Das Geld reichte nicht mal für die Miete

Die Sängerin Anastacia hat Geldnot erlebt, bevor sie zum Superstar aufstieg. Ein Gespräch über Sparsamkeit, ihren Kampf gegen den Brustkrebs, das Auf und Ab im Musikbusiness und die Veränderungen in Amerika.

Anastacia, reden wir über Geld. Als der große Erfolg kam, waren Sie über 30 Jahre alt. Andere Künstler werden mit 20 berühmt. Waren das zuvor harte Jahre?

Anastacia: Aber sicher. Als ich einen Plattenvertrag bekam, lebte ich von Arbeitslosengeld. Ich dachte, ich schaffe es nicht. Ich hielt mich für die Künstlerin, die es nicht schafft. Mit Anfang 20 habe ich getanzt, einer aus dem Musikgeschäft hörte meine Stimme, aber sie passte irgendwie nicht. Er sagte: „Du klingst wie Chaka Khan, aber man hört, dass du nicht im Ghetto aufgewachsen bist.“ Wie auch? Ich bin ja weiß. Für ein schwarzes Publikum war meine Stimme zu weiß, für ein weißes zu schwarz.

Ihre Eltern sangen beide.

Ja, aber ich mochte nicht, was sie machten. Mein Vater war ein Crooner, so wie Frank Sinatra. Und meine Mutter war am Broadway. Ich dagegen mochte Janet Jackson und Madonna. Ich dachte nur nicht, dass ich an ihre Stimmen rankommen würde.

Wovon lebten Sie in den Jahren?

Ich war Aerobiclehrerin, Rezeptionistin, Hostess im Restaurant. Hauptsache, etwas, bei dem ich reden konnte. Aber das Geld reichte nicht mal für die Miete. Mit 25 zog ich aus New York weg und wieder bei meiner Mutter in Kalifornien ein. Dann wurde ich bei einem Talentwettbewerb des Musiksenders MTV entdeckt.

Da waren Sie 30 …

Ja, und das war das Problem. Vorgesehen waren nur Künstler bis zum Alter von 29 Jahren. Als sie mich fragten, sagte ich: „Ich bin 30.“ Sie sagten: „Nein, bist du nicht.“ Ich sagte: „Doch.“ Sie sagten: „Nein, bist du nicht.“ Da hatte ich es kapiert. Von da an behauptete ich, dass ich 29 sei. Ich sah ja auch aus wie 23.

Ihre Karriere startete also mit einer Lüge?

Danke, dass Sie mich daran erinnern! Für die Lüge waren eher die anderen verantwortlich. Ich schrieb dann den Song „Why’d You Lie to Me“.

Wie war es, als 2000 Ihr erstes Album ein Knaller wurde?

Es passierte alles so schnell. Ich hatte mich vorher nie geschminkt, mir noch nie die Haare machen lassen. Bei meinem ersten Fernsehauftritt stand ich auf der Bühne und sagte: „Ich trage heute ein Kostüm von dem Dolce und dem Gabbana.“ Ich hatte noch nie von der Marke Dolce & Gabbana gehört, ernsthaft.

Bemerkenswert: Sie hatten zuerst in Europa Erfolg, nicht in Ihrer Heimat USA.

Da ging etwas bei der Plattenfirma schief. Die hatte das mit den US-Radiostationen verbockt. Ich kenne die Details bis heute nicht. Auf jeden Fall boykottierten mich die Radiostationen, weil sie sich an der Plattenfirma rächen wollten. Aber in Europa ging es richtig ab, und dann in Asien.

Und die mageren Jahre waren vorbei?

Als ich in die USA zurückkam, fühlte es sich nicht so an, weil ich dort ja kaum Platten verkaufte. Also dachte ich, vielleicht ist das in Europa alles ein Fake. Vielleicht bezahlen sie Leute, um dir zuzujubeln.

Aber Ihr Bankkonto war doch voll.

Gar nicht. Bis das Geld der Auslandsverkäufe in Europa und Asien bei mir landete, dauerte es ewig. Die Einnahmen mussten zwischen verschiedenen Firmen verrechnet werden, und dies und das (stöhnt)

Sie hätten erst Business studieren sollen, bevor Sie ins Musikbusiness gingen.

Ich sah erst richtig Geld, als meine dritte Platte rauskam. Es war surreal. Sie staffierten mich mit teuren Kleidern aus, flogen mich im Privatjet herum, aber auf dem Konto war Ebbe.

Was haben Sie sich gekauft, als das Geld dann da war?

Ich habe mir ein Haus gekauft. Damals hatte ich gerade die Diagnose Brustkrebs bekommen. Ich dachte: Ich habe nichts. Was wird aus mir? Ich stand völlig unter Schock. Ich dachte, ich muss sterben. Dann begann ich zu kämpfen.

Nach all den Jahren hatten Sie auf einmal Erfolg – dann so einen Rückschlag.

Was den Beruf anging, war ich der ultimative Pessimist. Ich dachte, keiner will deine Stimme hören. Als ich dann im Fernsehen auftrat, dachte ich, keiner wird deine Platte kaufen. Als sich die Platte verkaufte, dachte ich: Das wird bald vorbei sein. Beim Krebs war es anders. Da war ich von Beginn an optimistischer. Vielleicht ist das so, wenn es um dein Leben geht. Im englischen Wort für Krebs, cancer, steckt can, ich kann.

Sie kämpften mehr als ein Jahr gegen den Krebs und ließen die Journalistin Barbara Walters einen Film drehen, der Sie auch verzweifelt zeigt.

Ich sprühe normalerweise vor Energie. Sie sagten mir, die Bestrahlung mache müde. Ich merkte das, als ich ein neues Album schrieb. Es klappte teilweise nicht mit dem Singen. Mit diesen Gefühlen schrieb ich „Left Outside Alone“. Ich wollte das Album unbedingt 2003 herausbringen, aber ich schaffte es erst 2004. Das frustrierte mich. Das ist die deutsche Seite in mir, ich wollte pünktlich sein.

Das Album hat sich gut verkauft, folgende Alben dann weniger. Hat sich das Musikgeschäft seit dem Beginn Ihrer Karriere sehr verändert?

Ich habe lange nicht verstanden, was Computer verändern. Die Leute kauften weniger CDs und luden sich teils illegal Musik herunter. 2007 verließ mein Manager die Plattenfirma Sony und wechselte zu Mercury. Ich wollte mit, der Mann hatte mich großgemacht, ich bin da loyal. Es war eine dramatische Trennung. Mercury musste einen Haufen Geld für mich zahlen. Im Rückblick war es geschäftlich gesehen eine gute Entscheidung zu gehen. Bei Mercury begann ich völlig neu. Sie wollten, dass ich mehr in Richtung R&B gehe, aber das ist nicht mein Ding. Ich sollte mit Rappern arbeiten, für viele Künstler funktioniert das, für mich nicht. Dir reden so viele Leute rein. Ich versuchte, Kompromisse einzugehen, 2014 aber habe ich mit dem Album „Resurrection“ wieder ganz meine Musik gemacht. Das bin ich. Ich lege nicht ein Programm über meine Stimme, nur weil das alle anderen machen.

Wie hat sich „Resurrection“ verkauft?

Gut, genaue Zahlen kenne ich nicht. Ich mache andere Verträge als früher. Die Platte ist das eine, meine Konzerte sind das andere. Die Plattenfirma muss ja nicht davon profitieren, dass ich mit meinen ganzen Songs aus allen Jahren die Säle fülle.

Bringen die Konzerte inzwischen wie bei anderen Künstlern mehr ein als die Alben?

Inzwischen ja.

Gab es finanzielle Schwierigkeiten, als Ihre Alben weniger einspielten?

Nein, ich gebe normalerweise nicht viel Geld aus. Ich bin keine schnelle Käuferin. Als ich mein Haus gekauft habe, für das ich wirklich viel Geld ausgegeben habe, habe ich mich lange umgeschaut. Ich sah, dass ich in Kalifornien viel mehr für mein Geld bekam als in New York, einen Pool z. B., also habe ich in Los Angeles gekauft. In Beverly Hills, im Ghetto.

Ein Ghetto in Beverly Hills?

Es ist nicht wirklich ein Ghetto.

Also war es bestimmt teuer. Ein Bungalow?

Nein. Ich sage nur so viel: Ich habe sieben Bäder. Eine Villa wie in der Toskana. Das ist sehr schön, es erinnert mich an Europa.

Sind Sie beim Geld auch so deutsch wie bei der Pünktlichkeit, sparen Sie viel?

Ich finde schon. Aber fragen Sie meine Schwester, die würde Nein sagen. Als ich mein drittes Album rausgebracht hatte, habe ich mir mal etwas geleistet. Ich bin in New York zu Bergdorf Goodman gegangen und habe drei Paar Schuhe gekauft, ohne auf den Preis zu schauen. Erst als ich in Australien auf Tournee war, schaute ich auf den Kassenzettel. Eines der Paare hatte 3500 Dollar gekostet. Ich rief sofort meine Schwester an und sagte ihr, dass sie die Schuhe zurückbringen solle. Aber das teure Paar war genau jenes, das ich in Australien anhatte. Na ja, ich trage die Schuhe bis heute. Dadurch haben sie sich inzwischen bezahlt gemacht. Ich nehme meine Schwester oft mit zum Einkaufen. Sie spielt den Buzzkill, den Zerstörer. Wenn ich was toll finde, sagt sie: „Weißt du, was das kostet?“

2013 kam der Krebs zurück. Sie mussten eine ganze Tournee absagen.

Ich hatte ein paar Schwierigkeiten hinter mir, eine Scheidung. Dann hatte ich ein Album mit Covern anderer Songs aufgenommen und stand vor einer weltweiten ausgebuchten Tournee. Tja.

War der Rückfall schwieriger für Sie als die erste Erkrankung?

Nein. Wenn die eine Brust befallen ist, kommt es häufig vor, dass die andere auch an Krebs erkranken wird. Ich hatte also zehn Jahre Zeit gehabt, mir zu überlegen, was ich tun würde, wenn der Krebs wiederkommt. Ich habe den Ärzten sofort gesagt: „Nehmt beide Brüste ab. Damit ist ein weiterer Rückfall ausgeschlossen.“ Die Ärzte waren erschrocken, dass ich so entschlossen war. Sie sagten: „Beobachten wir es erst einmal.“ Ich sagte Nein!

Sie gingen damit wieder an die Öffentlichkeit. Dabei haben Sie einmal gesagt, dass Sie schon beim ersten Mal nicht freiwillig über den Krebs gesprochen haben.

Beim ersten Mal hatte das Boulevardblatt News of the World davon erfahren, wie auch immer, also redete ich darüber. Diesmal musste ich ja die Tour absagen, also musste ich auch darüber reden. Trotzdem hatte ich Angst davor. Vor allem vor der Ankündigung, dass ich mir die Brüste abnehmen ließ. Eine Woche bevor ich zumindest irgendwas öffentlich machen musste, gab Angelina Jolie bekannt, dass sie sich vorsichtshalber beide Brüste abnehmen ließ. Da war ich nicht mehr allein.

Wie haben Sie nach dem Krebs Ihr Leben verändert?

Die Ärzte wissen nicht so genau, woher der Krebs kommt. Aber 70 % lassen sich wahrscheinlich durch Umwelteinflüsse und Stress erklären. Ich versuche, weniger Stress zuzulassen. Auch wenn das nicht so einfach ist, es gibt ja auch positiven Stress, der dich antreibt. Außerdem versuche ich, besser zu essen.

Wie denn?

Wir wissen doch inzwischen, wie schädlich Pestizide sind. Vor allem in den verarbeiteten Lebensmitteln ist so viel Zeug drin. Die Grundregel lautet: Wenn du die Zutaten nicht aussprechen kannst, rühr das Produkt nicht an.

Wenn Sie auf Tour sind, ist das bestimmt schwierig mit dem Essen.

Ja. Ich esse Fisch und fast kein Fleisch. Dafür Salate und Gemüse.

Was haben Sie sich als Künstlerin noch vorgenommen?

Ich wäre gern mal wieder die Sängerin, von der die Leute sagen: „Jetzt spielen sie schon wieder dieses Lied im Radio.“ Weil es früher tatsächlich so war. Außerdem will ich meine Autobiografie schreiben. Es gibt so viele Dinge, die die Menschen nicht über mich wissen.

Zum Beispiel?

Warten Sie auf das Buch.

Sie unterstützten Hillary Clinton. Wohin steuert Amerika nach der Wahl von Donald Trump?

Runter, runter, runter.

Es heißt, die wirtschaftlich Frustrierten haben Trump gewählt, weil die Demokraten sie ignoriert haben.

Als Barack Obama ins Amt kam, gab es viel mehr Arbeitslose als heute. Obama hat viel für das Land getan. Gerade für die Mittelschicht. Trump will die Steuern für Firmen senken. Wem nützt das wohl? Trumps Wähler sind Rechte. Sein Slogan ist in Wahrheit nicht „Macht Amerika wieder groß“, sondern „Macht Amerika wieder weiß“.

Denken Sie daran, das Land zu verlassen?

Wenn die staatlichen Hilfen für Behinderte gekürzt werden, dann ja. Mein Bruder ist behindert. Wenn die Rechte Schwuler eingeschränkt werden, viele meiner Freunde sind schwul. Wenn Amerika ein totalitärer, hitleresker Ort wird, habe ich kein Problem zu gehen.

Dieser Artikel ist erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 10.03.2017. © Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH.

Anastacia

Sängerin

Einen passenderen Namen hätten ihre Eltern ihr kaum geben können: Anastacia bedeutet im Griechischen „Wiederauferstehung“. Und wiederauferstanden ist Anastacia Lynn Newkirk in ihrem Leben mehrmals. Nach Engagements als Tänzerin gelang ihr als 32-Jährige 2000 mit ihrem Debütalbum „Not That Kind“ der internationale Durchbruch. Das zweite Album, „Freak of Nature“, war sogar noch erfolgreicher und die New Yorkerin endgültig ein Star. 2002 lieferte sie den offiziellen Song zur Fußballweltmeisterschaft, 2003 war sie mit dem Filmsong zu „Chicago“ für einen Oscar nominiert. Im gleichen Jahr die Schockdiagnose: Brustkrebs. Anastacia gründete den „Anastacia Fund“, um anderen Frauen Mut zu machen und zur Krebsfrüherkennung beizutragen. Sie sagt: „Manchmal frage ich mich, ob es meine Bestimmung auf dieser Erde ist, Vorbild zu sein. Und ich meine Herausforderungen als Gabe sehen muss und meine Stimme als Werkzeug.“ Mit neuen Songs kämpfte sie sich zurück ins Musikbusiness, war international auf Tour und lebte ihre Kreativität auch als Modedesignerin aus: Ab 2006 erschienen mehrere Kollektionen unter ihrem Namen bei dem Label s.Oliver. 2013 kehrte der Krebs zurück – und wieder besiegte Anastacia die Krankheit. Die Geschichte dieser außergewöhnlichen Karriere erzählen auch die vielen Preise vom World Music Award 2000 über den Echo 2001, 2004 und 2005 bis zum Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2013.

Anastacia rockte als Music Act bei der Best Brands Gala 2017 mit ihrer unverwechselbaren Soulstimme den Bayerischen Hof München.

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