Das Thema dieses Jahr lautet: „Mobile, Local, Social – Dreiklang der vernetzten Gesellschaft“. Ein gutes Thema, finde ich, denn die „Internetisierung“ unseres Lebens ist tatsächlich der gesellschaftliche Megatrend, der unser Leben verändert.

Das fängt bei der Liebe an: Jeder zweite Single sucht heute seinen Partner im Netz, von fünf Paaren findet eines dort zusammen; und genauso viele lassen sich – sagt man – durch eine auf Facebook aufgedeckte Affäre wieder scheiden.
Das geht bei der Politik weiter: Die nordafrikanischen Revolutionen wären ohne die modernen Kommunikations- und Organisationsformen im Netz so nicht vorstellbar gewesen. In Ägypten haben sich 94 Prozent der Bevölkerung auf soziale Medien verlassen. 85 Prozent sind den privaten, unabhängigen Medien gefolgt. Und nur 40 Prozent haben dem Staatsfernsehen geglaubt.
Und es hört bei den Märkten auf: Die Musikindustrie wurde auf den Kopf gestellt, in der Buchindustrie verkauft Amazon in den USA auf 100 Bücher bereits 105 eBooks. Und am Ende wird sich auch die Filmindustrie sich grundlegend ändern.

Daraus ergibt sich mein Thema: Wie sieht die Zukunft der Kommunikation aus?

Schauen wir uns zunächst die Gegenwart an: Die Werbeausgaben betrugen 2010 netto 18 Milliarden Euro. Davon wurden rund 20 Prozent – Search und Affiliate mit eingerechnet – im Netz investiert und damit Radio als Mediengattung erstmals überholt. Bis 2014 erwartet PricewaterhouseCoopers einen Spendinganteil von 32 Prozent im Netz – es würde damit das Fernsehen überholt haben.

Die Zukunft der Werbung liegt also im Netz!

Und zwar mit zunehmender Geschwindigkeit: Die Reichweite des Netzes ist mit 75 Prozent zwar nahe am Sättigungsgrad. Aber die Nutzungsdauer nicht: Jüngere Menschen sind heute bereits rund 144 Minuten online, Tageszeitungen dagegen lesen sie noch zehn Minuten am Tag – wenn überhaupt. Und bei den unter 30-Jährigen hat die Nutzungdauer von Online mit dem Fernsehen bereits gleichgezogen, Tendenz steigend.
Außerdem kommen immer neue Endgeräte auf den Markt, die das Internet aus dem Büro in unser alltägliches Leben hineintragen: Zuerst Notebooks, dann Smartphones – und jetzt die Tablets. Wer übrigens meint, dass das „Nerds“ sind, irrt gewaltig: 40 Prozent aller besser verdienenden Zielgruppen besitzen bereits Smartphones oder planen, sich ein solches in den nächsten drei Monaten anzuschaffen. Für Tablets liegt diese Zahl bei 25 Prozent. Und der nächste große Trend wird Interactive-TV sein, der das Internet ins Wohnzimmer bringt.

Wenn das Internet also die Zukunft der Werbung ist, dann stellt sich im nächsten Schritt die Frage nach seiner Rolle im Kommunikationsmix. Und da spielt sich in meiner Branche gerade eine bizarre Diskussion ab: Einerseits, ob das Netz ein Medium unter vielen (und somit nichts Neues) sei – oder andererseits einfach eine technische Infrastruktur. Zum ersten Standpunkt neigen die klassischen Agenturen, zum letzteren die jüngeren Digitalagenturen.
Ich glaube, das Internet ist werblich gesehen weder Medium noch technische Infrastruktur. Das Internet ist schlichtweg die Medienplattform der Zukunft, die nicht nur Spendings von über 50 Prozent in sich vereinen wird, sondern auch jahrzehntelang bewährte Kampagnenmechaniken in Frage stellt.

Ich sehe vier grundlegende Trends für die Kommunikation der Zukunft, die Werber und Medien betreffen:

1. Targeting: In Zeiten des Internets müssen wir unser Verständnis von Zielgruppen völlig verändern. Anstelle von soziodemographischen Beschreibungen wie „14-49“ versus „14-59“ oder „Haushaltsnettoeinkommen 3000 Euro und mehr“ werden wir in Zukunft quasi-individuelle Profile von Menschen ansprechen. Anonymisierte Profile, deren Kontakthistorie wir im Zweifelsfall kennen und auf die wir dann im nächsten Schritt auch individualisierte Kampagnen aussteuern können.
Das wird das Verhältnis von Medien, Agenturen und Marken nachhaltig ändern: Denn in Zukunft steht nicht mehr der abstrakte Wert der Medienmarke und die Platzierung eines Werbemittels im Vordergrund, sondern die Performance einer Medienmarke, möglichst viele von diesen Einzelprofilen bei sich zu versammeln.

2. Bewegtbild: Der Appetit der Menschen nach bewegten Bildern scheint unersättlich: Jeden Tag werden alleine auf YouTube weltweit drei Milliarden Videos angesehen – bei einer Weltbevölkerung von rund sieben Milliarden. Der Grund dafür ist einfach: Die Neuroforschung zeigt, dass die Evolution unser Gehirn eigentlich nicht für statische Anzeigen, Plakate oder klassische Banner ausgelegt hat. Die Savanne kannte keine Zeitschriften oder Plakate. Sie kannte nur Geschichten, die das Leben schrieb. Bewegte Bilder berühren uns deswegen heute noch viel emotionaler, sie erzählen uns Geschichten und sind damit merkfähiger als statische Bilder.
Bisher waren die Produktion und vor allem die technische Distribution von bewegten Bildern in der Werbung teuer und deswegen wirtschaftlich begrenzt. Durch das Hochgeschwindigkeitsnetz ändert sich das dramatisch. Bewegte Bilder werden wirtschaftlich und ihr Anteil wächst seit Jahren dreistellig, alleine im vergangenen Jahr um 115 Prozent.
Für uns Agenturen, aber auch die Medienunternehmen, stellt das enorme Herausforderungen an die Ausbildung unserer Mitarbeiter, aber auch an die technische Infrastruktur, um diesem anwachsenden Bedarf Herr zu werden.

3. Räumlichkeit: Viele Unternehmen mögen zunehmend globale Organisationen werden. Der Mensch bleibt aber im Kern ein sehr lokales Wesen. Schauen Sie sich nur den Radius eines Mobilfunktelefonates an: Man würde ja meinen, die Menschen telefonierten den ganzen Tag durch die Welt. Weit geirrt – er liegt im Schnitt bei drei bis vier Kilometern. Trotzdem haben wir uns angewöhnt, die meisten Marken national oder gar global zu bewerben und auf den Menschen in seinem Umfeld nicht wirklich einzugehen. Hintergrund waren wiederum die hohen Kosten und die begrenzte Verfügbarkeit lokaler Medien, insbesondere im Bewegtbildbereich. Durch die Verbreitung des mobilen Internets und die Geocodierung ändert sich das grundlegend: Die Lokalisierung von Kampagnen und die technische Auslieferung über mobile Endgeräte oder „Digital Signage“ am Point of Sale wird in Zukunft unproblematisch.
Und Plattformen wie Foursquare, Layar aber auch Groupon zeigen, dass die Menschen diese lokalen Angebote gerne annehmen. In Zukunft werden unsere Markenwelten also den Menschen dort umgeben, wo er ist. Und wir werden mit dem Wissen, wo Menschen gerade sind, die Möglichkeit haben, sie gezielter ansprechen zu können und Kreation im Raum zu entwickeln. Aber auch da brauchen wir die Medien, die uns diese lokalen Inhalte und Plattformen zur Verfügung zu stellen.

4. Demokratisierung: Wäre Facebook ein Land, wäre es das drittgrößte der Erde nach China und Indien. Und Lady Gaga, Justin Bieber und Britney Spears haben auf Twitter mehr Follower als Australien Einwohner. Ein sagenhafter Erfolg mit märchenhaften Wachstumsraten, keine Frage. Und im Gegensatz zu „Second Life“ melden sich die Menschen nicht nur auf Facebook an, sondern sie verbringen dort heute schon 15 Prozent ihrer Zeit im Netz; Tendenz stark steigend. Soziale Netzwerke sind also keine Übergangserscheinung, sondern ein langfristiger Trend.
Aber wie gehen wir mit ihnen in der Kommunikation um? „Facebook machen wir jetzt auch bei uns im Konzern“, hört man immer wieder. So einfach ist es leider nicht. Denn die Menschen draußen schauen sich auf Facebook kaum Werbung an. Die Klickraten eines Werbemittels liegt auf Facebook bei einem Hundertstel gegenüber einer Standardplatzierung im Internet. Nein, die Menschen sehen sich auf Facebook Dinge an, die Ihnen Spaß machen. Facebook ist stellvertretend für den Trend, dass die „Medienplattform Online“ unsere Werbung vom Push- zum Pullkonzept macht. Der alte Deal – „Du schaust Dir unsere Werbung an, damit du danach den Film sehen kannst“ – wird damit obsolet.

Das heißt: Die zentrale Aufgabe für uns als Werber oder Medialeute ist es, den Menschen Geschichten zu erzählen, die sie sehen wollen. Storytelling, die Marke zum Medium werden zu lassen und dadurch eigene Reichweite aufzubauen, ist also der vierte große Megatrend der Kommunikation. Aus Copywritern und Art Direktoren werden in Zukunft Geschichtenerzähler und Regisseure.

Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Vom eigenen Sender wie beispielsweise BMW TV, auf dem die Marke BMW komplexe Botschaften unterhaltsam aufbereiten kann, der eigenen Serie wie Horst Schlämmer für VW oder einer Kindersendung wie etwa Ninjago für LEGO bis hin zur Domino-Show oder einem Kommunikationskonzept für Coke, das den Menschen emotionale Geschichten über ihre Wünsche und Kindheitsträume erzählt…

Auch in der Werbung ist in Zukunft Content also King. Content, der relevant für die Marke ist, denn sonst will ihn keiner bezahlen, der authentisch ist, denn sonst wird er im Netz zerrissen und der vor allem unterhaltend ist, denn sonst wird er erst gar nicht abgerufen.

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