Mögliche Rollen künstlicher Kreativität im Marketing

Künstliche Intelligenz wird im Marketing derzeit vor allem eingesetzt, um das Verhalten von Konsumenten zu prognostizieren und die Effizienz der Marktkommunikation zu steigern. Analyse und Steuerung sind bekanntlich aber nur eine Seite des Marketings, mindestens genauso wichtig ist Kreativität, da sich Marken letztendlich nur dadurch nachhaltig differenzieren können. Ausgehend von dieser Überzeugung geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, welche Rolle(n) maschinelles Lernen bzw. Computional Creativity in Zukunft im Marketing spielen könnte.

1. Künstliche Intelligenz als Treiber des digitalen Wandels

Während in der ersten Phase der digitalen Transformation rund um die Jahrtausendwende der Aufbau der digitalen Infrastruktur und die Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen im Vordergrund stand, ging es in den Jahren danach vor allem um die Konzeption, Ausgestaltung und Etablierung digitaler Vetriebswege und den nachhaltigen Aufbau digitaler Geschäftsmodelle. Nachdem viele Unternehmen diese Phase durchlaufend haben, ist es aktuell die Entwicklung von KI, die den digitalen Wandel weitertreibt und prägt. Auf der Grundlage immer leistungsstärkerer Prozessoren, immer größerer Datenmengen und immer ausgefeilter Algorithmen haben Maschinen in den letzten Jahren angefangen zu lernen: Künstliche Intelligenz ist entstanden und entsteht. Eine Entwicklung, die nicht mehr aufgehalten werden kann und die für viele Branchen und Unternehmen einen Wendepunkt darstellen dürfte. So revolutioniert KI gerade die medizinische Diagnostik, ermöglicht autonomes Fahren, plant auf Basis prädiktiver Analysen Produktionskapazitäten, hilft Betrugsversuche frühzeitig zu erkennen oder unterstützt bei der Geldanlage in Form sogenannter „Robo-Advisors“. Auch wenn viele der damit einhergehenden ethischen und rechtlichen Fragen noch unbeantwortet sind, sprechen immer mehr Menschen mit Siri, fragen Alexa, plaudern mit Cortana und chatten mit Bots. KI hält Einzug in unseren Alltag, verändert in vielen Wirtschaftsbereichen die Spielregeln und im Zuge dieser Entwicklungen zwangsläufig auch das Marketing.

2. Künstliche Intelligenz im Marketing

Künstliche Intelligenz wird im Marketing derzeit vor allem eingesetzt, um Streuverluste zu minimieren und die Marketingkommunikation effizienter und schneller zu machen. Analyse, Controlling und Steuerung sind aber bekanntlich nur eine Seite des Marketings; mindestens genauso wichtig ist Kreativität, da ich Marken streng genommen nur dadurch nachhaltig differenzieren können. Diese Einschätzung wird insofern wichtiger, als davon auszugehen ist, dass mittelfristig alle Marktteilnehmer die oben beschriebenen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz nutzen und sich dadurch die entsprechenden Effekte nivellieren werden.

3. Artificial bzw. Computional Creativity

In einem ist sich ein großer Teil der Kreativwirtschaft einig: Kreativität ist die letzte menschliche Bastion, die für Künstliche Intelligenz uneinnehmbar ist. Auch wenn diese Ansicht auf den ersten Blick plausibel erscheint, liegen wir vermutlich dennoch falsch, wenn wir glauben, dass Maschinen nur Bestehendes analysieren, nicht aber Neues schaffen können. So gibt es mit Computional Creativity inzwischen eine eigenständige Forschungsrichtung, in der Wissenschaftler und Künstler ausloten, inwieweit Computer kreativ sein können. Schaut man sich um, wo und wie Künstliche Intelligenz bereits heute in den unterschiedlichen Kreativdisziplinen zum Einsatz gelangt, entdeckt man Erstaunliches und Unerwartetes. So reicht beispielsweise nur 20 Minuten „Training“ mit der echten Stimme aus, damit das Audio-Encoding-Programm Voco von Adobe in der Lage ist, Stimmen künstlich zu synthetisieren und damit 1:1 zu kopieren.

4. Künstliche Intelligenz bei der Kreation von Kampagnen

Der kreative Prozess lässt sich grundsätzlich in divergentes und konvergentes Denken unterteilen: Während es beim divergenten Denken um die Generierung möglichst vieler, ganz unterschiedlicher, idealerweise noch nie dagewesener und mitunter auch verrückter Ideen geht, zieht das konvergente Denken darauf ab, die Idee mit dem größten Potential zu identifizieren, auszuwählen, zu optimieren und weiterzuentwickeln.

Sowohl im divergenten, als auch im konvergenten Denken kann Künstliche Intelligenz Aufgaben übernehmen. Dabei sind ausgehend von aktuellen Entwicklungen im Bereich der Computional Creativity grundsätzlich fünf unterschiedliche Rollen von KI im Kreationsprozess möglich, die jedoch alles andere als trennscharf voneinander unterscheidbar sind:

  • KI als Muse

KI kann sich eine enorme Vielzahl an fremden und eigenen Kampagnen merken und weiß daher, was in der Vergangenheit wie gut funktioniert hat. Auf dieser Grundlage entwickelt sie Ideen und Vorschläge, die potentiell unerwartete, neue Perspektiven eröffnen (können).

  • KI als Schöpfer

Mittels Deep-Learning-Modellen entwickeln KI-Systeme selbstständig eine Vielzahl unterschiedlicher Kampagnenideen, -motiven und Werbemitteln. Anschließend evaluiert und setzt die KI jene um, die die eingangs definierten Anforderungen am besten erfüllen.

  • KI als Werkzeug

Genau wie einen Stift, eine Filmkamera oder ein Musikinstrument kann KI von Menschen genutzt und bedient werden, um zum Beispiel Kampagnenmotive, Werbespots oder Jingles zu erschaffen.

  • KI als Assistent

KI kann als Helfer und Zuarbeiter erste vorbereitende Arbeitsschritte, wie die Erarbeitung von Text-, Bild-, oder Layout-Varianten eigenständig übernehmen.

  • KI als Wächter

Zum Ende des Kreativprozesses stellt die KI sicher, dass die erarbeiteten Entwürfe und Vorschläge innerhalb eines vorher festgelegten Rahmens, wie bspw. CI-Richtlinien befindet.

Es ist momentan noch nicht abzuschätzen, welche der fünf hier beschriebenen idealtypischen Rollen KI in welcher Art und Weise in Zukunft im Kreativprozess spielen wird. Daher geht es in den kommenden Jahren darum, sowohl die nötige Zeit, als auch die benötigten Ressourcen bereitzustellen, um diese unterschiedlichen Rollen auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln sowie die Technologie weiterzuentwickeln. Besonders wichtig ist es auszuhalten, dass man vermutlich noch eine ganze Weile nicht wissen wird, was funktioniert und wohin die Reise geht. Fest steht heute nur, dass die Frage nicht lautet, ob KI den Kreativprozess im Marketing radikal verändern wird, sondern wie.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Horizont

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