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Im Zuge des rasanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels auf der Welt nimmt auch der Individualismus allerorten zu – vor allem in den großen Wachstumsmärkten, wo bisher eine eher kollektivistische Mentalität vorherrschte. Treiber dieser Veränderung sind in weiten Teilen der Welt steigende Einkommen und eine expandierende Mittelschicht. Die Konsumenten genießen es, endlich mit Europa und Nordamerika gleichzuziehen. Sie wollen anregende und faszinierende Erfahrungen sammeln. Einstmals unerfüllbare Träume holen sie intensiv nach. Mit dem verfügbaren Einkommen wachsen die Ansprüche und das Streben nach Unabhängigkeit. Neben rein funktionalen Aspekten geben jetzt auch emotionale Faktoren immer stärker den Ausschlag für einen Konsum, mit dem man beispielsweise den eigenen gesellschaftlichen Status demonstrieren, den individuellen Geschmack ausleben und sich als Teil des „globalen Dorfes“ fühlen kann. Doch nach wie vor variiert das Niveau des Individualismus von Land zu Land. Eine erfolgreiche Differenzierung der Marke muss folglich auf diese Faktoren eingehen, wenn der internationale Markenaufbau gelingen soll. Wie das geht, ist im Detail nachzulesen in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ (Autoren: Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone, und Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe).

Kein Widerspruch: Emotionalität und Funktionalität müssen Hand in Hand gehen

Marketingwissenschaftler und Manager wissen bereits seit einiger Zeit, dass eine erfolgreiche Markendifferenzierung auch über die Emotionalisierung der Marke geschieht, die den Trend zum Individualismus adressiert. Die emotionalen Vorteile, die der Konsum einer Marke verspricht, müssen so mit der Markenidentität verknüpft werden, dass sie das Selbstverständnis der Zielgruppe reflektieren. Wie Menschen verfügen Marken über eine Identität, die sich aus Persönlichkeitsmerkmalen, Werten, einer Vision, Kompetenzen und der Markenherkunft zusammensetzt. Dabei kommt es darauf an, die emotionalen Persönlichkeitsmerkmale in die funktionalen Vorzüge, die mit einer Marke assoziiert werden, zu integrieren. Die richtige Uhr soll nicht nur schön aussehen, passen und zuverlässig funktionieren, sondern auch die Persönlichkeit des Trägers betonen. Die ideale Damenhandtasche soll nicht nur leicht zu tragen sein, sondern auch die modische Individualität der Frau unterstreichen. Gerade in Branchen, in denen die Möglichkeiten einer funktionellen Differenzierung ausgereizt sind, kann die emotionale Differenzierung den entscheidenden Punkt gegen die Konkurrenz setzen.

Wie Adidas seinen Marktanteil im Damengeschäft steigerte

Als einer der führenden Sportmarken in China stand Adidas vor der Herausforderung, dass sich die chinesischen Verbraucherinnen immer weniger von der eher maskulin ausgerichteten Markenkommunikation der Sportartikelhersteller angesprochen fühlten. Marktumfragen hatten gezeigt, dass chinesische Verbraucherinnen stattdessen bei sportlichen Aktivitäten vielmehr auf den Faktor Spaß und Bindungskraft setzten – also das gemeinsame Erlebnis mit Bekannten und Freunden. Mit der „all in for #mygirls“-Kampagne entwickelte Adidas deshalb eine Kampagne, die darauf abzielte, diesen hohen Stellenwert von Freundschaft in der Markenkommunikation zu nutzen. Die Kampagne kommunizierte den Spaß, die Bindungskraft und auch den „Coolness“-Faktor von Sport. Botschaften, die das Wir-Gefühl in den Vordergrund rückten, standen im Zentrum der Kampagne. Mit der in China bekannten Sängerin Hebe konnte Adidas zudem eine öffentlichkeitswirksame Markenbotschafterin gewinnen, die mit ihrer Leidenschaft für Sport und Tanzen in der Zielgruppe gut ankam. In den Werbespots zur Kampagne wurde Hebe mit ihren „Schwestern“ inszeniert, d.h. mit Frauen, die gemeinschaftlich Sport ausübten. Die Fernsehspots endeten alle damit, dass Hebe auffordernd direkt in die Kamera sprach: „Das sind meine Schwestern, was ist mit deinen Schwestern?“ Die Kampagne, die crossmedial ausgespielt und von verschiedenen Events begleitet wurde, führte in der Damenkategorie von Adidas zu einem Verkaufsanstieg von 40% und inspirierte darüber hinaus chinesische Verbraucherinnen tatsächlich verstärkt zu sportlichen Aktivitäten (Untersuchungen haben einen Anstieg von 3,45% gemessen).

Die Gelegenheit für Prestigemarken

Gerade in den größeren Wachstumsmärkten genießen ausländische Marken grundsätzlich einen Vorteil: Aufgrund ihrer Reputation wird ihnen in der Regel eher zugetraut, die emotionalen Bedürfnisse unter den Verbrauchern zu bedienen. Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein oder der Wille zur Selbstdarstellung und Selbstentfaltung fördern unter den Verbrauchern eine emotionale Erwartungshaltung gegenüber diesen Marken. Haltbarkeit, gute Qualität und Funktionalität sind zwar weiterhin wichtige Kriterien, aber sie werden zunehmend durch Faktoren wie attraktives Design und andere Aspekte, die dem persönlichen Genuss dienen, ergänzt. Dieses Phänomen variiert von Verbrauchersegment zu Verbrauchersegment: Insbesondere bei jüngeren Generationen, die mit den sozialen Medien aufgewachsen sind, sowie in besserverdienenden Schichten lässt sich dieser Individualisierungstrend und das damit wachsende Bedürfnis nach einer emotionalen Ansprache beobachten.

Die weltweite Individualisierungstendenz markiert damit einen Paradigmenwechsel in der Markenkommunikation. Die stark faktenorientierte Produktkommunikation wird im Idealfall noch um ein Faszinationslevel ergänzt, das die Emotionen der Verbraucher anspricht. Vor diesem Hintergrund definieren immer mehr Unternehmen einen Purpose – also einen höheren Unternehmenszweck – für ihre Markenkommunikation, der genau dieses Faszinationslevel abdecken soll.

Ein Beitrag von Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe, und Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone

Insider wissen es längst: Wenn ausländische Unternehmen in Wachstumsmärkten Erfolg haben, dann steht die Hälfte der Erfolgsfaktoren in direktem Zusammenhang mit der Anpassung oder Lokalisierung von Schlüsselelementen der Markenstrategie. Die Gretchenfrage ist, wie man eine Marke am besten an lokale Erwartungen und Erfordernisse anpasst. Auf der Grundlage unserer langjährigen Beratungserfahrung haben wir bei Globeone dazu den sogenannten marktgetriebenen Positionierungsprozess entwickelt. Dieses mehrstufige Verfahren stellt sicher, dass alle relevanten internen und externen Faktoren in der Analyse und Ausarbeitung der Positionierungsstrategie berücksichtigt werden. Am Ende steht ein Positionierungskonzept, das tatsächlich auf die Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnitten ist und gleichzeitig die Marke selbst vor einer Überdehnung schützt. Im Detail sind die sechs Schritte nachzulesen in unserer Springer-Neuerscheinung „Erfolgreicher Markenaufbau in den großen Emerging Markets“ (Autoren: Niklas Schaffmeister, Managing Partner Globeone, und Florian Haller, CEO Serviceplan Gruppe).

1. Marktanalyse: Den Überblick gewinnen

Das Problem vieler Unternehmen ist nicht, dass sie über keine Informationen verfügen, sondern oftmals werden diese Informationen schlichtweg nicht so aufbereitet, dass sie die Entwicklung sinnvoller und realisierbarer Strategien befördern. Der erste Schritt besteht also darin, alle relevanten Daten innerhalb der Organisation zusammenzutragen und – falls notwendig – durch zusätzliche Markt- und Verbraucherforschungen zu ergänzen. Aus den verfügbaren Unternehmensdaten, Wettbewerbsanalysen, Marktstatistiken und relevanten Medienberichten lässt sich dann ein Überblick über den Zielmarkt und erste Positionierungsmöglichkeiten gewinnen.

2. Relevanzanalyse: Verstehen, was den Verbrauchern wichtig ist

Voraussetzung für eine erfolgreiche Positionierung ist immer die lokale Relevanz einer Marke oder eines Produktes. Im zweiten Schritt werden deshalb die wichtigsten Entscheidungstreiber für die Marke herausgearbeitet und analysiert, wie die Marke den Aufbau von bestimmten Präferenzen am besten unterstützen kann. Dabei ist es wichtig, neben den funktionellen Markentreibern auch solche in die Auswertung mit einzubeziehen, die den Kunden auf der emotionalen Ebene ansprechen. Unserer Erfahrung nach beginnen viele ausländische Unternehmen nicht mit dieser Relevanzanalyse, sondern gehen stattdessen von vornherein von einer viel enger gefassten Ausgangsposition aus, was langfristig aber substantielle Risiken birgt.

3. Realisierbarkeit: Nicht jeder Verbraucherwunsch passt zur Marke

Die Bedürfnisse der Verbraucher zu erkennen, ist eine Sache – sie jedoch erfolgreich zu bedienen, eine andere. Wenn ein Unternehmen den lokalen Zielmarkt und die Zielgruppe unvoreingenommen analysiert hat, muss es sich natürlich dafür entscheiden, welche Verbraucherbedürfnisse und -wünsche es am besten befriedigen kann. Was tatsächlich realisierbar ist, hängt möglicherweise nicht nur vom Portfolio ab, sondern auch vom gegenwärtigen Image der Marke. Das Image muss zum Angebot der Marke passen, weil ansonsten eine überzeugende Grundlage fehlt, die den Verbraucher zum Kauf bewegt. Wenn dem Unternehmen oder der Marke die relevanten Image-Assoziationen für bestimmte Produkte fehlen, ist eine systematische Markenentwicklung erforderlich.

4. Konsistenzanalyse: Vorsicht vor zu starker Anpassung

Das Austarieren des globalen Markenversprechens und der lokalen Positionierung ist unglaublich wichtig, um eine Verwässerung der Marke zu vermeiden. Die Anpassung an den lokalen Zielmarkt darf nicht im Widerspruch zur globalen Markenpositionierung stehen, weil es ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach zu Konflikten im Markenmanagement kommen wird. Im vierten Schritt muss deshalb die Konsistenz der Positionierungsroute mit dem globalen Markenversprechen überprüft werden. Droht die Anpassung an den lokalen Zielmarkt zu stark auszufallen, sind Unternehmen in der Regel gut beraten, eine separate Marke aufzubauen.

5. Differenzierung: Den Unterschied ausmachen

In einem weiteren Schritt müssen die Positionierungsstrategien der lokalen und globalen Wettbewerber analysiert werden, denn die Zusammensetzung der Wettbewerber in den einzelnen Märkten kann sehr unterschiedlich sein. Viel wichtiger aber noch: Die Wettbewerber selbst wählen mitunter unterschiedliche Positionierungsstrategien pro Land. Markenverantwortliche können sich also nicht blindlings darauf verlassen, dass die Positionierung eines Wettbewerbers in dem einen Markt auch seiner Positionierung in einem anderen Markt entspricht. Dabei muss auch die Kommunikation der Wettbewerber unter die Lupe genommen werden: Wie wird die Positionierung etwa in Printmedien, Werbekampagnen, in digitalen Kanälen und andernorts umgesetzt? Auf der Grundlage dieser Analyse kann dann eine Positionierungskarte erstellt werden, anhand derer sich die Positionierungslücken identifizieren lassen.

6. Positionierung: Das beste Wertversprechen finden

Die verbleibenden Optionen, die sich aus den vorherigen Schritten ergeben haben, können jetzt durch detaillierte quantitative und qualitative Tests auf ihre Attraktivität hin validiert werden. Dieser letzte Schritt ist nicht zu unterschätzen, denn nur die wirklich optimale marktgetriebene Positionierung hilft der Marke, langfristig im lokalen Zielmarkt relevant zu bleiben. Dieser Prozess kann auch dazu genutzt werden, auf ähnliche Weise überzeugende Produkt- und Servicekonzepte zu entwickeln.

Infografik marktgetriebene Positionierung