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Transparenz in der Nachhaltigkeit-Kommunikation ist wichtig. Doch ist die Green Claims Directive der EU dafür der richtige Weg? Das erklärt unsere Nachhaltigkeits-Expertin Agnes Ley in ihrem Blogbeitrag.

Mehr Transparenz in die Nachhaltigkeitskommunikation – für dieses Ziel will die EU die „Green Claims Directive“ ins Leben rufen. Die Richtlinie soll dafür sorgen, dass Nachhaltigkeitskennzeichnungen auf Produkten künftig mit Hintergrundinfos belegt werden müssen. Bedeutet: Aussagen wie: „30% weniger CO2 Emissionen“ müssen künftig (z.B. mittels QR-Code auf der Packung und nachgelagerter Landingpage) erklärt und bewiesen werden: 30% weniger als was? Der Wettbewerb, der Branchendurchschnitt, weniger als vor zwei Jahren? Und durch welche Maßnahmen wurde diese Reduzierung erreicht? Alle Behauptungen müssen künftig für Verbraucher:innen prüfbar gemacht werden – z.B. mit Hilfe von Berechnungen, Studien, Normen und ähnlichem. Gleichzeitig müssen diese Informationen in einer neuen Datenbank hinterlegt werden, wo sie behördlich geprüft werden sollen. Auch im Dschungel der Nachhaltigkeits-Gütesiegeln soll die Direktive mehr Überblick schaffen.

Die Idee, Nachhaltigkeitsaussagen transparenter zu machen, ist durchaus sinnvoll, denn es fehlt an Standards, und die Verunsicherung ist groß. 89% der Konsumierenden wissen oft nicht, welchen nachhaltigen Botschaften von Marken sie Glauben schenken sollen. Das ist ein Ergebnis der Utopia-Studie „Die grüne Mitte“ aus dem Jahr 2022.

Bei den werbungtreibenden Unternehmen schrillen indes die Alarmglocke. Schon steigt der Trend zum „Green Hushing“: Das bezeichnet die Vermeidung der Außenkommunikation eigener Nachhaltigkeitsinitiativen, um keine Angriffsfläche für Shitstorms zu bieten bzw. um nicht des Greenwashings bezichtigt zu werden. Die Green Claims Directive könnte diesen Trend nochmals befeuern. Und dann geht die Rechnung nicht mehr auf – denn dann gibt es weniger Informationen für die Konsumierenden, um ihre Kaufentscheidungen sinnvoll zu treffen. Gleichzeitig verhindert es den Sog-Effekt, dass andere Unternehmen bei nachhaltigen Zielen mitziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn was nicht kommuniziert wird, erzeugt auch in der Branche keinen weiteren Handlungsdruck und dann verliert die Umwelt.

Daher unser Appell an Marketer: Geht weiterhin mit euren Nachhaltigkeitszielen und -erfolgen an die Öffentlichkeit – zumindest wenn es ernst gemeint ist! Denn die Konsumierenden danken es Euch: 79% sehen laut Kantar Sustainability Sector Index 2022 die Verantwortung, Klima- und Umweltprobleme anzugehen bei Unternehmen. Und gemäß der BCN – Nachhaltigkeitsstudie 07/2022 prägt Haltung – egal ob ökonomisch, ökologisch oder sozial – das Markenimage stärker, als Internetempfehlungen oder Medienberichterstattungen.

Aber: No Greenwashing! Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit müssen zusammen betrachtet werden. Und dann: nur Mut!

Wer möchte mehr zu Nachhaltigkeit in der Kommunikation wissen? Details zum Timing der Green Claims Directive und für welche Unternehmen sie gilt? Schreibt mich gerne an: a.ley@house-of-communication.com

Mehr zu unserer Sustainability-Initiative

Eine Masterarbeit zu schreiben ist trocken und langweilig? Nicht, wenn man über ein Herzensthema schreibt, erfährt unsere Nachhaltigkeits-Koordinatorin Agnes Ley in Teil vier der Interviewreihe „Let’s talk about: Nachhaltigkeit in der Mediaplanung“. Dabei schaut sie über die Schulter von Noa-Sophie Jäger, Client Consultant bei Mediaplus International, die über nachhaltige Kommunikation forscht.

Noa-Sophie Jäger, Client Consultant bei Mediaplus

Hallo Noa! Du schreibst gerade an deiner Masterarbeit und beschäftigst dich mit dem Thema Glaubwürdigkeit von nachhaltiger Kommunikation. Das erste Buzzword, das mir dazu einfällt ist Greenwashing. Holst Du mich dazu mal ins Thema, was den aktuellen Stand der Forschung angeht?

Hallo Agnes! Genau, das große Buzzword „Greenwashing“ ist wahrscheinlich das erste, was vielen Markenverantwortlichen und Konsument:innen in den Kopf kommt, wenn wir über Nachhaltigkeitskommunikation sprechen. Tatsächlich ist das das größte Problem, welchem Marken gegenüberstehen, wenn sie sich nachhaltiger positionieren möchten: In den letzten Jahren wurden vage, irreführende Markenversprechen zum Thema Nachhaltigkeit zur gewöhnlichen Praxis. Gleichzeitig wissen die Konsumierenden aber immer mehr darüber Bescheid und kennen sich immer besser im Bereich der Nachhaltigkeit aus. Das führt zu einer sehr großen Skepsis, die Konsumierende generell gegenüber der Nachhaltigkeitskommunikation von Marken haben – egal, ob diese tatsächlich Greenwashing betreiben oder sich ehrlich für Nachhaltigkeit engagieren. Die Glaubwürdigkeit der Kommunikation leidet also stark unter diesem Phänomen. Damit leiden auch die Marken, die ehrlich und rechtschaffen mit dem Thema umgehen unter den Greenwashing-Aktivitäten der unehrlichen Marken.

Vor dem Hintergrund der Gefahr, dass die nachhaltige Unternehmenskommunikation als Greenwashing abgestempelt wird: Trotzdem machen oder vermeiden?   

Trotzdem machen – aber ehrlich! Es gibt einige wichtige Voraussetzungen dafür, dass eine Nachhaltigkeitskommunikation erfolgreich und damit für Marken effizient gestaltet wird. Diese setzen eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema und der Integration der Nachhaltigkeit in den Unternehmenskern und damit alle strategischen Unternehmungen voraus.

Wichtig ist dabei zwischen ‚Nachhaltigkeitskommunikation‘ und ‚nachhaltiger Kommunikation‘ zu unterscheiden: Nachhaltigkeitskommunikation bedeutet, dass ein Unternehmen nach außen hin darüber spricht, nachhaltig und „grün“ zu sein. Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass Nachhaltigkeit auch im ganzen Unternehmen gelebt wird, sondern kann eben auch eine Marketingstrategie sein. Nachhaltige Kommunikation hingegen ist der ehrliche Ansatz, Nachhaltigkeit in den Unternehmenskern zu integrieren und somit auch alle Marketingaktivitäten daran auszurichten. Das schafft Kongruenz mit der Botschaft.

Damit wird die Kommunikation glaubwürdig – und so kann sie zu einem echten Wettbewerbsvorteil werden.

Glaubwürdigkeit ist also das A und O in der Nachhaltigkeitskommunikation – wie kann die Mediaplanung dazu beitragen?

Für die qualitativen Kriterien der Mediaplanung sind sogenannte Kontexteffekte besonders wichtig. Diese entstehen durch die Assoziationen, die die Rezipient:innen der Medieninhalte mit diesen haben. Positive Assoziationen durch richtig ausgewählte Umfelder lösen auch eher positive Einstellungen gegenüber der in diesem Kontext platzierten Werbeanzeigen aus. Das lässt sich auch auf die Nachhaltigkeit übertragen. Ein nachhaltiges Medium erzeugt eine Nachhaltigkeits-Assoziation, die auch auf die Werbeanzeige darin übertragen wird. So wird wieder die oben genannte Kongruenz erschaffen, die Assoziationen übertragen sich auf das Werbemittel und diese wird durch die richtige Mediaauswahl glaubwürdig. Ein nachhaltiges Medium in diesem Sinne ist eines, welches sowohl einen guten ökologischen Fußabdruck hat, als auch seinen sogenannten ‚Brainprint‘ beachtet. Das sind die Informationen, die Meinungsbildend wirken. Wenn damit achtsam umgegangen wird und der ökologische Fußabdruck minimiert wird, kann von einem nachhaltigen Medium gesprochen werden.

Zungenbrecherwort „Authentizität“ – wie wichtig ist sie dabei?

Glaubwürdigkeit ist ein Konstrukt, da es nicht direkt messbar und schwer definierbar ist. Authentizität ist ein wichtiger Bestandteil des Konstruktes der Glaubwürdigkeit und zahlt direkt darauf ein. Glaubwürdigkeit setzt sich aus Vertrauen, Ehrlichkeit, Kompetenz und Authentizität des/der Sender:in einer Botschaft zusammen. Wenn eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, dann fällt das ganze Glaubwürdigkeits-Konstrukt in sich zusammen.

Vielen Dank für die spannenden Insights! Wie bist Du eigentlich auf dieses Thema für deine Arbeit gekommen?

Vielen Dank für die spannenden Fragen! Ich wollte schon immer einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung mit meiner Arbeit leisten. Als ich dann von der Initiative Nachhaltige Media in der Mediaplus erfahren habe, war ich mir sicher, dass das der richtige Ansatz ist, um diesem Ziel auch als Mediaplanerin näherzukommen. Als ich mich der Initiative anschloss und über ein konkretes Thema für die Masterarbeit nachdachte, ist mir gleich aufgefallen, dass die große Skepsis der Konsument:innen beim Thema Nachhaltigkeitskommunikation eine große Hürde für Marken ist, die sich ehrlich nachhaltig engagieren und gutes Bewirken wollen. Diesen ehrlichen und aufrichtigen Marken möchte ich gerne helfen, über ihre Aktivitäten zu sprechen und somit größeren Markenerfolg zu haben – denn das ist meiner Meinung nach eine Entwicklung in die richtige Richtung 😊.

Hier geht es zu den letzten Beiträgen von:
Let’s Talk about: Nachhaltigkeit in der Mediaplanung:

Teil1: Die Gretchenfrage: Wie nachhaltig ist denn Ihr Media-Business, Wolfgang Bscheid?
Teil2: Die eine nachhaltige Zielgruppe gibt es nicht!
Teil3: „Jedes Kilobyte pro Werbemittel spart Kohlendioxid ein!“

Mehr Infos zu unserer Mediaplus Nachhaltigkeitsinitiative

Nachhaltigkeit ist in den Medien omnipräsent. Nur die Werbung fasst dieses Zukunftsthema aus Angst vor Greenwashing-Zeigefingern nicht an.  Das ist kontraproduktiv.

Warum hat Nachhaltigkeit die Werbung oder Marketing-Kommunikation bislang kaum erreicht? Zu heftige Blessuren haben einige Unternehmen davongetragen, als sie ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten lautstark kommuniziert haben. Sie mussten lernen, dass viele, die beim Thema Nachhaltigkeit den Kopf herausstrecken, eine Kopfnuss bekommen. Und zwar von denen, die sich hauptberuflich damit beschäftigen, unsere Welt zu verbessern: engagierte Journalisten, Blogger und NGOs wie Greenpeace oder Foodwatch.
Natürlich muss man die anprangern, die Nachhaltigkeit nur vortäuschen, also Greenwashing betreiben. Doch häufig suchen die Kämpfer für mehr Nachhaltigkeit mit inquisitorischem Eifer nach Unzulänglichkeiten, die sie natürlich auch finden. Wenn etwas noch nicht perfekt nachhaltig ist, genügt das, um einen medialen Scheiterhaufen anzuzünden. Damit verhindern die Kämpfer für mehr Nachhaltigkeit das, was sie eigentlich erreicht wollen – mehr Nachhaltigkeit.

Nachhaltige Produkte bewerben – auch wenn sie nicht perfekt sind

Nachhaltigkeit ist ein Prozess und die Reise in eine nachhaltige Welt beginnt erst. Noch emittieren wir zu viel CO2. Noch werden Arbeiter in Entwicklungsländern für einen Hungerlohn beschäftigt. Noch vergeuden wir Rohstoffe. Noch ist nichts perfekt. Deshalb müssen wir diesen Prozess beschleunigen, aber wie? Nachhaltigkeit muss ein Wettbewerbsfaktor werden. Dazu gehört ein Marketing, das nachhaltig erzeugte Produkte in den Mittelpunkt stellen darf – auch wenn sie noch nicht perfekt sind im Sinne der Nachhaltigkeit.
Dann würde Werbung aus einem nachhaltigen Produkt ein nachhaltig erfolgreiches Produkt machen. Solange Werbung der natürliche Feind derjenigen ist, die sich für eine bessere, nachhaltigere Welt einsetzen, wird das schwer.

Werbung ist unschuldig

Zugegeben, bislang hat Werbung wenig zu einer nachhaltigen Welt beigetragen. Werbung kann Leuten einreden, dass Schokolade schlank macht, dass zwei Bonbons besser sind als eines und dass Rauchen sexy ist. Aber deswegen ist Werbung nicht der Feind der Nachhaltigkeit. Werbung ist unschuldig, sie macht nur, was man ihr sagt. Bislang war das hauptsächlich, mehr zu verkaufen, egal was.
Würde man von Werbung verlangen, sie solle mehr nachhaltige Produkte verkaufen, würde sie das wohl genauso erfolgreich tun. Werbung könnte eine Brücke schlagen zwischen zwei Gruppen, die beide mehr Nachhaltigkeit wollen – Hersteller und Verbraucher. Und dann wäre alles gut.

Regulierung von Werbung führt ins Kreativitätskoma

Im Hintergrund hören wir sardonisches Lachen. Diejenigen, die in Abrede stellen, dass es profitorientierten Unternehmen ernst ist mit Nachhaltigkeit, amüsieren sich. Nachhaltigkeitskommunikation sei nur Mittel zum Zweck, sagen sie. Unternehmen würden ein wenig grüne Tünche auftragen und weiter rücksichtslos nach Wachstum und Profit streben. Das einzige was helfe, so sagen sie, sei Regulierung. Es tut sich ein Graben auf – freies Spiel der Kräfte im Nachhaltigkeitswettbewerb gegen Nachhaltigkeit durch Regulierung. So lange dieser Graben nicht überwunden ist, verliert die Nachhaltigkeit.
Aber versuchen wir es mit Argumenten: Fast jedes Unternehmen gibt heute zertifizierte Nachhaltigkeitsberichte heraus, in denen seine Leistungen nachprüfbar offenliegen. Hier gibt es erstaunlich wenig Gegenwind – offensichtlich scheint zu stimmen, was darin steht. Das spricht für die Glaubwürdigkeit von Unternehmen. Aber nur Experten lesen die Nachhaltigkeitsberichte, weshalb glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Daher scheiden Nachhaltigkeitsberichte als Wettbewerbsfaktoren für Unternehmen aus.

Warum daher nicht gleich Nachhaltigkeit mit Massenkommunikation verbinden?

Diese Option ist auch deswegen attraktiv, weil die Alternative trostlos ist. Wer nur auf Regulierung setzt erzeugt zwangsläufig Überregulierung, Kreativitätskoma und undemokratische Bevormundung. So werden die Kräfte des Marktes, die auch für Nachhaltigkeit Erstaunliches leisten können, stranguliert. Werbung tut also not – und wenn es zunächst Werbung dafür ist, Unternehmen mehr Mut zu machen, über das zu reden, was sie tun.

Dieser Betirag erschien am 1. Juli 2013 im Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften.
Die zum Thema passende große Nachhaltigkeitsstudie von Facit ist hier zu finden: http://sp-url.com/sis2013

„Neue Medien für eine neue Bewegung“, „jeden Tag eine gute Botschaft“, „zusammen retten wir die Welt“ – gerne, aber ohne meinen Kunden!

Mittlerweile wöchentlich sammeln sich beim Kunden (Start-up, Green Economy) Anfragen von crossmedial multichannel viral vernetzten Grünmedien, -initiativen und Veranstaltungsreihen. Der Anhang ist vollgepackt mit schicken Credential-Präsentationen, die mehr durch ihr Design als durch ihren Inhalt bestechen. Jedes zweite Chart zeigt eine gutgelaunte Weltkugel, die uns Erdenrettern hoffnungsvoll zuzwinkert. Worin der konkrete Inhalt der „grünen Medieninitiative“ besteht, bleibt hingegen unklar. IVW-Nachweis ist ein Fremdwort. Redaktionelle Linie sowieso.
Erste Rückfragen an die Redaktion nach benötigten Materialien für die Recherche werden auf eine gemeinsame Telefonkonferenz verlegt. Diese beginnt mit einem halbstündigen Monolog zu Aktionen, Partnern und Erfolgen und geht dann über in die offene Diskussion, wie man denn „am besten voneinander profitieren könne“. Die Frage nach Preisen und Inhalten einer Kooperation bleibt erst einmal unbeantwortet – als ungefähre Hausnummer nuscheln nach mehrfacher Nachfrage „so ab 10.000 Euro fürs Basispaket“ aus dem Hörer.

Das Modell scheint aufzugehen. Betrachtet man die entsprechenden Webauftritte und Facebook-Seiten findet man lobhudelnde Artikel über Marken und Unternehmen, die man selbst nie mit dem Thema „Grün“ in Verbindung gebracht hätte. Summiert man die Berichterstattung auf und multipliziert sie mit der ungefähren Hausnummer, die wir im Call aus der Nase gezogen hatten, kommt ein hübsches Sümmchen zusammen. Schlechte Nachrichten kriegt man scheinbar umsonst, gute kosten.

Es ist am Ende gar nichts gegen das Modell „eine Hand greenwasht die andere“ zu sagen. Wer möchte, soll zahlen. Der mittlerweile sehr aufmerksame und kritische Internetleser wird Medium und Berichterstattung aber schnell einordnen und beurteilen können. Auf der anderen Seite gibt es nämlich eine Menge an ambitionierten und seriösen Medien und Initiativen, die sich mit Herz und Verstand dem Thema Nachhaltigkeit widmen. Faszinierend ist lediglich, dass sich hier im Fahrwasser der umfangreichen Berichterstattung zu Nachhaltigkeit ein komplett neues Geschäftsmodell zu entwickeln scheint.

Gerade Start-ups, die durch eine starke Idee und eine wirklich nachhaltige Geschäftsphilosophie gewappnet derartige Schützenhilfe nicht nötig hätten, freuen sich über scheinbar gleichgesinnte Medien, die ihr Engagement zu schätzen und zu würdigen wissen. Und geben Geld an falscher Stelle aus. „Passt doch so gut zu uns“, ist die nachvollziehbare erste Reaktion. Doch die aufgerufenen Preise sind absurd. Eine gute Geschichte, klare Positionierung und handfeste PR-Arbeit reichen. Bleiben wir also bitte bei „Tue Gutes und sprich‘ darüber“, bevor wir zu „Tue und sprich darüber einfach gut“ übergehen. Das reicht. Denn wer nichts Gutes tut, bekommt seine Sünden dieser Art auch nicht erlassen – zumindest nicht nachhaltig.

Anna Gauto, Redakteurin beim Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften, sprach mit Pavan Sukhdev und Florian Haller über Werbung und Nachhaltigkeit. Pavan Sukhdev ist ehemaliger Deutsche Bank-Manager und Gründer der Nachhaltigkeitskampagne Corporation 2020. Er möchte Werbung am liebsten regulieren. Florian Haller ist CEO der größten Werbeagentur Europas, der Serviceplan Gruppe. Für ihn ist Werbung weder moralisch noch unmoralisch. Beide werden auch auf der SusCon 2012 in Bonn sprechen.

 

Anna Gauto:Werbung tut, was man ihr aufträgt. Ist Werbung unschuldig?
Florian Haller: Werbung ist nicht unschuldig. Sie verantwortet die Wahrnehmung einer Marke. Unsere Aufgabe ist es, sie in dieser Hinsicht zu beraten und zu führen. Deshalb kann Werbung nicht unschuldig sein.
Pavan Sukhdev: Werbung ist definitiv nicht unschuldig. Werber stellen sich gern als Fachleute dar, die nur die Wünsche ihrer Kunden erfüllen. Um aber das System rücksichtslosen Konsums zu durchbrechen, müssen sich sowohl Werbeagenturen als auch die Unternehmen, die sie beauftragen, über die Botschaften Gedanken machen, die sie kommunizieren.

 

Unternehmen setzen Nachhaltigkeit heute effektiv für Werbezwecke ein. Wie wurde Nachhaltigkeit zum Prestigethema?
Haller: Der Trend zu einer nachhaltigeren Lebensweise geht von den Menschen aus, nicht von den Unternehmen. Weil die Menschen diese Sehnsucht haben, nutzen gut geführte Marken diesen Megatrend als Geschäftschance.
Sukhdev: Wir müssen vielen hart arbeitenden Schriftstellern, Wissenschaftlern, Unternehmern und Bürgern danken, dass Umweltbelange relevant geworden sind. Weshalb aber das Wort Nachhaltigkeit so populär ist, ist mir ein Rätsel. Nur selten wird es korrekt verwendet. Eigentlich beschreibt es Aktivitäten, die über Jahrhunderte Wirkung entfalten. Unternehmen sollten Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie für sich beanspruchen, nachhaltig zu sein. Deshalb ist eine Standardisierung und Regulierung von Ratings, Rankings und Gütesiegeln nötig.

 

Zigarettenwerbung zeigt: Gut verkaufen heißt nicht automatische Gutes zu verkaufen. Braucht Werbung ein Gewissen?
Haller: Werbung per se ist ein Instrument, das man so oder so nutzen kann. Deshalb ist Werbung als solche auch weder moralisch noch unmoralisch. Aber Werbung ist ein starkes Instrument, um ein moralisches Anliegen in eine Geschäftschance zu verwandeln.
Sukhdev: Werbung braucht ein Gewissen, aber wir dürfen es nicht der Industrie überlassen, dieses Gewissen allein zu entwickeln. Wir müssen uns genauer fragen, welche Werbetechniken maßlos in die Irre führen und welche Arten von Angaben auf Produktverpackungen stehen sollten.

 

Immer mehr Menschen wollen ökologische Produkte. Was hat das Verhalten der Verbraucher verändert, Reklame – oder hat Werbung umgekehrt die Verbraucher beeinflusst?
Haller: Ich glaube, dass wir den Einfluss der Werbung nicht überschätzen dürfen. Das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit haben Berichte über Klimawandel und Artenschutz sowie viele Lebensmittelskandale geprägt. Seit zwei Jahren untersuchen wir mit dem Sustainability Image Score, welche Unternehmen in Deutschland als nachhaltig wahrgenommen werden. Wir können damit den Einfluss der öffentlichen Wahrnehmung von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens auf den Markenmehrwert und somit auf den unternehmerischen Erfolg darstellen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Unternehmen heute die Chance nutzen sollten, Nachhaltigkeit nicht nur zu praktizieren, sondern intensiv und professionell darüber zu reden, um damit auch bei den Verbrauchern zu punkten. Lasst daher Taten Worte folgen.
Sukhdev:
Im Hinblick auf die zunehmende Diskussion über Nachhaltigkeit haben die Konsumenten viel mehr Einfluss auf Werbung, als umgekehrt. Beide sollten sich gegenseitig bestärken. Weiterlesen

Gestern für Ökos, heute für alle:  Wir sehen seit Jahren, dass immer mehr Menschen wissen wollen, woher die Lebensmittel, die sie konsumieren kommen, unter welchen Umständen ihre Sportschuhe gefertigt werden und von wem sich Werder Bremen finanzieren lässt. Im Gegensatz zu früher ist Nachhaltigkeit keine politische Botschaft für Randgruppen, sondern der Lifestyle von mittlerweile  geschätzt 26 Millionen Menschen in Deutschland. Menschen mit einem überdurchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen (Index 125 vs. Gesamt), guter Schulbildung (Index 130 vs. Gesamt) und einer hohen Aufgeschlossenheit für Werbung (Index 127 vs. Gesamt).
Früher Nische, heute Erfolgsfaktor: In der Konsequenz ist Nachhaltigkeit zu einer Geschäftschance im positivsten Sinne geworden. Werber müssen jetzt nicht plötzlich zu Politikern oder Ökos mutieren – können aber diese einmalige Gelegenheit nutzen und ihren Beitrag dazu leisten, um auf amüsante, innovative und kreative Art Konsumenten das Thema Nachhaltigkeit näher zu bringen. Denn es gibt kaum noch einen Markt, der von ihr unberührt ist: Der Energiemarkt steht nicht erst seit der Energiewende Kopf, der LEH verändert sich durch Bio auf breiter Front, die Automobilindustrie mit dem Thema alternativer Antriebe und CO2 Emissionen, aber auch Babynahrung, Tiefkühlprodukte, Drogeriemärkte, Kosmetik und OTC werden grundlegend gewandelt. Wer das Thema „Nachhaltigkeit“ aus den Augen verliert, riskiert die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens.
Es geht also nicht um Gutmenschentum, sondern um Marktchancen. Genauer: Es geht um gut gemachte Markenprofilierung. Und die fängt damit an, Nachhaltigkeit authentisch zu leben. Denn alles andere ist in Zeiten von Shitstorms unverantwortlich.  Bio ist bei Hipp kein Slogan, sondern gelebte Überzeugung. Und bei dm keine Werbekampagne, sondern Unternehmensphilosophie. Und im zweiten Schritt geht es darum, diese emotional zu kommunizieren. BMW hat eben unter „efficient dynamics“ seine Produkte nicht zu rollenden Verzichtserklärungen gemacht, sondern den Markenkern „Fahrfreude“ mit weniger Verbrauch emotional kommuniziert. Und ist damit 2011 zur weltweit stärksten deutschen Unternehmensmarke avanciert.
Deshalb gilt: Lasst Taten Worte folgen und nicht umgekehrt!

(Erschienen als Editorial in der September-Ausgabe von „Die Zeitungen“)