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In der Serie „Dreimal aufgeschlaut“ erklären Experten der Plan.Net Gruppe regelmäßig ein aktuelles Thema der digitalen Welt aus unterschiedlichen Perspektiven. Was bedeutet es für die Oma, was für den Agentur-Kollegen? Und was hat der Kunde, also ein Unternehmen, davon?

In den westlichen Medien wird Chinas Social Credit System gerne mit der Folge „Nosedive“ von Black Mirror verglichen und als Orwellsche Dystopie bezeichnet. Anhand von Onlinesuchanfragen, dem Shoppingverhalten, der Ausbildung und der Kriminalakte, dem Verhalten in sozialen Medien, sowie vielen weiteren Faktoren soll jeder Bürger nach einem Punktesystem bewertet werden. Fällt der dreistellige Score zu niedrig aus, gibt es weitreichende Konsequenzen. Bestimmte Jobs werden einem verwehrt, die Kinder kommen nicht auf gute Schulen, man kann nicht mehr verreisen und bekommt auch keinen Kredit. Das Bild, das die westliche Presse vom Social Credit System zeichnet, klingt höchst beunruhigend. Doch die Realität sieht zum Glück nicht ganz so dystopisch aus.

Chinas Social Credit System ist ein Ökosystem aus verschiedenen Initiativen

2014 hat die chinesische Regierung einen Plan veröffentlicht, der vorsieht bis 2020 ein umfangreiches Social Credit System zu etablieren. Das Ziel ist, die Staatsführung zu verbessern und Ordnung in einem Land herzustellen, das oft mit Betrug zu kämpfen hat. Da China erst auf dem Weg hin zu einer Marktwirtschaft ist, verfügt es noch nicht über gut funktionierende Institutionen wie etwa Gerichte um mit solchen Problemen umzugehen. Aus diesem Grund versucht die chinesische Regierung eine Art Belohnungs- und Bestrafungssystem zu etablieren, um Vertrauenswürdigkeit und Integrität zu fördern. Das zentrale Joint Punishment Systems setzt Bürger auf eine schwarze Liste, wenn sie gegen gewisse Regeln verstoßen. Wird ein Bürger beispielsweise vom Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt und er zahlt diese nicht, kommt er auf eine Blacklist. Passiert dies, können die Betroffenen keine Flüge mehr buchen, in der ersten Klasse von Zügen reisen oder Luxusgüter auf TMALL und Taobao kaufen, bis sie die Strafe beglichen haben. Darüber hinaus wird ihnen der Zugang zu Krediten und Jobs in der Regierung verwehrt.

Doch dieses Joint Punishment System vergibt Bürgern keine Scores. Der Grund für diesen Irrglauben hängt mit Alibaba zusammen. Denn nicht nur die chinesische Regierung arbeitet an einem Social Credit System, sondern auch private Unternehmen haben Initiativen gestartet. Dies wird jedoch von der westlichen Presse oft in einen Topf geworfen und durcheinandergebracht.

Wie Amazon ist Alibaba ein Online-Retailer, über dessen Plattform Händler ihre Produkte an Konsumenten verkaufen. Zu der Zeit, als Alibaba sein E-Commerce Business aufgebaut hat, war China weitgehend ein Bargeldland, in dem nur wenige Leute Kreditkarten besaßen. Um sein Geschäftsmodell ausführen zu können, musste Alibaba den Zahlungsverkehr zwischen Käufern und Verkäufern sicherstellen. Da es in China keine Anbieter wie Visa oder Mastercard gab, die diese Aufgabe übernehmen konnten, musste Alibaba seine eigene Payment Infrastruktur aufsetzen. Daraus ist Alibabas Tochterfirma Ant Financial mit seiner Bezahlplattform Alipay entstanden. Da die meisten Chinesen keine dokumentierte Zahlungshistorie vorweisen konnten, brauchte Alibaba andere Faktoren, um die Kreditwürdigkeit der Konsumenten bewerten zu können und Vertrauen zwischen Händlern und Käufern aufzubauen. Das war die Geburtsstunde des Sesame Credit Scores.

Der Score kann zwischen 350 und 950 Punkten liegen und setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Aus der Menge an Umsatz bei Alibaba. Ob gekaufte Produkte, sowie Strom und Telefonrechnungen rechtzeitig bezahlt werden. Aus der Vollständigkeit an persönlichen Informationen und den sozialen Kontakten.

Daneben plant die Public Bank of China (PBoC) die Entwicklung einer nationalen Bonitätsprüfung, vergleichbar mit der SCHUFA Auskunft in Deutschland. Da ihr dafür allerdings die benötigten Daten fehlen, hat die PBoC 2015 acht Unternehmen testweise damit beauftragt, ein offizielles Credit Scoring System zu entwickeln. Sesame Credit war eines der Unternehmen. Aufgrund von Datenschutzbedenken und Interessenskonflikten hat allerdings keines dieser Unternehmen eine offizielle Lizenz für ihre Rating-Systeme bekommen. Anstatt dessen wurde ein Joint-Venture aus den acht Unternehmen, sowie der China Internet Finance Association gegründet. Dieses Joint-Venture heißt Baihang Credit und ist die erste einheitliche Kreditauskunft in China.

Der Sesame Credit Score bietet meiner Oma viele Vorteile

Zurzeit ist die Teilnahme an Sesame Credits Punktesystem freiwillig und bringt den Nutzern keine Nachteile. Vielmehr erinnert der Score an ein Loyalitätsprogramm ähnlich wie beim Sammeln von Flugmeilen. Ant Financial hat zahlreiche Kooperationen mit externen Partnern abgeschlossen, die Kunden mit einem hohen Score belohnen und ihnen vielfältige Vorzüge bieten. Dazu gehört beispielsweise, dass meine Oma mit ihrem hohen Score keine Anzahlungen bei Hotels, Auto- oder Fahrradvermietungen tätigen muss. Sie bekommt Zugang zur Fast Lane an den Sicherheitskontrollen am Flughafen. Außerdem wird ihr Visumsantrag für Luxemburg und Singapur in einem Eilverfahren bearbeitet. Manche Singles geben ihren Sesame Credit Score auch auf Baihe an, Alibabas Online Dating Service, in der Hoffnung ihre Chancen zu erhöhen.

Der Score soll ein Mittel sein, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Dass er außerhalb der Alibaba Plattform und des unmittelbaren finanziellen Kontextes auch als Kriterium für staatliche Aufgaben wie etwa Flughafensicherheit oder das Ausstellen eines Visums genutzt wird, ist jedoch eine bedenkliche Vermischung verschiedener Ebenen.

Auswirkung des Scores auf Unternehmen: werden Produktkategorien unterschiedlich bewertet?

In einem Presseinterview hatte Li Yingyun, Technology Director bei Sesame Credit, angedeutet, dass die Art der gekauften Produkte sich auf den Score auswirkt. So würde der Kauf von Windeln den eigenen Score erhöhen, da das System davon ausgehe, die Person sei ein verantwortungsvolles Elternteil. Wer hingegen viele Videospiele kauft, wäre weniger vertrauenswürdig, was sich negativ auf die Punkteanzahl auswirkt. Zwar hat Ant Financial diese Aussage später bestritten, doch es bleiben Zweifel. Für Unternehmen, die ihre Produkte über Alibabas Plattformen vertreiben, stellt dies eine große Unsicherheit dar. Wenn ihre Produkte in eine Produktkategorie fallen, die vom Algorithmus negativ gewichtet wird, könnte es dazu führen, dass der Absatz dieser Produkte zukünftig sinkt, weil Konsumenten Angst vor einem Punkteabzug haben.

Hat der Score meines Agentur-Kollegen Einfluss auf meinen eigenen Score?

Ein Punkt, der in der westlichen Presse für Aufsehen gesorgt hat, war das Gerücht, dass das Onlineverhalten und der Score von Freunden in die Berechnung des eigenen Scores mit einfließen. Alibaba hat dies abgestritten. Nach eigenen Aussagen ist nicht das Onlineverhalten von Kontakten ausschlaggebend, sondern lediglich die Größe seines sozialen Netzwerkes. Je mehr verifizierte Freunde man besitzt, desto unwahrscheinlicher ist es nämlich, dass es sich um einen Fake-Account handelt.

Wir sollten die Entwicklungen in China mit kritischem Blick verfolgen

Wie sich das Social Credit System bis 2020 entwickelt, bleibt abzuwarten. Fakt ist jedoch, dass es zu diesem Zeitpunkt (noch) kein übergreifendes, KI-basiertes Super-System gibt, das die chinesische Bevölkerung nach einem Ratingsystem bewertet und sich auf alle Aspekte ihres Lebens auswirkt.

Wenn es um China und Technologie geht, nehmen wir schnell das Schlimmste an und können uns dystopische Szenarien leicht vorstellen. Oft sind die Entwicklungen allerdings etwas komplexer und es lohnt sich eine kritische Auseinandersetzung mit den News aus Fernost. Besonders für Unternehmen, die auf dem chinesischen Markt agieren, ist es essentiell, ihre eigene Recherche zu betreiben und den Markt genau zu beobachten. Als Startpunkt können Websites dienen, die über die technischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in China berichten:

  • TECHINASIA und Technode sind zwei Blogs, auf denen Technologietrends und die aktuellsten News zu Startups und großen Unternehmen aus China beschrieben werden. Auf Technode gibt es kurze Daily Briefings, die erklären, was vor sich geht und weshalb diese Nachrichten relevant sind. Ebenfalls empfehlenswert sind ihre China Tech Talk Podcasts
  • Die South China Morning Post hat neben einem guten Wirtschaftsressort auch einen ausführlichen Tech-Bereich. Wer die aktuellsten Schlagzeilen zu Chinas Internetgiganten Alibaba, Tencent oder JD.com erfahren will, ist hier an der richtigen Stelle. Man sollte nur im Hinterkopf behalten, dass Alibaba 2015 die Zeitung gekauft hat.
  • Radii China beschäftigt sich vor allem mit den kulturellen Aspekten des modernen Chinas und Magpie Digest gibt gute Einblicke und Insights in Chinas Jugendkultur.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Lead-digital.de.

Corinna Gleich, Junior Digital Media Planner bei Plan.Net Media, ist im Rahmen des unternehmensinternen Austauschprogramms nach China gegangen um dort für insgesamt drei Monate zu arbeiten. Seit vier Wochen ist sie nun schon im Haus der Kommunikation in Peking und darf die Hauptstadt Chinas ihr Zuhause nennen. Welche Überraschungen das Leben dort so mit sich bringt, hat sie für uns aufgeschrieben. Ein Erfahrungsbericht nach den ersten vier Wochen.

Nach meiner Ankunft in China musste ich erstmal feststellen, dass mein Handy komplett unbrauchbar ist – Google, Facebook, Instagram waren gesperrt und auch WhatsApp funktionierte nicht. Abhilfe schuf hier aber ein VPN. Englisch mit den Menschen dort zu sprechen war leider keine Option, kaum einer kann diese „Weltsprache“, das hieß für mich fleißig Chinesisch lernen. Bezahlen ging erstmal nur mit Bargeld (unsere Geldkarten werden zum Großteil nicht akzeptiert und es gibt nur ein paar wenige Bankautomaten, die z.B. mit Visa funktionieren), deswegen musste ich mir schnellstmöglich ein chinesisches Bankkonto besorgen, um auch WeChat Pay nutzen zu können. Um eine Bankkarte zu erhalten, brauchte ich erstmal eine lokale Handynummer. Zum Glück geht dies schnell und die Kosten sind gering. Mit meiner neuen Nummer konnte ich WeChat einrichten und mir eine Bankkarte besorgen (ich hatte hier noch Glück, die Regelung für Bankkarten wurden vor kurzem geändert, Ausländer müssen nun mindestens ein Jahr hier leben, um einen Antrag stellen zu können). Finanzmittel auf das Konto von Zuhause zu bekommen, ist danach das nächste Problem, dafür bietet WeChat jedoch eine Lösung. Geld kann einfach von einem anderen Nutzer überwiesen werden, dieses liegt dann nicht auf dem Konto, sondern im WeChat Wallet. Alles läuft hier übers Handy, weshalb es noch ein paar weitere nützliche Apps gibt die den Alltag erleichtern wie Alipay (WeChat’s größter Konkurrent, jedoch in einigen Städten stärker genutzt als WeChat Pay), Didi (Uber), Ofo (Fahrradnutzung), Air Matters (Pollutionmesser), Dianping (Yelp), E (Essen bestellen), Translator.

Das Office in Peking ist direkt in einer Shopping Mall. Der Arbeitsalltag in China läuft fast genauso ab wie in Deutschland. Nur, dass man einfach viel später anfängt. Zwischen 10-12 Uhr zu erscheinen ist normal, abends wird dann einfach dementsprechend länger gearbeitet. Ebenfalls ist es nicht unüblich, dass man an seinem Arbeitsplatz einfach mal einen „Power Nap“ einlegt. Um es sich bequem zu machen, habe viele Plüschtiere und Kissen herumliegen. Kaffee wird hier ebenfalls getrunken. Essen und Trinken wird rund um die Uhr bestellt. Lebensmittel sind allgemein viel günstiger als bei uns, man erhält für drei Euro eine ordentliche Portion. Bubble Tea und andere Getränke werden auch einfach geliefert. Dafür fahren die Lieferanten mit ihren Rollern wie Verrückte in einem Affenzahn die Straßen und sogar auch Treppen rauf und runter.

Shoppingmall neben dem Büro mit riesigen Werbeflächen an den Decken

Der Konsum oder der Umgang mit Medien ist hier ganz anders. Man möchte sich von der Masse abheben und das ganz ohne Datenschutz. Live Streaming ist top angesagt, hierbei kann man z.B. einer Person beim Essen zusehen und dieser virtuelle Geschenke schicken die vorher gekauft werden müssen. Auf diese Weise verdienen die Live Streamer Geld. WeChat ist wie Facebook, Sina Weibo wie Twitter, Youku wie YouTube und Nice wie Instagram. Eingekauft werden kann an jeder Ecke (ich habe noch nie so viele Shoppingcenter in so einem kleinen Umkreis gesehen), dabei wird ein großer Wert auf Marken gelegt, vor allem westliche Marken sind angesagt. Deutsche Brands (die ich teilweise nicht mal kannte) werden in der Elektronik als „Must Have“ angesehen. Ein iPhone zu besitzen ist hier ebenfalls Standard.

Und Abseits vom (Arbeits-) Alltag aus Touristensicht: Sightseeing in Peking ist großartig, es gibt viel zu entdecken und die Eintrittspreise liegen bei nur ca. zwei bis drei Euro. Öffentliche Verkehrsmittel sind zudem günstig (Subway, Bus ca. 50 Cent eine Fahrt). Auch ist man gleich mit dem Highspeed Zug in der nächsten größeren Stadt (z.B. Shanghai, Hangzhou). Mein Highlight bis jetzt war der Neue Sommerpalast, er liegt etwas außerhalb von Peking auf einem kleinen Hügel umringt von einem See. Enttäuscht war ich von der Verbotenen Stadt, die Architektur ist zwar sehr spannend, sonst enthalten die Gebäude nichts Sehenswertes oder sind ganz geschlossen. Wer etwas mehr Natur sehen möchte sollte Hangzhou besuchen (ca. fünf Stunden von Peking mit dem Highspeed Zug), so viel Grün in einer Stadt sieht man sogar in Deutschland selten.

Corinna am neuen Sommerpalast

 

Ein weiteres Touristen-Highlight: Die Chinesische Mauer

Mein Zwischenfeedback, Peking ist mehr als eine Großstadt, man muss mit der Masse klarkommen und mit der Schnelllebigkeit. Für mich sind China und Peking eine andere Welt. Wer wirklich Neues entdecken möchte, wie ich, ist hier genau richtig.

Für das e-commerce Magazin verfasste Björn Portillo, Managing Partner bei hmmh, einen Beitrag zum Thema POS-Innovationen in den USA und in China.

Vor einigen Jahren prophezeiten Experten das Ende des stationären Handels. Es hieß, er könne in dieser neuen, digitalen Welt nicht parallel neben dem Online-Handel bestehen. Mit der zwar langsamen aber stetig voranschreitenden Etablierung von Connected-Commerce-Konzepten änderte sich diese Sichtweise allerdings wieder. Ehemalige Online Pure Player wie notebooksbilliger.de oder mymuesli bauten sogar stationäre Concept Stores auf und finden sich nun im Sortiment großer Einzelhandelsketten wieder. Doch welche sind die Motoren, die diese Veränderung ins Rollen gebracht haben und welche Innovationen sind es, die den Einzelhandel wieder ins Spiel bringen?

Um das „Wieso“ und „Weshalb“ des Paradigmenwechsels zu ergründen, begeben wir uns auf eine wirtschaftliche und zugleich kulturelle Reise in die USA, besuchen China und kehren zurück nach Deutschland.

Koffer packen in Deutschland

Viele Unternehmen und Agenturen haben hart gearbeitet, um die technische Entwicklung voranzutreiben und unseren Alltag durch Innovationen einfacher zu machen. Konzepte für interaktive Berater-Lösungen sowie mobile Beratung über das eigene Smartphone, Mobile Payment oder Augmented- und Virtual Reality sind ausgereift genug, um sie im Store einzusetzen. Allerdings bleiben diese Möglichkeiten hierzulande noch viel zu oft ungenutzt. Doch warum ist das so? Liegt es an den Retailern, die Potenziale aus traditionellen Gründen ignorieren? Oder ist es die Skepsis gegenüber Neuem und das Misstrauen in die Technik selbst? Sind deutsche Ladenbetreiber, ihre Kunden oder sogar beide innovationsscheu?

Der risikoscheue, konventionelle Deutsche recherchiert und vergleicht besonders gern online. Wo er dann kauft, hängt vom Produkt und vom Kontext ab: mal online, mal offline. Ausschlaggebend dabei ist, dass er sich gut beraten sowie informiert fühlt und dass er sein gewünschtes Produkt ausgiebig begutachten kann.

Technische Hürden und fehlende Akzeptanz

Für die klassischen Retailer gilt es nicht nur ein stets verfügbares und breitgefächertes Produktsortiment anzubieten, sondern Marken sowie ihre Produkte für jeden Kunden richtig in Szene zu setzen. Oft scheitert die Umsetzung von Connected-Commerce-Konzepten jedoch schon am Internetzugang für die Kunden. Auch die Nutzung von unterschiedlichen Systemen, die nicht einfach zusammenzuführen sind, stellt Händler oftmals vor große Hürden. Das erschwert es Händlern ihre Kunden wiederzuerkennen und macht es unmöglich relevante Daten zu sammeln, eine ganzheitliche Beratung oder einen schnellen sowie einfachen Bezahlvorgang anzubieten. Einzelne wenige Beispiele ausgenommen.

Eine weitere Herausforderung: Obwohl der deutsche Konsument großen Wert darauf legt, sein gewünschtes Produkt zu testen, es am liebsten sogar in seinem privaten Umfeld auszuprobieren und darüber hinaus eine umfassende individuelle Beratung erwartet, ist er häufig gar nicht bereit seine persönlichen Informationen zu teilen.

Auf in die USA

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – ist das auch im Hinblick auf Store-Innovationen der Fall und welche dieser Entwicklungen sind bereits etabliert? Eine deutlich höhere Population auf einer 25 mal größeren Landesfläche macht es uns schwer, den Durchschnittsbürger der USA auszumachen. Wir können jedoch festhalten, er ist offen für Neues, praktisch denkend und stets auf der Jagd nach Schnäppchen. Beim Eishändler um die Ecke zahlt er am liebsten mit der Kreditkarte und beim wöchentlichen Einkauf ist das dicke Couponheft sein wertvollster Begleiter. Die vielleicht wichtigsten Motoren für Innovationen sind der Spartrieb und die Bequemlichkeit der Amerikaner.

Ideen werden getestet und optimiert

Täglich entstehen neue Konzepte, die den US-Bürgern ein Shopping-Erlebnis geben, das sie verlangen. So öffnete der Internetriese Amazon Ende 2016 die Türen seines Amazon Go Lebensmittelladens in Seattle, in dem Schlangestehen und physisches Bezahlen überflüssig sind. Alles über eine im Store installierte Bewegungserkennung – die sogenannte „Just walk out technology“. Bezahlt wurde über PayPal und das Amazon.com-Konto. Auf Grund von technischen Problemen bei der Bewegungserkennung und dem Tracking von mehr als 20 Kunden gleichzeitig, musste der Store jedoch vorerst geschlossen werden.

Amazon Go

Amazon Go – Einkaufen ohne an der Kasse Schlange zu stehen: rein in den Store, Produkt in die Tasche stecken und einfach wieder rausgehen. Quelle: Amazon

Das Beispiel zeigt, dass bei innovativen Unternehmen nicht gleich alles beim ersten Mal funktionieren muss. Während es in Deutschland verpönt ist, Fehler zu begehen – was verursacht, dass gar nicht erst probiert wird neue Konzepte zu etablieren – gilt in den Staaten das erfolgreiche Prinzip von „trial and error“. Mut wird belohnt.

US-Retailer wissen, was ihre Kunden brauchen

Konträr zu der vorsichtigen Mentalität deutscher Offline-Retailer bringt der US-Markt zahlreiche Beispiele für seine gelebte digitale Transformation. Der Retail-Riese Walmart kauft beispielsweise Online-Shops sowie -Startups auf und wagt so den Schritt in den E-Commerce. Der zweite stationäre Big Player, Target, bietet seinen Kunden eine praktische App, mit der Konsumenten nicht nur Coupons einfach per Smartphone verwalten können, sondern zusätzlich eine In-Store-Navi nutzen können. Diese zeigt den direkten Weg zum gesuchten Produkt. Weitere Konzepte werden bereits getestet. Uneingeschränktes Datenvolumen bei Mobilfunkverträgen erleichtert die Nutzung solcher Angebote ungemein.

„Ob künstliche Intelligenz in Form von Multiple Interfaces oder Robotern im Store, Sprachassistenten in Form von In-Ear-Beratern oder die Lieferung nach Hause, ohne dass man selbst zuhause sein muss: All das sind Trends auf dem US-Markt, die auf Grund der Mentalität nicht alle mit dem deutschen Markt kompatibel sind.“, gibt Nicolas Roemer, Chief Business Development Officer Serviceplan US, zu bedenken.

Weiter nach China

Wer China einst bereist hat, weiß um die besondere Technikaffinität und das gruppenorientierte, schwarmartige Denken der Menschen dort. Auch hat er das typische Stadtbild vor Augen: Millionen von Menschen auf den Straßen, immer mit gezücktem Smartphone und unbegrenztem Datenvolumen. Angetrieben von Fortschritt und Weiterentwicklung finden neue Konzepte hier schneller großen Anklang in der Gesellschaft.

Bei Innovationen einen Schritt voraus

Einzelhändler, die auch im E-Commerce erfolgreich waren, suchten bereits vor Jahren nach Wegen die Online- und Offline-Welten miteinander zu verknüpfen. Pioniere auf dem Markt wie Alibaba.com erkannten die damalige Entwicklung des „mobile Booms“ in China und entwickelten Konzepte, die der Mentalität und dem neuen Einkaufsverhalten der Chinesen entsprachen. Das Ergebnis waren futuristische Stores mit ausgefeilter Technik. So wurde in Chinas Provinz Guangdong ein Selbstbedienungsladen namens „BingoBox“ ins Leben gerufen. Noch lange nicht so komplex und umfangreich wie der Amazon Go Store, jedoch angepasst auf das Bedürfnis nach Mobile Shopping. Als der Amazon Go Store in den USA getestet wurde, eröffnete Alibaba.com bereits eine ausgereifte Variante des vollautomatisierten Store-Konzepts in China: das „Tao Cafe“. Hier können Kunden via LogIn per Smartphone und über Gesichtserkennung an den Kassenbereichen bargeldlos bezahlen.

Tao Cafe

Tao Cafe – Einkaufen via Gesichtserkennung: Das kassiererlose Cafe kombiniert automatische optische Sensoren und Gesichtserkennung, um die Fehlerrate zu senken. Quelle: VCG Photo oder CNR

Die Ära des staff-free Shoppings

Kassiererlose Stores und automatisierte Services sind in chinesischen Malls gelebter Alltag, denn das schnelle Bezahlen per Smartphone boomt weiter: Mittlerweile zahlen 6 von 10 Kunden ihre Einkäufe über ihr Handy. Für chinesische Einzelhändler bietet dies großes Potenzial. Payment-Dienstleister wissen um die soziale Interaktion der Chinesen und kombinieren die beliebte Zahlungsmethode mit Social Media Funktionen. So können Nutzer von WeChat Pay den offiziellen WeChat-Konten des jeweiligen Einzelhändlers folgen und sich beraten lassen oder Fragen stellen. Die Nutzer können sich auch untereinander austauschen und Empfehlungen aussprechen. Aus unserer Sicht besonders dabei: Die Retailer agieren dort wie Privatpersonen. Denn sie wissen, Kunden identifizieren sich viel stärker mit der Marke und verbinden damit deutlich mehr Emotionen als die Menschen in Deutschland.

Der Hype um Mobile Payment in China hat die Entwicklung hin zum Connected Commerce stark vorangetrieben: Für Retailer ist diese Zahlungsmethode nicht nur Umsatztreiber, sondern auch ein neuer Weg der Kommunikation sowie Interaktion – online und offline. Ein Paradebeispiel einer optimalen und ganzheitlichen User Journey.

Mit vollem Gepäck zurück in Deutschland

Die Amerikaner und besonders die Chinesen machen es uns bei der Implementierung von Connected-Commerce-Konzepten vor. Dabei sind Apple- und Samsung-Pay essenziell, genauso wie große mobile Datenpakete zu günstigen Tarifen, die es den 360°-Retailern erlauben, ganzheitliche Services über das Smartphone im Store anzubieten. Deutschen Händlern fällt es jedoch noch schwer, diesen Schritt mitzugehen. Der Seamless Customer Journey sind noch klare Grenzen gesetzt und der Kunde hat sie sogar selbst mit aufgebaut. Die Vorsicht des Deutschen, datenschutzrechtliche Barrieren sowie die Hemmungen gegenüber der Nutzung von vorhandener Technik müssen abgebaut werden. „Viele der deutschen Händler haben das Gefühl, ihnen seien die Hände gebunden und sie müssen einen gewaltigen Spagat machen.“, verrät Björn Portillo, Managing Partner bei hmmh. Genau hier ist es wichtig, den richtigen Partner an seiner Seite zu haben, mit dem man gemeinsam Möglichkeiten und Wege entwickelt, die dem Konsumenten Mehrwerte bieten, für die er seine Daten gern zur Verfügung stellt.

Während Deutsche noch immer Angst davor haben einen Fehler zu machen und deshalb häufig zu spät handeln, herrscht in den USA eine andere Fehlerkultur. „Testen, optimieren, anschließend erneut testen gehört zum Innovationsprozess und ist fest in den Köpfen verankert.“, so Nicolas Roemer, Chief Business Development Officer Serviceplan US. „Auch, wenn ein Konzept mal nicht gut ankommt und wieder eingestampft werden muss, bricht das der Marke nicht gleich das Genick. Ganz im Gegenteil, Mut macht sich bezahlt.“

Der Motor für die Digitalisierung des stationären Einzelhandels in China ist der Drang nach Fortschritt. Jedoch macht es keinen Sinn Innovationen einfach zu kopieren und sie auf Zwang bei uns einsetzen zu wollen. „Gemeinsam mit unseren Händlern müssen wir zunächst festlegen, welche Probleme der Zielgruppe wir lösen möchten. Erst dann sollten wir prüfen, welche Innovationen wir dafür wie einsetzen, damit sie auch Anklang finden.“, ermutigt Björn Portillo.

Wir kennen die Bedürfnisse und Ängste des deutschen Kunden, die technischen Herausforderungen von Retailern und haben bereits Ansätze für individuelle Lösungen. Erfahrene, international agierende Agenturen warten also nur auf den Startschuss.

Am 27. Juni 2017 habe ich bei der „International Roadshow 2017: China Insights“ in München vor deutschen Unternehmen eine Rede mit der Überschrift „The Future is Now“ („Die Zukunft findet heute statt“) gehalten. Ich habe über die derzeitigen sozialen und ökonomischen Ereignisse in China gesprochen, die die Zukunft beeinflussen: Konsumsteigerung, Sharing Economy, Live-Streaming und bargeldlose Lebensweise. Gleichzeitig habe ich einige der dahinterstehenden Geschäfts- und Vermarktungspotenziale vorgestellt.

Neulich habe ich unseren Finanzchef Jørg im Aufzug getroffen. Er hob eine Braue, als er mich mit ein paar Paketen von Taobao in den Händen dastehen sah, und fragte sarkastisch: „Was hast du denn jetzt schon wieder gekauft?“ Peinlicherweise konnte ich die Frage nicht beantworten, weil ich es schon wieder vergessen hatte.

Jeden Abend vor dem Einschlafen klicke ich mich zur Entspannung durch Taobao oder JingDong … und finde immer etwas Inspirierendes oder Interessantes, was ich ausprobieren möchte. Das Frauenprivileg des „Window-Shopping” hat sich zum „Pad-Shopping“ gewandelt. Ein Tag, ohne ein paar Kleinigkeiten zu kaufen, verursacht bei mir Schuldgefühle. „Es ist schon fast so wie das Schuldgefühl, nichts zur Gesellschaft beizutragen“, erklärte ich Jørg. Tatsächlich ist Online-Shopping für Chinesen zum Ritual geworden. Es geht um kaufen, kaufen, kaufen, nicht aber darum, was gekauft wird!

Verglichen mit meinen deutschen Kollegen, die ziemlich reduziert und bodenständig leben, sind unsere chinesischen Kollegen unbeständiger und abenteuerlustiger. Die Kosten, etwas Neues auszuprobieren, sind so gering, dass wir leicht „Warum nicht?“ sagen, um dann Risiken und Ungewissheiten in Möglichkeiten zu verwandeln.

Da das Land weder eine ruhmreiche industrielle Vergangenheit noch eine erfolgreiche Geschichte in Bezug auf moderne Wirtschaftsentwicklung vor der Öffnung vorzuweisen hat, können die Chinesen „mit leichtem Gepäck reisen“, einfach ins Ungewisse springen und nach Herzenslust herumprobieren. Deswegen ist Taobao beliebter als Amazon, WeChat beliebter als WhatsApp und Didi beliebter als Uber. Ein Land, das noch nicht einmal über ein richtiges Kreditsystem verfügt, ist jetzt in der Lage, das weltweit beste Online-Bezahlungssystem zu entwickeln, und sorgt dafür, dass bargeldloses Zahlen selbst in die abgelegensten Gebiete Chinas vordringt. Hausierer und Omas gleichermaßen profitieren jetzt davon.

Wir Chinesen lernen schnell und ändern uns schnell. Für ein Land, das auch „Volksrepublik der Veränderung“ genannt wird, ist die Veränderung das einzig Unveränderliche, und die Veränderung hat uns still und heimlich in die nächste „Zukunft“ geführt.

Diese „Zukunft“ findet jetzt in China statt!

Vera Yu wird auf der International Roadshow: China Insights, 27.06.2017, zeigen, wie die Chinesen ihr Leben mit mehr verfügbarem Einkommen aufwerten und wie die zukünftige Art zu leben und zu wirtschaften ein ganz neues Vermarktungspotential mobilisiert.

China auf der Suche nach Glück

Auch wenn mittlerweile bekannt ist, dass Glückskekse eine amerikanische Erfindung des 20. Jahrhunderts sind, fällt den Deutschen gemeinhin zum Thema Glück und China der Glückskeks ein. In der Vorstellung geben weise bärtige Konfuzianer kluge Ratschläge auf kleinen Papierchen, umhüllt von knusprigem Teig. Aufgebrochen lesen wir: „Trübsinn kann keinen erreichen, der stetig Möglichkeiten sucht, zu lächeln.“ Obwohl der Glückskeks nicht aus China kommt, gehört die Suche nach Glück, glücklich sein, Freude, der Traum vom Glück zu den wichtigsten Themen im Reich der Mitte und das schon seit viertausend Jahren.

Im Buch der Riten, einem konfuzianischen Klassiker, führt das Gefühl der Freude die Klassifizierung der sieben menschlichen Gefühle an. Für Laozi, einem Zeitgenosse von Konfuzius, lag das wahre Glück in der Untätigkeit. Wenn der Mensch aufhöre, so Laozi, dem Glück oder anderen Zielen hinterherzulaufen, dann sei er wirklich glücklich. Lin Yutang, ein Bestsellerautor des letzten Jahrhunderts, meinte, dass die chinesische Vorstellung von Glück „Warm, satt, dunkel und süß“ sei. Er hält Essen neben Sex für eine der beiden wirklichen Freuden des chinesischen Lebens. Glück ist warm und kommt aus dem Bauch.

Kleines Glück, Double Happiness Zigaretten, die Farbe Rot, als Symbol für Freude und Leben; Glück beginnt in China nicht im Paradies, sondern im Hier und Jetzt. Wenn dem so ist, drängt sich natürlich die Frage auf, warum die Chinesen nach dem World Happiness Report so freudlos sind? Unter den 85 gelisteten Ländern, angeführt von Dänemark, taucht China gar nicht erst auf. Was sagt uns der Glückskeks: „Echte Armut ist nicht der Mangel an Geld oder Besitz, sondern fehlende Wärme des Herzens.“ Chinas rasanter Aufstieg hat seinen Preis: Die Menschen vermissen die alltäglichen Freuden, das kleine Glück des Miteinanders. Sinnsuche und Wertesuche sind im Trend, was die gut gefüllten Hallen buddhistischer Tempel zeigen. Buddha ist wieder da.

 

Museum

Foto: Barbara Geldermann Oktober 2015, in der Nähe der Großen Mauer

 

Das hat auch die chinesische Regierung erkannt. Die momentane Kampagne für den chinesischen Traum wird gerne mit dem Weg zum Glück im Hier und Jetzt kombiniert. Was das heißt zeigt das Promotionvideo der Chinese Communist Party (CPC) „Chinese Dream“, ein Hit der chinesischen Netzgemeinde. In dem Video werden Bürger wie Du und Ich nach ihren Träumen interviewt. Geträumt wird in China von einer „hübschen Frau“ bis zum „Weltfrieden“.

 

 

Auch westliche Marken haben den Traum und die Sehnsucht der Chinesen nach Glück für ihre Kampagnen sehr erfolgreich aufgegriffen. Nicht Geld und Reichtum, sondern das Glück der Familienzusammenführung wurde von PepsiCo in der „Bring Happiness Home“ (BHH) Campaign zum Frühlingsfest 2015 das zentrale Thema. Gemeinsam mit der populären Video-making und –sharing-App Meipai luden sie die Bürger ein, kleine persönliche Videos über ihre glückliche Familienzusammenkunft einzureichen.

McDonald’s schrieb für sein zwanzig jähriges Jubiläum in China kurzerhand seine original Philosophie “I’m lovin’ it” um. Unter dem Slogan “Make Room for Happiness” entwickelte McDonald’s seine dem chinesischen Markt angepasste Positionierung: Ein Aufruf an die Konsumenten, in einer Restauration der Fastfood-Kette vom Stress des Alltags mit einem Burger auszuruhen. Die Neupositionierung zog einen Umbau der Restaurants und Neuausrichtung der Kommunikation nach sich.

Das kleine Glück in der Familie, Freiräume vom alltäglichen Stress, das glückliche Heim, die Seele baumeln lassen – die Suche nach und das Finden von Glück sind zentrale Marketingthemen geworden. Und um mit einem Glückskeksspruch zu schließen: „Einige Menschen träumen vom großen Glück, andere von Keksen.“

Über unsere Gastautorin: Barbara Geldermann ist zertifizierte Außenwirtschaftsberaterin des BWA mit Schwerpunkt interkulturelles Management. Als ausgewiesene Kennerin der „Seele“ Ostasiens stellt sie Marketingfragen in einen neuen Kontext. Bei der Serviceplan International Roadshow „China Insights” am 17.11.2015 in München moderierte sie die Panel Discussion zum Thema „Innovation als USP in China“.

Vor mir auf dem Teller kriecht das Leben. Das Rezept ist einfach: Nimm einen Oktopus, hack ihn in Stücke und serviere ihn mit Sesamsamen. Meine Kollegen lächeln und sagen: „Du musst es in die gelbe Sauce tunken.“

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Vor ein paar Tagen brach ich zu meiner ersten Reise nach Asien auf. Erst zu unserem Büro in Peking, um bei der Arbeit für einen Kunden zu helfen, interne Workshops durchzuführen und eine Präsentation bei der One Show China zu halten, dann direkt weiter zu unserem Büro in Seoul, um dieselben Präsentationen und Workshops zu halten und um an einem Projekt für einen anderen Kunden zu arbeiten.

Peking hat mich dabei immer wieder überrascht: Die Stadt ist voll von Smog, aber es stellt sich heraus, dass alle Leute elektrische Scooter fahren. Wenn man an China denkt, denkt man an Tee, aber der Kaffee dort ist wirklich großartig. Ich bestellte ein „Cajun Chicken Sandwich“ und bekam ein Baguette mit scharfem Eiersalat. In allen drei Fällen war es überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte – und trotzdem war es sehr gut! Mein erster Eindruck von Asien war also, dass alles anders und überraschend ist. Gleichzeitig fühlte sich alles bekannt an.
Unsere Kulturen sind sehr verschieden. Dinge, die zuhause normal sind, können sich in einer anderen Kultur als etwas ganz anderes erweisen: Auf einem öffentlichen Platz die Nase zu putzen, gilt als unhöflich. Der falschen Person die Hand zuerst zu geben, auch. Was wie ein zufälliges Aufeinandertreffen mit dem Chef deines Kunden scheint, sollte als Ehre angesehen werden.

Doch so unterschiedlich unsere Kulturen auch sind, so ähnlich sind die Herausforderungen für Marken, die versuchen ihre Produkte zu verkaufen, und für Agenturen, die versuchen ihnen dabei zu helfen.
Der „Pate“ chinesischer Werbung Peter Soh benutzte zwar völlig andere Worte, sagte aber auf einer gut besuchten Afterparty, die unter dem Thema „Großbritannien“ stand, in Peking dasselbe wie Branding Ikone Tommy Li auf der Bühne der Design Heritage in Seoul: Geschichtliches, Meinungen, Technologie – all das kommt an zweiter Stelle. Wir müssen die richtigen Geschichten erzählen!
Pixar-Legende Dr. Alvy Ray Smith sprach sehr leidenschaftlich über die Geschwindigkeit, mit der Computer Animationen so lebensecht aussehen lassen, dass wir sie kaum von der Realität unterscheiden können. Doch so gut wir einen Schauspieler auch nachformen können, haben wir doch immer noch keine Ahnung, wie wir den Computer dazu bringen können, das nachzustellen, was der Schauspieler macht.

Gleiches gilt für die Werbung. Wir können Menschen beibringen die „richtigen“ Ideen zu entwickeln, aber um die guten von den schlechten Ideen zu unterscheiden, braucht es emotionale Intelligenz. Wir brauchen Leute mit Herz und einer guten Portion Intuition. Wir müssen ihnen helfen für ihre Ideen zu kämpfen, auch wenn es nicht immer leicht ist für Emotionen zu kämpfen.

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Die Tentakel saugen sich in meinem Mund fest, während ich das Leben aus den gummiartigen Ärmchen kaue. Die Stücke leben noch und kämpfen, während ihnen langsam ein delikater Geschmack entweicht, der sich mit dem Geschmack des Sesamdip vermischt. „Das ist ein ganz neues Gefühl“, denke ich und lächle meinen Kollegen zu.

Think global, act local – ursprünglich ein Satz aus dem Bereich Umweltschutz, der aussagen soll, dass das Verhalten in der eigenen Community Wirkung auf das globale Öko-System hat. Schon lange ist er aber auch in der Business Welt angekommen. Hier natürlich mit einer etwas anderen Bedeutung. Glocal ist dabei ein Kunstwort, dass bereits in den 80er und 90er häufig im Zusammenhang mit Branding und Werbung fiel. Nichts Neues also und wohl kaum jemand hat nicht schon einmal davon gehört. Auch die theoretische Bedeutung dürfte den Meisten klar sein und natürlich passen Unternehmen ihre Marketing-Strategien den Umständen im jeweiligen Markt an. Was aber wenn man so weit geht und zur ursprünglichen Bedeutung zurückkommt: Das lokale Handeln also tatsächlich nachhaltig globale Unternehmensstrukturen verändert? Genau das hat die WMF Group in den letzten 2 Jahren in China erlebt. Die Umstände erforderten es.

Follow or challenge?

Die WMF Group kam – im Vergleich zu den Hauptwettbewerbern – später mit einer eignen Tochtergesellschaft in den Markt. Zwangsläufig hatten die Wettbewerber so einen  Vorsprung in Sachen Markenauf- und -ausbau und sich über die Jahre eine starke Marktposition erarbeitet. Die WMF Group wuchs zwar mit dem Markt, holte aber nicht schnell genug auf. In solch einer Situation bleiben einer Marke eigentlich nur zwei Optionen: Follow or challenge!

„To follow“ ist hierbei sicherlich die einfachere Variante.. Dass man dadurch aber in aller Regel nur das Territorium – sprich die Brand Equity – des Marktführer stärkt liegt auf der Hand. Letztlich steht der Verbraucher im Warenhaus vor der Entscheidung eine der Marken zu wählen, die alle ähnlich daher kommen. Selbst ein hohes Qualitätsversprechen kann da zum Point-of-Parity werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit fällt die Entscheidung des Verbrauchers zu Gunsten der Marke, die er am besten kennt (oder die ihm eben das günstigste Angebot macht). Die Follower-Strategie kann also nicht zu grossen Sprüngen im Markt verhelfen.

Anders sieht es aus, wenn man den Status Quo „challenged“. Den größten Vorteil, den man gegenüber den Platzhirschen hat, ist ,dass man sich schneller bewegen kann und bisher noch nicht wirklich wahrgenommen wurde. Das kann man sich zu Nutze machen und versuchen die Marke zu repositionieren.

Acting China

Zeitgleich zu China wurde auch auf globaler Ebene an einem neuen Markenauftritt gefeilt, der die Freude am Kochen und Essen zelebriert. Verschiedene Konzepte wurden daraufhin in China getestet, bis klar war, dass der globale Auftritt der Marke WMF für China nicht optimal ankam. Eine eigene Positionierung für China musste her. Intensive Marktforschung zeigte der WMFGroup, wo der White Spot im Markt war. Daraufhin wurde eine komplett eigenständige Markenpositionierung für China entwickelt und eine darauf abgestimmte Marketingstrategie konzipiert. Die Marke wurde sprichwörtlich auf dem „Reisbrett“ für China neu erfunden.

Die ersten Marktsignale sind vielversprechend: Die Marke WMF ist die am schnellsten wachsende Premium Kochgeschirr-Marke in China. Die Markenbekanntheit in der relevanten Zielgruppe wuchs innerhalb eines Jahres signifikant. Interessant ist vor allem aber, dass das Modell unternehmensweit Schule macht und Strukturen und Strategien nachhaltig beeinflusst hat. Was in China lokal begann, hat somit Auswirkungen auf die globale Ausrichtung. Das ist der wahre Kern von „think global, act local“!

Über unseren Gastautor: Thordt Clausen ist seit 2014 Brand Manager für WMF in China und verantwortlich für die strategische Entwicklung der Marke im Land. Während seines Vortrags auf der Veranstaltung “International Roadshow China” von Serviceplan am 17.11.2015 in München wird er die hier angerissenen Einblicke vertiefen, mit Beispielen der Kommunikationskampagne illustrieren und um persönlich Eindrücke ergänzen.

Als Präsident Xi Jinping letztes Jahr Deutschland besuchte, ernannte er 2015 zum „Jahr der Innovationskooperation zwischen Deutschland und China“. Dass China 2015 eine Konjunkturkrise ereilt, war damals noch nicht absehbar; doch mit dem Stichwort „Innovation“ hat Chinas Präsident eine wichtige Maßnahme genannt, die ich für deutsche Unternehmen in den kommenden Jahren für einen wichtigen Erfolgsfaktor halte, wenn es um Gewinnsteigerung und Marktstrategien im Chinageschäft geht. Das gilt für Hersteller von Markenartikeln im Food-Segment ebenso wie für Konsumgüterprodukte oder Sektoren der Maschinenbauindustrie.
Rund 5000 deutsche Unternehmen sind inzwischen auf dem chinesischen Markt aktiv. Innovation kann für sie zum neuen USP werden. Es genügt nicht mehr, dass deutsche Unternehmen „nur“ mit Qualität und Erfahrung überzeugen. Denn auch in China hat sich in den vergangenen Jahren vieles verändert – chinesische Unternehmen sind längst nicht mehr Produktions-Dienstleister und Hersteller billiger Massenware. Sie haben von Europa und der westlichen Welt gelernt, vieles beeindruckend detailgenau kopiert und am Ende wesentlich günstiger produziert. Preislich und produktseitig werden immer mehr chinesische Firmen harte Konkurrenten. Um an fortschrittliche Unternehmen in China nicht die „Pole-Position“ am Markt zu verlieren, müssen deutsche Unternehmen neue Wege gehen: Und bereit sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wird immer häufiger ein „bolded move“ geprüft, eine „out-of-the-box“ Expansion und Innovation – zum Teil sind dies durchaus auch gewagte Schachzüge, die nicht einmal Synergien mit dem Kerngeschäft des Unternehmens aufweisen, aber in China gefragt sind.

Zum Beispiel ist ein Unternehmen bereit, ein völlig neues Produkt in sein Portfolio aufzunehmen, das es in der Form noch nicht gab aber das perfekt auf die Bedürfnisse der Verbraucher in China zugeschnitten ist.

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Wie etwa die „Lunchbox for women“. Sie wurde konzipiert für einen völlig neuen Typ Frau in China – die Zielgruppe „woman@work“. Die moderne Chinesin ist stolz, berufstätig zu sein, und zeigt das mit einer trendigen Mini-Handtasche, die isoliert ist und in der kleine, hübsche Nutrition-Snacks in trendy Verpackungen sowie eine Mini-Cola-Light Flasche mit ins Büro genommen werden. Mit diesem Produkt wird nicht nur das Bedürfnis junger Chinesinnen nach einem modischen Accessoire bedient, sondern auch die Themen Kalorienbewusstsein und gesunde Ernährung. Denn Teil der Box ist auch ein gesunder Müsliriegel fürs Büro. Der Hersteller dieser Box hat also alles richtig gemacht: Den Trend erkannt, und die Tatsache, dass Millionen berufstätiger, mode- und figurbewusster Frauen so ein stylishes, kalorienarmes Accessoire als „must have“ betrachten.

Die Chinesen sind uns in der Konsumentenforschung oft voraus und sind schneller bereit, umzudenken und innovative, neue Wege zu gehen: So hat der führende chinesische Hausgerätehersteller Haier erkannt, dass die Kartoffel als Hauptnahrungsmittel (längst wird jede vierte Kartoffeln weltweit in China angebaut), um 1,3 Milliarden Menschen satt zu machen, vor dem Verkauf auf dem lokalen Markt gewaschen werden muss. Bauern haben dies zum Teil in der hauseigenen Waschmaschine gemacht. Haier hat die Marktlücke erkannt und schnell reagiert. Es wurde in Westchina eine Waschmaschine zum Waschen von Kartoffeln UND Wäsche vermarktet, die reißenden Absatz fand und sich in kürzester Zeit millionenfach verkaufte. Ein innovativer Ansatz eines chinesischen Konzerns der zeigt, wie leicht es ist, durch das Erkennen von Bedürfnissen den Markt mit Alternativen zum herkömmlichen Sortiment zu bedienen. Wenn ein Unternehmen konsumentennahe Forschung betreibt, ist das perfekt umgesetzte Anwendungs-Innovation.

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Das gleiche ist einem anderen chinesischen Konzern auch mit der Vermarktung einer „Portable Cooking Station“ gelungen – denn nichts war naheliegender, als den zur Zeit geschätzten 350 Millionen Wanderarbeitern in China die Möglichkeit zu geben, sich unterwegs eine Mahlzeit zuzubereiten. Ein gutes Beispiel für gelungene Zielgruppen-Innovation und die perfekte Demonstration, wie Innovation einem Unternehmen im eigenen Land gelingen kann. „Disruptive Ideas“ nennt man solche bahnbrechenden und am Ende gewinnbringenden Konzepte, die innovative Ideen funktional erfolgreich in die Tat umsetzen.

Aber auch in Sektoren, in denen die Chinesen längst die Marktführerschaft inne halten, wie beispielsweise in der Windenergie, sollten deutsche Unternehmen ihre Nische suchen. Das Reich der Mitte ist zwar dabei, Weltmeister im Produzieren von Offshore-Windkraft zu werden, hat aber massive Defizite in der Wartung – und genau darum geht es für deutsche Unternehmen: zu erkennen, wo China Technologielücken hat und genau da anzusetzen. Wenn große Konzerne das Potential im Bereich Wartung und Technical-Support erkennen, kann ein deutscher Konzern schnell zum unverzichtbaren Knowledge Partner werden. Haben Chinesen moderne Helikopter und Offshore Boote für die Wartung der installierten Kapazitäten im Meer? Definitiv nicht. Und genau das sind die Schaltstellen, an denen angesetzt werden muss, um durch innovative Ansätze neue, erfolgreiche Business Modelle zu schaffen.

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Die Führungsspitze eines deutschen Konsumgüterkonzerns bleibt trotz der angeschlagenen Wirtschaft in China gelassen – „China ist und bleibt der Motor der Weltwirtschaft“, verkündete der Konzernchef erst kürzlich. Der Kosmetik-Sektor des Unternehmens fährt in China noch immer zweistellige Zuwachsraten ein. Aber auch hier ist Ideenreichtum gefragt und ein Umdenken, was das Kaufverhalten chinesischer Konsumenten betrifft. Kosmetikartikel werden in China immer häufiger online gekauft, nicht mehr in Supermärkten oder Drugstores. Der digitale Konsument muss natürlich ganz anders bedient werden als der Kunde im Laden. Wie erreicht man den „Digital Native Consumer“, der bisher im Laden an Shampoo-Flaschen riechen konnte oder Handcremes und Bodylotion auf Konsistenz und Duft testen konnte? Viel wird hier von der Markenpräsenz und der Verpackung abhängen – beides muss so gut und überzeugend sein, dass sich der Griff zum Tester für den Käufer im Internet erübrigt.

Hier ist vor allem das Einfühlungsvermögen und das Knowhow von Package Designern und Marketing Profis gefragt und sicher auch ein stetiges Umdenken und Wahrnehmen von Trends und Strömungen in China, um die Bedürfnisse der chinesischen Online Konsumenten optimal zu erfüllen und damit den Umsatz zu steigern. Dann könnten die Umsatzziele des europäischen Kosmetikkonzerns Realität werden.

Neben der Produktidee und Differenzierungsmöglichkeiten zum chinesischen Wettbewerb müssen natürlich auch lokale Voraussetzungen bei der operativen Umsetzung berücksichtigt werden – Besonderheiten in den chinesischen R&D Abteilungen deutscher Unternehmen, aber auch die Forderungen chinesischer Behörden in puncto Lokalisierung.
Die Balance zwischen “Innovation als USP” und der Verpflichtung zur “F&E Lokalisierung” muss eingehalten werden und stabil sein. Sie entscheidet am Ende über dauerhaften Erfolg in China.

Über unsere Gastautorin: Daniela Bartscher-Herold ist für EAC Consulting seit mehr als 20 Jahren in der Beratung deutscher Unternehmen in China tätig. Während ihres Vortrags auf der Veranstaltung “International Roadshow China” von Serviceplan am 17.11.2015 in München stellt sie an Hand von Case Studies verschiedener Produkte und Industrien die Chance auf Erfolg deutscher Unternehmen in China durch innovative Ansätze vor.

Das Reich der Mitte, weltweit bekannt als die Werkbank des Westens, ist schon seit vielen Jahren nicht mehr nur für seine extremen Produktionskapazitäten in aller Munde, sondern sticht immer wieder durch seine unendlichen Superlative in allen Statistiken und Rankings heraus und macht hier auch nicht Halt vor der digitalen Welt.

Aktuell sind in China bei einer Gesamtbevölkerung von 1,362,000 Einwohnern bereits mehr als 600 Millionen online, was eine Internet-Penetration von fast 50 Prozent darstellt und damit 22 Prozent der weltweiten Internet-User in einem Land vereint. (1) Hiervon verfügen über 95 Prozent über einen oder mehrere Social Media Accounts (2), die sie auch aktiv und durchschnittlich bis zu 1,7 Stunden pro Tag intensiv nutzen (3). Sie machen China damit zum unangefochtenen Social Media Giganten.

Aber damit nicht genug der Superlative: China hat es geschafft, in weniger als 15 Jahren zum weltweit zweitgrößten E-Tail-Markt und weltweit führend im Online-Verkauf von Luxusgütern zu werden. 2014 lag der Jahresgesamtumsatz aus Onlineverkäufen im Reich der Mitte bei 2,9 Billionen Renminbi, das sind rund 430 Milliarden Euro (4). Und der Markt wächst weiter – scheinbar ungebremst. Allein im ersten Quartal 2015 hat sich der Online-Shopping-Umsatz erneut um 45,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert; mit einem Anstieg des mobile Shoppings um 169,3 Prozent (5).  Aktuellste Vorhersagen rechnen sogar damit, dass 2015 zum Turning-Point im E-Commerce B-to-C wird und Mobile zum dominierenden E-Shopping-Kanal wird.

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Beeindruckende Zahlen – beeindruckende Ergebnisse. Ergebnisse, die weltweit Aufsehen erregen und Interesse wecken, das Phänomen “Digital Revolution in China” zu verstehen.

 

Über das digitale und mobile Ökosystem in China als solches wurde in den letzten Jahren viel geschrieben, sodass die drei chinesischen Internetgiganten Baidu, Alibaba und Tencent den meisten Marketern weltweit ein Begriff geworden sind. Drei Firmen und die drei hinter diesen Firmen stehenden Visionäre Robin Li (Baidu), Jack Ma (Alibaba) and Huateng „Pony“ Ma (Tencent) haben an der digitalen Revolution in China maßgeblich mitgewirkt und Chinas digitalen Markt zu dem gemacht, was er ist: ein BAT Ökosystem (Baidu / Alibaba / Tencent). Ein Ökosystem, das die drei Herren nicht nur an die Spitze des digitalen China, sondern darüber hinaus auch an die Spitze der Forbes-Liste der reichsten Chinesen katapultiert hat.

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Um als Firma in China erfolgreich zu sein – egal ob im Bereich B-to-C oder B-to-B, in der Konsumgüter- oder Luxusindustrie – müssen sich diese, um online präsent zu sein, in dieses Ökosystem einfügen und zwar auf eine Art und Weise, die für ihre chinesische Zielgruppe relevant ist. Dabei gilt, dass Bekanntes und Erprobtes aus der westlichen Welt in Fernost nicht ebenfalls die Lösung sein muss. Um Erfolg zu haben, ist es unerlässlich, dass sowohl das kulturelle, als auch das digitale Umfeld verstanden werden – und das nicht nur im Bezug auf die Sprache. Eine Anpassung an das moderne Leben in China ist essenziell und das bedeutet im Jahr 2015: Social Media, E-Commerce und Mobile.

Die Chinesen vertrauen Social Media mehr als allen anderen (Marketing-) Kanälen, da diese modernen Medien eine Möglichkeit zu Meinungsäußerung und -austausch bieten, die auf anderen – weitestgehend regierungsgesteuerten Kanälen – nicht möglich ist. Aufgrund des politischen Systems legen Chinesen sehr großen Wert auf die Meinungen von Mitbürgern. Empfehlungen von Freunden, aus der Familie oder von Geschäftspartnern stehen hoch im Kurs. Mehr als 66 Prozent aller Chinesen vertrauen und verlassen sich auf ihre Freunde – und das insbesondere auch wenn es um Kauf- oder Investmentempfehlungen geht. Darüber hinaus bieten die Instant-Messaging-Systeme im E-Commerce den direkten und unmittelbaren Kontakt mit den Kunden, was das Vertrauen und die Einflussnahme auf den Kunden deutlich steigern kann. Die Interaktion zwischen den Usern, mit KOLs (Key Opinion Leader), sowie den Marken kann daher in den sozialen Kanälen auf einer anderen Ebene stattfinden und direkt sowie gezielt auf die Entscheidungsfindung einwirken. Dies hat dazu geführt, dass es nirgends weltweit mehr Social-Media-Süchtige gibt.

Da die meisten sozialen Netzwerke des Westens (Pinterest, Facebook, Google+, Twitter und YouTube) in China jedoch geblockt sind und über VPN Tunnel allenfalls schlecht und nicht zuverlässig erreicht werden können, hat sich daher über die letzten Jahre ein eigenständiges nationales soziales Netzwerk entwickelt, das auf den zentralen Plattformen Sina Weibo und Tencent’s We Chat basiert und ein soziales Marketingnetz gesponnen hat, das nach Auffassung vieler Experten besser und unter Marketingaspekten zielorientierter und effizienter eingesetzt werden kann und wird, als dies in der westlichen Welt der Fall ist.

Im Hinblick auf E-Commerce hat der letzte Fünfjahresplan (2011-2015) der chinesischen Regierung klar vorgegeben: China als globaler Marktführer im E-Commerce. Dies wurde zentralisiert und mit Nachdruck auf den Weg gebracht. Die Maßnahmen der Regierung reichten dabei von vereinfachten Prozessen bei der Gründung von E-Commerce-Firmen und Steuererleichterungen über erhebliche Verbesserungen des Internet- und Mobilnetzes (4G), sowie der Logistikwege bis hin zu innovativen Zahlungsmodalitäten. Und das Ziel wurde erreicht. Chinesische Konsumenten kauften mehr online denn je, und die eingangs erwähnten unglaublichen Zahlen belegen das. Aber auch hier gilt, nur wer versteht, wie die Giganten Alibaba (B2B), Taobao (C2C) & Tmall (B2C) funktionieren, kann hier erfolgreich mitspielen.

Was aber macht nun den chinesischen Markt so anders als unseren? Wie kommt es zu diesen Superlativen? Und vor allem: Wie kann man diese Chancen für sich nutzen?

Jack Ma, der Gründer von Alibaba, brachte es kürzlich in einem Interview auf den Punkt: „In other countries e-commerce is a way to shop, in China it is a lifestyle“ – und das ist genau das, was E-Commerce in China von dem im Rest der Welt unterscheidet.

Und was für E-Commerce gilt, gilt ebenso für sonstige digitale Maßnahmen. Das Phänomen in China sind nicht die Zahlen als solche – so beindruckend sie auch sind – sondern die Tatsache, dass „online“ in das Leben von 1,3 Milliarden Chinesen „integriert“ wurde. Dass es eine nicht wegzudenkende „Selbstverständlichkeit“ ist.

Marketing in China kann daher nur erfolgreich sein, wenn auch hier „digital“ eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn es Teil des Alltags ist. Die Chinesen leben im Internet – das Internet ist ein Teil ihres Lebens. Daher gilt: Die digitalen Kanäle müssen einen essentiellen Teil dieses alltäglichen Lebens übernehmen – via Desktop, Tablet, Smartphone, QR-Code, Social Media, KOLs, Instant Messaging, Alipay… Jede denkbare digital Maßnahme muss angedacht und wenn möglich genutzt werden, um sich und die eigene Marke ins Leben der chinesischen Verbraucher zu integrieren. Das ist eine Herausforderung, die bei der Markteinfuehrung westlicher Marken in China in vielen Fällen von den deutschen/europäischen/amerikanischen Headquartern nicht gemeistert werden kann. Der Ansatz „wir haben ein Marketingkonzept und das rollen wir weltweit aus” mag in vielen europäischen Ländern oder den USA gut bis bedingt funktionieren – China hingegen benötigt einen anderen Ansatz. In China ist „digital“ nicht einer der Marketingkanäle – es ist das Herz des Marketings. Der Punkt, wo alle Stränge zusammenlaufen. Fast keine Kampagne kommt mehr ohne einen Schwerpunkt Digital aus. Die Mehrzahl der Mediapläne für chine beschränkt sich  zur großen Verwunderung der europäischen Kollegen nahezu ausschließlich auf digitale Kanäle – und wenn Offline ausnahmsweise berücksichtigt wird, ist es nur Teil einer wohldurchdachten Offline-to-Online- (und vice versa) Mechanik, die hier der Schlüssel zum Erfolg ist.

Die nahtlose Integration von virtueller und realer Welt ist heute in China nicht mehr Theorie sondern Praxis, was die vermehrt in den Medien hervorgehobenen Investitionen von chinesischen Technologieunternehmen wie Baidu, Sina oder Tencent in Retailunternehmen und Offline-Geschäftsmodelle bestätigen.

Social Media hat im modernen China die Schlüsselfunktion erfolgreicher Kampagnen übernommen.

Zu Zeiten, in denen Social Media in der westlichen (und aus chinesischer Sicht völlig veralteten) Welt als die grosse Innovation in der Kundenkommunikation und im User-Dialog gefeiert wird, stellt Social Media in China bereits ein Allzweck-Instrument bzw. das zentrale Kampagnengerüst dar und bietet neben Vermarktungsmöglichkeit gleichzeitig schon den direkten Shopping-Kanal, Zahlungsterminal und die Versandverfolgung in einer einzelnen Applikation in der Hand des Käufers an.

Und damit ist noch lange nicht Schluss. Fast jede Woche schicken Chinas digitale Player neue Innovationen und Techniken ins Rennen, welche von der wissbegierigen und gegenüber Innovationen und technischer Highlights extrem aufgeschlossenen Gesellschaft in kürzester Zeit angenommen und ins tägliche Leben integriert werden. Neuerungen, die in der westlichen Welt oft Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um sich eine breitflächige Anerkennung zu sichern, breiten sich in China in Rekordgeschwindigkeit über alle Alters- und Einkommensklassen aus.

Aber China ist nicht nur ein Markt der Giganten. Neben den bekannten, schon erwähnten Playern, gibt es immer noch genügend Raum für Tausende von Nischenplayern (mit trotzdem nicht selten mehr 500,000 aktiven Nutzern), die durch Innovation und Kundenfokus den immer noch ungestillten Hunger der Early Adapter befriedigen. Der Bedarf für die Integration digitaler Anwendungen im täglichen Leben ist unermesslich und so gibt es inzwischen für jeden nur erdenklichen Bedarf digitale Spielereien – die das Leben nicht selten deutlich einfacher gestalten. So ist es bereits Standard, dass das Bezahlen am Getränkeautomat mit dem Smartphone erfolgt, und im täglichen Leben die Nutzung von Taxis oder die Bezahlung von Rechnungen ohne App und mit Bargeld nahezu unmöglich wird – und zumindest als veraltet und primitiv angesehen.

Anwendungen wie QR-Codes oder Beacons, die man in Deutschland mehr noch als Spielerei auf Technologiemessen oder als Guide in innovativen Museen findet, sind in Chinas Städten essentielle Instrumente, um die Kommunikation zwischen Werbetreibenden und Ihren Konsumenten zu garantieren.

Für die am Werben und Verkaufen Beteiligten stellen diese Entwicklungen in vierlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Ist es bereits eine Herausforderung, bei all diesen Neuerungen up-to-date zu bleiben, bedarf es dann in einem zweiten Schritt daran, die neuen Innovationen erfolgreich einzusetzen zu wissen und entsprechend in den Kommunikationsmix wie aber auch in Verkaufs- und Vertriebsprozesse zu integrieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Entwicklung von WeChat im Bereich der virtuellen Geld-Transaktionen aber auch der Einsatz des Smartphones als zukünftig dominierender E-Commerce-Kanal.

Diese Entwicklungen legen aber insbesondere westlichen Unternehmen nicht selten unerwartete Steine in den Weg. Sich einen Überblick zu verschaffen und den richtigen Ansatz zu finden, bringt oft ungeplante hohe Kosten für stark lokalisierte Kommunikations- und Distributionskonzepte sowie die entsprechenden Umsetzungen mit sich. Dies führt nicht selten dazu, dass globale Kampagnen mit überschaubaren und begrenzten Aufwänden lokal adaptiert werden – dies dann nicht selten mit mäßigem Erfolg. Wer jedoch bereit ist, zu investieren und die Möglichkeiten des chinesischen digitalen Spielfelds ausschöpft, wird belohnt – und die westlichen Marken, die einen lokalen Ansatz verinnerlicht haben, werden mit einer überraschend starken Marktposition belohnt.

Das Geheimnis des Erfolgs hierfür ist in der Regel ein starkes lokales Team mit den richtigen Partnern vor Ort, entsprechender Offenheit gegenüber neuen Technologien und teils dem Westen völlig unbekannten Playern und Plattformen. Vorausgesetzt auch entsprechende Flexibilität in der Umsetzung, insbesondere, wenn es um globale Richtlinien, IT-Standards und Freigaben geht. Hierbei hinkt die westliche Welt nur zu oft den Entwicklungen in Fernost hinterher und Zeit spielt in China eine sehr wichtige Rolle. China ist im permanenten Wandel und die Entwicklung ist in vielen Bereichen deutlich dem Westen voraus. Insbesondere im digitalen Umfeld ist die Entwicklung rasend schnell und verlangt von allen, die erfolgreich mitspielen möchten, höchste Geschwindigkeit.

Frei nach dem Mantra der Digitale-Experten in China: „Execute fast, or die.”

(1) http://www.internetlivestats.com/internet-users/china/
(2) was die über der Zahl der Gesamtuser liegende Zahl der Social Media User erklärt
(3) NBS of China, CNNIC, Tencent, MIIT of China, Global Webindex: wearesocial.com;
(4) http://www.iresearchchina.com/views/6484.html;
(5) http://www.iresearchchina.com/views/6484.html; http://www.iresearchchina.com/views/6449.html

Der Artikel wurde im dmexco-Magazin von Horizont veröffentlicht.