahlabend noch eine anhaltende Herausforderung für die Grundfesten der Demokratie darstellt. Ein weiterer Faktor ist die Pandemie und die mit ihr einhergehende Spaltung der Gesellschaft. 600.000 Amerikaner:innen sind an COVID-19 gestorben, dennoch bezeichnen viele das Virus immer noch als Schwindel. Für Wirtschaftsakteur:innen war Corona entweder eine absolute Katastrophe oder business as usual,“ sagt Phil Cowdell, CEO Mediaplus Americas. „Diese gesellschaftliche Segmentierung ist das Grundproblem der Un-Vereinigten Staaten. Die Erfahrungen der Menschen unterscheiden sich grundlegend entlang zahlreicher, allgegenwärtiger Trennlinien – von Einkommen und Bildung über Hautfarbe oder Geschlecht.“

Die USA sind heute stärker polarisiert als je zuvor in ihrer Geschichte. Nach Phil Cowdells Einschätzung liegen die sogenannten Linken und Rechten so weit auseinander, dass es fast keine gemeinsame Basis mehr für eine vernünftige Politik gibt.

„Keine Präsidentschaftswahl war so stark geprägt von gezielter Fehl- und Desinformation, wie die vergangene“, ergänzt Robert Schaul, Experte innerhalb der US-Regierung zu den Schwerpunkten Sicherheit und Fehlinformation/Desinformation.

„In den Köpfen vieler Menschen sind völlig falsche und sich teilweise widersprechende Narrative verankert. Dies hat sich im Sturm auf das Kapitol am 6. Januar kulminiert.“

Gezielt platzierte Narrative bestimmen die Post-Truth-World

„Viele dieser falschen Narrative werden als absolute Wahrheiten wahrgenommen“, erklärt Zach Schwitzky, CEO & Mitbegründer von Limbik. „Wir leben in einer Post-Truth-World. Was für die eine Seite als wahr gilt, ist für die andere Seite Fake News. Fakten sprechen nicht mehr für sich selbst, sie sind nur noch dazu da, die Menschen in ihrem Glauben zu bestätigen. Für Marketingverantwortliche sind sogenannte Belief-Groups bei vielen Themen aktuell ein besserer Ausgangspunkt zur Marktsegmentierung als traditionelle demografische Ansätze – solange die unterschiedlichen Nuancen innerhalb einer Gruppe verstanden werden.“

Am meisten leidet durch diese Entwicklung das Vertrauen in Institutionen und die Sicherheit, dass eine nachprüfbare Wahrheit existiert. Von Fake News bis hin zu ausländischer Einflussnahme, Verschwörungstheorien oder dem Dark Web – das alles prägt die aktuelle Verbraucher:innen-Landschaft. Neben den konkreten Inhalten, werden für Marketers immer mehr die Plattformen, Gruppen und Netzwerke wichtig, innerhalb derer sie verbreitet werden.

Legal, decent, honest and truthful – diese Marketingstandards gelten weiter

Die Netzwerke ersetzen immer mehr die soziodemografischen Modelle der Vergangenheit und damit auch die Art und Weise, wie Marketing Menschen ansprechen kann und muss. Die vier Marketingstandards des angloamerikanischen Raumes legal, decent, honest and truthful behalten allerdings weiter ihre Gültigkeit – besonders auch wenn Marken und Unternehmen aktuell immer wieder dazu gedrängt werden, sich öffentlich zu positionieren. Sich als Marke völlig neutral zu verhalten oder ein Thema auszusitzen ist kaum mehr möglich.

Eine Folge davon: Es reicht nicht mehr aus, seine Kund:innen zu kennen. Marketers sollten darüber hinaus das eigene Unternehmen sowie potentielle Kund:innen, die das Unternehmen gerne erreichen möchte, gut kennen und sich als Marke entsprechend positionieren. Boykotte von bestimmten Gruppen kann es dabei immer geben, aber eine Ping-Pong-Strategie, um es allen recht zu machen, ist nach Ansicht der drei Experten nicht mehr möglich. Es ist essenziell für Marken Kund:innen und Zielgruppen noch genauer zu identifizieren und sie passgenau zu ihren Überzeugungen anzusprechen.

Stella Artois – mit der richtigen Story zu einer Marke, die sich abhebt

Ein Paradebeispiel für einen erfolgreichen Markteintritt in die USA ist Stella Artois Anheuser-Busch. Stella Artois kam mit mehreren hundert Jahren Firmengeschichte im Gepäck in die USA: Die Marke wurde 1366 als kleine belgische Brauerei gegründet, heute füllt sie Kühlschränke und Shops in Nordamerika. Die verbreiteten romantischen Vorstellungen der amerikanischen Käuferschaft von einer Marke aus der „alten Welt“, haben ihrem Markteintritt dabei natürlich nicht geschadet. Lara Krug, Vice President Marketing bei Stella Artois, über die Anfänge in den Vereinigten Staaten: „Die Bierindustrie wird in den USA als etwas sehr Generisches gesehen. Für ein amerikanisches Publikum hat eine Biermarke aus Europa von Anfang an etwas mehr Geschichte in ihrer DNA verankert als die lokale Konkurrenz.“

Doch eine Marke einzig aufgrund ihrer Geschichte als Premiumprodukt zu positionieren, funktioniert in den USA nicht – vor allem nicht beim Thema Absatzgeschäft. „Der Biermarkt in den USA ist unglaublich fragmentiert. Es gibt unüberschaubar viele Biermarken, und die Verbraucher:innen sind keiner von ihnen gegenüber besonders loyal. Sie trinken unser Produkt, mögen den Geschmack und kaufen es oft trotzdem erst ein Jahr später wieder.“ Diese Marktrealität hat erhebliche Auswirkungen auf Medienstrategien und Werbekampagnen.

Viele Amerikaner:innen kannten den Namen Stella Artois und hatten sogar eine Vorstellung davon, wie das Bier schmeckt. Was fehlte war eine persönliche Beziehung zum Produkt. Die anfängliche Strategie, Stella Artois ähnlich wie einen Luxus-Champagner zu positionieren, funktionierte nicht. Konsument:innen sahen in Stella Artois ein Bier für besondere – und damit vor allem seltene – Anlässe.

Die wichtigste Regel: Consumer First

Um US-Biertrinker:innen zu erreichen, reicht es nicht, erfolgreiche globale Strategien ein zu eins zu übernehmen. Die wichtigste Regel ist: Die Konsument:innen und ihre Wünsche sind Priorität. Angesichts geringer Kundenloyalität bedeutet das vor allem eines: Marketer:innen müssen sich ehrlich und intensiv damit auseinander setzen, was Konsument:innen  interessiert und was sie sich wirklich von einer Marke wünschen.

Für Stella Artois war die Basis schon vorhanden. Alles, was es noch brauchte, war Konsument:innen einen Anstoß zu geben, sich selbst besondere Anlässe zu schaffen. Lara Krug und ihr Team entwickelten Stella Artois von einem Bier, das man an einigen wenigen Feiertagen trinkt, zu einem Bier für alle Tage, an denen man sich einfach selbst etwas gönnen möchte. Sie fanden heraus, wann die Konsument:innen ihr Bier eigentlich gerne trinken würden und entwickelten eine Storyline, die es ihnen erlaubte, genau das zu tun.

Viele Ideen können nach Lara Krugs Erfahrung durchaus aus anderen Ländern und Märkten übernommen werden – allerdings mit einigen Anpassungen:, „Die USA sind nicht völlig anders als der Rest der Welt. Aber um hier relevant zu sein, müssen Marken flexibel sein und gleichzeitig ihren Wurzeln treu bleiben. Der US-Markt und die Verbraucher:innen sind unglaublich schnell. Marken müssen sich ebenso schnell anpassen und weiterentwickeln, um mitzuhalten. Wer am Kern seiner Marke festhält, sie auf Grundlage ihrer Werte weiterentwickelt und gleichzeitig anpassungsfähig ist, bleibt kulturell relevant.“ 

Die größte Impfkampagne der Geschichte: It’s Up to You

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind auch Schlüsselbegriffe in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Im Dezember 2020 war sich die Hälfte der Amerikaner:innen nicht sicher, ob sie sich gegen das Virus impfen lassen sollen. Gemeinsam mit dem AdCouncil entwickelte Pereira O’Dell, Partneragentur der Serviceplan Group, eine Kampagne, die dieses Zögern respektvoll und einfühlsam anspricht. Angesichts eines gespaltenen Landes, in dem selbst die Pandemiebekämpfung politisiert wird, war die Geschichte, die die Kampagne tragen sollte, am wichtigsten.

Die gesamte Kampagne war von Anfang an als Open-Source-Konzept gedacht. So konnte sich die gesamte Marketingwelt beteiligten, ihr Publikum erreichen, die Reichweite maximieren und It’s Up To You zur größten Public-Service-Kampagne in der Geschichte der USA machen.

„Wir haben die Menschen an all die wunderbaren Momente sozialer Verbundenheit erinnert, die sie seit Corona vermissen mussten“, sagt Michelle Hillman, Chief Campaign Development Officer bei AdCouncil. „Vom Besuch der Großeltern über den Jubel bei einer Sportveranstaltung bis hin zur Rückkehr ins Büro. Wir wollten etwas in den Menschen wecken, das sie dazu bringt, sich selbst die Informationen übers Impfen zu besorgen, die sie benötigen.“

Die Idee hinter It’s Up To You ist auf Skalierbarkeit ausgelegt. So ist sie von vielen nutzbar  und kann überall zum Einsatz kommen: Von Graswurzel-Aktivierungen in Kirchen bis zu informativen Hinweisen in Streaming-Formaten, von „Erfahre mehr“-Buttons in Suchmaschinen bis zu emotionalen Geschichten, die im TV erzählt werden.

Vier ehemalige Präsidenten und First Ladies der Vereinigten Staaten schlossen sich dem Projekt an und mehr als 300 Verlage, Tech-Plattformen, Agenturen und Marken beteiligten sich. Dennoch beeinflusste die politische Einstellung vieler Menschen und ihre jeweiligen (sozialen) Netzwerke, wie die Kampagne aufgenommen wurde. „Wir fühlten uns manchmal wie Eltern, die für ihre kleinen Kinder das Gemüse im Essen verstecken. In politischen Kampagnen in den USA müssen Themen so angesprochen werden, dass sich möglichst viele Zielgruppen abgeholt fühlen. Marketingverantwortliche müssen Barrieren, Ängste und Werte ihres Publikums verstehen. Dies tut man, indem man sich anschaut, wie die Menschen über ihr Land und ihre Familie denken.“ 

Wer Befürworter:innen gewinnen will, muss Vertrauen aufbauen. In den USA bedeutet das aktuell, zuerst lokale, vertrauenswürdige Botschafter:innen für die eigene Sache zu gewinnen. Deshalb setzt It’s Up To You, anstatt vor allem auf Reichweite oder Bekanntheit zu bauen, darauf, vertrauenswürdige Expert:innen und medizinische Daten mit ausgewählten Influencer:innen zu verbinden. 

Dabei mussten Michelle Hillman und ihre Kolleg:innen sich vor Augen halten: Wer als vertrauenwürdige Expert:in angesehen wird, entwickelt sich sehr dynamisch und flexibel. Mehr als 70 Prozent der Amerikaner:innen geben aktuell an, ihrem Arbeitgeber mehr zu vertrauen, als Ärzt:innen oder Prominenten.  Dies ist auch eine Chance für Unternehmen und Marken, eine führende Rolle in der öffentlichen Diskussion einzunehmen, wenn sie ehrlich und transparent vorgehen: „Die Menschen erwarten von CEOs und Führungskräften, dass sie sich für wichtige Themen einsetzen. Wenn Unternehmen das mit konsistenten Marketingbotschaften kombinieren, schenken die Menschen ihnen wirklich Aufmerksamkeit.“

#Trends2020: Neues Jahr, neue Trends! Wir haben verschiedene Experten der Serviceplan Gruppe nach ihren Prognosen für 2020 gefragt. Bis Weihnachten kommt an dieser Stelle jeden Werktag ein neuer Trend dazu. Viel Spaß beim Lesen!

Changing Touchpoints

Im Mediabereich werden sich die Touchpoints und deren Einsatz für die kommerzielle Kommunikation unserer Kunden weiter differenzieren und der Content, mit dem wir ihre Konsumenten erreichen, wird durch die Nutzung von Daten stärker individualisiert, um an Relevanz zu gewinnen. Neuere Touchpoints wie TikTok oder Podcasts werden verstärkt eingesetzt und „alte“ Touchpoints wie Instagram werden an die veränderte Nutzungsweisen der neuen Konsumenten-Generationen angepasst.

Andrea Malgara, Geschäftsführer und Partner Mediaplus Gruppe

Service-Portal statt Online-Shop

„Für uns zeichnet sich ein deutlicher Trend im B2B-Bereich ab: Die Bewegung von reinen E-Commerce-Projekten hin zu plattform-übergreifenden Portalen mit einer konsequenten Kundenausrichtung und Serviceprozessen. Dabei werden beispielsweise klassische Online-Ersatzteilshops mit der Buchung von Service-Technikern, einem Informationsportal oder Online-Trainings verbunden. Damit hat man gegenüber der Konkurrenz einen klaren Vorteil, indem man durch Mehrwert die User Experience steigert.“

Sven Lohmeier, Unit Director Enterprise Commerce Solutions bei hmmh AG

Sensorik goes Marketing

Sensorik ist in den Bereichen Smart Home, autonomes Fahren oder Bilderkennung mittlerweile im Alltag angekommen. Im kommenden Jahr werden Sensoren aber immer mehr auch im Bereich Marketing und Kommunikation zum Einsatz kommen. Denn in Kombination mit AI schaffen Sensoren eine hyper-personalisierte User Experience (UX). Marken können durch sensorische Erfassung den Menschen in seiner aktuellen Situation noch besser abholen und in den Mittelpunkt stellen. Zudem können über Sensoren in Werbemitteln, Apps oder auf Webseiten Daten generiert werden, die das data-driven Marketing anreichern. Datenschutzkonformität natürlich immer vorausgesetzt.

Marcel Kammermayer, Geschäftsführer Plan.Net Innovation

Dies ist ebenfalls einer von 15 Trends, die W&V veröffentlicht hat.

Print & die Kultur der Offenheit

Das Jahr 2020 ist der Beginn eines neuen Jahrzehnts, das für das Medium Print weitreichende Veränderungen mit sich bringen wird. Die Chancen der Gattung liegen in einer neuen Kultur der Offenheit – einer Offenheit, sich branchenintern mit allen Akteuren auf eine sinnhafte Lösung der Remissionsproblematik zu verständigen, im Sinne von finanzieller und ökologischer Ressourcenschonung; der Offenheit, sich grundlegend über Messbarkeit und die Relevanz qualifizierter Auflagen und Reichweiten Gedanken zu machen; der Offenheit, Content gezielt für digitale Kanäle ODER für Print zu produzieren, statt auf Mehrfachverwertung zu setzen und der Offenheit gegenüber technologischen Innovationen, die (wie etwa Augmented Reality) eine Verlängerung der analogen in die digitale Sphäre schaffen, den Bruch zwischen den Welten zu überwinden helfen und ein systemübergreifendes Erlebnis erzeugen. Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen noch größer.

Barbara Evans, Geschäftsführerin und Partnerin Mediaplus Gruppe

Small Data statt Big Data

„Big Data“ schreckt ab. „Small Data“ ist angesagt: Es geht nicht um möglichst große Datentöpfe, sondern um höchst granulare Individualisierung. Right message, right time, right touchpoint, right CtA – und das pro Person und nicht pro „Zielgruppe“. Hyper-Personalisierung erreicht den einzelnen Menschen so relevant wie nie zuvor.

Alexander Windhorst, Geschäftsführer Plan.Net Connect

Rich UX durch 5G und LTE

Im neuen Jahr werden die mobilen Bandbreiten durch den Start von 5G und den weiteren Ausbau von LTE zunehmen. Das erlaubt bei mobilen Anwendungen reichhaltige Gestaltungsmöglichkeiten, die die Erwartungen der User nachhaltig verändern werden. Eine Rich UX mit Animationen, viel Bewegtbild und Augmented Reality bei praktisch sofortiger Verfügbarkeit wird zum neuen Standard werden – gegenüber diesem werden statische User Interfaces alt aussehen.

Michael Wörmann, Geschäftsführer und Partner Facit Digital

Der Einzug der Daten in die PR

Agenturen müssen ihre Teams für die digitale Kommunikation mit Personal, Tools und Wissen auf- und ausrüsten. Sie müssen ausgebildete SEO-Experten und Performance-Marketer einstellen. Die Auswertung von Daten beispielsweise aus Suchanfragen wird genauso bedeutend werden wie die richtigen Skills im Umgang mit Journalisten. Agenturen müssen künftig Offline und Online verstehen, kreieren und reagieren. Überall dort, wo Meinung entsteht, egal ob im Vieraugengespräch oder im Kommentarfeld von Instagram. Agenturen müssen noch stärker integriert im Modell des Konversionsfunnels denken und anschlussfähiger an Marketing und CRM werden. Die Zeit, in der sich die PR als Stand-alone-Disziplin versteht, die mit Marketing nichts zu tun hat, geht definitiv zu Ende.

Klaus Weise, Geschäftsführer und Partner Serviceplan Public Relations & Content

FOMO oder JOMO?

Was wird für Marketeers im nächsten Jahr spannend? FOMO, das Akronym für „fear of missing out“, steht für die gerade aus der Social-Media-Welt bekannte Angst, etwas zu verpassen. Die „joy of missing out“ (JOMO) als Antwort darauf steht für die bewusste Entscheidung, Dinge auch verpassen zu dürfen. Für mich gewinnt ganz klar die FOMO: Sieben von zehn Millennials erleben sie regelmäßig. Die Trigger-Möglichkeiten des „FOMO Sapiens“ bieten aus Marketingsicht 2020 also viel Spielraum – man denke nur an die Wirkung zeitlich begrenzter Stories, künstlicher Verknappung oder strikter Zeitlimits. In der Praxis sind der Black Friday, Cyber Monday und der Singles Day die besten Beispiele für die eindrucksvolle Wirkungsweise der FOMO-Logik.

Magnus Gebauer, Group Head Trendhub Mediaplus Gruppe

Marketing Governance

In Zeiten von Zentralisierung und Konsolidierung sind für mich Governance-Modelle in Unternehmen unerlässlich: Diese regeln das Zusammenspiel von Marken und Märkten in (oft) multinationalen Konzernen, klären Rollen und Verantwortlichkeiten aller Stakeholder, setzen Leitplanken für die Content-Produktion und Distribution – und erlauben somit eine zielgerichtete, konsistente und effiziente Marketingkommunikation.

Verena Letzner, General Manager Plan.Net NEO

Branding is for cows, belonging is for people

Die Unternehmensidentität lässt sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht mit dem heißen Eisen aufdrücken. Mindestens genauso wichtig wie die fachliche Eignung sind Loyalität, Verbundenheit und ein gemeinsames Werteverständnis. Deshalb sage ich: Employer Branding war gestern. Es ist an der Zeit, kulturelle Zugehörigkeit und Identität in den Fokus der Mitarbeitergewinnung zu rücken. Diese startet nicht erst beim Recruiting, sondern jeden Tag aufs Neue im eigenen Unternehmen. Um langfristig erfolgreich zu sein, reicht es nicht aus, neue Bewerberinnen und Bewerber fürs Unternehmen zu begeistern. Stattdessen muss es gelingen, die eigenen Mitarbeiter wieder und wieder für sich zu gewinnen. Denn: Employer Belonging is for people.

Oliver Grüttemeier, Geschäftsführer Serviceplan Köln 

Nachhaltigkeit in der Fashionbranche

Fashion wird immer grüner! Laut aktueller Facit-Nachhaltigkeitsstudie sind bereits heute 56 Prozent der Fashion-Kunden in Deutschland beim Thema Nachhaltigkeit quasi auf dem Sprung. Das wird den Druck auf die Anbieter in puncto Sustainable Fashion 2020 noch einmal enorm erhöhen. Eine Vielzahl neuer Fashion-Geschäftsmodelle wird entstehen und Fast Fashion wird an Bedeutung verlieren. Green Fashion, Green Stores, Recycling und faire Arbeitsbedingungen werden dahingegen nächstes Jahr die Diskussion bestimmen. Green Marketing wird 2020 zu einem alles überstrahlenden Thema in Werbung und Kommunikation werden.

Jens Cornelsen, Geschäftsführer Facit Research

Gaming als dominierendes Unterhaltungsmedium

2020 wird ein heißes Jahr für das weltweit beliebteste Unterhaltungsmedium Gaming. Im Herbst bringen Sony und Microsoft ihre neue Konsolengeneration an den Start und neben besserer Hardware und neuen Blockbuster-Titeln wird die neue Runde im Konsolen-Kampf von innovativen Services rund um Abo-Modelle und Streaming-Möglichkeiten für Games entschieden werden. Heiß her gehen wird es auch in Sachen Gameplay Streaming und Gaming Influencer: Microsoft (mit Mixer), Google (mit YouTube) und Amazon (mit Twitch) haben Ende 2019 begonnen, sich gegenseitig die besten Talente abzuwerben, um sie exklusiv an ihre Streaming-Plattformen zu binden. Die Wechsel der Streamer-Schwergewichte Tyler „Ninja“ Blevins und Michael „Shroud“ Grzesiek von Twitch zu Mixer waren nur die Vorboten für den großen Kampf um die Streaming-Krone, der uns 2020 bevorsteht

Alex Turtschan, Director Digital Accelerator Mediaplus Gruppe

Purpose: Das Werkzeug für Identität, Kultur und Wachstum von Unternehmen

Das Thema Purpose wird 2020 an professioneller Bedeutung gewinnen. Zum einen ist der Druck auf Unternehmen von Verbrauchen, Mitarbeitern, Politik, Zivilgesellschaft und Investoren hoch, eine verantwortungsvolle Haltung einzunehmen. Zum anderen wollen mehr Organisationen nutzen, dass die empathische Definition und die kreative Aktivierung ihres Purpose das Werkzeug für Identität, Kultur und Wachstum ist.

Christoph Kahlert, Geschäftsführer und Partner Serviceplan Reputation

Digital Brand Experiences made with love

Das digitale Markenerlebnis steht im Zentrum. Jedoch können Technologie und Daten dabei nur unterstützen. In erster Linie braucht es für die Digital Brand Experience mit Herz eine klare Interpretation von Haltung und Werten für alle digitalen Schnittstellen zwischen Menschen und Marke.

Michael Kutschinski, Chief Creative Officer Plan.Net Group

DNA Trips

Unter „DNA Trips“ lassen sich gleich mehrere Trends zusammenfassen, beziehungsweise beschreiben. Im eigentlichen Sinne geht es um eine Form der Ahnenforschung verbunden mit Urlaub. So werden Orte bereist, die einen hohen persönlichen oder familiären Bezug haben („ancestral tourism“). Aber nicht nur der Bezug zu Orten, auch der Bezug zur Familie und das Reisen mit Familie wird wieder zum Trend. „multigenerational travel“ sprich generationsübergreifende Familienurlaube erleben ein neues Hoch. Ebenfalls wird die Suche nach und die Entwicklung der eigenen Person zum Urlaubstrend. Transformatives Reisen bietet großes Potential in der Produktentwicklung wie auch der Kommunikation.

Verena Feyock, Geschäftsführerin und Partnerin Saint Elmo‘s Tourismusmarketing

Transformation dank Tensegrity

Die digitale Transformation basiert zu einem großen Teil auf Kultur und Technologie. Wertschöpfung aus neuen Technologien entsteht jedoch nur durch einen gleichzeitig stattfindenden Kulturwandel. Kultur, wenn sie als strategisches Unternehmensziel verstanden wird, trägt dazu bei, ein Unternehmen im Kern stark zu machen – durch gelebte Werte, Ziele, Verhalten und Normen. Die gleichzeitige Förderung der Veränderungs-, Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit macht Organisationen zukunftsfähig. Wir nutzen das Bild der Tensegrity: Kultur wird in Verbindung mit Flexibilität und zielführenden Technologien zum Treiber der digitalen Transformation.

Matthias Breitschaft, Geschäftsführer und Partner Serviceplan Consulting Group

Messbarkeit im Influencer Marketing: Compare it!

Influencer Marketing steht zunehmend in der Kritik – einer der meistgenannten Vorwürfe aus Marketer-Sicht ist die mangelnde Messbarkeit. Sieht man genau hin, ist das eigentliche Problem nicht die Messbarkeit, sondern vielmehr fehlende Voraussetzungen für eine ordentliche Vergleichbarkeit. Wir benötigen dringend Medienäquivalenzwerte für Influencer Marketing. Im Jahr 2020 stellen wir uns dieser Herausforderung und unterstützen so Standardisierungsprozesse, die einen Mehrwert im operativen Mediabusiness liefern.

Theresa Timnik, Teamlead Content & Influencer Marketing Plan.Net NEO München

Tracking und Targeting durch Identity

Die Tage des Cookies sind aufgrund der forcierten Einschränkungen von Browseranbietern wie Firefox gezählt. Um auch in Zukunft die Möglichkeit zu haben, Kampagnen zu tracken, zu targeten oder User auch nur mit einer für sie relevanten Frequenz ansprechen zu können, brauchen wir ihre Einwilligung. Diese Einwilligung erfolgt über den sogenannten Identifier, die datenschutzrechtlich klare und personenbezogene Einwilligung des Einzelnen in einer persistenten Datei, die den Websites und Anwendungen die Information zur Verfügung stellt, welche Form des Tracking und Targeting der User akzeptiert. Schafft der Markt es nicht, eine nationale bzw. europäische Alternative neben den großen US-getriebenen Identity-Anbietern – primär den GAFAs – zu etablieren, wird die Diversität im Markt erheblich eingeschränkt. Die ersten nationalen Alternativen wie die netID sind etabliert, eine Marktdurchdringung muss jedoch noch geschaffen werden – für mich ein zentrales Thema im nächsten Jahr.

Julian Simons, Geschäftsführer und Partner mediascale

Agile Markenführung

Um in der immer komplexer werdenden Welt und den neuen Anforderungen durch Digitalisierung und gesellschaftliche Veränderungen, Marken erfolgreich zu führen, braucht es ein Umdenken. Weg von den starren, Corporate-Identity-basierten Gestaltungssystemen hin zu einer agilen Markenführung. Doch was bedeutet agile Markenführung konkret? Marken sind lebendige Wesen. Stil und Ton der Gestaltungselemente sind die sichtbare Spitze der Markenpersönlichkeit. Es gehört heute aber mehr dazu, um markenprägend zu sein: die Haltung des Unternehmens, Dialogfähigkeit, Interaktion mit der Zielgruppe und das Verständnis für Kundenbedürfnisse. Agilität in der Markenführung heißt, diese Faktoren in den Mittelpunkt zu stellen und die Marke danach auszurichten. Weg von der Proklamation und starren Systemen hin zu mehr Veränderung und Flexibilität.

Christine Lischka, Geschäftsführerin und Partnerin Serviceplan Design Hamburg

Dark Mode

Smartphones und Laptops besitzen zunehmend „OLED“-Displays. Helle Flächen verbrauchen bei diesen Displays, im Vergleich zu LCD, viel Strom, dunkle Flächen wesentlich weniger. Die Batterielaufzeit kann durch einen Switch von hellen auf dunkeln Hintergrund um bis zu 30 Prozent verlängert werden. Aus diesem Grund werden wir in 2020 den „Dark Mode“ mit neuen Gestaltungsprinzipien digital erleben und als festen Bestandteil in Design Systemen wiederfinden.

Jens Krahe, Geschäftsführer Plan.Net Köln

Ohne ein tiefes Verständnis der lokalen Kultur und Mythen geht in den großen Wachstumsmärkten kaum etwas, selbst wenn der Rest der Vorbereitungen stimmt. Ganz gleich, ob es um Götter, Festivals und Farben in Indien geht, um chinesische Legenden und Konfuzianismus, oder um ansteckende Lebensfreude und Volksmärchen in Brasilien: wer sich nicht die kulturelle DNA der Zielmärkte verinnerlicht und das eigene Marketing darauf abstimmt, wird gegen eine Wand laufen. Von der chinesischen Philosophie bis hin zur hinduistischen Mythologie halten die extrem vielfältigen Zukunftsmärkte endlos viele Analogien bereit, um eine Marke mit den jeweils vorherrschenden Symbolen, Glaubensvorstellungen, Geschmäckern und Mythen zu verknüpfen. Niklas Schaffmeister (Managing Partner Globeone) und Florian Haller (CEO Serviceplan Gruppe) erklären, auf welche vier Faktoren es dabei ankommt. Im Detail nachzulesen in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ .

1. Auf regionale Weltanschauungen anspielen: Das Beispiel mit der Reinkarnation

Jede Region kultiviert ihre eigenen Weltanschauungen, Überzeugungen, religiösen Ausprägungen und Mythen. Sie äußern sich in farbenfrohen Ritualen und Festivals, in ernsten Prozessionen, oder in überlieferten Erzählungen. Westliche Unternehmen und Marken haben sich in vielen Zielmärkten einfallsreich lokaler Mythen und Glaubensvorstellungen bedient. Zum Beispiel Volkswagen in Indien. Eine Zeitlang fuhr der Autobauer eine Anzeige, die auf das Thema Reinkarnation anspielte. Die Reinkarnation hat im Hinduismus große Bedeutung. Die Anzeige zeigte einen alten VW Polo, der von seinem Besitzer sehr geschätzt wird. Selbst im hohen Alter pflegt der Mann das Fahrzeug noch. Doch er stirbt, als seine Tochter ein Kind erwartet. Die Tochter und ihr Ehemann kaufen einen neuen Polo und entdecken, dass der Enkel das Fahrzeug ebenso schätzt wie sein verstorbener Großvater. Die Vorstellung, die hier geweckt wird, besagt, dass sich der Großvater in seinem Enkel reinkarniert haben muss und dabei auch die Liebe zu dem Fahrzeug übertragen hat. Der Werbespot gipfelt in dem Slogan: „Der neue Polo – so gut, dass man dafür wiederkehren wird“.

2. Lokale Feste nutzen: Wie man wirkungsvoll Verbindungen aufbaut

Religiöse und andere traditionelle Feste setzen in einigen Ländern ganze Völkerwanderungen in Gang. Zum chinesischen Neujahrsfest kehren hunderte von Millionen Chinesen zu ihren Familien heim und feiern dort ausgelassen. Das ganze Land ist zu diesen emotionalen Feierlichkeiten auf den Beinen. Sie sind wunderbare Anlässe für Marken, um Verbindungen mit ihren Zielgruppen auf- oder auszubauen. Starbucks setzte in einer geschickten Werbekampagne den chinesischen Kalender ein, um den Umsatz zu steigern. Die Kaffeekette aus Seattle entwickelte einen 30-tägigen Kalender rund um das alljährliche Frühlingsfest, wenn ganz China auf den Beinen ist und alle Chinesen ihren Lieben rote Umschläge mit Geldgeschenken überreichen. Das Frühlingsfest wird in China gerne für Hochzeiten, Reisen oder andere wichtige Ereignisse genutzt. An einem Tag des Starbucks-Kalenders hieß es, er sei gut geeignet, um Verwandte zu besuchen. Ein anderer Tag war für „Blind Dates“ reserviert. Der Kalender wurde auf Plattformen der sozialen Medien verbreitet und die verschiedenen Tage mit Sonderangeboten in den Läden der Kaffee-Kette verknüpft. Einmal wurden die Kunden aufgefordert, ihre Eltern in einem Geschäft zu umarmen, um ein „Bestell drei, zahl zwei“-Angebot zu nutzen. An einem anderen Tag waren die Getränke kostenlos und es wurden Kundenkarten angeboten. Mit relativ geringen Investitionen machte Starbucks seine „Kampagne der täglichen Freundlichkeiten“ zu einem riesigen Erfolg. Sie soll die Verkaufserlöse im Vergleich zu anderen Werbeaktionen verzehnfacht haben.

3. Forschen vor Ort: Die nächsten globalen Trends schon am Ursprung erkennen

Globale Trends entstehen meist dort, wo die größten, agilsten und kreativsten Märkte sind. Immer öfter werden daher die großen Wachstumsmärkte zur Quelle neuer Standards und Trends. Aus diesem Grund stärken westliche Marken seit ein paar Jahren ihre lokale Forschung und Entwicklung in den Zukunftsmärkten. Einer der Trendsetter in China war Mercedes-Benz. Der Autohersteller eröffnete in der ersten Hälfte des Jahrzehnts in Peking ein Zentrum für fortschrittliches Design. Grund war die weitsichtige Annahme, dass die Präferenzen chinesischer Verbraucher in Zukunft weltweite Trends setzen werden. Neben Anpassungen beim Infotainment und den Fahrassistenz-Systemen erforscht das F&E-Zentrum auch das Fahrzeugdesign der Zukunft und gezielt die Vorlieben der lokalen Verbraucher. Parallel zur Eröffnung des F&E-Zentrums stellte Mercedes sein erstes lokales Konzeptfahrzeug vor, ein SUV-Coupé-Crossover mit dem Namen „G-Code.“ Das Auto weist zahlreiche Anpassungen auf, die den besonderen Geschmack der lokalen Zielgruppe bedienen. Neben Anleihen bei der traditionellen Landesarchitektur, Mode und Kalligrafie wurde das Design auch von den spezifischen Geschmäcken der modernen Kunden beeinflusst. Chinesen ziehen ein ausdrucksstarkes und dominantes Design vor, um ihren individuellen sozialen Aufstieg zu demonstrieren. Dazu gehören auch auffallende Spielereien wie ein Kühlergrill, der seine Farbe ändern kann.

4. Gut übersetzt ist halb integriert: Wenn BMW zum „kostbaren Pferd“ wird

Richtig knifflig kann eine lokale Anpassung werden, wenn es um die lokale Sprache geht. Hier lauern Fallstricke. Sie können sich als teuer erweisen, wenn etwas schiefgeht, vor allem bei der Übersetzung des Markennamens. In der chinesischen Kultur haben Namen eine sehr große Bedeutung. Vor der Kulturrevolution war es ein weit verbreiteter Brauch, dem Familiennamen und Vornamen bei Erreichen der Volljährigkeit ein Pseudonym hinzuzufügen. Aus diesem selbst gewählten Namen konnte man auf die Einstellungen und Tätigkeiten des Namensträgers schließen. Das Gleiche gilt für Markennamen. Aus der Sicht chinesischer Verbraucher ist der Markenname eine Manifestation von Kultur und Werten des beworbenen Produkts. Doch bei etwa 50.000 Schriftzeichen und hunderten von Dialekten kann Fahrlässigkeit bei der Übersetzung im Desaster enden. Einigen deutschen Unternehmen sind mit Hilfe von Experten gelungene Übertragungen geglückt. Der Name für Siemens – „Xi-men-zi“ – bedeutet „Tor nach Westen“. Der Name BMW lautet im Chinesischen „Bao-ma“ – „Kostbares Pferd“. Und „Ben-chi“ als Übertragung von Mercedes-Benz wird mit „galoppiert schnell“ übersetzt.

Ein Beitrag von Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe, und Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone

Die rasenden Veränderungen unserer Zeit führen zu Konflikten zwischen kulturellen Traditionen und neuen Lebensweisen. Berufliche Aufsteiger sind länger im Büro, sie gehen häufig auf Geschäftsreisen, sie haben weniger Zeit für sich und ihre Familien. Der Mangel an Zeit verändert so ziemlich alles – von den Essgewohnheiten bis hin zur Familienorientierung, der Art zu kommunizieren und dem Konsumverhalten. Und in vielen internationalen Märkten stellen ausländische Einflüsse, Industrialisierungsprozesse oder eine massive Verstädterung selbst uralte Traditionen auf den Kopf. Die Individualisierung nimmt zu und gerade in den Mittelschichten rund um den Globus greift ein Konsumverhalten um sich, das den neu gewonnen Status zur Schau tragen soll.

Keine Frage: Kultur ist und bleibt ein entscheidender Faktor für das Verbraucherverhalten und damit auch für die Markenpositionierung. Niklas Schaffmeister (Managing Partner Globeone) und Florian Haller (CEO Serviceplan Gruppe) erläutern deshalb, warum eine intensive Auseinandersetzung mit der Kultur und den kulturellen Werten in den Zielmärkten unerlässlich für einen erfolgreichen Markenaufbau oder eine Repositionierung ist. Im Detail nachzulesen in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ (Autoren: Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone, und Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe).

Mächtige Faktoren: Kultur und kulturelle Werte

Die Definitionen für den Begriff Kultur sind mittlerweile wohl so vielfältig wie die Kulturen dieser Welt. Klarer wird sie vielleicht, wenn man den Begriff Kultur von den kulturellen Werten abgrenzt: Die Kultur bezeichnet dann die Gesamtheit des menschlichen Verhaltens in einer Gesellschaft, die kulturellen Werte hingegen eine Reihe von Überzeugungen zu bestimmten Verhaltensweisen, die in einer Gesellschaft als besonders erstrebenswert gelten. Im Marketing hat sich deshalb die Überzeugung herausgebildet, dass es sich bei kulturellen Werten um einen mächtigen Faktor handelt, der die Motive der Verbraucher maßgeblich mitprägt. Das betrifft ihren Lifestyle genauso wie ihre Produktauswahl.

Im Dschungel der Werte: Was für den Markenaufbau entscheidend ist

Ausländische Marken, die diese unterschiedlichen kulturellen Präferenzen adressieren wollen, müssen sich deshalb gut mit dem kulturellen Umfeld im lokalen Zielmarkt vertraut machen. Angesichts der Vielfalt an Werten und Wertvorstellungen ist das jedoch leichter gesagt als getan – Markenverantwortliche stehen nicht selten vor der Herausforderung, die konsumrelevanten Wertdimensionen für den Markenaufbau zu identifizieren. In solchen Fällen haben sich sogenannte „value frameworks“ als hilfreiches Instrument herausgestellt. Der Soziologe Shalom Schwartz hat z.B. ein Framework erarbeitet, das auf der Grundlage von Daten aus 73 Ländern sieben wichtige kulturelle Wertedimensionen identifiziert. Anhand dieser Dimensionen können nicht nur die Kulturen weltweit in ihrer Essenz voneinander unterschieden, sondern auch einzelne, kulturspezifische und konsumrelevante Wertedimensionen erfasst werden.

Zu den wichtigsten Wertedimensionen gehören laut Schwartz:

  • Harmonie (Einklang mit dem Lebensumfeld)
  • Soziale Einbettung (soziale Ordnung, Gehorsam, Respekt für Tradition)
  • Hierarchie (Autorität, soziale Macht, Ausrichtung auf Reichtum)
  • Können (Ehrgeiz, Wagemut, Erfolg)
  • Intellektuelle Autonomie (Aufgeschlossenheit, Neugierde, Freiheit)
  • Affektive Autonomie (Lebensfreude, Vergnügen, Spannung)
  • Egalitarismus (soziale Gerechtigkeit und Verantwortung, Gleichheit)

Infografik kulturelle Werte

Es ist schnell ersichtlich, dass es entlang dieser Wertedimensionen enorme Unterschiede beispielsweise zwischen den europäischen Ländern und den großen Emerging Markets wie China und Indien gibt. Während in China und Indien hierarchischen Werten eine hohe Bedeutung beigemessen wird (z.B. in Form des Kastensystems), stehen in Europa eher egalitäre Werte und die intellektuelle Autonomie im Vordergrund. Vereinfacht gesagt: Die Menschen wollen ihre Freiheit genießen, kreativ arbeiten, sich selbst verwirklichen.

Bedeutung für die Markenkommunikation: Kulturelle Werte und Konsummotive

Neben der Familie, der Gesellschaft, Religion und Bildungseinrichtungen haben sich im nachindustriellen Zeitalter die Massenmedien – nicht zuletzt die digitalen und sozialen Medien – zu wichtigen Trägern und Vermittlern kultureller Werte entwickelt. Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass auch die Werbung einen großen Einfluss auf die Darstellung und Vermittlung von kulturellen Werten nimmt. Werbung beruht auf sprachmächtigen Bildern und Metaphern, die durch kulturelle Werte stark beeinflusst werden und die ihrerseits wieder Einfluss auf die Kultur nehmen, insofern sie von einem breiten Kreis rezipiert werden.

Als grober Kompass für eine erfolgreiche Markenkommunikation im lokalen Zielmarkt gilt dabei die „Ähnlichkeits-Akzeptanz-Hypothese“. Sie besagt: Je ähnlicher die Werte, die eine bestimmte Marke kommuniziert, den Werten einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Marke für diese Gruppierung auch attraktiv ist.

Fazit: die Kultur hat einen starken Einfluss auf den Konsum. Im Marketing muss man die effektivsten Hebel finden, um diesen Einfluss zu nutzen. Das setzt eine profunde Kenntnis der lokalen kulturellen Werte voraus.

„Sich schnell, flexibel und proaktiv auf Neues einstellen“ – über die Bedeutung von Agilität lässt sich nicht streiten. Über den Weg hin zu einer agilen Digitalagentur aber schon. Inmitten der Transformation von hmmh bleiben wir stehen und schauen zurück: Was sind die wertvollsten Erfahrungen aus dem bisherigen Change-Prozess mit über 300 Mitarbeitern und welche Fragen sollten sich Agenturen auf ihrem Weg in Richtung Agilität stellen?

Sich im Unternehmen selbst zu verwirklichen und seine Kompetenzen interdisziplinär und in spannenden Projekten zeigen zu können, wird heute von vielen Mitarbeitern – branchenunabhängig – erwartet. Fragen wie „Warum gehen wir morgens zur Arbeit?“ und „Was ist unsere Mission?“ wollen klar beantwortet werden. Die Ziele der Unternehmen sind auch klar definiert: schnell kreative Lösungen für die sich stetig verändernden Bedürfnisse der Kunden zu finden, schrittzuhalten und somit ihren Unternehmenserfolg und damit den eigenen Erfolg auszubauen. Um das zu erreichen und um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind eigenverantwortlichere Arbeitsweisen und eine agile Struktur notwendig. Neben dem Willen, etwas zu verändern, bedarf es vor allem einer internen Sensibilisierung für das Thema, um möglichst alle Mitarbeiter mitzunehmen. Und es bedarf einer Unternehmensstruktur mit möglichst wenigen Hierarchien. Das Ganze funktioniert jedoch nur innerhalb gesetzter Leitplanken für die gesamte Mannschaft, innerhalb derer genug Platz für Kreativität und Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen ist und gegenseitiges Vertrauen herrscht. Ist der Change und somit die grobe Fahrtrichtung entschieden, gilt es, die passende Strategie für die agile Transformation zu finden.

1. Welche ist die richtige Strategie für die Transformation?

Zuallererst: Es gibt nicht „die eine“ Strategie. Je nach Branche, Unternehmensgröße und Bereitschaft des Teams entscheidet sich, ob die Kultur und Struktur nach und nach oder ob alles in einem kurzen Zeitraum verändert wird. Als Unternehmen mit unterschiedlichen Leistungsbereichen, nur zum Teil agilen Kunden sowie Mitarbeitern, die noch nicht vollständig überzeugt sind, empfiehlt es sich, eine kleine Gruppe von Promotoren zusammenzustellen. Als Repräsentanten verschiedener Unternehmensbereiche nehmen diese Anforderungen, Wünsche und Bedenken des gesamten Unternehmens auf, kümmern sich fortlaufend um die Rahmenbedingungen und begleiten den Prozess. Je unterschiedlicher die Meinungen, desto besser. Routinen werden aufgebrochen und anschließend gemeinsam neue Wege gefunden. Bei hmmh bedeutete das 2015, sich nach Interviews und Open Spaces sowie der Findung einer Strategy Task Force, bestehend aus gewählten Verantwortlichen aller Bereiche, die den Prozess begleiteten, von funktionalen Säulenstrukturen und Abteilungen zu trennen. Denn wie das Wort schon sagt – es kommt von “Ab-teilen“ – dem genauen Gegenteil des Vorhabens. In diesem Zuge hat hmmh agile Kundenteams geformt, um schneller und flexibler auf Kundenwünsche eingehen zu können.

2. Eigeninitiative wecken – wie geht das?

Ob Entwickler, Creative Conceptioner, Consultant, Grafiker, Texter, HR-Mitarbeiter oder das Management: Jede Person im Unternehmen hat unterschiedliche Aufgaben und Rollen, die unterschiedliche Skills erfordern. Werden alle Strukturen aufgebrochen und Verantwortlichkeiten neu verteilt, verlangt das ein großflächiges T-shaping im Unternehmen. Das bedeutet, beispielsweise als Entwickler, auch mal die Führung innerhalb von Kundenprojekten und internen Aufgaben zu übernehmen: Entweder als Mitglied einer zweitweise für eine bestimmte Fragestellung gegründeten SIG (Special Interest Group) oder einer COP (Community of Practice), die sich unternehmensübergreifend mit Fachthemen beschäftigt. Allem Voran gilt es, alle auf den neuen Spirit einzustimmen, um die positiven Aspekte von eigenverantwortlicherem Arbeiten herauszustellen. Transparenz und das Miteinbeziehen eines jeden Mitarbeiters ist hier der wesentliche Punkt, um die nötige Akzeptanz zu erlangen. Dazu gehört auch darüber aufzuklären, welche neuen Möglichkeiten und Pflichten so ein Wechsel mit sich bringt. Das Management muss mit gutem Beispiel vorangehen, Verantwortung abgeben und seiner Mannschaft Vertrauen schenken sowie Raum geben. Allerdings gilt auch: Das Management hat diesen Prozess bestenfalls zu initiieren, ihn mindestens aber positiv zu begleiten und manchmal auch voranzutreiben. Der Mut zur Veränderung dient als Vorbild und steckt an. Hauptträger und Garant für eine erfolgreiche Transformation ist ein Team, welches das Ziel kennt.

3. Passen die internen Systeme noch zur Struktur?

Während sich die Art der Organisation, das Denken und die Arbeitsweise ändert, gilt es, auch die internen Systeme auf die Tauglichkeit zu überprüfen. Wie beweglich sind Tools und Programme, die fester Bestandteil der täglichen Arbeit sind? Sei es zum internen oder externen Austausch, zur Stunden- oder Budgetplanung. Auch die eigenen Tools müssen zur Organisationsstruktur passen und agiles Arbeiten ermöglichen. Egal ob Confluence, Rocket Chat oder Bit Bucket – die Entscheidung für oder gegen ein Tool sollte nach Einbeziehen der internen Experten und dem Abgleichen aller wichtigen Anforderungen getroffen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Kompatibilität mit den Kunden wichtig ist. Tools dürfen variieren, der Fokus jedoch nicht: Es muss immer gewährleistet werden, dem Kunden die beste Lösung, die beste Dienstleistung oder auch beides anzubieten. Somit ist innerhalb der agilen Arbeitsweise ein transparenter Umgang mit Software, Tools und Systemen notwendig. Auch interne Arbeitsweisen können und müssen angepasst werden: Ob nun Open Spaces, Lean Coffees oder Kanban Boards – auch für das Management – es kommt bei der Implementierung darauf an, dass sie in die Struktur passen.

4. Womit lassen sich weniger agil arbeitende Kunden überzeugen?

Aktuell arbeiten Digitalagenturen meist deutlich agiler als ihre Kunden. Das stellt sie in der Zusammenarbeit vor eine große Herausforderung, da starre Strukturen und Routinen oft fest in der Arbeitsweise der Kunden verankert sind. Solche Kunden wollen Sicherheit und eine perfekte Lösung zu einem festen Preis. Im Umgang mit weniger agil arbeitenden Kunden ist es wichtig, ihnen klarzumachen, dass sie nicht nur ein maßgeschneidertes Ergebnis, sondern darüber hinaus eine maßgeschneiderte Dienstleistung erhalten, die sich all ihren Anforderungen anpasst, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen, ohne am Ende Abstriche machen zu müssen. Im Idealfall bewegt sich der Preis in einem Zielkorridor. Transparente Prozesse, eine manchmal günstigere, aber vor allem bessere Lösung sowie eine messbar höhere Produktivität und Freude an der Arbeit sorgen oft für ein Umdenken beim Kunden. Agilität steckt an.

5. Wann ist der agile Prozess abgeschlossen?

Sind Strategie und Rollen gefunden, erste agile Projekte erfolgreich abgeschlossen und werden neue agile Projekte kontinuierlich gewonnen, so steigt auch die Akzeptanz derer, die bisher nicht von dem Modell überzeugt waren. Mitarbeiter, die in dem neuen Umfeld dauerhaft unglücklich sind, werden gehen, dafür aber Platz für neue machen. Das ist normal. Es gilt zu reflektieren, zu überprüfen und zu justieren und zwar als fester Bestandteil der täglichen Arbeit – intern sowie extern. Dieser Weg ist ein dauerhafter Prozess, der niemals abgeschlossen sein wird. Zum Glück, denn Stillstand ist langweilig.

Fazit

Agiles Arbeiten ist nicht nur eine Arbeitsweise, die ein Unternehmen effizienter und flexibler macht, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Agilität ist eine Unternehmensphilosophie. Sie setzt eine klare und transparente Kommunikation voraus, sowohl mit Kollegen als auch mit Kunden. Sie erfordert ein hohes Maß an Eigeninitiative, gegenseitigem Vertrauen und Raum zur Weiterentwicklung. Ein komplexer Prozess, der nicht nur gut initiiert, sondern kontinuierlich gefördert, reflektiert und justiert werden muss. Entscheidend ist, die für das jeweilige Unternehmen passende Strategie zu finden, Mitarbeitern Raum zur Eigenverantwortung zu geben, interne Prozesse und Rollen anzupassen sowie Kunden für die Arbeitsweise zu begeistern. Nur dann kann das gesamte Unternehmen flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Ohne einen Kulturwandel wird es keinen Weg in ein agiles Unternehmen geben. Denn bereits früher wusste man: „Structure follows strategy but culture eats strategy for breakfast“.

Wie beweglich ein Unternehmen tatsächlich ist, entscheidet nicht das Management, sondern jedes Teammitglied. Agilität ist kein Selbstzweck und auch kein Allheilmittel, aber heute und vor allem in Zukunft notwendig, um in disruptiven Zeiten erfolgreich am Markt zu agieren.

Über Parallelen zwischen Spitzenkandidaten und Top-Managern.

Die Umfrageergebnisse der SPD sind miserabel. „Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage“, sagte Peer Steinbrück kryptisch am Wahlabend in Niedersachsen. Aber weiß er es wirklich? Hat Steinbrück endlich eine konsequente Positionierung als Kanzlerkandidat entwickelt? Das heißt: Kann er die gewonnene Beinfreiheit ausfüllen, ohne den „kleinen Mann“ weiter zu brüskieren und den Medien voyeuristisches Futter zu geben? Dafür erhält er nach der Niedersachsen-Wahl nun eine zweite Chance.

Top-Manager haben ähnliche Probleme
Das Dilemma des Peer Steinbrück gilt aber nicht nur in der Politik. Auch für Spitzenmanager aus der Wirtschaft ist die eigene Positionierung ein schwieriges Thema und der Umgang mit einer immer kritischeren Öffentlichkeit und hypersensiblen Medien keine Fingerübung. So müssen CEOs gegenüber verschiedenen internen und externen Anspruchsgruppen ihre unternehmerische Agenda durchsetzen und gleichzeitig langfristige Reputation aufbauen. Und das gerade mit den eigenen „Ecken und Kanten“.

Für Spitzenmanager in der Wirtschaft und ihre zentralen Kommunikationsrollen gilt daher folgendes Pflichtenheft:

Authentisch bleiben und die Wahrheit sagen
Jeder spielt eine Rolle, ob beruflich oder privat. Dennoch sollte nicht versucht werden jemand zu sein, der man nicht ist. Die Rolle des Spitzenmanagers leitet sich aus den Unternehmenszielen ab. Ob Treiber einer Branche, Sanierer oder Visionär – entscheidend ist der Kurs und das Wohl des Unternehmens. Erst dann kommen persönliche Merkmale und Eigenschaften, die unterstützen und eine sympathische persönliche Note geben können. Für Steinbrück gilt nun auch, was für seine Vorgänger selbstverständlich war: erst kommt die Partei, dann der Kandidat.

Inhalte definieren
Auf Basis der unternehmerischen Agenda gilt es ein „persönliches Programm“ für öffentliche und interne Auftritte zu definieren. Diese Storyline braucht Kernbotschaften, Metaphern und Schlüsselbegriffe, die wiedererkennbar sind. Denn an „Yes we can!“ von Barak Obama erinnert sich jeder.

Meilensteine nutzen
Jeder erfolgreiche Baustein der Unternehmensstrategie sollte als Kommunikationsanlass zur Umsetzung der eigenen Agenda genutzt werden. Ob im großen Stil und mitreißender Rede oder im vertrauten Gespräch mit Mitarbeitern. Voraussetzung ist eine gewisse Empathie und die Fähigkeit, anderen die Chance zum Gespräch auf Augenhöhe zu geben. Wer Peer Steinbrück im Wahlkampf schon einmal im Umgang mit Kindern und älteren Menschen beobachtet hat bekommt eine Ahnung, wie schwer das sein kann.

Führung und Kultur gestalten
Die Führungskultur und das Miteinander im Unternehmen bleiben durch soziale Netzwerke und negative Empfehlungen nicht lange hinter verschlossenen Türen. Das Top-Management hat hier zwar brutale Vorbildfunktion, es müssen aber alle Prozesse und Mitarbeiter eingebunden werden. Daher kann sich der Kandidat Steinbrück auch keine weiteren Patzer bei der Besetzung seines Beraterkreises leisten. Jede Entscheidung zählt – ob im Top-Management oder auf dem Weg ins Kanzleramt.

Klar ist: Ob Spitzenmanager offensiv öffentliche Auftritte suchen sollten, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Entscheidend ist die eigene Kommunikationsagenda. Sie gibt Orientierung und unterstützt, unternehmerische Handlungsspielräume zu gestalten.

Und Peer Steinbrück? Er möchte nach der gewonnenen Wahl in Niedersachsen besonnener auftreten. Weniger ICH, mehr tatsächlicher Inhalt, mehr SPD soll es nun sein. Das ist auch notwendig. Ob er es kann und ob er professionell beraten wird, zeigt sich aber erst beim nächsten Wahl-Krimi am Abend des 22. September.