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APPLE VISION PRO AUF DEM MARKT

Viele sind noch skeptisch. Doch Apple bringt mit der Vision Pro den Stein ins Rollen. Dass ab 2024 mehr und mehr Menschen VR- und AR-Brillen nutzen werden und sich dies enorm auf Marken und das Marketing auswirken wird, meint Sebastian Küpers, Chief Transformation Officer bei der Plan.Net Group sowie Managing Director der Plan.Net Studios.

Am 2. Februar kommt die Vision Pro auf den US-Markt. Dabei wartet Apple nicht als erstes Unternehmen mit einem Mixed-Reality-Headset auf, das Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) bietet. Seit 2019 verkauft Meta bereits die Headset-Serie Quest. Auch HTC oder Sony haben VR-Brillen im Angebot. Und Konzerne wie Samsung und LG stehen kurz vor ihrem Headset-Launch. Alle eint, ein großes Stück vom schnell wachsenden Markt abzubekommen.

Doch der Marktstart der Vision Pro markiert einen Wendepunkt: Apple passt – wie schon in der Vergangenheit mit dem iPod, iPhone, iPad und der Apple Watch – auch jetzt den richtigen Moment für den Markteintritt ab. Immer gelang es Apple, die Marktentwicklung mit jedem Produkt-Launch voranzutreiben, die Konkurrenz einzuholen und Menschen auf der ganzen Welt von neuen Technologien zu begeistern. Auch bei der Vision Pro ist dies vorprogrammiert. Denn Apple punktet mit seinem riesigen Ökosystem: Nutzer:innen können auf alle Apple-Apps zugreifen wie Apple Music oder Apple TV. Im Vergleich zum Wettbewerb bietet die Vision Pro damit einzigartigen Entertainment-Content an.

Marketers sollten auf Spatial-Computing reagieren

Aber was wird diese neue Headset-Generation bieten? Mit der Vision Pro können Kund:innen beispielsweise dreidimensionale filmische Szenen wie auch virtuelle Arbeitsumgebungen mit ihrem physischen Raum verbinden. Apps öffnen sich in großen Fenstern, die in der Umgebung schweben und sich frei im Raum platzieren lassen. Ferner ist es möglich, dreidimensionale Objekte in die eigene physische Realität zu bringen. Kund:innen werden beginnen, mit diesen neuen Anwendungen zu spielen, zu interagieren und zu kommunizieren.

Es ist davon auszugehen, dass Menschen mittelfristig in einer Welt leben werden, in der sie täglich virtuelle Inhalte nahtlos in ihre physische Welt integrieren. Damit einher gehen signifikante Veränderungen und völlig neue Möglichkeiten für das Marketing: Brands können durch die Nutzung räumlicher Designsysteme virtuelle Umgebungen schaffen, wo sie ihre Marken- und Produkt-Stories interaktiv erzählen und damit unvergessliche, immersive Erlebnisse schaffen. Sie werden so auf einer tieferen Ebene kommunizieren, starke Emotionen hervorrufen und bleibende Eindrücke hinterlassen. Das stärkt die Markenbindung und erhöht die Konversion. 

Ein Anwendungsbeispiel: Eine Automarke platziert sein neues Modell im Wohnzimmer von VR-Headset-Nutzer:innen. Sie können nun auf einmal selbst virtuell und ohne viel Aufwand in diesem Fahrzeug sitzen, es ausprobieren und entdecken. Sogar Menschen, die nicht gerade Fan dieser Automarke sind, werden sich mit dem interaktiven Content beschäftigen und so der Marke und dem neuen Produkt ihre Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Es liegt auf der Hand, dass sich Produkte während dieser emotionalen Spatial-Experience besser verkaufen lassen werden.

Nächste Entwicklungsstufe: KI und Blockchain steigern die immersiven Erlebnisse

Künstliche Intelligenz (KI)-Systeme werden solche immersiven Markenerfahrungen künftig um personalisierte Interaktionen ergänzen und in Echtzeit neue Inhalte kreieren und so organisch mit Kund:innen im Dialog kommunizieren. Darüber hinaus wird die Blockchain-Technologie weiter an Relevanz gewinnen. Wenn nun Spatial Computing, KI und Blockchain-Technologie im Marketing kombiniert werden, könnte sich folgendes Markenerlebnis daraus entwickeln: Potenzielle Kund:innen möchten ein Auto kaufen. Sie setzen ihre Mixed-Reality-Headsets auf und benutzen den virtuellen Konfigurator der Fahrzeugmarke, der ihnen ein räumliches Erlebnis der Automodelle und ihrer Konfiguration bietet. Dabei berät sie ein digitaler KI-Assistent, mit dem sich die Interessenten in natürlicher Sprache austauschen und der ihnen hilft, gewisse Entscheidungen zu treffen – welches Leder oder welche Felge sie wählen sollten. Denn die KI weiß, dass es sich bei den potenziellen Käufer:innen um ein gutsituiertes, junges Ehepaar handelt, das gerne mit dem Auto verreist, Luxus, Komfort und Blautöne liebt. Parallel geben sie die Informationen aus ihrer Wallet frei, wo alle ihre Belege gespeichert sind. Das ermöglicht, dass das Kauf- und Markenerlebnis zusätzlich gesteigert wird. So erfährt der Hersteller vielleicht, dass die Interessenten schon einmal ein Auto von dieser Marke gefahren sind und geben ihnen einen Preisnachlass. Kund:innen sparen sich zum einen das Durchklicken durch die verschiedensten Konfigurationsmöglichkeiten und erleben zum anderen eine Kaufberatung auf höchstem Niveau.

Wie schnell auch immer die Brillen den Markt durchdringen: Marketingverantwortliche sollten sich auf die Spatial-Computing-Ära vorbereiten und sich mit räumlichen Designsystemen für ihre Marke und Produkte beschäftigen. Denn Spatial Computing funktioniert nicht nur mit Headsets, sondern Brands können schon heute ihren Kund:innen immersive Erlebnisse auf ihrer Website, in ihren Apps oder auf Displays am Point of Sale bieten. Deshalb gilt es, Konzepte, Brand Guidelines und möglichst schon eine Bibliothek immersiver Inhalte aufzubauen. Denn indem sie ihren Kund:innen gleich zu Beginn interaktive Markenerlebnisse in virtuellen Umgebungen bieten, werden sie der Konkurrenz ein Stück voraus sein.

Zuerst erschienen bei Horizont.

Alles nur Cannes, oder was? Während sich ca. 1.300km südlich die internationale Kreativ-Elite an der Croisette versammelte, zog es über 7.500 Teilnehmer aus der europäischen Tech- und Startup-Szene am 20. und 21. Juni nach Amsterdam zur Next Web Conference. Der Schwerpunkt? Einmal mehr KI – aber auch der verantwortungsvolle Umgang damit.

Welche Veränderungen bringt KI in verschiedensten Branchen? Wie kann sinnvolle Regulierung von KI aussehen? Wie kann sichergestellt werden, dass Desinformation und gefährliche Inhalte nicht den Diskurs auf den großen Social Plattformen zerstören? Wie begegnet man als Marke sinkendem Konsument:innen-Vertrauen? Was kommt nach dem Mobile Web und ist Spatial wirklich die Zukunft von Computing?

Nach der Innovation kommt das Nachdenken darüber, wie man damit umgeht. Und das ist gut so,sdo der Tenor auf der Next Web Conference in Amsterdam, die am Freitag ihre Pforten schloss. Die übergreifende Stimmung war geprägt von einem starken Bewusstsein für die transformative Kraft der Technologie, kombiniert mit einem tiefen Verantwortungsgefühl für ethische und nachhaltige Anwendungen.

Künstliche Intelligenz und Automatisierung

Doch erst mal gings um Effizienzen heben.  Im Fireside Chat mit Murad Ahmed, FT Technology News Editor bei der Financial Times beschrieb Booking.com CEO Glenn Fogel wie Reisevermittlung und Kundenservice künftig KI-gestützt funktionieren sollten. Die Vision: KI soll bei booking.com in Zukunft vor allem Kapazitätsprobleme im Kundenservice eliminieren und die Konsument:innen bestmöglich bei der Planung und Durchführung ihrer Reisen unterstützen. Der „Connected Trip“ soll traditionelle Reisebüros und verschiedenste Ansprechpartner bei Hotels, Airlines und Mietwagen-Vermittlern überflüssig machen, denn die KI regelt alles – auch im Falle von Verspätungen.

Vertrauen gewinnen durch verantwortungsvollen Datenschutz

Auch in der der Schönheitsindustrie gewinnt KI zunehmend an Bedeutung, insbesondere bei der Personalisierung von Produkten. Jane Lauder, Enkelin der ikonischen Estée Lauder und derzeit unter anderem Chief Data Officer der Estée Lauder Companies, hob dabei die immense Bedeutung von Vertrauen und Datenschutz hervor. Der Schutz von Kundendaten und die Sicherstellung der Privatsphäre seien von zentraler Bedeutung sind, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen und zu erhalten: „Vertrauen kann man nicht vortäuschen und nicht kaufen.“ Dieses Vertrauen ist das Fundament, auf dem erfolgreiche Kundenbeziehungen und langfristige Loyalität aufgebaut werden. In einer Zeit, in der Daten der Treibstoff für personalisierte Erlebnisse und Vertrauen das wertvollste Gut für Unternehmen sind, ist es unabdingbar, verantwortungsbewusst und kompromisslos sicher zu agieren. Ein sicherer Umgang mit Daten und transparente Datenschutzrichtlinien sind dafür elementar.

Ein Blick in die Welt des Cybercrime

Wohin zuwenig Datenschutz führen kann, zeigte Geoff White auf, Autor und investigativer Journalist, der über den weltweit schnellsten und größten Raubüberfall in der Geschichte des Cybercrime sprach. In nur 1 Minute 55 Sekunden hat es die Hackergruppe Lazarus 2022 durch einen gezielten Angriff auf Entwickler und Mitarbeiter geschafft, unglaubliche 625 Millionen Dollar Kryptowährung vom Ethereum-Netzwerk des beliebten Blockchain-Games Axie Infinity zu stehlen. Die Spur der gestohlenen Kryptowährung führte schnell zu Wallets, die mit Nordkorea in Verbindung standen, und endete bei Tornado Cash, einem dezentralisierten Krypto-Mixer zur Verschleierung von Blockchain-Transaktionen. Die komplexe Struktur und die fehlende Verantwortlichkeit innerhalb dieser DAO (dezentralisierte autonome Organisation) machte es jedoch schwer, die Täter zu fassen. Denn wer kann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es keine Verantwortlichen gibt und alles open-source Software ist? Und wie viel sind wir bereit zu geben (eine halbe Milliarde Dollar), um auch in der Krypto- und Tech-Welt unsere Privatsphäre und Redefreiheit zu bewahren?

Der menschliche Faktor in einer technologiedominierten Welt

In einer Zeit, in der Technologie unser tägliches Leben dominiert, bleibt eines von entscheidender Bedeutung: Der menschliche Faktor. Von der Gestaltung emotionaler Erlebnisse bis zur ethischen Entwicklung von KI, steht der Mensch weiterhin im Mittelpunkt. Laut CX Designer Raúl Amigo sind 90% unserer Interaktionen digital, doch die verbleibenden 10% menschliche Interaktion sind entscheidend für unsere Wahrnehmung. Amigo argumentiert, dass im Produkt-/Experience-Design die Bereiche Empathie, Verständnis und Storytelling die Schlüssel zum Erfolg sind. Die Perspektive des Kunden einnehmen, eigene Vorurteile beiseitezulegen, und echte Bedürfnisse zu erkennen, schafft tiefere emotionale Verbindungen als eine Maschine es je könnte.

Maschinen sind aber durchaus in der Lage, Kunst zu schaffen , sagt KI-Künstler Jeroen van der Most jedoch sei die kreative Kraft von Menschen unersetzlich und die menschlichen Geschichten hinter Visionen unverzichtbar. Van der Most zeigte auf, dass Kunst und Technologie zwar zusammenarbeiten können, aber es die menschliche Kreativität ist, die diese Werke wirklich zum Leben erweckt.

Selbstregulierung von Technologie

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen guten Absichten und Business-Realität, das zeigten zwei Sessions rund um die Selbstregulierung von Technologie bei großen Tech-Plattformen.

Den Anfang machte Anna Koivuniemi von DeepMind, der zentralen Forschungseinheit rund um künstliche Intelligenz bei Google. Die Rolle von DeepMind innerhalb des Konzerns ist eine mächtige: von der Entwicklung von KI-Technologie, um globale gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen, über Biotechnologie bis hin zu Wettermodellen.  Das jedoch  unter Einhaltung selbst auferlegter ethischer Grundsätze und losgelöst von ökonomischen Zwängen. Auf die kritische Nachfrage, ob Google bei der Markteinführung eigener KI-Anwendungen zu langsam agiere, vor allem im Vergleich zu Wettbewerbern wie OpenAI wiederholte Koivuniemi, dass Google Produkte erst veröffentliche, wenn sie bereit, sicher und gesellschaftlich zu verantworten seien Bestes Beispiel: Der Rollout von Google Gemini. Angesichts der zahlreichen Kontroversen rund um Gemini, Stichworte Bildgenerierung und halluzinierte Antworten in der Google Suche vielleicht nicht das beste Beispiel.

Dem Kampf gegen Hate Speech auf Metas Social Media Plattformen  hat sich Helle Throning-Schmidt, ehemalige Ministerpräsidentin von Dänemark und seit 2020 Co-Vorsitzende des Oversight-Boards von Meta verschrieben. Das unabhängige Gremium soll das Vorgehen gegen Hatespeech und Desinformation überwachen und unter anderem konkrete Handlungsempfehlungen rund um Content-Moderation und Plattform-Richtlinien geben. Throning-Schmidt zeigte sich durchaus zufrieden mit den bisherigen Fortschritten von Meta und der Implementierung der Empfehlungen und Entscheidungen aus dem Board, immer noch aber läge ein weiter Weg vor Meta, vor allem hinsichtlich der globalen Bedeutung der Plattformen im gesellschaftlichen Diskurs, etwa mit Blick auf Wahlen.

Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung als Unternehmenswerte

Doch nicht nur im Bereich der KI und Social Media muss über Ethik und Nachhaltigkeit gesprochen werden. Ein herausragendes Beispiel für die Verknüpfung von Innovation und Verantwortung lieferte Sadira E. Furlow von Tony’s Chocolonely. Die in den Niederlanden beheimatete Schokoladen-Marke ist bekannt für provokative und aufmerksamkeitsstarken Kommunikation, die nicht nur das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit in der Schokoladenproduktion schärfen soll, sondern auch andere dazu ermutigt, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Man müsse laut und mutig sein, fordert Furlow, um Veränderung herbeizuführen. Ihr Tipp? Partnerschaften mit anderen Brands bilden, um eine größere Wirkung zu erzielen.

Auch Vinted will die Welt ein Stück besser machen:  Die Plattform fördert die den Kauf und Verkauf von Secondhand-Kleidung, um die schnelllebige Modeindustrie nachhaltiger zu gestalten. Wichtigstes Ziel: Mehrwert für die Nutzer zu schaffen und gleichzeitig die Umweltauswirkungen zu reduzieren, wie der CEO Thomas Plantenga betont. Dabei kritisierte er die europäischen Regulierungen, die es beispielsweise billiger machen, Waren aus China zu importieren als innerhalb Europas zu versenden, und forderte eine Anpassung der Vorschriften, um Innovation und Nachhaltigkeit auch in Europa zu fördern.

Fazit

Die Next Web 2024 machte deutlich: Innovation und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen, um eine nachhaltige und ethische Zukunft zu gestalten. Vertrauen, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind der Schlüssel, um nicht nur die Marken zu stärken und Kundenloyalität zu fördern, sondern auch einen positiven Unterschied in der Welt zu machen.

Mediaplus Innovationsteam Simone Jocham und Alex Turtschan

Dieser Artikel erschien zuerst auf Horizont

Es ist wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera: Kannibalisiert Google mit Gemini sein eigenes höchst ertragreiches Geschäft mit der Suchmaschinenwerbung oder verliert es lieber bei der KI an Boden? Klar ist jedenfalls, der massive Wettbewerb generativer KI gefährdet Googles Geschäftsmodell und zwingt den Giganten zur Disruption.

Das erfolgreichste Geschäftsmodell der digitalen Wirtschaft – mit einem Volumen von rund 300 Milliarden US-Dollar weltweit – steht unter Druck: die Suchmaschinenwerbung. Vielleicht werden wir sogar Zeugen einer Disruption. Denn Künstliche Intelligenz führt dazu, dass die Online-Suchmaschinen, wie wir sie bisher kennen, mit großer Wahrscheinlichkeit künftig von Antwortmaschinen abgelöst werden. Natürlich nicht sofort, aber möglicherweise schleichend. Zum ersten Mal ist der Such-Algorithmus nicht mehr so überlegen, dass Google seine Wettbewerber automatisch abgehängt. Im Gegenteil: Google selbst ist mit der zentralen Frage konfrontiert, inwieweit es dem eigenen Geschäftsmodell Konkurrenz machen will, um zukunftsfähig zu bleiben.

Wie schnell die Entwicklung kommt und ob KI-Assistenten ihren Siegeszug antreten, hängt von den Nutzer:innen ab, aber auch von der Qualität der Antwortmaschinen. ChatGPT, Google Gemini, Microsofts Copilot & Co. funktionieren heute schon, allerdings nach völlig intransparenten Kriterien. Aus Sicht der Marketeers bedeutet das: Produkte und Marken wissen nicht, warum oder ob sie in den Antworten gelistet werden. Und User:innen wissen nicht, warum ihnen die KI welche Empfehlung gibt.

Analysiert man das Thema detaillierter, gibt es mindestens drei relevante Perspektiven:

  1. Die Perspektive der User:innen

Aus Sicht der Verwender:innen ist eine Antwortmaschine komfortabler als eine Suchmaschine. Zum einen muss man die Frage nicht mehr eintippen. Man kann sie auch einsprechen. Die Antwort kommt dann per Sprachausgabe. Sie ist aber auch deutlich reduzierter in ihren Empfehlungen. Spuckt die Suchmaschine noch seitenweise Treffer aus, beschränkt sich die Antwortmaschine auf wenige Treffer.

Und hier beginnt das erste Dilemma: Warum empfiehlt die KI-gestützte Antwortmaschine Produkt A und nicht Produkt B, mit dem die Userin bisher bessere Erfahrungen gemacht hat? Warum listet sie das teurere Produkt und nicht die billigere Variante? Warum sind eher amerikanische oder internationale Produkte und Marken aufgeführt und weniger oder gar keine nationalen und regionalen?

Alles Fragen, für die es im Augenblick keine Klärung gibt. Warum die Systeme welche Antworten geben (und auf welcher Recherchegrundlage) ist weitgehend intransparent.

Ein konkretes Beispiel. Wir füttern vier KIs (Bings Copilot, ChatGPT 4.0 von Open AI, Googles Gemini und Perplexity.ai) mit folgendem Prompt: „Ich möchte mir ein Elektroauto kaufen. Es soll eine Reichweite von mindestens 300 Kilometer pro Ladung haben, für vier Personen Platz bieten und nicht mehr als 55.000 € als Neuwagen kosten. Außerdem sollte es möglichst schnelle Ladezeiten aufweisen.“

Das Ergebnis: Die KIs empfehlen jeweils 4 (Bing und Perplexity) bzw. 5 Automodelle (Gemini und ChatGPT). Nur ein Modell, der Hyundai Kona Electric, taucht in allen vier KI-Listen auf. Der KIA e-Niro wird immerhin dreimal gelistet, jeweils zwei Listen empfehlen den Skoda Enyag iV und den VW ID3 bzw. das Model 3 von Tesla. Auf eine Erwähnung kommen der VW ID 4, der BMWiX, der Lucid Air, der Renault Zoe und der Citroen eC4.

Unabhängig von der Qualität der Empfehlungen (manche Modelle erfüllen die Kriterien aus dem Prompt nicht) zeigt sich: Nur Copilot von Bing und Perplexity.ai listen die Quellen für ihre Empfehlungen auf. Für die User:innen ist es bei zwei der vier KIs nicht möglich, die Herkunft der Information zu überprüfen.

Was bedeutet dies nun für die Nutzer:innen? Die Komplexität sinkt bei den Antwortmaschinen, jedoch zu Lasten der Qualität und Transparenz. Das wird bei allgemeinen und einfacheren Fragen wahrscheinlich nicht ins Gewicht fallen, aber bei komplexeren Suchen eher dazu führen, dass diese wohl auch mittelfristig weiter mit klassischen Suchmaschinen gelöst werden.

  1. Die Perspektive der Unternehmen/Marken/Werbetreibenden

Umgekehrt ist es aber auch für die Hersteller in unserem konkreten Beispiel nicht nachzuvollziehen, warum welche Modelle gelistet sind und andere nicht. Die Auswahl bei dem eher generischen Elektroauto-Prompt (s.o.) hätte auch ganz anders ausfallen können.

In der bisherigen Logik der Suchmaschinen haben sich mit SEO (Suchmaschinenoptimierung) und SEA (Suchmaschinenmarketing) zwei Disziplinen etabliert, bei denen die Spielregeln zumindest halbwegs transparent waren und sind. Für Werbungtreibende und Marken ist bei den KI-Systemen bisher nicht nachzuvollziehen, warum sie bei den auf 4 bis 5 reduzierten Empfehlungen der Antwortmaschinen zum Zug kommen oder warum nicht.

Google hatte jüngst auf seinem „Google Marketing Live“- Event angekündigt, dass sich Werbungtreibende wohl künftig auch in die KI-Übersichten einkaufen können. Während bei der aktuellen bezahlten Suche, der Einkaufsmodus für Paid Search weitgehend klar ist, gibt es für die KI-Übersichten noch kein bekanntes Procedere. Eile und Transparenz ist auch deshalb geboten, weil die Systeme (siehe Praxisbeispiel) ja bereits Antworten ausgeben.

Und hier wird es schon sehr spannend zu erfahren, wie eventuell eingebettete Werbung zum einen aussehen wird und zum anderen von den Nutzer:innen akzeptiert wird. Denn Menschen stellen eben oft eine klare Frage, die sie exakt beantwortet haben möchten. Was sie nicht möchten, sind 100 mögliche Shoppingergebnisse noch Antworten, bei denen sie nicht genau wissen, ob sie organisch oder bezahlt sind. Sie wollen eine Antwort und nicht „Radio Eriwan“: „Im Prinzip ist die Antwort so, aber…“

  1. Google, Microsoft & Co.

Und zu guter Letzt ist dies die Disruption für die Schöpfer der Systeme:- Open AI hat mit ChatGPT Google vor die Entscheidung gestellt: Kannibalisiert Google mit Gemini sein eigenes höchst ertragreiches Geschäft mit der Suchmaschinenwerbung oder verliert es lieber bei der KI an Boden? Die jetzt vorgestellten KI-Übersichten bei Gemini lassen vermuten, dass Google eine möglichst sanfte Eigenkannibalisierung anstrebt. Allerdings trifft der Search-Platzhirsch dabei im Markt u.a. auf Microsoft, die einerseits Großaktionär bei Open AI sind, anderseits mit der Integration des Copiloten weit jenseits des Browsers Bing aktiv sein können. Und auf den Wettbewerber Open AI, der keinerlei Rücksicht auf die bestehende Onlinesuche nehmen muss. Fun fact: die Listen von Bings Copilot und ChatGPT 4o unterscheiden sich beim Praxisbeispiel deutlich.

Fast jeder Zweite (43,4 %) besitzt inzwischen einen Account bei einem KI-Dienst, so eine repräsentativen Studie der Convios Consulting GmbH im Auftrag von GMX und WEB.DE. Spaß und Zeitvertreib sind dabei der häufigste Grund für den KI-Einsatz (39,7 %), gefolgt von Recherche mit 38,9 Prozent. Aktuell dürfte der Wert bereits deutlich höher liegen. Die Akzeptanz der Antwortmaschinen auf Nutzerseite wird darüber entscheiden, wie schnell sich Marktanteile aus der Suchmaschinenwerbung von Google zu insbesondere Microsoft und Open AI verlagern.

Ich glaube, dass diese aktuelle Entwicklung unsere Branchendiskussion mindestens der nächsten zwei Jahre prägen kann, und dass der Markt der Suche sich signifikant verändern wird.

Die Antwortmaschinen sind ein wichtiges übergreifendes Marktthema. Deshalb sind unsere Branchenverbände gefordert: der BVDW für Digitalagenturen ,Dienstleister, Publisher und auch Werbetreibende (Retail Media), der OWM für alle Werbetreibenden und natürlich auch andere Marktpartner und Regulierer (Kartellamt & Co.). Wir brauchen dringend mehr Transparenz, nach welchen Regeln die Antwortmaschinen spielen. Es ist Zeit für offene Diskussionen zwischen den Marktpartnern, Zeit für Rahmenbedingungen, für Whitepaper oder Code of Conducts, die allen die Sicherheit geben, was sie von KI erwarten können und welche Grenzen einzuhalten sind. Die Verbände sind die richtige und hierfür genau die beste Plattform, diese Diskussion zu moderieren und auch gegenüber der Politik zu begleiten.

Lassen wir nicht  zu viel Zeit verstreichen. Die Systeme laufen bereits. Und fragen Sie mal ihre Bubble, wie oft sie schon produktbezogene Fragen an eine KI gestellt haben. Sie werden überrascht sein. Meine Kollegin hat gerade ihren Portugal-Urlaub mit ChatGPT 4o geplant.

Digitale und virtuelle Erfahrungen verschmelzen zunehmend mit der realen Welt. Diese Entwicklung eröffnet Marketing- und Brandverantwortlichen völlig neue Möglichkeiten, mit ihren Kundinnen und Kunden in Kontakt zu treten und mit ihnen zu interagieren. Wie ein beeindruckendes, immersives Erlebnis in digitalen und virtuellen Räumen gelingt und warum Spatial Computing, Künstliche Intelligenz und die Blockchain-Technologie dabei wichtige Rollen spielen, schildern Sebastian Küpers, Chief Transformation Officer bei der Plan.Net Group sowie Managing Director der Plan.Net Studios, und Dr. Andreas Liebl, Managing Director und Gründer der appliedAI Initiative GmbH, im Gespräch mit Mario Zillmann von Lünendonk. Die beiden Unternehmen arbeiten im Rahmen von KI-Projekten für Kundinnen und Kunden partnerschaftlich zusammen.

Herr Küpers, Sie sind bei der Plan.Net Group für die großen Transformationsthemen zuständig, die derzeit alle Unternehmen betreffen, um zukünftig wettbewerbsfähig zu sein. Digitale Technologien nehmen dabei eine immer größere Rolle ein. Erklären Sie doch bitte einmal, was Sie unter Spatial Computing verstehen und wie sich die Unternehmens- und Markenkommunikation dadurch verändern wird.

Sebastian Küpers (SK): Die Ankündigung von Apple, mit der Vision Pro Anfang 2024 ein neues Device herauszubringen, hat dem Begriff Spatial Computing neues Leben eingehaucht. Generell existiert der Begriff aber schon über 20 Jahre. Im Kern geht es bei Spatial Computing um eine Technologie, die es ermöglicht, virtuelle und physische Welten und Nutzerinteraktionen nahtlos im dreidimensionalen Raum zu verschmelzen und damit ein neues, immersives Erlebnis zu bieten. Und dies völlig unabhängig von der Technologie: Spatial Experiences kann es nämlich auf einer Website, in einer mobilen App, auf einem Display am Point of Sale oder in Zukunft auf anderen Devices geben.

Meiner Ansicht nach ist das Spannende an Apples neuer Vision Pro gar nicht das Gerät an sich, sondern vielmehr das Betriebssystem und das damit verbundene Interaktionsparadigma – das stufenlose Reinzoomen: Man sieht ein Bild, zoomt hinein und steht plötzlich mittendrin.

Geben Sie uns doch mal bitte ein Beispiel.

SK: Gerne. Stellen Sie sich vor, Sie sehen sich Autobilder auf einer Webseite an und können plötzlich reinzoomen, bis Sie das Gefühl haben, Sie sitzen praktisch im Fahrzeug und erleben dieses räumlich. Das ist toll und bietet eine völlig neue Experience. Natürlich beschäftigen sich Menschen dann auch gerne mit einem solchen Content und verbringen auch mehr Zeit mit der Marke. Der positive Einfluss auf ein Erlebnis entsteht aber nicht nur beim Shoppen, sondern beispielsweise auch im B2B-Sektor, wenn es darum geht, komplexe Produkte greifbar darzustellen und erlebbar zu machen. Zudem haben wir festgestellt, dass sich Produkte während einer Spatial Experience besser verkaufen – wenn also beispielsweise ein Live-Konzert in einer immersiven Umgebung stattfindet.

Herr Dr. Liebl, schildern Sie bitte,wie KI unser Erleben und unsere Interaktion mit Marken schon heute beeinflusst und wie sich dies in Zukunft entwickeln wird. Wo liegen die Möglichkeiten und Vorteile für Marken in Bezug auf Spatial Computing oder eine neue Generation des Internets?

Dr. Andreas Liebl (AL):KI-Systeme ergänzen die Markenerfahrung um echte Interaktion und kreieren in Echtzeit neue, nicht einprogrammierte Inhalte. Die Interaktionen sind also nicht mehr vorgegeben, sondern entwickeln sich generativ, was die Qualität der Personalisierung und die der Interaktionen natürlich deutlich steigert.

Ich denke zwar nicht, dass „Browsing“ und „Search“ verschwinden werden. Aber Conversational wird einen starken Marktanteil einnehmen. Schon heute erleben wir eine Omnipräsenz der verschiedenen Conversational Interfaces. Wir sprechen mit Siri auf unseren iPhones, mit Alexa oder im Kundenservice mit einem virtuellen Assistenten oder KI-basierten Avatar. Ähnliches gilt für den B2B-Kontext. Die individuelle Exploration ist immens – angefangen von einem Maschinenbauhersteller, der ein virtuelles Interface zu Kundinnen und Kunden ermöglicht, um Anlagen zu bedienen oder zu warten, bis hin zu digitalem Content, der förmlich mit der Realität verschmilzt und Menschen Teil der Experience werden lässt.

Markenverantwortliche können vor allem von der möglichen Personalisierung profitieren, indem sie die KI entsprechend trainieren. In absehbarer Zeit hebt das die Markenerfahrung in eine neue Dimension.

Herr Küpers, wenn das Markenerlebnis bereits durch Spatial Computing und Künstliche Intelligenz eine neue Dimension erhält, welchen Nutzen kann da die Blockchain-Technologie Unternehmen in der Interaktion mit den Kundinnen und Kunden noch bieten?

SK: Während Spatial Computing und Künstliche Intelligenz sehr sichtbar für die Menschen sind, agiert Blockchain eher im Hintergrund.

Die Blockchain-Technologie punktet bei sogenannten Smart Contracts, indem sie automatisiert Verträge gestaltet und zusätzlich Interaktionen steuert. Ein Beispiel: Jemand kauft ein Produkt mit Garantie und der Kaufnachweis wird auf der Blockchain gespeichert. So kann die Käuferin oder der Käufer – ohne die Quittung aufzubewahren – digital nachweisen, dass sie oder er dieses Produkt besitzt. Darüber hinaus kann die Technologie im Smart Contract beispielsweise auch das Garantieversprechen vollautomatisiert einlösen und Geld zurückerstatten. Wenn der Kauf sogar an ein Loyalty-Programm geknüpft ist, könnte über den Smart Contract auch automatisch die Bonuszahlung veranlasst werden.

Wir gehen davon aus, dass hochautomatisierte Smart Contracts in Zukunft die Interaktion zwischen Marken und Konsumentinnen und Konsumenten immer stärker mitgestalten werden. Das betrifft insbesondere zusätzliche, an das Produkt gekoppelte Serviceleistungen. Die Menschen werden zukünftig mehr Belege in ihrer Wallet haben und davon automatisch profitieren.

Bitte erklären Sie uns genauer, wie die drei Themenbereiche Spatial Computing, Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie zusammenkommen. Was ist das Besondere an diesen Schnittstellen und wie wirken sie sich auf das Markenerlebnis aus?

SK: Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels schildern: Ich will ein neues Auto kaufen und benutze den Konfigurator, der mir zum einen ein räumliches Erlebnis der Automodelle und ihrer Konfiguration bietet. Dabei berät mich ein digitaler KI-Assistent, mit dem ich mich in natürlicher Sprache austausche und der mir hilft, gewisse Entscheidungen zu treffen –welches Leder oder welche Felge ich wählen könnte. Parallel gebe ich die Informationen aus meiner Wallet frei, wo alle meine Belege gespeichert sind. Das ermöglicht, dass mein Kauf- und Markenerlebnis zusätzlich personalisiert wird. So erfährt der Autohersteller vielleicht, dass ich schon einmal ein Auto der Marke hatte und gibt mir einen Preisnachlass.

Gerade in der Kombination aus allen drei Themen – Spatial Computing, Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie – entsteht ein ganz neues, immersives Kundenerlebnis. 

Für Spatial Computing oder die neue Generation des Internets werden AR-Brillen oder VR- und MR-Headsets gebraucht. Sie gelten nach wie vor als teuer und unpraktisch. Sind die Hürden nicht doch noch ein wenig zu hoch, damit eine breite Masse an Nutzerinnen und Nutzer täglich in digitale und virtuelle Räume eintaucht?

SK: Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass ein 3D-Erlebnis von AR-, VR- oder MR-Headsets abhängig sei. Spatial Experiences sind vielmehr Geräte-unabhängig und können über die verschiedensten Kontaktpunkte erlebt werden: beispielweise auf dem Handy, dem Tablet oder auf dem Laptop.

Davon abgesehen ist es nur eine Frage der Zeit, dass die Brillen oder Headsets wesentlich günstiger, einfacher verfügbar und in ihrer Anwendung immer simpler werden. Das haben wir beim iPhone, beim iPad oder auch bei der Apple Watch doch längst erlebt.

Was sollten Marketing- und Brandverantwortliche aus Ihrer Sicht heute schon tun, um sich auf die nächste Generation des Internets vorzubereiten und um ihren Kundinnen und Kunden gleich zu Beginn ein beeindruckendes, immersives Erlebnis in den neuen digitalen und virtuellen Räumen bieten zu können?

AL: Wir sollten uns vor Augen halten, dass nur zwei Monate nach dem Start von ChatGPT bereits hundert Millionen Menschen die KI nutzten. Der Reaktionszeitraum für Entscheiderinnen und Entscheider war also kurz. Darauf muss man sich vorbereiten und permanent am Ball bleiben. Denn KI ist nicht einfach eine weitere Software. Es sind Modelle, die auf Daten trainiert werden. Dabei besteht immer die Gefahr, dass KI beispielsweise offskript geht und außerhalb der gewünschten Bereiche antwortet. Es gilt unbedingt zu lernen, wie man mit diesen Systemen umgeht.

Auch wenn einige Technologien erst in ein oder zwei Jahren durchschlagen werden, empfehle ich jedem, jetzt zügig Erfahrungen zu sammeln.

SK: Absolut. Wenn man die ersten Schritte ins Spatial Computing gehen will, kann man schon auf der eigenen Webseite kleine Bereiche testen. Es geht ums Ausprobieren und Erleben – dass in dem Moment, wo jemand in ein Bild zoomt, ein räumliches Erlebnis entsteht.

Genauso mit KI: Man muss nicht gleich den alles könnenden Assistenten rund um die Marke bauen. Schon ein kleiner Use Case hilft, in dem man den Chatbot gezielt einsetzt und erste Erfahrungswerte sammelt: Worin liegen die Benefits eines intelligenten Assistenten?

Genauso ist es mit der Blockchain. Auch da geht es nicht um die eierlegende Wollmilchsau, sondern um erste Use Cases – gerade in den Feldern Loyalitätsprogramme oder Employer Branding–, die heute schon umsetzbar sind.

AL: Noch ein Tipp zum Schluss: Die Use Cases sind bestenfalls nicht nach dem Zufallsprinzip auszuwählen, sondern sollten sich systematisch mit Themen beschäftigen, bei denen man lernt und sich als Organisation weiterentwickelt.

Lünendonk: Herzlichen Dank für das Gespräch und die spannenden Insights.

Dieses Interview erschien zuerst im Rahmen der Lünendonk-Studie zum Markt für Digital Experience Services in Deutschland.

 „Wir machen uns mit KI überflüssig.“ Diese Kritik haben wir alle schon gehört. Kopf aus, Maschine an. Läuft es ab jetzt so? Natürlich nicht. Und das sollte uns die DMEXCO, das jährliche Treffen der Digitalbranche, bestätigen. Komprimiert auf 14 Bühnen haben am 20. und 21. September insgesamt mehr als 770 Speaker:innen ihre Insights geteilt. Die Message hatten alle gemeinsam: KI ist das Thema der Zukunft, das wir uns schon heute zu eigen machen müssen.

KI-Tools: Neue digitale Mitarbeiter

Aktuell gibt es noch eine große Diskrepanz zwischen dem Hype um KI und der tatsächlichen Nutzung: Nur 2 Prozent der deutschen Unternehmen verwenden Sprachmodelle und KI in internen Unternehmensprozessen, 13 Prozent experimentieren damit. Das reicht nicht – wenn man Innovationen schaffen will. Inhouse-Expert:innen, die fähig sind, Tools zu bewerten und zu integrieren, sind das neue Must. Stichwort Prompts: Dieses Zitat aus einem Vortrag trifft es auf den Punkt – und ist auch ein Appell an uns:

A fool with a tool is still a fool”

Um einen hochwertigen Output und eine inspirierende kreative Erweiterung zu generieren, ist das Schreiben guter Prompts maßgeblich. Durch die Verknüpfung mehrerer Tools erhalten komplexe Prozesse, wie die Ideenfindung oder Erstellung einer Marketingkampagne, damit einen unvergleichlichen Boost. Uns fiel auf: Die KI soll dabei nicht, wie so oft gemutmaßt wird, unsere Konkurrenz sein. Sie ist eher wie ein:e neue Mitarbeiter:in, die uns im Alltag unterstützt.

Eine Welt voller perfect matches

Immer Ads und Content sehen, die interessieren – KI macht es uns als Agenturen leichter, Nutzer:innen genau das zu bieten. Die Tools personalisieren Content und Werbung mit nur wenigen Prompts. Bei einem spannenden Praxisbeispiel wurden mithilfe von KI Werbemittel erstellt, bei denen sich das Testimonial und die Hintergrundszenerie jeweils an die Lebensrealität der Kund:innen angepasst haben. Dank der KI-Bilderstellung ließen sich so eine Vielzahl an Ad-Varianten generieren und auch gleich testen. On top brauchte es nur einen Bruchteil der Kosten.

Klingt erstmal ziemlich gut. Gleichzeitig fragen wir uns: Wenn wir immer exakt das sehen, was als passend berechnet wird oder was wir gerade suchen, verlieren wir dann nicht jegliche Inspiration? Und was muss der Content leisten, um sich von all der anderen personalisierten Informationsflut abzuheben? Hier macht der menschliche Input eben doch den Unterschied, nachdem die KI die Vorarbeit geleistet hat.

Alles künstlich – aber nicht unmenschlich

Ein weiteres spannendes Take-away: Durch Technik wird das Menschliche nicht ersetzt, der Wunsch danach wird sogar größer. Avatare geben einem Touchpoint einen menschlichen Anschein, treten in den Dialog und beraten, wo Kund:innen im Normalfall für Minuten in der Warteschlange hängen. Oder sie erleichtern die Anprobe beziehungsweise die Vorführung eines Produkts – nicht nur im B2C, sondern auch im B2B-Kontext eröffnen sich durch virtuelle Showrooms oder AR-Produktrealisierung spannende Möglichkeiten und eine neue Nähe zwischen Produkt und Zielpersonen.

KI klug integrieren: die rechtliche Sicht

Geben wir KI die Chance, Teil unseres Alltags zu werden, übernimmt sie viele Fleißaufgaben und schenkt uns Zeit fürs Fein-Tuning – wir arbeiten aber auch mit zahlreichen Daten, deren Ursprung wir noch nicht transparent nachvollziehen können. Ein wichtiges Watch-out, das wir mitgenommen haben: Urheberrechtsfragen sowie das Trainieren der KI mit (geschützten) Daten und das Prompten an sich sind noch unreguliert. Eine geplante EU-Verordnung für 2026 soll Klarheit für Kennzeichnungspflichten bringen.

Auch ethische Fragen spielen im Entwicklungsprozess eine wachsende Rolle: Herausforderungen des KI-Zeitalters wie Deep Fakes sind ein gutes Beispiel. Es braucht ID-Lösungen, mit denen die Identität jedes einzelnen geschützt und Identitätsdiebstahl verhindert werden kann. Daraus erwachsen ist das „Value-based Engineering“, ein Ansatz, der die Integration von Werten in den Entwicklungsprozess betont. Es erfolgt in drei Schritten: Technologieanalyse, Werteidentifikation und Definition von Systemanforderungen.

Was wir mitnehmen

Wir haben viele Antworten von der DMEXCO23 mitgenommen. Kopf aus, Maschine an? Gewiss nicht. Unsere Herausforderung als Agenturen ist es, uns schnell und stark zu verändern. KI ersetzt uns nicht, kann uns und unsere Arbeitsweise aber um Jahre nach vorne katapultieren, wenn wir sie jetzt richtig nutzen. Wer den Anschluss verpasst, wird stark abgehängt – und verschwindet.

Vergangene Woche war es wieder so weit: Die gesamte deutschsprachige Digitalszene kam für zwei Tage in Hamburg zusammen und feierte sich selbst auf der OMR, der größten deutschen Messe für das digitale Universum. Mit knapp 72.000 Besucher:innen war das Festival komplett ausverkauft und stieß dabei auch durchaus an die ein oder andere Kapazitätsgrenze. Auffällig: Namhafte Branchenexpert:innen wie Matthew Ball oder Scott Galloway und Kara Swisher, die 2022 noch auf der großen Conference Stage gesprochen haben, wurden dieses Jahr schmerzlich vermisst.

Unsere Key Insights:

1. Künstliche Intelligenz war wie erwartet eines der Fokusthemen auf der OMR. In Deutschland sind die technologischen Entwicklungen im Vergleich zu anderen Industrienationen wie China jedoch noch recht überschaubar. Die Mission: den Anschluss nicht verlieren. Wie wir das schaffen können? Durch gezielte Investitionen in KI, eine aktive Integration von KI in unser Bildungssystem und etwas Mut, auch mal Neues zu wagen.

2. Greenwashing und leere Versprechungen sind out. Denn Klima und Nachhaltigkeit betreffen uns alle – und es liegt in der Hand jedes und jeder Einzelnen, laut zu werden, sich gegen die großen Klimasünder unserer Zeit zu erheben und selbst für Transformation zu sorgen. Als Marke muss man klare Werte vertreten und für diese einstehen, auch wenn das ab und an für Gegenwind sorgen kann.

3. Vertrauen und Authentizität sind wichtige Grundeigenschaften der Gen-Z, die sie nicht nur untereinander schätzt, sondern das auch in der Kommunikation von und mit Brands erwartet. Plattformen wie TikTok, Snapchat und Reddit spielen hier eine wichtige Rolle, um Communities einen Platz zur freien Entfaltung zu liefern. Ein Tipp für Brands: Mit „unhinged content“, also polarisierenden und auch mal weniger brand-safen, dafür aber authentischen und unterhaltsamen Inhalten, die Herzen der User:innen gewinnen.

4. Apropos TikTok & Co.: Eine der spannendsten Thesen dieser OMR war die (Weiter-)Entwicklung von Social Media. Früher lag der Fokus der sozialen Plattformen tatsächlich auf dem „Social“-Aspekt, also dem persönlichen Austausch mit Freund:innen, Familie und Kolleg:innen. Stattdessen agieren die Big Player heute immer mehr als Distributionsplattform für Entertainment und Profi-Content von Creatorn, Stars – und natürlich für Werbung.

5. Gaming ist längst in der breiten Bevölkerung angekommen. Der nächste Schritt: Die Konvergenz von Gaming und (Live) Entertainment. Denn mussten in der Vergangenheit Konzerte in Fortnite noch aufwändig vorab produziert werden, so zeigt die Zukunft real-time Interaktionen in den Games selbst bzw. spezielle Anwendungen, die die Grenzen zwischen Games, Künstler:innen und der realen Welt weiter verschmelzen lassen.

6. Nicht die Marke oder das Produkt sollten im Vordergrund stehen, sondern die Konsument:innen selbst. Stichwort Omni-Channel Marketing und eine Vernetzung aller relevanten Touchpoints. Noch nie war es wichtiger für Brands, eine Beziehung zu ihren Käufer:innen aufzubauen und in Markenloyalität zu investieren. Der emotionale, echte Kontakt (besonders in Zeiten von KI) muss weiterhin im Fokus stehen, denn am Ende wird auch in der Customer Journey oft nach Emotionen entschieden: Nicht der Preis, sondern das Gefühl hat das letzte Wort.

7. Die Zukunft von Search wird geprägt sein von Sprachverarbeitung (maßgeblich beeinflusst durch KI). Search wird viele verschiedene Bereiche, beispielsweise visuelles Verstehen, aus den verschiedensten Datentöpfen miteinander verknüpfen.

Simone Jocham und Alex Turtschan, Mediaplus Innovation Team

Die SXSW ist seit vielen Jahren der Impulsgeber der digitalen Szene. Vor 14 Jahren wurde Twitter bei der South by Southwest mit einem Schlag groß und die Google Glasses fanden hier ihren Weg zu den ersten Testern. Das Event ist voll mit Prominenten, die sich auf der Eventbühne in Texas präsentieren und von ihren Visionen und Erfahrungen berichten. Dieses Jahr konnte das Event nur digital stattfinden, doch diese unglaubliche Energie, die das Event mit sich bringt, konnte dennoch jeder spüren. Thema waren unter anderem ethische Fragen zum Umgang mit Daten und Herausforderungen, die auf den Datenschutz zukommen werden. Hier meine drei persönlichen Key-Takeaways:

Pay me for my data

Datenschutz ist ein sehr komplexes Feld. Vielen Nutzern ist nicht klar, welche Daten über sie gewonnen werden und was mit diesen Daten passiert. In Deutschland sind Datenschutzverordnungen klarer definiert, Stichwort Consent Management, und werden besser überprüft als in den USA. Dennoch: Daten sind wertvolles Gut, das von Unternehmen für ihre Zwecke weiterverwendet wird.

Deshalb bezahlen Unternehmen wie streamlytics Nutzer für ihre Daten. Sie bekommen die Infos direkt von den Unternehmen und aggregieren sie zu wertvollen Nutzerprofilen. Und dafür werden die Nutzer entsprechend belohnt und können einsehen, welche Daten sie überhaupt produzieren. Je aktiver ein Profil ist, desto mehr bezahlt streamlytics und so kann ein Nutzer seine Daten für bis zu 1000 Dollar verkaufen.

„I encourage everyone to do a data request if you haven’t yet. The data is typically unusable to everyday people“ – Angela Benton

My Biometric Me

Bei der Erfassung von Daten werden vor allem biometrische Daten die nächsten Jahre die Technologie entscheidend prägen, die von KI ausgewertet werden können und bereits jetzt in unterschiedlichen Bereichen Verwendung finden. So können bereits jetzt Kameras unsere 45 Gesichtsmuskeln aufnehmen und verarbeiten, beispielsweise um lustige Filter zu erstellen oder um das Smart Phone zu entsperren. Im Bereich Smart Home können Daten dazu genutzt werden, die richtige Musik für die derzeitige Stimmung zu empfehlen. Über ein Armband werden der Blutdruck und die Herzfrequenz gemessen und ausgewertet und darauf basierend Empfehlungen zu Musik gemacht. Stellt das Armband am Morgen einen niedrigen Blutdruck fest, so wird es aktivierende Musik empfehlen, um in den Tag zu starten.

Abseits der Unterhaltung kann diese Technik auch in anderen Bereichen nützliche Verwendung finden. So können die biometrischen Daten dazu genutzt werden, um autistische Menschen mit Hilfe von Smart Glasses dabei zu unterstützen, die Emotionen des Gegenübers zu erkennen.

Das Erkennen von Emotionen und Mimik ist auch im Marketing bzw. Conversion Segment relevant, da die Emotion auf eine Interaktion ausgelesen werden kann. So kann die Technologie beispielsweise dafür genutzt werden, herauszufinden, welche emotionale Faktoren dafür ausschlaggebend sind, wann eine Kaufentscheidung getroffen wird – oder eben nicht. Hier stellt sich jedoch die Frage: Bis zu welchem Grad ist die Nutzung dieser Daten moralisch vertretbar und wie kann man vor Missbrauch dieser Daten sicher sein?

„Your body is part of a network called the You of Things, and that network is becoming sentient.“ – Amy Webb

Stay critical – be ethical – and innovate

Jeden Tag wird man mit einer Vielzahl an Informationen versorgt. Durch die Informationsflut wird es immer schwerer für den Einzelnen, zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden. Fake News gab es zwar schon lange vor den digitalen Plattformen, doch jetzt können sie in rasanter Geschwindigkeit verbreitet werden. Wir brauchen also eine Art Anti-Virus im Gehirn, der uns vor Manipulation schützt und uns dabei hilft, kritisch zu sein. Die ethische Diskussion in der Kommunikation oder Bereitstellung von Informationen wird gerne mit Fingerpointing an die großen Unternehmen abgegeben. Aber sollte nicht jeder Coder, jeder Designer ethischen Richtlinien folgen?

„I want an antivirus for the Brain“ – Yuval Harari

Mein neues Mantra: Put life – not humans – in the center!

Mein neues Mantra hat mir Bruce Mau mitgegeben, dass unsere Haltung als Designer grundlegend ändern sollte in Richtung einer ethischen und nachhaltigen Art und Weise:

Put life – not humans – in the center!

Das bedeutet, dass die Natur verstärkt in den Vordergrund gerückt werden sollte, da der Mensch ein Teil von ihr ist. Der Aspekt der Nachhaltigkeit muss daher eine essenzielle Rolle im Arbeitsalltag eines Designers spielen.

„The only way to make real change is to inspire, to show people a future more exciting than their past, and inspire them to work together on the journey.“ – Bruce Mau

Die Signale, die bei der SXSW gesetzt werden, sind maßgebend für die nächsten Jahre. Lasst sie uns gemeinsam gestalten!

Bald öffnen wir täglich wieder ein Türchen des Adventskalenders nach dem anderen. In fast der gleichen Schlagzahl gibt Google Aufkäufe und Partnerschaften mit den bedeutendsten Playern der wichtigsten Industrien und Branchen bekannt. Was das alles bedeutet und warum wir mal wieder Sesamstraße schauen sollten, erfahren Sie in den SEO-News für den Monat November.

BERT und ELMO aus der Schlaumeierfabrik

Die beste Schule für das Leben ist eine glückliche Kindheit. Mit 20 Jahren kaum der Pubertät entronnen, scheint sich jetzt auch Google auf diese allgemeingültige Lebensweisheit verständigt zu haben. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Suchmaschine aus Mountain View für ihre neuen Kollegen aus der Abteilung künstliche Intelligenz ausgerechnet die Namen von Helden der Sesamstraße gewählt hat. Der Maschine helfen, den Menschen besser zu verstehen, das sollen nun also BERT und ELMO richten.

In beiden Fällen handelt es sich um Akronyme für digitale Ausprägungen von maschinellen Lernprozessen („Bidirectional Encoder Representations from Transformers“, bzw. „Embeddings from Language Models“). Was kompliziert klingt lässt sich wiederum mit weiteren kindlichen Analogien einfach beschreiben: Zum einen sprengt die menschliche Neugier selbst die Fähigkeiten von Googles imposanten Tech-Stack. Rund 15 Prozent alle Suchanfragen können nach Angaben des Unternehmens auch mehr als zwei Jahrzehnte nach Gründung der Suchmaschine nicht einmal im Ansatz verstanden werden. Die Erweiterung der Inputtechnologie von Text zu Sprache hat dieses Problem noch einmal deutlich verschärft. Zum anderen kann man der Komplexität von Sprache, Realität und Leben nur gerecht werden, wenn man den Lernprozess der Maschine organisiert, wie man die Erziehung eines Kindes angehen würde.

Das heißt, jede einzelne Äußerung einer Suchanfrage muss in ihrem Kontext betrachtet und verstanden werden. Nur so lässt sich die Treffgenauigkeit zuverlässig prognostizieren. Der neue BERT-Algorithmus versetzt Google in die Lage, unterschiedliche Intentionen einer Suchanfrage anhand von sprachlichen Konstruktionen und wechselnden Kontexten zuverlässiger zu identifizieren und den relevantesten Ergebnissen zuzuordnen. Im Wettbewerb der Künstlichen Intelligenzen ist dies ein entscheidender Schritt für Google, denn auch Facebook, Microsoft, Alibaba und Tencent sind nicht untätig auf diesem Gebiet.  

Für SEOs und Websitebetreiber ergeben sich daraus zwar keine unmittelbaren Veränderungen, im Hinblick auf Googles Vision der Bereitstellung einer allgegenwärtigen Orientierungs-, Lösungs- und Komfortmaschine ist BERT jedoch ein zukunftsweisender Wendepunkt.

Die Portalwerdung von Google

Auch wenn das Google-Motto der ersten 20 Jahre lautete: „Don’t be evil“, so scheint dem Suchmaschinenriesen aus Mountain View eine harte Zukunft bevor zu stehen. Es mehren sich öffentliche Stimmen, die offen ansprechen, was man durch die tägliche Nutzung der Suchmaschine und einen aufgeklärten Blick in die Spalten der Wirtschaftspresse schon länger hätte ahnen können: Google durchläuft derzeit eine rückwärtsgewandte Metamorphose von einer Suchmaschine zu einem guten alten Internetportal. Die Inflation sogenannter „No-click-searches“, also Suchanfragen, die auf Googles eigenen Seiten beantwortet werden und keinen organischen Traffic für Drittseiten mehr generieren, der aggressive Ausbau von Vertriebsverticals in Bereichen wie Reise, Medizin und Finanzen, sowie der bevorstehende Relaunch der Shopping-Sparte inklusive Zahlungsabwicklung mit Google-Garantie, lassen ahnen, wohin die Reise geht.

Stephen Kraus, CEO der Analysefirma Jumpshot hat Google anlässlich seines Vortrags auf der Konferenz „Transformation of Search“ jüngst den Titel „AOL des Jahres 2020“ verpasst (Minute 5:50 im Video). Auch SEO-Urgestein Rand Fishkin hat auf seiner Keynote der „SMX East“-Konferenz beklagt, dass sich die Branche in Zukunft darauf einzustellen habe, im Sinne ihrer Kunden gegen Google zu optimieren. Da sich die Suchmaschine statt wie bisher als Moderator und Zulieferer relevanten Traffics (und damit Umsatz), nun als Marktteilnehmer in fast allen Bereichen des Vertriebs von Produkten, Dienstleistungen und Informationen positioniert, steckt Marken in einer Art Gefangenendilemma, so Fishkin. Sie müssen sich entscheiden zwischen klickloser Sichtbarkeit oder Vermeidung der Konkurrenz in ungenutzten Keyword-Nischen. In beiden Fällen wäre das Ergebnis suboptimal.  

Fishkins Antwort auf diese Zwickmühle nennt sich „On-SERP-SEO“ und ist zu verstehen als eine Art Markenpflege auf Googles Suchergebnisseiten in Kombination mit breit gestreuten Awareness-Kampagnen. Die Konsequenz aus diesen Entwicklungen wird aber auch im Jahr 2020 nicht der heiß ersehnte ‚Tod von SEO‘ sein, sondern vielmehr ein Signal für den engeren Schulterschluss der Search-Branche mit klassischen Marketingkanälen, sowie die Notwendigkeit zur technologischen Professionalisierung und Automatisierung von SEO, um mit der gewachsenen Komplexität der Suchmaschine Schritt halten zu können. Google ist nicht über Nacht böse geworden, sondern einfach nur erwachsen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei internetworld.de.

Jedes Unternehmen, jede Branche kann durch die neuen Technologien komplett umgekrempelt werden. Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence) ermöglicht es, Ideen umzusetzen, deren Realisierung ohne sie aus Zeit- oder Ressourcengründen niemals in Erwägung gezogen worden wäre. Die Blockchain definiert das Thema Transparenz komplett neu. Sie macht ganze Herstellungsprozesse – wie den Weg von der Rebe bis zur Flasche in der Weinhandlung – komplett nachvollziehbar. Kryptowährungen schaffen eigene Werte- und Monetarisierungssysteme und können beispielsweise ganz neue Kundenbindungsprogramme ermöglichen. Das ABC der neuen Technologien wird die kommenden Jahre prägen. Beim vergangenen Best Brands College 2019 konnte ich noch tiefer in diese Themen einsteigen und viele spannende Erkenntnisse mitnehmen. „Wir müssen alle wieder zu Kindern werden und das ABC neu lernen“ – dieses Zitat von Dr. Fabio Zoffi von der ORS Group, den ich nach seinem Vortrag interviewt habe, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Was es mit dem ABC der Zukunft auf sich hat, erklärt er im Video:

Die Welt mit Kinderaugen sehen

Bleiben wir beim Thema Kinder, zu dem der Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck ein anschauliches Beispiel präsentierte: Zeigt man einem Kind ein Modellflugzeug und bringt ihm den Begriff „Flugzeug“ bei, dann kann es höchstwahrscheinlich nach diesem einen Kontakt überall Flugzeuge erkennen – auch solche in Originalgröße. Eine Künstliche Intelligenz, die mit Hilfe von Machine Learning trainiert wird, muss erst mit Tausenden von Bildern gefüttert werden, um anschließend Flugzeuge halbwegs zuverlässig zu identifizieren. Den Zusammenhang zwischen einem kleinen Modellflugzeug und einem riesigen Original wird sie nicht zwingend und sofort erkennen.

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Das Motto aus dem Titellied der Sesamstraße trifft auf so viele Lebensbereiche zu und ist in Zeiten der Digitalisierung aktueller denn je. Wir müssen alle wieder zu Kindern werden und ganz neu anfangen zu lernen, um die „neue Welt“ zu begreifen. Dafür sollten wir so viele Fragen stellen wie möglich, neugierig bleiben und offen sein. Zudem – so Dr. Beck – sollten wir keine Angst vor Fehlern haben und wie das Kind, das gerade Laufen lernt, immer wieder aufstehen und es weiter probieren. Es ist an uns, die richtigen Fragen zu stellen: Wo kann uns Technologie wirklich helfen, etwas zu verbessern? Welche Fragen wollen wir mit Hilfe von KI beantworten? Welche Daten besitzen wir und welchen Wert stellen sie für uns dar? Welche Daten brauchen wir noch? Hier hat jedes Unternehmen und jede Branche ganz eigene Fragen. Jetzt ist es an der Zeit, sie zu formulieren.

Idee + Daten = Zukunft

Künstliche Intelligenz stellt keine Konkurrenz für die menschliche Intelligenz dar – auch wenn es der Begriff suggeriert. Denn „Maschinen sind dumm“ und menschliche Sprache ist für sie viel zu komplex, wenn man dem Vortrag der Aufsichtsrätin Dr. Anastassia Lauterbach, den sie beim Brands College 2019 hielt, glauben darf. Dafür können sie ganz andere Dinge viel besser, als das menschliche Gehirn: beispielsweise große Mengen an Daten in wenigen Minuten nach Mustern und Gemeinsamkeiten durchsuchen. Welche Daten sie durchsuchen, nach welchen Mustern und warum, diese Entscheidung liegt immer noch bei uns Menschen. Allerdings müssen wir erst einmal das neue ABC der Technologien buchstabieren können, damit wir auch die richtigen Fragen an die KI stellen.

„In der Mediaplanung können wir die einfachsten Fragen noch nicht schnell genug beantworten.“ Diese Einschätzung meines Kollegen Marcus Ambrus von Plan.Net Business Intelligence beim diesjährigen Best Brands College ist berechtigt. Wie verändert sich die Wirkung einer Kampagne, wenn wir statt Radio im Mediamix noch etwas TV dazu buchen? Oder in Fachmedien statt in Tageszeitungen Anzeigen schalten? Oder im Fernsehen das Programmumfeld wechseln? Was für den Menschen noch aufwändige Arbeit darstellt, kann eine Künstliche Intelligenz mit entsprechender Datenbasis in wenigen Minuten beantworten und, als Nebeneffekt, auch gleich den optimalen (weil effizientesten) Mediamix vorschlagen. Eine KI kann aber auch andere Dinge herausfinden – zum Beispiel den passendsten Werbemoment in einem Film oder einer Serie, vorausgesetzt man möchte Werbung nicht im Werbeblock, sondern thematisch passend ausspielen. So wird der Zuschauer nicht von Werbung aus dem Geschehen gerissen, denn der Werbespot harmoniert mit dem Inhalt und dem Stil des Formats.

Zukunftsmusik? Nein! Wie das konkret funktioniert, hat mir Dr. Annina Neumann, Vice President Data Technology von ProSiebenSat.1, im Interview verraten:

In welchen Bereichen KI unsere Arbeit als Mediaplaner und somit das Ergebnis für unsere Kunden bereichern kann, wurde beim Best Brands College ausführlich beleuchtet – hier die für mich wichtigsten Aspekte:

  1. Der Mensch hat Ideen, die KI macht die Fleißarbeit
    Auf die Idee, dass man Werbung mitten in einem Film oder in einer Serie an einer thematisch passenden Stelle schalten könnte, anstatt im Werbeblock, ist nicht der Computer gekommen, stellt Dr. Annina Neumann in ihrem Vortrag beim Best Brands College heraus. Aber die KI ermögliche es, tausende Stunden von Filmmaterial auf bestimmte Merkmale hin zu untersuchen, um den Spot an den richtigen Stellen platzieren zu können – eine Aufgabe, die viel zu viel Zeit verschlingen würde, wenn Menschen sie erledigen müssten.
  2. KI kann vieles, aber nicht alles
    Gemälde malen wie Rembrandt, Sonette dichten wie Shakespeare, Romane schreiben wie J. K. Rowling – während des Vortrags von Holger Volland, Vice President der Frankfurter Buchmesse und Gründer der Konferenz THE ARTS+, beschleicht einen das Gefühl, dass es kaum etwas gibt, was Künstliche Intelligenz nicht kann. Wir empfinden einem KI-generierten Gemälde gegenüber die gleichen Emotionen wie gegenüber dem Werk eines Menschen. Wir können laut Volland in unserer Reaktion auf ein Kunstwerk – egal, ob es ein Bild, ein Musikstück oder ein Text ist – nicht unterscheiden, ob es von Menschenhand oder im Prozessor einer Maschine erstellt wurde. Deshalb trauen wir der KI oft mehr zu, als sie eigentlich kann. Denn obwohl sie menschliche Werke studiert, die „Regeln“ daraus extrahiert und darauf basierend neue Werke erstellen kann, entwickelt sie keine neuen Ideen.
  3. Die Idee: Was den Menschen von der Maschine unterscheidet
    Der Vortrag von Dr. Henning Beck am Ende des Best Brands College ergänzte das Thema Kreativität von KI sehr eindringlich: Der Neurowissenschaftler erklärte, dass eine Maschine nur einen Output auf Basis eines Inputs erzeugen könne, aber keine eigenständige Idee. Eine Idee sei ein soziales Konstrukt, zu dem nur wir Menschen fähig seien: „Eine gute Idee ist erst dann eine gute Idee, wenn jemand sagt, dass es eine gute Idee ist!“ Maschinen könnten Muster und Regeln herausfiltern und sie anwenden, sie könnten aber keine Regeln brechen oder eigenständig neue Regeln aufstellen. Der Zeitpunkt der „technologischen Singularität“ ist noch lange nicht erreicht.

Diese Beispiele und viele andere zeigen, dass der Mensch und die Maschine sich gegenseitig perfekt ergänzen. Erst mit der neuen Rechenpower und den intelligenten Algorithmen wird es uns in der Mediaplanung möglich sein, viele Ideen in die Tat umzusetzen, die vorher aus Zeit- und Kapazitätsgründen gescheitert sind.