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Das Reich der Mitte, weltweit bekannt als die Werkbank des Westens, ist schon seit vielen Jahren nicht mehr nur für seine extremen Produktionskapazitäten in aller Munde, sondern sticht immer wieder durch seine unendlichen Superlative in allen Statistiken und Rankings heraus und macht hier auch nicht Halt vor der digitalen Welt.

Aktuell sind in China bei einer Gesamtbevölkerung von 1,362,000 Einwohnern bereits mehr als 600 Millionen online, was eine Internet-Penetration von fast 50 Prozent darstellt und damit 22 Prozent der weltweiten Internet-User in einem Land vereint. (1) Hiervon verfügen über 95 Prozent über einen oder mehrere Social Media Accounts (2), die sie auch aktiv und durchschnittlich bis zu 1,7 Stunden pro Tag intensiv nutzen (3). Sie machen China damit zum unangefochtenen Social Media Giganten.

Aber damit nicht genug der Superlative: China hat es geschafft, in weniger als 15 Jahren zum weltweit zweitgrößten E-Tail-Markt und weltweit führend im Online-Verkauf von Luxusgütern zu werden. 2014 lag der Jahresgesamtumsatz aus Onlineverkäufen im Reich der Mitte bei 2,9 Billionen Renminbi, das sind rund 430 Milliarden Euro (4). Und der Markt wächst weiter – scheinbar ungebremst. Allein im ersten Quartal 2015 hat sich der Online-Shopping-Umsatz erneut um 45,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert; mit einem Anstieg des mobile Shoppings um 169,3 Prozent (5).  Aktuellste Vorhersagen rechnen sogar damit, dass 2015 zum Turning-Point im E-Commerce B-to-C wird und Mobile zum dominierenden E-Shopping-Kanal wird.

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Beeindruckende Zahlen – beeindruckende Ergebnisse. Ergebnisse, die weltweit Aufsehen erregen und Interesse wecken, das Phänomen “Digital Revolution in China” zu verstehen.

 

Über das digitale und mobile Ökosystem in China als solches wurde in den letzten Jahren viel geschrieben, sodass die drei chinesischen Internetgiganten Baidu, Alibaba und Tencent den meisten Marketern weltweit ein Begriff geworden sind. Drei Firmen und die drei hinter diesen Firmen stehenden Visionäre Robin Li (Baidu), Jack Ma (Alibaba) and Huateng „Pony“ Ma (Tencent) haben an der digitalen Revolution in China maßgeblich mitgewirkt und Chinas digitalen Markt zu dem gemacht, was er ist: ein BAT Ökosystem (Baidu / Alibaba / Tencent). Ein Ökosystem, das die drei Herren nicht nur an die Spitze des digitalen China, sondern darüber hinaus auch an die Spitze der Forbes-Liste der reichsten Chinesen katapultiert hat.

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Um als Firma in China erfolgreich zu sein – egal ob im Bereich B-to-C oder B-to-B, in der Konsumgüter- oder Luxusindustrie – müssen sich diese, um online präsent zu sein, in dieses Ökosystem einfügen und zwar auf eine Art und Weise, die für ihre chinesische Zielgruppe relevant ist. Dabei gilt, dass Bekanntes und Erprobtes aus der westlichen Welt in Fernost nicht ebenfalls die Lösung sein muss. Um Erfolg zu haben, ist es unerlässlich, dass sowohl das kulturelle, als auch das digitale Umfeld verstanden werden – und das nicht nur im Bezug auf die Sprache. Eine Anpassung an das moderne Leben in China ist essenziell und das bedeutet im Jahr 2015: Social Media, E-Commerce und Mobile.

Die Chinesen vertrauen Social Media mehr als allen anderen (Marketing-) Kanälen, da diese modernen Medien eine Möglichkeit zu Meinungsäußerung und -austausch bieten, die auf anderen – weitestgehend regierungsgesteuerten Kanälen – nicht möglich ist. Aufgrund des politischen Systems legen Chinesen sehr großen Wert auf die Meinungen von Mitbürgern. Empfehlungen von Freunden, aus der Familie oder von Geschäftspartnern stehen hoch im Kurs. Mehr als 66 Prozent aller Chinesen vertrauen und verlassen sich auf ihre Freunde – und das insbesondere auch wenn es um Kauf- oder Investmentempfehlungen geht. Darüber hinaus bieten die Instant-Messaging-Systeme im E-Commerce den direkten und unmittelbaren Kontakt mit den Kunden, was das Vertrauen und die Einflussnahme auf den Kunden deutlich steigern kann. Die Interaktion zwischen den Usern, mit KOLs (Key Opinion Leader), sowie den Marken kann daher in den sozialen Kanälen auf einer anderen Ebene stattfinden und direkt sowie gezielt auf die Entscheidungsfindung einwirken. Dies hat dazu geführt, dass es nirgends weltweit mehr Social-Media-Süchtige gibt.

Da die meisten sozialen Netzwerke des Westens (Pinterest, Facebook, Google+, Twitter und YouTube) in China jedoch geblockt sind und über VPN Tunnel allenfalls schlecht und nicht zuverlässig erreicht werden können, hat sich daher über die letzten Jahre ein eigenständiges nationales soziales Netzwerk entwickelt, das auf den zentralen Plattformen Sina Weibo und Tencent’s We Chat basiert und ein soziales Marketingnetz gesponnen hat, das nach Auffassung vieler Experten besser und unter Marketingaspekten zielorientierter und effizienter eingesetzt werden kann und wird, als dies in der westlichen Welt der Fall ist.

Im Hinblick auf E-Commerce hat der letzte Fünfjahresplan (2011-2015) der chinesischen Regierung klar vorgegeben: China als globaler Marktführer im E-Commerce. Dies wurde zentralisiert und mit Nachdruck auf den Weg gebracht. Die Maßnahmen der Regierung reichten dabei von vereinfachten Prozessen bei der Gründung von E-Commerce-Firmen und Steuererleichterungen über erhebliche Verbesserungen des Internet- und Mobilnetzes (4G), sowie der Logistikwege bis hin zu innovativen Zahlungsmodalitäten. Und das Ziel wurde erreicht. Chinesische Konsumenten kauften mehr online denn je, und die eingangs erwähnten unglaublichen Zahlen belegen das. Aber auch hier gilt, nur wer versteht, wie die Giganten Alibaba (B2B), Taobao (C2C) & Tmall (B2C) funktionieren, kann hier erfolgreich mitspielen.

Was aber macht nun den chinesischen Markt so anders als unseren? Wie kommt es zu diesen Superlativen? Und vor allem: Wie kann man diese Chancen für sich nutzen?

Jack Ma, der Gründer von Alibaba, brachte es kürzlich in einem Interview auf den Punkt: „In other countries e-commerce is a way to shop, in China it is a lifestyle“ – und das ist genau das, was E-Commerce in China von dem im Rest der Welt unterscheidet.

Und was für E-Commerce gilt, gilt ebenso für sonstige digitale Maßnahmen. Das Phänomen in China sind nicht die Zahlen als solche – so beindruckend sie auch sind – sondern die Tatsache, dass „online“ in das Leben von 1,3 Milliarden Chinesen „integriert“ wurde. Dass es eine nicht wegzudenkende „Selbstverständlichkeit“ ist.

Marketing in China kann daher nur erfolgreich sein, wenn auch hier „digital“ eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn es Teil des Alltags ist. Die Chinesen leben im Internet – das Internet ist ein Teil ihres Lebens. Daher gilt: Die digitalen Kanäle müssen einen essentiellen Teil dieses alltäglichen Lebens übernehmen – via Desktop, Tablet, Smartphone, QR-Code, Social Media, KOLs, Instant Messaging, Alipay… Jede denkbare digital Maßnahme muss angedacht und wenn möglich genutzt werden, um sich und die eigene Marke ins Leben der chinesischen Verbraucher zu integrieren. Das ist eine Herausforderung, die bei der Markteinfuehrung westlicher Marken in China in vielen Fällen von den deutschen/europäischen/amerikanischen Headquartern nicht gemeistert werden kann. Der Ansatz „wir haben ein Marketingkonzept und das rollen wir weltweit aus” mag in vielen europäischen Ländern oder den USA gut bis bedingt funktionieren – China hingegen benötigt einen anderen Ansatz. In China ist „digital“ nicht einer der Marketingkanäle – es ist das Herz des Marketings. Der Punkt, wo alle Stränge zusammenlaufen. Fast keine Kampagne kommt mehr ohne einen Schwerpunkt Digital aus. Die Mehrzahl der Mediapläne für chine beschränkt sich  zur großen Verwunderung der europäischen Kollegen nahezu ausschließlich auf digitale Kanäle – und wenn Offline ausnahmsweise berücksichtigt wird, ist es nur Teil einer wohldurchdachten Offline-to-Online- (und vice versa) Mechanik, die hier der Schlüssel zum Erfolg ist.

Die nahtlose Integration von virtueller und realer Welt ist heute in China nicht mehr Theorie sondern Praxis, was die vermehrt in den Medien hervorgehobenen Investitionen von chinesischen Technologieunternehmen wie Baidu, Sina oder Tencent in Retailunternehmen und Offline-Geschäftsmodelle bestätigen.

Social Media hat im modernen China die Schlüsselfunktion erfolgreicher Kampagnen übernommen.

Zu Zeiten, in denen Social Media in der westlichen (und aus chinesischer Sicht völlig veralteten) Welt als die grosse Innovation in der Kundenkommunikation und im User-Dialog gefeiert wird, stellt Social Media in China bereits ein Allzweck-Instrument bzw. das zentrale Kampagnengerüst dar und bietet neben Vermarktungsmöglichkeit gleichzeitig schon den direkten Shopping-Kanal, Zahlungsterminal und die Versandverfolgung in einer einzelnen Applikation in der Hand des Käufers an.

Und damit ist noch lange nicht Schluss. Fast jede Woche schicken Chinas digitale Player neue Innovationen und Techniken ins Rennen, welche von der wissbegierigen und gegenüber Innovationen und technischer Highlights extrem aufgeschlossenen Gesellschaft in kürzester Zeit angenommen und ins tägliche Leben integriert werden. Neuerungen, die in der westlichen Welt oft Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um sich eine breitflächige Anerkennung zu sichern, breiten sich in China in Rekordgeschwindigkeit über alle Alters- und Einkommensklassen aus.

Aber China ist nicht nur ein Markt der Giganten. Neben den bekannten, schon erwähnten Playern, gibt es immer noch genügend Raum für Tausende von Nischenplayern (mit trotzdem nicht selten mehr 500,000 aktiven Nutzern), die durch Innovation und Kundenfokus den immer noch ungestillten Hunger der Early Adapter befriedigen. Der Bedarf für die Integration digitaler Anwendungen im täglichen Leben ist unermesslich und so gibt es inzwischen für jeden nur erdenklichen Bedarf digitale Spielereien – die das Leben nicht selten deutlich einfacher gestalten. So ist es bereits Standard, dass das Bezahlen am Getränkeautomat mit dem Smartphone erfolgt, und im täglichen Leben die Nutzung von Taxis oder die Bezahlung von Rechnungen ohne App und mit Bargeld nahezu unmöglich wird – und zumindest als veraltet und primitiv angesehen.

Anwendungen wie QR-Codes oder Beacons, die man in Deutschland mehr noch als Spielerei auf Technologiemessen oder als Guide in innovativen Museen findet, sind in Chinas Städten essentielle Instrumente, um die Kommunikation zwischen Werbetreibenden und Ihren Konsumenten zu garantieren.

Für die am Werben und Verkaufen Beteiligten stellen diese Entwicklungen in vierlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Ist es bereits eine Herausforderung, bei all diesen Neuerungen up-to-date zu bleiben, bedarf es dann in einem zweiten Schritt daran, die neuen Innovationen erfolgreich einzusetzen zu wissen und entsprechend in den Kommunikationsmix wie aber auch in Verkaufs- und Vertriebsprozesse zu integrieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Entwicklung von WeChat im Bereich der virtuellen Geld-Transaktionen aber auch der Einsatz des Smartphones als zukünftig dominierender E-Commerce-Kanal.

Diese Entwicklungen legen aber insbesondere westlichen Unternehmen nicht selten unerwartete Steine in den Weg. Sich einen Überblick zu verschaffen und den richtigen Ansatz zu finden, bringt oft ungeplante hohe Kosten für stark lokalisierte Kommunikations- und Distributionskonzepte sowie die entsprechenden Umsetzungen mit sich. Dies führt nicht selten dazu, dass globale Kampagnen mit überschaubaren und begrenzten Aufwänden lokal adaptiert werden – dies dann nicht selten mit mäßigem Erfolg. Wer jedoch bereit ist, zu investieren und die Möglichkeiten des chinesischen digitalen Spielfelds ausschöpft, wird belohnt – und die westlichen Marken, die einen lokalen Ansatz verinnerlicht haben, werden mit einer überraschend starken Marktposition belohnt.

Das Geheimnis des Erfolgs hierfür ist in der Regel ein starkes lokales Team mit den richtigen Partnern vor Ort, entsprechender Offenheit gegenüber neuen Technologien und teils dem Westen völlig unbekannten Playern und Plattformen. Vorausgesetzt auch entsprechende Flexibilität in der Umsetzung, insbesondere, wenn es um globale Richtlinien, IT-Standards und Freigaben geht. Hierbei hinkt die westliche Welt nur zu oft den Entwicklungen in Fernost hinterher und Zeit spielt in China eine sehr wichtige Rolle. China ist im permanenten Wandel und die Entwicklung ist in vielen Bereichen deutlich dem Westen voraus. Insbesondere im digitalen Umfeld ist die Entwicklung rasend schnell und verlangt von allen, die erfolgreich mitspielen möchten, höchste Geschwindigkeit.

Frei nach dem Mantra der Digitale-Experten in China: „Execute fast, or die.”

(1) http://www.internetlivestats.com/internet-users/china/
(2) was die über der Zahl der Gesamtuser liegende Zahl der Social Media User erklärt
(3) NBS of China, CNNIC, Tencent, MIIT of China, Global Webindex: wearesocial.com;
(4) http://www.iresearchchina.com/views/6484.html;
(5) http://www.iresearchchina.com/views/6484.html; http://www.iresearchchina.com/views/6449.html

Der Artikel wurde im dmexco-Magazin von Horizont veröffentlicht.