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Neuseeland ist eine abgelegene Insel am anderen Ende der Welt, auf der sehr viele Schafe und deutlich weniger Menschen leben. Was der dortigen Werbebranche an Größe fehlt, scheint sie durch Kreativität wettzumachen. Denn obwohl in Neuseeland gerade einmal fünf Millionen Menschen leben, mischt der Inselstaat auf internationalen Werbefestivals regelmäßig vorne mit. Hier ein paar Beispiele: Beim renommierten D&AD Festival – das für seine recht strenge Jury bekannt ist – gewann Neuseeland insgesamt 31 „Yellow Pencils“. Deutschland mit einer sechsmal größeren Bevölkerung holte „nur“ 44. Und vergangenes Jahr bei den Cannes Lions gewann Neuseeland 1,8 Löwen pro 1 Million Einwohner:innen. Zum Vergleich: Die erfolgreichste Nation auf dem Festival – die USA – gewann lediglich 0,7 Löwen pro 1 Million Einwohner:innen.

Da ich auch ein „Kiwi“ bin – wie sich die Neuseeländer:innen selbst liebevoll bezeichnen – habe ich mich gefragt, wie es einer abgelegenen Insel im Südwestpazifik gelingt, in der Werbebranche einen so prominenten Platz einzunehmen. Vielleicht können wir gar alle ein bisschen von dieser „Inselmentalität“ lernen?

Zunächst einmal war die neuseeländische Gesellschaft schon immer recht fortschrittlich. So führte Neuseeland als erster Staat der Welt das Frauenwahlrecht ein. Konservative Kunden sind bekanntlich die größten Ideenkiller – vielleicht gibt es in Neuseeland einfach nur sehr wenige davon?

Die Größe des Landes spiegelt sich auch in den Werbebudgets wider. Um sich durchzusetzen, müssen Agenturen deshalb mit originellen Ideen punkten. Disruptives Denken ist in Neuseeland nicht nur erwünscht, sondern ein Muss. Und angesichts knapper Budgets sind neuseeländische Kreative es gewohnt, Probleme auf innovative Weise zu lösen. Dafür sind Kiwis bekannt – man nennt es die „No. 8 Wire Mentality“, die Vorstellung, dass Landwirte mit einem Stück Zaundraht jede fehlerhafte Maschine reparieren können. Diese kulturell verankerte Hands-on-Mentalität hilft scheinbar auch, um richtig gute Werbung zu machen.

Hinzu kommt, dass in Neuseeland so wenig Menschen leben, dass auch die hierarchischen Strukturen auf Kundenseite weniger komplex sind. Ideen werden in der Regel den Leuten präsentiert, die die Entscheidungen treffen. Aus meiner Erfahrung ist das der wohl wichtigste Faktor, um innovative und mutige Konzepte umzusetzen.

All das sind natürlich nur Mutmaßungen – aber vielleicht erklären sie ein Stück weit, warum ein kleines, abgelegenes Land wie Neuseeland in der Kreativbranche so erfolgreich ist. Oder, wie wir auf Englisch sagen: Maybe there’s just something in the water?

Dieser Artikel ist im Rahmen des W&V-„Innovationsradar“ zuerst in der W&V-Ausgabe 02/2023 erschienen.