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Ich bin 43 Jahre alt und Kreativchef einer Digitalagentur. Heißt, ich lese ziemlich viele Texte auf digitalen Displays.  Aber ehrlich gesagt, kann ich das gar nicht mal so gut. Um einen Text wirklich beurteilen zu können und dann inhaltlich und stilistisch zu korrigieren, muss ich ihn mir immer noch ausdrucken. Mein Gehirn hat in Kindheit und Jugend gelernt, mit Texten auf Papier zu arbeiten. Ich war immerhin schon 22 als ich meine erste Uni-Hausarbeit mit einem Textverarbeitungsprogramm am Computer geschrieben habe. Und obwohl ich dann nur zwei Jahre später meine erste Website selber gebastelt habe, mag mein Kopf beim Thema Text das Papier lieber als das Display.
Außerdem spiele ich Fußball – am liebsten mit einem Ball aus Leder auf einem schönen grünen Rasen. Früher war ich sogar mal richtig gut. Fußball auf der Playstation kann ich dagegen überhaupt nicht. Da bin ich eine Niete. Ich habe drei jüngere Brüder und gegen keinen von denen habe ich je ein Konsolenmatch gewonnen.
Und trotzdem habe ich mit Begeisterung und Leidenschaft die Welt digitalisiert. Natürlich nicht ich alleine, sondern gemeinsam mit ein paar Millionen anderen Menschen meiner Generation. Und diese Generation – die Menschen um die 40 – haben die digitale Welt geschaffen. Wir sind keine „Digital Natives“, wir sind „Digital Hybrids“ – also digitale Zwitter. Wir sind komplett analog aufgewachsen und dann mit voll Karacho ins Digitale eingestiegen. Wir haben das Internet immer weiter ausgebaut, die Websites mit immer mehr Content bestückt, wir haben Tools geschaffen und immer weiter verlinkt und vernetzt und schließlich das Netz sozial und mobil gemacht. So haben wir die digitale Welt immer allgegenwärtiger und allumfassender gemacht.

In den Medien und in der Kommunikation ist heute nahezu alles digital. Selbst das, was wir Klassik nennen, ist größtenteils digital. Entweder durchläuft auch sie digitale Produktionsprozesse oder wird auf digitalen Medien ausgegeben. Und wenn fast alles digital ist, braucht man den Begriff „digital“ auch beinahe nicht mehr. Er differenziert immer weniger und er markiert heute nichts Neues oder Besonderes mehr.
Wir digitalen Zwitter hatten ja zwischenzeitlich geglaubt, die digitale Revolution würde jahrhundertealte Gesetzmäßigkeiten innerhalb von nur wenigen Jahren umdrehen. Mehr denn je hat sich aber heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Idee einer „New Economy“ – die über ein sich immer wieder erneuerndes Versprechen in die Zukunft immer mehr virtuelle Werte schafft – vielleicht doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Eine nachhaltige Wirtschaft, die sich wieder verstärkt um das Schaffen von echten Werten kümmert, scheint uns mittlerweile wieder sympathischer und auch erfolgversprechender.

Aber zurück zur Werbung! Die erste Generation, die komplett digital aufgewachsen ist, ist erwachsen geworden. Die Digital Natives machen inzwischen manchmal selber Werbung oder sind auf alle Fälle Zielgruppe von ihr. Und für sie ist ihr Facebook auf dem Smartphone so normal und alltäglich wie der Morgenkaffee. Digitale Medien sind für sie super wichtig, aber es ist für sie nicht mehr so wichtig, dass sie digital sind. Aktuelle Jugendstudien sagen, dass ihr Umgang mit ihnen zwar selbstverständlich, aber mehr und mehr auch von einer gewissen Nachlässigkeit geprägt ist. Die Kompetenzen für valide Internet-Recherchen nehmen ab und wenn „Chillen“ angesagt ist, wird der ganze Digitalkram auch mal auf Pause gestellt.

Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt schafft also gleichsam ihre Entdigitalisierung.

Was bedeutet das für uns Werber? Natürlich bleiben Technologien und Innovationen weiterhin wichtige Treiber unserer Branche, aber es bedeutet auch: Entspannung. Wenn der erste Teil des Begriffes „Digitale Kommunikation“ an Bedeutung verliert, bleibt der zweite Teil: die Kommunikation. Und die braucht Ideen, Inhalte und Geschichten. „Content is King“ ist ja auch nicht so neu, aber heute umso wahrer und wichtiger. Wir müssen kein Storytelling für Technologien oder Systeme machen. Wir erfinden Geschichten für Menschen. Und die und ihre Bedürfnisse haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht so grundlegend geändert, wie man manchmal denken mag, wenn man jedem Hype hinterher rennt. Auch in Buzzword-Bereichen wie Viral-Marketing oder Social Media gelten fürs Storytelling eigentlich immer noch dieselben Gesetzmäßigkeiten wie zu Shakespeares Zeiten: Es braucht ein Problem oder Hindernis, es braucht einen Spannungsbogen und es braucht Relevanz und Identifikationsmöglichkeiten. Und dann kann man das Ganze noch würzen mit Prominenz, mit Überraschungen, mit Humor, mit Geheimnissen oder mit Sex and Crime.

Ich glaube, Shakespeare würde heute ziemlich viele Cyberlions gewinnen.