Kaum ein Markt weltweit verspricht europäischen Investor:innen
so gute Geschäfte und einen einigermaßen leichten Zugang wie die USA, denn die
kulturellen Unterschiede erscheinen vermeintlich gering. Doch knapp dreiviertel
aller Auslandsinvestitionen dort scheitern. Grund sind oft mangelndes
kulturelles Verständnis und die falsche Kommunikationsstrategie. Die
Serviceplan Group zeigt in ihrer digitalen Veranstaltungsreihe International
Roadshow 2021, wie die US-amerikanische Kultur sowie die aktuellen politischen
Entwicklungen geschäftliche Entscheidungsprozesse, Kaufinteressen und vor allem
die Kundenloyalität beeinflussen und was für eine globale Brand wichtig zu
beachten ist, um im größten Binnenmarkt der Welt erfolgreich zu sein.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse direkt vorneweg: Einen
einheitlichen Markt USA gibt es nicht. Die schiere Größe des Landes und seine
vielfältigen Regionen und Einwohner:innen mit unterschiedlicher
Familiengeschichte oder Herkunft, verhindern das.
Die Un-Vereinigten Staaten von Amerika
„Es gibt sehr starke Kräfte, die Amerika heute prägen. Von
Fragen des sozialen Bewusstseins bis hin zur heiß umkämpften Präsidentschaftswahl,
die auch Monate nach dem Wahlabend noch eine anhaltende Herausforderung für die
Grundfesten der Demokratie darstellt. Ein weiterer Faktor ist die Pandemie und
die mit ihr einhergehende Spaltung der Gesellschaft. 600.000 Amerikaner:innen
sind an COVID-19 gestorben, dennoch bezeichnen viele das Virus immer noch als
Schwindel. Für Wirtschaftsakteur:innen war Corona entweder eine absolute
Katastrophe oder business as usual,“ sagt Phil Cowdell, CEO Mediaplus
Americas. „Diese gesellschaftliche Segmentierung ist das Grundproblem der Un-Vereinigten
Staaten. Die Erfahrungen der Menschen unterscheiden sich grundlegend entlang zahlreicher,
allgegenwärtiger Trennlinien – von Einkommen und Bildung über Hautfarbe oder
Geschlecht.“
Die USA sind heute stärker polarisiert als je zuvor in ihrer
Geschichte. Nach Phil Cowdells Einschätzung liegen die sogenannten Linken und
Rechten so weit auseinander, dass es fast keine gemeinsame Basis mehr für eine
vernünftige Politik gibt.
„Keine Präsidentschaftswahl war so stark geprägt von
gezielter Fehl- und Desinformation, wie die vergangene“, ergänzt Robert
Schaul, Experte innerhalb der US-Regierung zu den Schwerpunkten Sicherheit und
Fehlinformation/Desinformation.
„In den Köpfen vieler Menschen sind völlig falsche und sich teilweise
widersprechende Narrative verankert. Dies hat sich im Sturm auf das Kapitol am
6. Januar kulminiert.“
Gezielt platzierte Narrative bestimmen die Post-Truth-World
„Viele dieser falschen Narrative werden als absolute Wahrheiten
wahrgenommen“, erklärt Zach Schwitzky, CEO & Mitbegründer von Limbik.
„Wir leben in einer Post-Truth-World. Was für die eine Seite als wahr
gilt, ist für die andere Seite Fake News. Fakten sprechen nicht mehr für sich
selbst, sie sind nur noch dazu da, die Menschen in ihrem Glauben zu bestätigen.
Für Marketingverantwortliche sind sogenannte Belief-Groups bei vielen
Themen aktuell ein besserer Ausgangspunkt zur Marktsegmentierung als
traditionelle demografische Ansätze – solange die unterschiedlichen Nuancen
innerhalb einer Gruppe verstanden werden.“
Am meisten leidet durch diese Entwicklung das Vertrauen in
Institutionen und die Sicherheit, dass eine nachprüfbare Wahrheit existiert.
Von Fake News bis hin zu ausländischer Einflussnahme, Verschwörungstheorien oder
dem Dark Web – das alles prägt die aktuelle Verbraucher:innen-Landschaft. Neben
den konkreten Inhalten, werden für Marketers immer mehr die Plattformen,
Gruppen und Netzwerke wichtig, innerhalb derer sie verbreitet werden.
Legal, decent, honest and truthful – diese Marketingstandards gelten weiter
Die Netzwerke ersetzen immer mehr die soziodemografischen Modelle
der Vergangenheit und damit auch die Art und Weise, wie Marketing Menschen ansprechen
kann und muss. Die vier Marketingstandards des angloamerikanischen Raumes legal,
decent, honest and truthful behalten allerdings weiter ihre Gültigkeit –
besonders auch wenn Marken und Unternehmen aktuell immer wieder dazu gedrängt
werden, sich öffentlich zu positionieren. Sich als Marke völlig neutral zu
verhalten oder ein Thema auszusitzen ist kaum mehr möglich.
Eine Folge davon: Es reicht nicht mehr aus, seine Kund:innen
zu kennen. Marketers sollten darüber hinaus das eigene Unternehmen sowie potentielle
Kund:innen, die das Unternehmen gerne erreichen möchte, gut kennen und sich als
Marke entsprechend positionieren. Boykotte von bestimmten Gruppen kann es dabei
immer geben, aber eine Ping-Pong-Strategie, um es allen recht zu machen, ist
nach Ansicht der drei Experten nicht mehr möglich. Es ist essenziell für Marken
Kund:innen und Zielgruppen noch genauer zu identifizieren und sie passgenau zu ihren
Überzeugungen anzusprechen.
Stella Artois – mit der richtigen Story zu einer Marke, die sich abhebt
Ein Paradebeispiel für einen erfolgreichen Markteintritt in die USA ist Stella Artois Anheuser-Busch. Stella Artois kam mit mehreren hundert Jahren Firmengeschichte im Gepäck in die USA: Die Marke wurde 1366 als kleine belgische Brauerei gegründet, heute füllt sie Kühlschränke und Shops in Nordamerika. Die verbreiteten romantischen Vorstellungen der amerikanischen Käuferschaft von einer Marke aus der „alten Welt“, haben ihrem Markteintritt dabei natürlich nicht geschadet. Lara Krug, Vice President Marketing bei Stella Artois, über die Anfänge in den Vereinigten Staaten: „Die Bierindustrie wird in den USA als etwas sehr Generisches gesehen. Für ein amerikanisches Publikum hat eine Biermarke aus Europa von Anfang an etwas mehr Geschichte in ihrer DNA verankert als die lokale Konkurrenz.“
Doch eine Marke
einzig aufgrund ihrer Geschichte als Premiumprodukt zu positionieren,
funktioniert in den USA nicht – vor allem nicht beim Thema Absatzgeschäft. „Der
Biermarkt in den USA ist unglaublich fragmentiert. Es gibt unüberschaubar viele
Biermarken, und die Verbraucher:innen sind keiner von ihnen gegenüber besonders
loyal. Sie trinken unser Produkt, mögen den Geschmack und kaufen es oft
trotzdem erst ein Jahr später wieder.“ Diese Marktrealität hat erhebliche
Auswirkungen auf Medienstrategien und Werbekampagnen.
Viele Amerikaner:innen
kannten den Namen Stella Artois und hatten sogar eine Vorstellung davon, wie
das Bier schmeckt. Was fehlte war eine persönliche Beziehung zum Produkt. Die
anfängliche Strategie, Stella Artois ähnlich wie einen Luxus-Champagner zu
positionieren, funktionierte nicht. Konsument:innen sahen in Stella Artois ein
Bier für besondere – und damit vor allem seltene – Anlässe.
Die wichtigste Regel: Consumer First
Um
US-Biertrinker:innen zu erreichen, reicht es nicht, erfolgreiche globale
Strategien ein zu eins zu übernehmen. Die wichtigste Regel ist: Die
Konsument:innen und ihre Wünsche sind Priorität. Angesichts geringer
Kundenloyalität bedeutet das vor allem eines: Marketer:innen müssen sich
ehrlich und intensiv damit auseinander setzen, was Konsument:innen interessiert und was sie sich wirklich von einer
Marke wünschen.
Für Stella Artois war
die Basis schon vorhanden. Alles, was es noch brauchte, war Konsument:innen einen
Anstoß zu geben, sich selbst besondere Anlässe zu schaffen. Lara Krug und ihr Team
entwickelten Stella Artois von einem Bier, das man an einigen wenigen
Feiertagen trinkt, zu einem Bier für alle Tage, an denen man sich einfach
selbst etwas gönnen möchte. Sie fanden heraus, wann die Konsument:innen ihr
Bier eigentlich gerne trinken würden und entwickelten eine Storyline, die es
ihnen erlaubte, genau das zu tun.
Viele Ideen können nach
Lara Krugs Erfahrung durchaus aus anderen Ländern und Märkten übernommen werden
– allerdings mit einigen Anpassungen:, „Die USA sind nicht völlig anders als
der Rest der Welt. Aber um hier relevant zu sein, müssen Marken flexibel sein und
gleichzeitig ihren Wurzeln treu bleiben. Der US-Markt und die Verbraucher:innen
sind unglaublich schnell. Marken müssen sich ebenso schnell anpassen und
weiterentwickeln, um mitzuhalten. Wer am Kern seiner Marke festhält, sie auf
Grundlage ihrer Werte weiterentwickelt und gleichzeitig anpassungsfähig ist,
bleibt kulturell relevant.“
Die größte Impfkampagne der Geschichte: It’s Up to You
Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit sind auch Schlüsselbegriffe in der Bekämpfung der
Corona-Pandemie. Im Dezember 2020 war sich die Hälfte der Amerikaner:innen nicht
sicher, ob sie sich gegen das Virus impfen lassen sollen. Gemeinsam mit dem
AdCouncil entwickelte Pereira O’Dell, Partneragentur der Serviceplan Group,
eine Kampagne, die dieses Zögern respektvoll und einfühlsam anspricht.
Angesichts eines gespaltenen Landes, in dem selbst die Pandemiebekämpfung
politisiert wird, war die Geschichte, die die Kampagne tragen sollte, am
wichtigsten.
Die gesamte Kampagne
war von Anfang an als Open-Source-Konzept gedacht. So konnte sich die gesamte
Marketingwelt beteiligten, ihr Publikum erreichen, die Reichweite maximieren
und It’s Up To You zur größten Public-Service-Kampagne in der Geschichte
der USA machen.
„Wir haben die
Menschen an all die wunderbaren Momente sozialer Verbundenheit erinnert, die
sie seit Corona vermissen mussten“, sagt Michelle Hillman, Chief Campaign
Development Officer bei AdCouncil. „Vom Besuch der Großeltern über den Jubel
bei einer Sportveranstaltung bis hin zur Rückkehr ins Büro. Wir wollten etwas
in den Menschen wecken, das sie dazu bringt, sich selbst die Informationen
übers Impfen zu besorgen, die sie benötigen.“
Die Idee hinter It’s
Up To You ist auf Skalierbarkeit ausgelegt. So ist sie von vielen nutzbar und kann überall zum Einsatz kommen: Von
Graswurzel-Aktivierungen in Kirchen bis zu informativen Hinweisen in
Streaming-Formaten, von „Erfahre mehr“-Buttons in Suchmaschinen bis zu
emotionalen Geschichten, die im TV erzählt werden.
Vier ehemalige
Präsidenten und First Ladies der Vereinigten Staaten schlossen sich dem Projekt
an und mehr als 300 Verlage, Tech-Plattformen, Agenturen und Marken beteiligten
sich. Dennoch beeinflusste die politische Einstellung vieler Menschen und ihre
jeweiligen (sozialen) Netzwerke, wie die Kampagne aufgenommen wurde. „Wir
fühlten uns manchmal wie Eltern, die für ihre kleinen Kinder das Gemüse im
Essen verstecken. In politischen Kampagnen in den USA müssen Themen so angesprochen
werden, dass sich möglichst viele Zielgruppen abgeholt fühlen. Marketingverantwortliche
müssen Barrieren, Ängste und Werte ihres Publikums verstehen. Dies tut man,
indem man sich anschaut, wie die Menschen über ihr Land und ihre Familie
denken.“
Wer
Befürworter:innen gewinnen will, muss Vertrauen aufbauen. In den USA bedeutet
das aktuell, zuerst lokale, vertrauenswürdige Botschafter:innen für die eigene
Sache zu gewinnen. Deshalb setzt It’s Up To You, anstatt vor allem auf
Reichweite oder Bekanntheit zu bauen, darauf, vertrauenswürdige Expert:innen
und medizinische Daten mit ausgewählten Influencer:innen zu verbinden.
Dabei mussten Michelle
Hillman und ihre Kolleg:innen sich vor Augen halten: Wer als vertrauenwürdige
Expert:in angesehen wird, entwickelt sich sehr dynamisch und flexibel. Mehr als
70 Prozent der Amerikaner:innen geben aktuell an, ihrem Arbeitgeber mehr zu
vertrauen, als Ärzt:innen oder Prominenten.
Dies ist auch eine Chance für Unternehmen und Marken, eine führende
Rolle in der öffentlichen Diskussion einzunehmen, wenn sie ehrlich und
transparent vorgehen: „Die Menschen erwarten von CEOs und Führungskräften, dass
sie sich für wichtige Themen einsetzen. Wenn Unternehmen das mit konsistenten
Marketingbotschaften kombinieren, schenken die Menschen ihnen wirklich
Aufmerksamkeit.“