Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich mag Buzzwords nicht. Sie sind wie lästige Eintagsfliegen, die Aufmerksamkeit kosten, ohne Nutzen zu stiften. Ihr aufdringliches Summen erschwert es, klare Gedanken zu formen. Und zu viele Eintagsfliegen auf einmal versperren die Sicht auf das wirklich Wesentliche.

Deshalb mag ich beispielsweise die Begrifflichkeiten „agil“ und „4.0“ nicht sonderlich. Zu oft klatscht man sie vor oder hinter alles und jedes in der Hoffnung, auch ein bisschen disruptiven Transformationszeitgeist versprühen zu können und zu signalisieren: Ich bin am Puls der Zeit und habe (vermeintlich) alles im Griff.

Vier Buchstaben, die es in sich haben

Das Akronym VUKA (im Englischen: VUCA), das seinen Ursprung im US-Military-Umfeld der 1990er Jahre hat, schätze ich – seiner Langlebigkeit und Aussagekraft wegen – dagegen sehr.

Die vier Buchstaben stehen für: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Vier harmlose Buchstaben, die es in sich haben. Denn sie beschreiben sehr trefflich den aktuellen Zustand unserer Welt und das, was wir zukünftig in exponentieller Dosis erwarten dürfen – mit noch schwer absehbaren Folgen für Organisation und Mensch.

Dass die Umwelt, in der wir uns bewegen, einen ganz elementaren Einfluss auf die Wertschöpfungskraft einer Organisation und eines jeden Mitarbeiters hat, ist hinlänglich bekannt. Somit fordert uns VUKA heraus – ob wir es wollen oder nicht -, bisherige Spielregeln erfolgreicher Unternehmensführung systematisch zu hinterfragen.

Denn: Methoden, Strukturen und Glaubenssätze, die in der Vergangenheit Wertschöpfung langfristig sicherten, sind bereits heute an vielen Stellen bestenfalls zahnlose Tiger, schlimmstenfalls kosten sie extrem viel Energie und vernichten Wertschöpfung.

Doch was bedeutet das nun konkret für Sie als CEO, CDO oder CMO? Wie entsteht in einer VUKA-geprägten Welt substantielle Wertschöpfung? Was sind die neuen Erfolgsfaktoren einer unternehmerischen Elite, die mit Mut, Neugierde und einer großen Portion Pioniergeist an vorderster Front experimentiert?

Seit knapp zehn Jahren beschäftige ich mich intensiv mit diesen Fragen. Die wichtigsten empirischen Erkenntnisse lassen sich in drei Kernthesen zusammenfassen.

1. Embrace, don’t fight.

Gegen etwas kämpfen, das sich ohnehin nicht ändern lässt? Das kostet ungemein viel Zeit und Energie. Zeit und Energie, die uns an anderer Stelle fehlt – dort, wo wir tatsächlich etwas verändern und bewegen können. Somit lautet eine der elementaren VUKA-Devisen: Wähle deine Schlachtfelder klug. Und akzeptiere, dass unsere Welt volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist. Verzichte darauf, dich über die Welt, wie sie ist, zu beschweren. Interpretiere stattdessen alle Vorkommnisse und Ereignisse als Entwicklungshelfer, als Einladungen, sich persönlich, als Team, als Organisation und schlussendlich auch als Gesellschaft weiter zu entwickeln – hin zu einer neuen Bewusstseinsebene, die in der Lage ist, Chancen in neuem Licht zu sehen. Ganz im Sinne von Einsteins These, dass Probleme niemals mit derselben Denkweise gelöst werden können, durch die sie entstanden sind.

2. Hetzen ist das Gegenteil von schnell.

Wenn sich das Karussell des Lebens immer schneller dreht, läuft man leicht Gefahr, in geschäftigen Aktionismus zu verfallen. Schnell, schneller, am schnellsten. Um sich am Ende des Tages voller Begeisterung gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, wie viel man doch in kürzester Zeit geschafft hat. Ohne dabei zu merken, wie überhitzt der unternehmerische Organismus ist. Und ohne darauf zu achten, was davon echte Wertschöpfung ist – und was nicht. Somit lautet einer der VUKA-Erfolgsfaktoren: zu lernen, bewusst mit Geschwindigkeit umzugehen.

Bewusst bedeutet hier, nicht getrieben zu sein, sondern konzentriert zu entscheiden, wann man aufs Gaspedal tritt (nämlich in Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen) und wo es gut investierte Zeit ist, das Tempo zu drosseln (etwa wenn es um das Einbinden von Menschen in Change-, Strategie- oder Visionsprozesse geht. Anders formuliert: Dort, wo Kommunikation signifikant wertschöpfungssteigernd wirkt). Die dafür erforderliche Zeit gewinnt man, indem man nicht noch schneller, sondern klug „anders“ arbeitet.

3. Wir-Intelligenz statt Ich-Intelligenz.

Rund 90 Prozent des heutigen weltweiten Datenbestandes sind in den vergangenen zwei Jahren entstanden. Jedes Jahr verdoppelt sich diese Datenmenge. Die globale Wissensgesellschaft ist zunehmend darauf angewiesen, in Netzwerken zu denken und zu arbeiten – und einzusehen, dass der Einzelne (als Individuum, als einzelne Abteilung, als einzelne Organisation oder als einzelne Nation) nicht in der Lage ist, VUKA-Herausforderungen alleine zu lösen.

Mitarbeiter oder Organisationen, denen es gelingt, auf offizielle und inoffizielle Netzwerke als Ressource zuzugreifen und zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen, gehört die Zukunft. Um schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen, sind starre Hierarchien hinderlich und klare Spielregeln sowie ein gemeinsames Verständnis über den Zweck des gemeinsamen Tuns förderlich.

Organisationen, denen es gelingt, die Wir-Intelligenz der Kollegen zu kapitalisieren, haben die Nase vorne.

Sie bedienen sich einer Vielzahl neuer Instrumentarien. Diese reichen von hybriden Rollenmodellen (in Projekt A ist man die Führungskraft, in Projekt B ist man der Fachexperte) über Team-Selbstorganisation (Teamleiter werden beispielsweise von den Kollegen gewählt) und wirkungsvolleren Steuerungsinstrumente (kollektive Ziele ersetzen Individualziele) bis hin zu innovativen Entscheidungsmethoden (Effectuation, konsultativer Einzelentscheid etc.).

Neue Spielregeln für eine neue Zeit: VUKA wirft die bisherigen Spielregeln erfolgreicher Unternehmensführung über Bord. Und lädt uns ein, mit Neugierde, Leidenschaft und der Gabe des echten Zuhörens unsere Zukunft nach neuen Spielregeln erfolgreich zu gestalten. Ganz im Sinne von Karl Poppers These: „Statt als Propheten zu posieren, müssen wir zu den Schöpfern unseres Geschicks werden“.

Let’s embrace VUCA and make the best of it – together!

 

Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem empfehle ich folgende VUKA-Klassiker:
•    Reinventing Organisations von Frederic Laloux (2014)
•    Organisation für Komplexität von Niels Pfläging (2014)
•    Denkwerkzeuge der Höchstleister von Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer (2007)

 

Dieser Beitrag erschien auf www.manager-magazin.de.

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