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Tobias Grewe (39), seit dem 1. Juli 2014 Manager und Senior Partner bei Serviceplan Köln, hat neben seinem Beruf als Kommunikationsberater eine zweite Karriere eingeschlagen, die er nicht mehr missen möchte. Der Fotokünstler hat in den letzten Jahren in zahlreichen Galerien, Kunstvereinen und sogenannten „Off-Sites“ im In- und Ausland ausgestellt und knüpft mit seinen Bildern bewusst an die abstrakte Malerei an. Der Unterschied: Tobias Grewe „malt“ mit der Kamera, verzichtet dabei auf jegliche Formen der digitalen Bildbearbeitung und geht mittlerweile ungewöhnliche Wege, indem er die Begrenzung des Ausstellungsraums „sprengt“. Um zu erfahren wie er arbeitet und was ihn treibt, hat für uns der Kölner Kunstexperte Gérard Goodrow (49) unseren Kollegen mit Doppelleben zu einem Gespräch eingeladen. Goodrow, Kunsthistoriker, Autor und Förderer junger Künstler hat in seiner Laufbahn fünf Jahre die Art Cologne geleitet und sieben Jahre die Abteilung für zeitgenössische Kunst bei Christie’s in London aufgebaut. Sein nächstes Buch „Passages. Indian Art Today“ erschient Mitte August bei Daab Media, Köln.

Tobias, die Architektur spielt eine herausragende Rolle in deiner Kunst. Würdest du dich als Architekturfotograf bezeichnen?
Es geht in meiner Kunst nicht um die Abbildung von Architektur. Urbane Räume und architektonische Motive sind lediglich ein vielschichtiger Ausgangspunkt für meine fotografische Arbeit, der „Fundus“ sozusagen. Mein Bildinteresse orientiert sich zwar an Architektur, es geht aber dabei weniger um das Gebäude an sich, sondern vielmehr um das, was ich mit meinem Auge sehe bzw. „entdecke“. Oft bleibe ich wie angewurzelt stehen – dabei handelt es sich meist um Strukturen, komplexe Formen oder Farb-Momente, die ich z.B. in Fassaden, Dachkonstruktionen oder generell in konstruierten Objekten entdecke. Das kann eigentlich alles sein – von Abluftrohren einer Tiefgarage bis hin zu einer Achterbahn.

Was muss ein Gebäude oder sonstige urbane Strukturen haben, um für dich interessant zu sein? Muss es eine besondere Architektur sein? Orientierst du dich an Star-Architekten wie z.B. Frank Gehry oder Daniel Libeskind?
Nein, gar nicht! Interessanterweise sind es oft eben nicht die „Top-Models“ der großen Architekturbüros – sondern eher die unspektakuläreren, teilweise anonymen oder sogar als hässlich empfundenen Objekte, in denen ich etwas sehe. Dabei geht es sowieso nicht um das Gebäude als solches, sondern eher um kleine Details. Die bekannten Gebäude der Star-Architekten sind eh meist zu laut, haben zu viel Eigencharakter. Was soll man da rausholen?
Ein Beispiel: Der Fotograf Peter Gilbert hat mir mal Bilder von Santiago Calatravas futuristischen Kulturbauten in Valencia geschickt. Ich bin dem Tipp gefolgt und war letztendlich enttäuscht. Die Strukturen waren so spektakulär, so perfekt, dass sie alles von sich schon preisgaben. Es gab nichts, was man „entdecken“ konnte.

Man könnte also sagen, dass Du Dinge siehst, wo wir als normale Menschen vermutlich dran vorbeilaufen würden. Was geht in Deinem Kopf vor, wenn Du ein geeignetes Motiv gefunden hast?
Ich bin immer wieder fasziniert von architektonischen Details – d.h. formale Momente, wie komplexe Überlagerungen, Wiederholungen, Farbenspiele oder besondere Strukturen. Es geht immer um eine gewisse Energie, die in genau diesem Detail steckt. Vor meinem geistigen Auge sehe ich nur dieses Detail, ohne das „ganze Drumherum“, was sowieso nur ablenkt. Beim Fotografieren konzentriere ich mich dann auf genau das und nur das, d.h. ich lasse das weg, was ich mit meinem sehr subjektiven Blick auf das gesehene Detail als „zu viel“ empfinde und künstlerisch in der Komposition nicht verwerten kann.

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„Tubes I“, 2009

Es geht also um eine starke Reduktion, die beim Akt des Fotografierens stattfindet. Wie genau kann man sich das vorstellen? Wie machst Du das?
Beim Fotografieren löse ich über die Wahl des Ausschnitts, sowie durch besondere, teils extreme Perspektiven und unterschiedliche Belichtungen Farben, Formen, Strukturen und sonstige Elemente aus ihren eigentlichen Architektur-Kontexten heraus und überführe sie so in neue Wahrnehmungsmöglichkeiten. Dieser Prozess des fotografischen Weglassens, macht das visuell sichtbar, was ich vor meinem geistigen Auge gesehen und dabei gefühlt habe. Das Architektur-Detail wird dadurch „gegenstandslos“ gemacht und der Ausgangspunkt “Architektur“ verliert so vollends seine Bedeutung. Dabei bekommt z.B. ein Fassadendetail, so wie ich es fotografiere, einen eigenen neuen kompositorischen Sinn in dem Bildraum, den ich ihm intuitiv beim Fotografieren „zuweise“. Es geht also um das „Wesentliche“, das Herausarbeiten einer Essenz. Nicht umsonst hieß meine letzte große Einzelausstellung im Kunstverein Sundern-Sauerland „DESTILLAT“. Ich für mich bezeichne das, worum es mir in meiner Kunst geht, als „Abstraktion durch Reduktion“.

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„Spindle“, 2010

Deine Bilder sind nicht nur abstrakt, sondern wirken oft sehr malerisch – als ob sie tatsächlich gemalt würden…
Das empfinde ich genauso. Es war sehr interessant, als ich von einem Besucher einer meiner Ausstellungen gefragt wurde, wie ich das Bild gemalt hätte. Um zu beweisen, dass es kein Gemälde, sondern tatsachlich eine Fotografie war, musste ich ihm die Referenzen zur Realität in meinen Arbeiten zeigen – das können schon mal Spinnweben, Risse oder aber Spiegelungen sein, die das Foto als solches wieder erkennbar machen.

Die Verwechselung findest du aber gut, oder? Du „verblüffst“ gern mit dieser Illusion…
Ja, verblüffen, staunen. Mit meinen Fotoarbeiten versuche ich dem Betrachter eine neue Seh-Erfahrung zu ermöglichen, bei der über das Moment des Staunens ein Erkenntnisgewinn entsteht. Nicht zuletzt zeigen mir Sammler, Interessierte oder Freunde Motive auf ihren Smartphones, die sie so nie fotografiert hätten, wenn sie meine Bilder nicht gesehen hätten. Wenn Menschen durch meinen Augen sehen – dort stehen bleiben, wo sie normalerweise vorbeilaufen – dann habe ich schon viel erreicht.

Wir haben eben vom malerischen Moment in deinen Arbeiten gesprochen. Es gibt aber einen weiteren Bezug zur Malerei, denn wenn man deine Bilder anschaut, denkt man häufig an bestimmte Maler oder Kunstbewegungen, wie z.B. die Farbfeldmalerei oder die Op Art…
Das stimmt. In meiner Bildfindung entstehen im kompositorischen Prozess bewusste Konzeptionen von geometrischen Strukturen und farblichen Rhythmen, die dann optische Illusionsräume erzeugen, wenn nicht sogar optische Täuschungen wie in der Op Art.

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„Refractions III, Los Angeles“ (links), „Refractions IV, Beijing“

Einen direkten Bezug zur Farbfeldmalerei der 1950/60er Jahre stelle ich mit meiner „Colourfields“-Serie ganz bewusst her. Inspiriert hat mich dabei allen voran Barnett Newman, der sich in seiner Arbeit auf die Eigenwerte der Malerei besann, ohne etwas figürlich oder erzählerisch „darstellen“ zu wollen und darüber hinaus sogar in einem langwierigem Farbauftragsprozess jeglichen Pinselduktus als möglichen Ansatzpunkt für eine erzählerische Spur komplett killt. Ziel war die Konzentration auf das wesenseigene Moment der Farbe und deren Wahrnehmung und Wirkung. In meiner „Colourfields“-Serie ordne auch ich mit meiner fotografischen Abstraktion die Farbflächen kompositorisch an und verwische dabei ebenfalls alle erzählerischen Bezüge. Barnett Newmans Farbflächen wurden unterteilt bzw. gegliedert durch die sogenannten „Zips“ – bei mir müssen in dem Fall schon mal architektonische Elemente wie Straßenlaternen, Fensterholme oder von anlehnenden Fahrrädern zerkratzte Betonsäulen herhalten.

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„Colourfields #3 – Cologne“, „Colourfields #4 – New York“, „Colourfields #6 – Cologne“ (von links)

In der jüngsten Vergangenheit warst du aber eher damit beschäftigt, neue Wege zu ergründen – weg vom Einzelbild an der Wand. Du denkst Fotografie „Out of the Box“. Seit Neuestem sieht man z.B. immer mehr raumbezogene Arbeiten von Dir. Dabei sprengst Du die Begrenzungen des Bildes und dessen Vorgaben. Wie kamst Du dazu?
Bei verschiedenen Projekten war der Ausstellungsraum zum Teil wie eine „Barriere“ – eine „Begrenzung“ oder „Vorgabe“ wie du sagst. Dafür musste ich eine Lösung finden bzw. den Raum mit seinen Gegebenheiten überwinden. Der erste Anstoß kam über die Einladung, für den RAUM in Düsseldorf, der auf installative Arbeiten ausgerichtet ist, ein Ausstellungskonzept zu entwickeln. Es war klar, dass ich keine normale Bilderschau machen sollte. Aber was kann ein Fotograf sonst machen? Dieses Problem, diese Fragestellung, hat mich sehr beschäftigt – und gleichzeitig beflügelt. Ich hatte zu der Zeit gerade mit meiner „Colourfields“-Serie begonnen: Über extremen Ausschnitt und gesteuerte Überbelichtung habe ich die bunt bemalten Beton-Abluftrohre einer Kölner Tiefgarage mit einer davor stehenden Laterne zu zweidimensionalen Farbfeldkompositionen reduziert und abstrahiert. Dabei verschwammen alle Dimensionen: Hintergrund, Vordergrund, Flächigkeit, Dreidimensionalität.

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Ausgangsobjekt als Iphone Sketch, Fotoarbeit „Colourfields #1 – Cologne“, Fotografische Skulptur „Colourfields – Die Stille Post“ (von links)

Daraus ist mir dann die Idee für das Ausstellungskonzept gekommen, nämlich diese beiden abstrahierten Aufnahmen zurück in den dreidimensionalen Raum zu überführen. Dazu stand jedoch nicht mehr die ursprüngliche Realität des Objekts zur Verfügung, sondern nur noch, was aus der Reduktion aus Ausschnitt und Überbelichtung herauszuholen war. Dabei galt es, die Realität nicht zu rekonstruieren, sondern nur zu zitieren. Ein stiller Prozess, der in seiner Kette „Realität – Reduktion – Wiedergabe“ beliebig weitergetrieben werden könnte. Fast so wie beim Kinderspiel „Stille Post“, bei dem sich eine Geschichte durch das Weitererzählen von Mal zu Mal verändert und mit dem Ausgangspunkt immer weniger zu tun hat. So auch bei meiner Ausstellung im RAUM: Realität  als Ausgangspunkt der Geschichte, meine Weitererzählung in Form einer Abstraktion und schlussendlich das Hinzudichten von neuen Realitäten bei der Rückführung des Fotos in die Dreidimensionalität. Eine von mir erschaffene stille Post. So war auch der Ausstellungstitel geboren: „Colourfields – Die stille Post“.

Eine Foto-Skulptur sozusagen! So etwas habe ich sonst nie gesehen – eine echte künstlerische Innovation. Du gehst inzwischen auch gerne direkt auf den Ausstellungsraum ein, veränderst somit die räumliche Wahrnehmung des Betrachters. Wie bist du auf die Idee gekommen, mit deiner Fotokunst auch raumbezogen zu arbeiten?
Letztes Jahr hat mich der Künstler Christoph Bucher eingeladen, eine Ausstellung in seinem Projekt-Raum in Düsseldorf zu konzipieren. Ich habe sofort zugesagt – allerdings ist der Raum in seiner Beschaffenheit sehr schwierig. Hinzu kommt, dass dieser Raum in der Primärnutzung ein Showroom der Modedesignerin Tina Miyake ist. Nach meiner Erfahrung mit der „stillen Post“ bin ich an diese Ausstellung durch die schwierigen Raumgegebenheiten schon ganz anders herangegangen. Da der Raum sich in einer vielbefahrenen, sehr hektischen Straße befindet, war sofort vor meinem geistigen Auge, dass ich den Raum in eine Achterbahn verwandeln möchte. Und so habe ich auf die beiden im rechten Winkel zu einander stehenden Wände je ein riesiges Foto der Achterbahn gesetzt. Durch die unterschiedlichen Wandgrößen musste ich hier im Sinne des visuellen Ergebnisses einen Schienenstrang verbinden, damit aus beiden Wänden, sprich aus beiden Fotos ein zusammenhängendes Bild wurde. Die optische Illusion war perfekt, denn der Blick wurde auf die rote Achterbahnschiene gelenkt, die im Auge des Betrachters in einer flüssigen Kurve durch den rechten Winkel rauschte. Durch den knallweißen Hintergrund hat das Auge sozusagen den rechten Winkel einfach subtrahiert und der runden Bewegung der Schienenkurve visuell den „Vortritt“ gelassen. Der rechte Winkel war durch diese Illusion bezwungen.

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„Gute Fahrt, 2013“ (links) & Fotoinstallation / Tapetenarbeit „GUTE FAHRT“

In meiner letzten Ausstellung „DESTILLAT“ habe ich dann auf einer leicht nach innen gebogenen, elf Meter langen Wand die perspektivisch extrem aufgenommene Bullaugen-Fassade eines Hotels in Bangkok gedoppelt und horizontal gespiegelt aneinandergesetzt und ebenfalls als Tapetenarbeit vollflächig auf diese Wand gespielt. Das Motiv wirkte so nach außen gebogen – also konvex – optisch der konkav geformten Wand entgegen. Ein irrer optischer Effekt, der diese riesige Wand völlig im Griff hatte.

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Fotografische Installation, Tapenarbeit „DESTILLAT, Bangkok, 2013“

Sehr beeindruckend. Genauso beeindruckend ist die Tatsache, dass du zwei Berufe gleichzeitig ausführst. Das muss auch manchmal wie eine Achterbahnfahrt sein, oder? Gibt es gegenseitige Berührungspunkte zwischen den beiden Arbeitsfeldern?
Ich würde sagen ja. Bei Aufträgen, wo wir z.B. Fotografen für die Umsetzung einer Kampagne beauftragen, glaube ich, dass ich mit meinem Gefühl für „das Bild“ – zusammen mit meiner Art Direktorin und ihrem Know-how – im Gespräch oder Briefing mit dem Fotografen sehr schnell zum Punkt komme. Das ist natürlich ein schöner Nebeneffekt.
Darüber hinaus kommen Kunden auch zu meinen Ausstellungseröffnungen. Unsere Kunden waren alle schon da, sofern die Ausstellung jetzt nicht gerade im Ausland oder zu weit weg ist. Die Kunst ist dann wie ein geschützter Raum, in dem man mit Kunden auch einmal die Gelegenheit hat, über andere Dinge zu sprechen, zu inspirieren und sich anders auszutauschen.

Nach diesem inspirierenden Rückblick nun auch ein Vorausblick – gibt es etwas, was du gern noch machen würdest? Etwas was ansteht? Was bringt die Zukunft in der Arbeit von Tobias Grewe?
Ein Traum von mir wäre, irgendwo eine permanente Installation aufzubauen – etwas, das länger bleibt als die üblichen Ausstellungen, die in der Regel nur sechs Wochen dauern. Ich würde gerne z.B. die Lobby einer Firma bespielen dürfen – einen Ort, wo vielen Menschen jeden Tag rein und raus gehen; Menschen, die in ihrem Alltag wenig mit Kunst zu tun haben. Ich würde gerne sehen, wie meine Kunst ihre Sichtweisen über die Zeit nach und nach verändert.
Darüber hinaus gibt es ein anderes Medium, was mich natürlich noch reizt und bestimmt auch bald in meiner Arbeit eingesetzt wird, nämlich Video oder Film. Es bleibt also spannend…