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Unsere Welt wird gefühlt jeden Tag ein Stück komplexer. Wir müssen immer schneller agieren, um Anschluss zu halten und unsere Marktposition zu sichern. Wie geht ein öffentlich-rechtliches Medienhaus mit den veränderten Rahmenbedingungen um? Und wie wird hier Speed zum Erfolgsfaktor? Darüber sprach Barbara Evans mit ZDF-Programmplanungschef Dr. Florian Kumb.

BARBARA EVANS: Herr Dr. Kumb, mögen Sie Geschwindigkeit?

FLORIAN KUMB: Absolut! Wenn unter hohem zeitlichem Druck etwas gelingt, ist der Motivationsschub noch größer. Geschwindigkeit ist zwar kein Selbstzweck, aber unerlässlich für den Erfolg in der dynamischen Medienwelt. Beim Einsatz neuer Technologien zum Beispiel und bei den Entwicklungszeiten von Programminnovationen ist Geschwindigkeit zu einem zentralen Erfolgsfaktor geworden. Ein gutes Beispiel dafür ist die fiktionale Serie „Himmel und Erde“, die in fünf Geschichten den Krieg in der Ukraine thematisiert und damit die politische Lage der vergangenen Monate aufgegriffen hat. 

In welchen Bereichen können Sie umgekehrt Geschwindigkeit am wenigsten gebrauchen?

FK: An vielen Stellen müssen Geschwindigkeit und Sorgfalt zusammenkommen, gerade im journalistischen Bereich. Ändern wir unser Programm aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage, müssen wir über gesicherte Informationen verfügen. Hintergründe und Einordnung liefern zu können, ist in einer unübersichtlichen Lage eine große Herausforderung. Und im Investigativbereich geht Gründlichkeit definitiv vor Schnelligkeit. Abseits des Programms gilt das an Stellen, wo Präzision im Vordergrund steht, etwa bei Compliance-Themen oder bei der Budgetsteuerung.

Ist die Speed-Thematik für Sie eher ein kurzfristiges Phänomen oder ein langfristiges?

FK: Wir sehen uns einer sich wandelnden Erwartungshaltung der Nutzerinnen und Nutzer gegenüber, die sich schneller ändert als in früheren Zeiten. Und auf die wir schneller mit Programmangeboten reagieren müssen. Die stetige Veränderung ist das neue Normal. Die Vorstellung, dass sich alles wieder in überschaubare und stabile Zeiten zurückentwickelt, ist für mich abwegig. 

In welchen Bereichen spüren Sie beim ZDF den größten „Need for Speed“?

FK: Im aktuellen journalistischen Bereich war der „Need for Speed“ schon immer sehr groß, das sind wir gewohnt, und die Kolleginnen und Kollegen agieren sehr professionell in Breaking-News-Situationen. Aber auch in anderen Programmgenres steigt der Druck auf Entwicklungszeiten. Die Welt verändert sich so schnell, dass Ideen in kürzerer Zeit umgesetzt werden müssen. Besonders stark hat die Notwendigkeit für Geschwindigkeit aber bei der strategischen Arbeit und im Bereich der nonlinearen Distribution zugenommen. Um unser Ziel „Ein ZDF für alle“ zu erreichen, müssen wir hier besonders anpassungsfähig sein, hochdynamisch agieren und reagieren.

Was genau tut das ZDF, um sich in dieser Hinsicht für die Zukunft zu rüsten?

FK: Es klingt merkwürdig, aber zunächst müssen wir die Komplexität erhöhen. Denn auf komplexe Herausforderungen gibt es keine einfachen Antworten. Ein Beispiel: Wir haben die Bereiche Kommunikation, Digitale Medien und Programmplanung enger zusammengebracht, die in der Logik der Hierarchie in verschiedenen Direktionen verortet sind. Wir haben gemeinsame Prozesse und Aufgabenfelder definiert, wie 360-Grad-Planung, Marke/Design oder KI in der Distribution, die wir nun gemeinsam verantworten. Das erhöht den Abstimmungsbedarf, legt Rollen- und Ressourcenkonflikte offen. Aber wir teilen die Erkenntnis, dass kein Bereich allein die Probleme für sich lösen kann – für mich die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Zukunft.  

Wird sich auch etwas bei der internen Datenzusammenarbeit ändern? 

FK: Ich plädiere für eine vollständige Demokratisierung von Daten und gleichzeitig einen klaren Rahmen, der in diesem Datendschungel Orientierung bietet. Wir sind dabei, sämtliche Daten intern für alle verfügbar zu machen. Denn auch von Untersuchungen zu Formaten, die Kollegen und Kolleginnen nicht selbst verantworten, kann gelernt werden. Das ist ein echter Mind Change. Seit Kurzem gibt es zudem den ZDF KOMPASS – ein ganzheitliches Steuerungstool für alle relevanten Performance-Indikatoren zu Nutzung, Qualität, Wirkung und Akzeptanz unseres öffentlich-rechtlichen Angebots. Der KOMPASS legt Prioritäten fest und hilft, in der unübersichtlicheren Medienwelt den Überblick zu behalten.

Wie sieht es mit dem Einsatz von KI aus? Und wie lässt sich dieser mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag Ihres Hauses vereinbaren?

FK: KI hat für uns eine zentrale Bedeutung, beispielsweise in der Planungsarbeit. Wir nutzen KI sowohl für das Empfehlungssystem der ZDFmediathek als auch für die lineare Planung, beispielsweise für ZDFinfo. Hier macht die Maschine die Vorschläge, was Nutzer und Nutzerinnen als nächstes schauen könnten oder welche Programme hintereinander programmiert werden sollten. Wichtig ist, dass der dahinterliegende Algorithmus einen öffentlich-rechtlichen Charakter aufweist. Uns geht es nicht darum, Menschen mit den immer gleichen Inhalten an uns zu binden und deren Nutzung zu kommerzialisieren –, wir haben andere Ziele, beispielsweise Menschen mit Neuem oder Unerwartetem zu konfrontieren. Die Daten helfen uns herauszufinden, wie das gelingen kann.

Gibt es schon erste Erfahrungen?

FK: Die ersten Erfahrungen sind sehr gut. Die Vielfalt der Empfehlungen in der ZDFmediathek hat deutlich zugenommen – es werden heute mehr unterschiedliche Programme empfohlen als bei händischer Kuratierung. Das ist auch naheliegend, denn kein Planer kann alle Titel gleichermaßen im Blick haben. Im Linearen sind die Erfolge so augenscheinlich, dass wir gerade an der Ausweitung auf andere Sender und Sendestrecken arbeiten. ZDFinfo ist auch dank KI-Unterstützung zum erfolgreichsten linearen Informationssender geworden – mit Abstand, auch bei jüngeren Zielgruppen.

Welche Auswirkungen ergeben sich auf die Programmgestaltung und die Markenkommunikation des Senders?

FK: Die strategische Arbeit in Bezug auf das inhaltliche Profil, die Markenkommunikation und die Entwicklungspotenziale der Ausspielwege ändert sich nicht. Das ist und bleibt menschliche journalistische Arbeit und Kreativleistung. Die KI stellt sicher, dass die Kolleginnen und Kollegen dafür genug Zeit haben, denn bei der operativen Planungsarbeit und in der Distribution werden sie deutlich entlastet.

Ergeben sich für das ZDF als öffentlich-rechtlichem Sender hier besondere Chancen oder Herausforderungen?

FK: An vielen Stellen müssen wir im Digitalen neue öffentlich-rechtliche Wege finden. Denken Sie an die Erwartungen an das Nutzungserlebnis. Dafür müssen wir die Bedürfnisse der Menschen genau kennen. Dies stellt uns aber vor Herausforderungen, wenn wir gleichzeitig die höchsten Datenschutzstandards erfüllen wollen. Unser größtes Privileg ist es jedoch, Ideen und Projekte abseits kurzfristiger wirtschaftlicher Rentabilität umsetzen zu können. Gleichzeitig ist aktuell der wirtschaftliche Druck besonders hoch: Bei gleichbleibenden Erträgen und den derzeitigen Kostensteigerungen sind Investitionsentscheidungen besonders schwierig. Vor allem, wenn sie sich erst langfristig auszahlen.

Wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln: Schauen Sie sich in erster Linie innerhalb des deutschsprachigen Raumes um oder lassen Sie sich von Konzepten und Ideen aus anderen Ländern inspirieren?

FK: Sowohl als auch, wobei ich den in der Branche weit verbreiteten Fokus auf die USA nicht nachvollziehen kann. Kleinere Märkte sind viel dynamischer, vor allem wenn sie ein progressives Verständnis von Technologie verinnerlicht haben. Vor diesem Hintergrund sind die skandinavischen Märkte, die Schweiz oder Israel für mich sehr interessant – wir arbeiten beispielsweise gerade mit einem dänischen Start-up zusammen, das auf gutem Weg ist, eines unserer Datenprobleme in Bezug auf Diversität lösen zu können.

Glauben Sie, dass wir hier im deutschsprachigen Raum schon auf einem guten Weg sind, um immer schneller zu werden im Entscheiden und Handeln?

FK: Den Deutschen sagt man gerne nach, leidenschaftliche Bedenkenträger zu sein. Gleichzeitig ist für uns das Idealbild des Tüftlers, der viel probiert und dann zu überzeugenden Lösungen kommt, positiv besetzt. Ich glaube, der Generationenwechsel in den Unternehmen ist eine große Chance, schneller zu werden. Die ältere Generation muss die klassischen „Ingenieurstugenden“ an die Jüngeren weitergeben, ihnen aber erlauben, das Tempo vorzugeben. „Fail fast“ ist keine neue Strategie, das gab es schon zu Gründerzeiten. Wir müssen sie wieder mehr zulassen.

Dank der GfK ist bekannt, dass Unternehmen, die schneller handeln, erfolgreicher sind. Aus einem hauseigenen Forschungsprojekt wissen wir, dass in rund zwei Dritteln der Unternehmen in Sachen Nutzung von Realtime-Daten, Vernetzung zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen, Individualisierung von Kommunikation oder Angeboten etc. längst noch nicht so viel passiert, wie eigentlich nötig wäre. Welchen Rat würden Sie einem Entscheider bzw. einer Entscheiderin zum Thema „an Speed zulegen“ mit auf den Weg geben?

FK: Es ist notwendig und es ist mühsam, gerade zu Beginn. Dabei geht es weniger um radikale Grundsatzentscheidungen als um eine klare Vision und viele kleinteilige, langwierige Prozessanpassungen. Daran kommt man nicht vorbei. Aber wenn das Management erst einmal eine Grunddynamik entfacht hat, Mitarbeitende und Führungskräfte merken, dass kein Weg daran vorbeiführt, erhöht sich die Geschwindigkeit. Ich empfehle, zunächst auf wenige zentrale Kern- und Unterstützungsprozesse des Unternehmens zu blicken und sie einer End-to-End-Betrachtung zu unterziehen – auch wenn das komplex ist. Dafür muss ein kleines internes Projektteam aus guten Mitarbeitenden aufgestellt und autorisiert werden. Externe Berater und Beraterinnen sollten möglichst vermieden werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview erschien zuerst im TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der neunten Ausgabe unter dem Leitthema „Speed! The Winning Factor in the Digital Age“: https://sp-url.com/twelve23-lp

„Insbesondere für junge Generationen gilt: Vorn ist das neue Oben“, sagt Dr. Jens Thiemer, Senior Vice President Kunde und Marke BMW bei der BMW Group. Doch wie schnell müssen Marken heute tatsächlich sein, um zu den Besten zu gehören – und wann sollte man den Fuß auch mal vom Gas nehmen? Wolf Ingomar Faecks, Managing Partner der Serviceplan Group, hat nachgefragt.

WOLF INGOMAR FAECKS: Ist das Prinzip „Höher, schneller, weiter“ noch zeitgemäß?

JENS THIEMER: Wir beobachten verstärkt, dass sich das Statusdenken in der Gesellschaft verändert. Insbesondere für junge Generationen gilt: Vorne ist das neue Oben. Das heißt, dass wir einen Trend von den Social Climbern hin zu den Social Drivern erleben, die der Welt etwas zurückgeben möchten und sich als Teil einer Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Sinn betrachten. Für BMW geht es daher nicht mehr nur noch darum, der Beste in der Welt zu sein, sondern eben auch der Beste für die Welt. Wir bewegen Menschen, berühren Herzen und beflügeln den Verstand. Das ist unser Führungsanspruch.

Darf mich die „Fear of missing out“, kurz FOMO, im Digitalisierungskontext unvorsichtig machen? 

JT: Grundsätzlich sollte man beim Thema Digitalisierung neugierig und aufmerksam, aber nicht unbedingt vorsichtig oder zurückhaltend sein. So sehr uns die Digitalisierung auch anspornt, so viele neue chancenreiche Aufgaben und eben teilweise Risiken ergeben sich daraus. Gerade während Corona haben Hackerangriffe, Datendiebstahl und Datenmissbrauch einen neuen Höchststand erreicht. Für uns bei BMW gilt ein Höchstmaß an Achtsamkeit und Vertraulichkeit mit allen Daten. Und was FOMO angeht: Im Digitalisierungskontext erleben wir beinahe jeden Tag neue Hypes und Trends. Man sollte sich immer fragen, warum man vermeintlich unter FOMO leidet. Was genau ist es, das man verpassen könnte? Hat man es bereits vollständig verstanden? Welche Rolle spielt es für andere Entscheidungen? Und dann genau abwägen, ob man hier mitgehen sollte. 

Wie entscheiden Sie, ob etwas ein Hype oder ein ernst zu nehmender Trend ist, dem man folgen muss?

JT: Zunächst einmal analysieren wir sehr gründlich, woher eine Bewegung branchenübergreifend kommt, in welchem Umfeld sie entsteht und wer zuerst darauf aufspringt. Viele sogenannte Hypes scheiden danach bereits aus, weil sie nicht zur Unternehmensausrichtung und -strategie passen. Wenn ein Hype Potenziale für eine Marke bietet, sollte man schauen, wie schnell er sich in Richtung eines stabileren Trends entwickelt und wie schnell andere Player darauf aufspringen. Man sollte auch keine Angst haben, dass der Trend bricht oder floppt. Das kann passieren. Clubhouse war in Deutschland vor zwei Jahren ein Beispiel, wo wir relativ früh aktiv waren, weil die Plattform großes Potenzial hatte, zu einem Trend zu werden. Viele namhafte Persönlichkeiten waren dort früh vertreten. Wie wir heute sehen, hielt der Trend nicht so lange an wie erwartet oder braucht einfach noch Zeit. Da muss man dann reagieren, um nicht unnötig Ressourcen einzusetzen.

Geschwindigkeit ist heute ein entscheidender Erfolgsfaktor. Hat Speed auch Relevanz für das Vertriebsmodell, Innovationen und Customer Centricity?

JT: Geschwindigkeit hat für jeden unserer Prozesse Relevanz, denn sie zwingt uns dazu, unsere Prozesse auf das Wesentliche zu reduzieren und unnötige Redundanzen zu vermeiden. Ansonsten ist man einfach nicht schnell genug. Man könnte vielleicht die Bedeutung von Geschwindigkeit in diesen Prozessen gewichten. Bei Innovationen ist Geschwindigkeit grundsätzlich der entscheidende Faktor, um vorne zu bleiben. Wer hier schnell ist, gibt die Pace einer ganzen Industrie vor. Beim Vertriebsmodell wird Geschwindigkeit aus Kundensicht auch immer wichtiger: Transaktionen sind überall gefordert und sollten simpel, kurz und reibungsfrei erfolgen können. Customer Centricity dagegen ist zunächst einmal eine Haltung, die substanziell gelebt und mit Daten unterfüttert werden muss, um Prozesse optimal auf sie auszulegen. Das hat mit Schnelligkeit nur indirekt etwas zu tun. Allerdings sollte man den notwendigen Mindset Shift in einem Unternehmen hin zu echter Kundenorientierung nicht unterschätzen. Das dauert und muss dauerhaft und vorbildhaft gelebt werden.

Welche Gefahren und Vorteile hat Speed im Unternehmen – und auf der Straße?

JT: Mit unseren Fahrzeugen genießt man ab und zu ja auch höhere Geschwindigkeiten auf der Straße. Natürlich situationsangepasst und unterstützt durch alle vorstellbaren und technisch möglichen Fahrerassistenzsysteme. Aber der Fahrspaß eines BMW hängt nicht an der gefahrenen Geschwindigkeit. Freude am Fahren erleben alle Passagiere auch bei gemäßigter Fahrt. Im Unternehmen bietet Geschwindigkeit den Vorteil, Wettbewerbsvorteile schneller als andere zu erreichen, birgt aber auch das Risiko, ungenau zu werden und Fehler zu machen. Davor darf man dann keine Angst haben.

Ist Speed für BMW ein Unternehmensziel?

JT: Geschwindigkeit ist kein Selbstzweck. Sie schwingt natürlich bei allem mit, was wir tun. Wir beschleunigen unsere Prozesse, vermeiden Redundanzen und setzen klare Prioritäten. Das betrifft insbesondere unseren Entwicklungsprozess, unsere Innovationsgeschwindigkeit im gesamten Unternehmen und interne Entscheidungsprozesse. Somit zahlen unsere Ziele indirekt auf jeden Fall auf Geschwindigkeit ein.

Steht Speed im Zielkonflikt mit anderen Unternehmenszielen?

JT: Die Dinge gehen Hand in Hand. Manche Dinge müssen sehr schnell erledigt werden, anderes braucht auch Zeit, um zu wachsen. Das steht nicht im Konflikt, sondern wird je nach Ziel unterschiedlich bewertet.

Was sind für Sie die drei größten Speed-Killer?

JT: Lange Diskussions- und Entscheidungswege. Grundsätzliche Risikoaversion. Fehlender mutiger und reflektierter Blick über den eigenen Tellerrand.

Wie kann BMW die Geschwindigkeit gegenüber automobilen Disrupteuren, wie beispielsweise Tesla und Nio, die ein D2C-Vertriebsmodell anbieten, erhöhen?

JT: In der Automobilindustrie gibt es inzwischen viele junge, schnelle und risikobereite Unternehmen mit kaum gewachsenen Strukturen. Das ermöglicht Flexibilität und Freiraum zum Experimentieren und zum grundsätzlichen Einschlagen gänzlich neuer Wege. BMW ist ein Konzern, der über mehr als 100 Jahre Erfahrung hat. Bei uns brauchen Entscheidungen manchmal länger, aber wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass das oft die richtigen Entscheidungen waren, und wir konsequent unseren Weg weitergehen, langfristig orientiert, kundenorientiert und technologisch fokussiert – tech magic und human centric. Der Wettbewerb regt uns aber immer dazu an, schneller zu werden, konsequenter und noch mehr Wirkung zu erzielen.

Ist D2C der einzige Weg vorwärts? 

JT: Direct Sales hat für uns neben einer nochmaligen Verbesserung des Kundenerlebnisses natürlich noch viele weitere Vorteile, insbesondere den direkten Kundenzugang und die Möglichkeit, an jedem Touch Point im Vertrieb digital wie physisch Transaktionen zu ermöglichen, Omnichannel genannt. Hinzu kommt ein nicht verhandelbarer fairer Festpreis für die Produkte, damit die Kunden nicht mehr nach Rabatten und Angeboten suchen müssen; das ist heute für ein Premiumprodukt einfach nicht mehr zeitgemäß. Damit erreichen wir auch unser ambitioniertes Ziel 2025 einen 25-prozentigen Online-Sales-Anteil zu haben. Wir machen das Hand in Hand mit unserem starken Händlernetzwerk, das von Beginn an in den Prozess eingebunden wird. Daher ist das unser Weg vorwärts. Aber auch ein klassisches Wholesale-Modell kann natürlich digital optimiert werden. Wichtig sind immer bessere Prozesse und bessere Ergebnisse.

BMW setzt mit „Wir machen nicht Nachhaltigkeit bei BMW, sondern wir machen BMW nachhaltig“ ein starkes Leitmotiv zum Thema Sustainability. Benötigt es für diesen Ansatz noch mehr Speed als bisher?

JT: In erster Linie braucht dieser Ansatz Transparenz und Vertrauen. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das viel Substanz benötigt und noch mehr Konsequenz. Zudem braucht es viel Kommunikation und Erklärung nach innen und außen. Oberflächlichkeit muss unbedingt vermieden werden, um nicht unglaubwürdig zu werden. Oft liegt Unglaubwürdigkeit daran, dass Unternehmen zu schnell zu viel kommunizieren und dann nicht liefern. Daher geht es viel mehr um Ehrlichkeit als um Schnelligkeit. Wo steht ein Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit? Was können wir bereits leisten und was eben auch nicht? Das zu jeder Zeit technologisch Machbare in der Serie ist hier das jeweilige Optimum. Und ab und an einen Nordstern in die Zukunft des Anzustrebenden aufzeigen. Unser BMW i Vision Circular zeigt hier, wie umfassend und konsequent wir nachhaltige und vor allem zirkulare Mobilität denken. Er steht für unseren Anspruch, Vorreiter bei der Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft zu sein. Wir haben bewusst gesagt: „Das ist unsere Vision für das Jahr 2040, und wir begeben uns auf eine aktive Reise dorthin.“ Dass man auf dem Weg natürlich trotzdem relativ schnell an nachhaltigen Lösungen arbeiten muss, liegt auf der Hand. Auch wenn die Schritte dahin noch zu klein scheinen. Einer muss hier in Führung gehen.

Helfen Speedboats als Pilotprojekte, bevor man den Regelprozess umstellt?

JT: Ein Speedboat eignet sich hervorragend, um Veränderungen erst mal im Kleinen zu erproben und die Auswirkungen abzuschätzen. Das spart Zeit und Nerven. Es ist viel leichter, einzelne Parameter sehr viel schneller anzupassen und die Schieberegler so einzustellen, dass es am Ende für den gesamten Prozess passend ist. Allerdings darf es nicht beim Piloten bleiben. Ich bin ein großer Unterstützer von Skalierung und schneller Überführung in das große Ganze.

Ist die Geschwindigkeit in unterschiedlichen Verticals überall gleich schnell? 

JT: Das ist nicht der Fall. Und ich finde es auch normal. Wer schneller ist, soll vorauslaufen. Eine gleichzeitige End-to-End-Verantwortung über alle vertikalen Streams ermöglicht dann nach und nach einen Gleichklang. Dadurch schaffen wir gemeinsame Haltepunkte und stellen sicher, dass jeder Stream zur richtigen Zeit das Richtige abliefert. Das ist die Grundlage jeder echten Kundenorientierung, jeder weiß ungefragt, was er zu welchem Zeitpunkt zu tun hat.

Welche Rolle spielt Geschwindigkeit beim neuen, für BMW maßgeschneiderten Performance-Marketing-Agenturmodell?

JT: Ein Hauptgrund für die Implementierung des neuen Performance-Marketing-Agenturmodells war es definitiv, die Geschwindigkeit zu erhöhen, mit der wir unsere Kundinnen und Kunden relevant ansprechen und ihnen Angebote unterbreiten. Indem wir die Anzahl an Agenturen deutlich reduziert haben und eine maßgeschneiderte Lösung für unsere Umfänge in ganz Europa geschaffen haben, bieten sich hier bessere Möglichkeiten. Das Konstrukt der Marcom Engine ist auf inhaltlich ganzheitliches Performance-Marketing ausgerichtet, das datenbasiert und kundenzentriert echten Business Impact generiert und das beste Kundenerlebnis in unserer Kategorie schafft. Die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse werden wesentlich zur Erhöhung der Geschwindigkeit beitragen. Natürlich ist die Umstellung mit sehr viel Aufwand verbunden und kostet zu Beginn eher Tempo, bis die Transition hin zum neuen Set-up geschafft ist. Auch der Transformationsprozess, sprich die veränderten Arbeitsprozesse erfordern anfangs mehr Managementkapazität und Zeit. Aber wir sehen hier heute schon enorme Synergieeffekte und Effizienzen und gleichzeitig einen hohen Innovationsgrad, der unsere Kundenansprache und unser Interaktionsverhalten einfach schneller und besser macht.

Welches Risikomanagement wird hier betrieben?

JT: Diese Umstellung erfordert Beidhändigkeit. Während wir an der Transformation arbeiten, fokussieren wir uns gleichzeitig auf unsere aktuellen Kernprozesse und stellen sicher, dass diese weiterhin weitgehend reibungslos funktionieren und wir auf dem gewohnten Qualitätsniveau liefern. Ein ordentlicher Planungsprozess und ein durchdachter Transitionsplan stellen sicher, dass die Umstellung vorwiegend reibungsfrei funktioniert und ein ordentliches Handover gewährleistet ist. Das ist gleichzeitig das beste Risikomanagement. 

Verlangsamen Transformationsprozesse den Vertriebsprozess?

JT: Es hilft sicherlich, Transformationsprozesse und organisatorische Anpassungen zeitgleich in Gang zu setzen. Oft passiert das in einem Großkonzern aber zeitlich versetzt. Auf allen verschiedenen Ebenen des Vertriebs müssen Menschen überzeugt, Prozesse verändert und die Aufbauorganisation optimiert werden. Der zeitliche Versatz sorgt manchmal für Störungen im System, sodass sich das neue Unbekannte erst einmal Platz verschaffen muss. Hier helfen Pilotprojekte oder die Unterstützung einzelner Märkte. Oftmals ist es der Impuls von außen über neuen Wettbewerb oder andere Branchen, der notwendig ist, um interne Veränderungsprozesse anzustoßen und uns hilft, uns weiterzuentwickeln und zu optimieren. Das muss man dann auch mal aushalten. Voraussetzung dafür ist natürlich eine gut koordinierte Transformation und die richtige Kommunikation im Unternehmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview erschien zuerst im TWELVE, dem Magazin der Serviceplan Group für Marken, Medien und Kommunikation. Weitere spannende Artikel, Essays und Interviews von und mit prominenten Gastautor:innen und renommierten Expert:innen lesen Sie in der neunten Ausgabe unter dem Leitthema „Speed! The Winning Factor in the Digital Age“: https://sp-url.com/twelve23-lp