Digitaler Wandel: Deutsche Unternehmen müssen endlich unperfektionistischer werden

Tijen Onaran ist internationale Netzwerkerin und Gründerin der Initiative „Global Digital Women“, dem größten Frauennetzwerk im Bereich Digitalisierung. Im Gespräch mit Serviceplan Geschäftsführer Oliver Grüttemeier verrät sie, worauf Unternehmen beim digitalen Wandel achten müssen.

  • Frau Onaran, mit Ihrer Initiative „Global Digital Women“ haben Sie das größte Frauennetzwerk im Bereich der Digitalisierung geschaffen. Warum braucht die Welt Ihre Initiative?

    Einer der wichtigsten Faktoren für Karriere ist das Netzwerken. Gerade wenn man nicht so den „Background“ hat, sind Kontakte das A und O. Meinem eigenen Netzwerk habe ich viele einmalige Chancen zu verdanken; deshalb wollte ich eine Plattform schaffen, die auch anderen gegenseitige Unterstützung ermöglicht.

  • Und warum speziell für Frauen?

    Zum einen, weil ich selbst immer tolle Chefinnen hatte und diesen „Macherinnen“ mehr Sichtbarkeit geben wollte. Zum anderen ist nach meiner Erfahrung das bereichsübergreifende Denken bei Frauen stärker ausgeprägt – die Grundlage für Zusammenarbeit und für Ideen, die „Out of the Box“ gedacht sind. Beides ist heutzutage entscheidend, um im digitalen Wandel unternehmerisch erfolgreich zu sein.

  • Setzen Sie deshalb den Fokus auf die Digitalisierung?

    Die Digitalisierung berührt uns alle – sowohl die Gründer eines Startups als auch die Mitarbeiter eines großen Konzerns. Der digitale Wandel bietet grenzenlose Möglichkeiten und wird völlig neue Positionen hervorbringen.

  • Trotzdem gehört der digitale Wandel zu den größten Herausforderungen für Unternehmen. Wie können Unternehmen diese Veränderung meistern?

    Digitalisierung beginnt im Kopf! Das heißt, die Führungskräfte und alle Mitarbeiter müssen das entsprechende Mindset haben und danach leben. Darüber hinaus ist Austausch entscheidend. Zum einen müssen interne Netzwerke abteilungs- und generationsübergreifend gefördert werden. Zum anderen braucht es Impulsgeber – sowohl in Form von externen Experten als auch von „internen Influencern“. Darunter sind zum Beispiel digital-affine Mitarbeiter zu verstehen, die andere für ihre Vision oder ihr Fachgebiet begeistern, es im Unternehmen verbreiten und so intern und extern für Sichtbarkeit sorgen. Mit einer solchen Kultur nimmt man als Unternehmen alle Mitarbeiter in puncto Digitalisierung mit – und zwar ungeachtet vom Fachbereich oder Vorwissen.

  • Viele Unternehmen scheitern dennoch am digitalen Kulturwandel. Woran liegt’s?

    Kurioserweise eben genau am fehlenden Mut zum Scheitern. Ein gewisses Risiko gehört dazu, um den Status Quo zu verlassen. Im Unternehmen muss eine Kultur gelebt werden, die Fehler als Chance zur Verbesserung betrachtet. Das aber ist das Problem vieler deutscher Unternehmen: Wir sind eine Ingenieursnation, die auf Korrektheit und Perfektion setzt. Um in Zukunft nicht auf der Strecke zu bleiben, müssen deutsche Unternehmen also endlich unperfektionistischer werden.

  • Sie sind in der Jury für den Corporate Culture Award – Deutschlands erste Auszeichnung für gute Unternehmenskultur. Hat Sie der vorherrschende „Perfektionismus“ dazu bewegt?

    Könnte man so sagen. Ich bin der Meinung, dass gute Unternehmenskultur einfach mehr Aufmerksamkeit bekommen muss – momentan wird sie von vielen Führungskräften noch zu oft als unnötiges „Kuschelthema“ abgetan. Wir müssen dafür sensibilisieren, dass die Kultur eines Unternehmens nicht nur die Voraussetzung für den digitalen Wandel ist, sondern für unternehmerischen Erfolg per se.

  • Als erfahrene PR-Beraterin bekommen Sie tiefe Einblicke in Unternehmen aller Branchen. Woran erkennt man diejenigen mit guter Unternehmenskultur?

    Als gutes Beispiel fällt mir da die Otto Group ein, die mit ihrem eigenen „Corporate Influencer Programm“ Mitarbeiter dazu befähigt, ihre Themen nach außen zu tragen. Auch „Job-Tausch“ Programme von Unternehmen können motivierend und inspirierend für Mitarbeiter und Organisation zugleich sein. Wie der Name schon sagt, können Mitarbeiter hier ein paar Wochen lang inspirierende Einblicke in andere Unternehmen bekommen. Natürlich bleibt eine gewisse Gefahr, dass der Mitarbeiter sich anschließend wegbewirbt. Aber hieran zeigt sich wohl am besten, was gute Unternehmenskultur vermag: Mitarbeiter mit der gebotenen Freiheit zu binden.