Sie können es wahrscheinlich schon nicht mehr hören. Dieses „Buzz-Word“, das im selben Atemzug mit der digitalen Transformation genannt wird. Mal wird die Disruption als Drohszenario aufgebaut, mal als verheißungsvolles Eldorado der unbegrenzten Möglichkeiten ins Spiel gebracht – abhängig davon, wer das Thema aufgreift bzw. für wen die Botschaft gedacht ist. Damit einher geht fast immer auch der eindringliche Appell, dass wir mehr Gas geben müssen an der Front der digitalen Transformation. Der Grundtenor: Wir benötigen mehr disruptive Technologien. Wir benötigen mehr disruptive Geschäftsmodelle. Also, dalli, dalli! Macht mal schön, ihr Konzerne, Mittelständler und Startups!
Der fokussierte Blick auf disruptive Technologien kann schnell zum Tunnelblick werden
Dass disruptive Technologien und Geschäftsmodelle ein kraftvoller Wertschöpfungs-Turbo sein können, steht außer Frage. Was die aktuelle Diskussion jedoch außer Acht lässt, ist, dass es neben dem Phänomen der disruptiven Technologien, zwei weitere Ansatzpunkte für Disruption gibt, die ebenfalls ein hohes Wertschöpfungs-Potential in sich tragen – und die deutlich seltener im Rampenlicht stehen. Interessanterweise stehen diese drei Disruptionspotentiale in starker Wechselwirkung zueinander und daher taufe ich das Kind auf den Namen „Disruptions-Dreiklang“ – ein Dreiklang bestehend aus Technologie, Organisation und Mensch.
Es ist wichtig, die Mechanismen dieses Dreiklangs zu verstehen, um den Wertschöpfungsschatz, der in disruptiven Technologien steckt, vollumfänglich heben zu können. Denn am Ende des Tages entwickelt eine neue Technologie nur dann ihr volles Wertschöpfungspotential, wenn es Handelnde (der Mensch) und Handlungsräume (die Organisation) gibt, die dies ermöglichen. Wie sagt Tech-Advokat und Harvard-Professor Vivek Wadhwa so schön: „Technologien wie Blockchain, Artificial Intelligence und Peer-to-Peer sind nur Buzz-Words. Was wirklich zählt, ist das Entwickeln echter Lösungen“.
Und somit bedarf es Menschen, die in der Lage sind, Zukunft zu antizipieren und die gelernt haben, die Disruption des eigenen Denkens zu praktizieren – ohne in Schockstarre zu verfallen. Ganz im Sinne von Friedrich Hebbels These: „Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben.“
Damit diese Menschen in ihrer Rolle als Wertschöpfungskatalysatoren wirksam werden können, benötigen sie entsprechende Rahmenbedingungen. Und somit sind auch Organisationen aufgefordert, ihre Glaubensätze und Entscheidungsprämissen zu hinterfragen, die zu Silodenken, langen Entscheidungsprozessen und unproduktiver Geschäftigkeit geführt haben. Folglich ist auch die Disruption der klassischen Organisationsstruktur und Kultur ein ganz wichtiger Hebel auf dem Weg zur wertschöpfungssichernden digitalen Zukunft.
Glaubenssätze wirken sehr subtil
Soweit so gut. Vielleicht glauben Sie sich schon auf einem guten Weg, weil New Work bereits auf Ihrer Agenda steht. Bevor Sie sich nun gedanklich auf die Schulter klopfen, lassen Sie uns noch etwas tiefer in das Thema einsteigen. Denn Glaubenssätze von Individuen und Organisationen wirken sehr subtil – um diesen auf die Schliche zu kommen, bedarf es meist eines externen Beobachters.
Nehmen wir zum Beispiel die Fragestellung „Wie beurteilt eine Organisation gute Arbeit und macht diese Beurteilung sichtbar?“. In einem tayloristisch geprägten System bedient man sich u.a. der Hierarchie und einem Portfolio an Status-Symbolen (die Größe des Einzelbüros, das Dienstwagenmodell, wer bei welchen internen Events eingeladen ist u.v.m.). In einer agilen, selbstorganisierten Organisationseinheit findet man nichts davon – oftmals nicht einmal Titel.
Wenn eine Organisation nun beide Welten bedient – oftmals als Ambidextrie bezeichnet – ist es spannend zu sehen, wie die alten tayloristischen Glaubenssätze weiterwirken. Ein Mitarbeiter eines großen Traditionskonzerns formulierte seine Beobachtungen kürzlich wie folgt: „Die Realitäten rund um Selbstorganisation in großen Unternehmen sind zum Teil absurd, besonders dort, wo hierarchiefreie Strukturen auf Top-Management stoßen, findet ein wenig subtiles Abwertungsspiel statt. Es stellt sich die Frage, ob Mitarbeiter in agilen Modellen – neben weiblichen Führungskräften – eine neue Minderheit im Unternehmensalltag sind, deren Akzeptanz gering ist.“
An diesem einfachen Beispiel sieht man, wie machtvoll Glaubensätze sind. Und wie wichtig es ist, diese aufzuspüren und im Sinne eines Kulturwandels „umzuprogrammieren“. Selbst die beste disruptive Technologie nützt nichts, wenn sie auf kontraproduktive Haltungen und Sichtweisen stößt.
Doch ist dies nicht nur eine Aufgabe für den vielbeschworenen Kulturwandel in Organisationen. Auf der Ebene des Individuums sind wir alle ebenfalls gefordert uns mit dem eigenen Werte- und Koordinatensystem auseinander zu setzen und auch hier eingefahrene Meinungen und Sichtweisen (auf sich und andere) kritisch zu hinterfragen. Denn der kollektive Kulturwandel setzt sich aus einer Vielzahl individueller Beiträge zusammen.
Der Disruptions-Dreiklang auf eine einfache Formel heruntergebrochen
Wenn es nun darum geht, einen gemeinsamen Nenner für einen ganzheitlichen Disruptions-Ansatz zu finden, der den Innovations-Dreiklang von Technologie, Organisation & Mensch am besten beschreibt, so trifft dieses Sprichwort den Nagel auf den Kopf:
Wir säen einen Gedanken, und ernten eine Tat.
Wir säen eine Tat, und ernten eine Gewohnheit.
Wir säen eine Gewohnheit, und ernten einen Charakter.
Wir säen einen Charakter und ernten ein Schicksal.
Oder, um es noch knapper zu fassen: „Materie folgt dem Geist“ (Einstein).
Es sind also nicht vordergründig unsere Handlungen, sondern unsere Gedanken, Glaubenssätze und Haltungen, die die Zukunft gestalten. Einsteins Maxime gilt für Individuen, Organisationen, und Nationen gleichermaßen – und letztendlich für die ganze Menschheit. Somit ist unsere Zukunft kein Schicksal, sondern lässt sich durch disruptives Denken ganz bewusst gestalten.
Wertschöpfung ist das Fundament unseres Wohlstandes. Sie sichert die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft sowie das friedliche Miteinander der Menschheit. Mit dieser Ressource sollten wir nicht leichtfertig umgehen. Im eigenen Interesse. Lassen Sie uns daher gemeinsam die Disruption des Denkens kultivieren – in uns selbst und in unseren Unternehmen. Zum gemeinsamen Wohl!
P.S. Und wenn Sie die Wirkung von Gedanken und Worten noch hinterfragen sollten, empfehle ich den knapp drei minütigen Film „Words can be weapons“. Danach sind auch die letzten Zweifel ausgeräumt. Versprochen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei manager-magazin.de