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Der Spiegel machte diese Woche mit einem Aldi-Skandal auf. Wer den Artikel liest, entdeckt nur ein Skandälchen. Die Big News: Fililaleiter, die via Überwachungskamera Kundinnen ins Dekolleté äugen. Keine von oben gesteuerte Verschwörung, sondern lediglich dumme  Filialleiterstreiche. Der Rest des Artikels ist bereits seit Jahren bekannt: Aldi leidet unter Kontrollzwang und nimmt Mitarbeiter und Lieferanten ziemlich hart an die Kandare.  Man fragt sich also, wer hier ein Problem hat. Aldi, mit diesem Skandälchen oder der Spiegel, dem offenbar kein echter Scoop mehr gelingt.

Bei näherer Betrachtung bleibt das Problem bei Aldi. Denn auch wenn dem Spiegel die Fähigkeit zum die Republik erschütternden investigativen Journalismus abhanden gekommen ist: Wie man Auflage macht, das weiß Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin noch immer. Und dass Aldi-Bashing gut ankommt, davon zeugen andere Medien, die willig auf den Zug aufspringen. Warum ist das so? Offensichtlich ist Aldi für deutsche Medien das, was Erich von Strohheim im frühen amerikanischen Kino war: „The one you love to hate.“ Aber warum wird Aldi eigentlich nicht als Robin Hood dargestellt? Dank Aldi wissen Hartz IV-Empfänger, was Räucherlachs ist. Dank Aldi sind die Lebensmittelpreise in Deutschland so niedrig, wie in keinem anderen europäischen Land. Dank Aldi fühlt sich das zustehende Wohlstandsgefälle in Deutschland nicht so  schlimm an. Wenn jemand Grund hätte Aldi zu hassen, dann gemobbte Mitarbeiter und ausgepresste Lieferanten, aber nicht die Masse der Konsumenten, auf die ein Spiegel-Aufmacher letztlich zielt.

Warum stellt man dann Aldi an den Pranger? Der Grund liegt darin, dass ein Deal immer angreifbarer wird, der zum Geburtsmythos des Konzerns gehört. Der Deal lautet: „Du kannst bei uns so billig wie möglich einkaufen. Dafür behandeln wir dich auch so billig wie möglich.“ Aldi Kunden kennen das: Man wird nicht bedient, sondern abgefertigt. Die Läden haben durchweg den Charme eines Gefängniskiosks. Und wie’s den Mitarbeitern geht, möchte man lieber nicht wissen. Kunden haben das lange akzeptiert und Aldi konnte florieren. Für eine kurze Zeit – in der „Geiz ist Geil“-Epoche, hatte Aldi sogar Kult-Status. Damals sah man die Besserverdienenden bei Aldi auf der Suche nach Top-Oliven-Öl und Neun-Euro-Champagner. Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute ist die Gesellschaft dort angekommen, wo sie die Grünen immer haben wollten. Deren Themen, biologische Landwirtschaft, Energiewende und soziale Fairness sind heute Mainstream. Deswegen ist Bio in, Atomkraft out und klassisches patriarchales Verhalten sogar megaout.

Und Aldi? Aldi hat sich gefühlt seit seiner Gründung nicht verändert. Kommunikation? Vom Erfinder der Schweinebauchanzeige nichts Neues. Nachhaltigkeit? Problem der Lieferanten. Soziale Fairness? Geht euch nichts an. Für Aldi könnte diese Starrheit zu einem großen Problem werden. Nicht der Spiegel-Artikel selbst wird Aldi zu schaffen machen, sondern die wachsende Zahl der Menschen, die solche Artikel mit Schadenfreude lesen. Menschen, deren Loyalität zu dem Laden schwindet, bei dem sie seit Jahren einkaufen. Schlecker sollte ein warnendes Beispiel sein. Denn Schlecker warsozusagen Aldi radikal. Aber: Schlecker ist nicht deswegen insolvent, weil dort Mitarbeiter schikaniert wurden oder das Einkaufserlebnis noch klaustrophobischer war. Schlecker ist eingegangen, weil es eine Alternative gab: dm. Die ersteDrogeriemarkt-Kette, die kundenfreundliches, nachhaltiges und faires Verhalten tatsächlich und spürbar praktiziert. Gegen so einen Konkurrenten hatte Schlecker keine Chance. Für Aldi heißt das: Wenn im Discount ein Wettbewerber die Zeichen der Zeit erkennt und seine Geschäftspolitik entsprechend ausrichtet, dann werden die Zeiten für Aldi richtig hart.

Nun hat es den ersten erwischt: Schlecker. Billig um jeden Preis scheint keinen so großen Absatzmarkt mehr zu haben. Die Berichterstattung der Medien und die Reaktion der Wettbewerber zeigen, dass alle sehr wohl erkannt haben, dass Schlecker letztlich an seiner unterirdischen Reputation gescheitert ist. Dass Reputation von Unternehmen mehr und mehr in das Bewertungsraster von Kunden Einzug hält und die Kaufentscheidung beeinflusst ist hier der Beweis. Auch andere Discounter erfahren dies schmerzlich und drehen kräftig an der Image-Schraube.
Längst ist der mündige Verbraucher nicht mehr eine Erfindung hipper Werbestrategen, sondern Realität. Es besteht schon fast so etwas wie eine Lust, sich in Foren zu organisieren, NGOs zu informieren oder eigene Blogs zu initiieren. www.wir-sind-einzelfall.de ist ein prägnantes Beispiel. Ein Kunde des Mobilfunkanbieters O2 hatte sich bei der Firma über Empfangsprobleme beschwert. Er bekam bei einer Reihe von verschiedenen Kontakten immer dieselbe Antwort: Er wäre ein Einzelfall. Wütend darüber launchte er die Seite www.wir-sind-einzelfall.de. Und siehe da, es fanden sich bis heute 8.000 Leidensgenossen desselben Anbieters, aber auch Menschen, die dieselbe Erfahrung mit anderen Unternehmen hatten. Und wie ging es weiter? O2 lenkte ein und informiert seitdem ausführlich über den geplanten Netzausbau.
Es kommt letztendlich darauf an, wie man damit umgeht. Eine Studie der Serviceplan Gruppe zeigt, dass Unternehmen, die nachhaltig agieren, besonders das Vertrauen der Kunden genießen. Aber fast noch wichtiger ist transparente, authentische Kommunikation. Tue Gutes und rede darüber aber vertusche auch nicht was du nicht gut machst sondern gehe damit souverän um.
Und jetzt Schlecker. Dass die Drogeriekette mit Mitarbeitern nicht zimperlich umging, war schon lange bekannt. Möglichst viel an allen Stellen sparen um Kostenführerschaft zu erlangen und damit der Billigste zu sein. Auch beim Sortiment. Zuletzt waren Sortimentslücken keine Seltenheit. Billig wurde nicht nur proklamiert, sondern sogar im Laden erlebt und eher als schäbig empfunden. Der Kunde merkte aber schnell, dass nicht alles billiger war. Damit war das Alleinstellungsmerkmal entzaubert. Und dann der ignorante Umgang mit seiner Zielgruppe. „Bei unseren Kunden handelt es sich um eine wenig gebildete Zielgruppe“ hieß es sinngemäß in einer Erklärung zum letzten Claim „for You vor Ort“.
Aber was lehrt uns das? Der Kunde ist nach wie vor König. Und derjenige hat den Markt- und Wettbewerbsvorteil, der Kundenbedürfnisse kennt und erfüllt. Wer den Kunden nicht ernst nimmt und Bedürfnisse ignoriert, verliert. Und billig um jeden Preis ist nicht mehr en Vogue.
Nachhaltigkeitsaspekte gewinnen mehr und mehr an Bedeutung und müssen fester Bestandteil der Unternehmensstrategie sein. Das heißt nicht, dass jetzt jeder nur Bio anbieten muss, aber es müssen Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt und glaubwürdig vertreten werden. Und auch mit Missständen muss souverän und aufklärend umgegangen werden. Und Schlecker? Je nach Verlauf des Insolvenzverfahrens kann man nur auf eine Wende in der Unternehmenspolitik und -kommunikation hoffen. Die Chance besteht auf jeden Fall.