Wenn wir von New Work oder auch „Neuem Arbeiten“ sprechen, begegnen wir immer wieder dem Credo des Begründers der Bewegung Fritjof Bergmann, dass es wichtig sei, eine Arbeit zu finden „that you really, really want to do.“ Dies impliziert, sich die Freiheit zu nehmen, nach dieser Art von Job zu suchen und ihn entsprechend auszuüben. Wenn wir aber diese Freiheit ausschließlich zur Selbstverwirklichung nutzen würden, hätten wir vielleicht bald hunderttausende Youtube-Influencer und keine Pflegekräfte mehr. Es geht also, damit eine Gesellschaft funktionieren kann, neben Freiheit auch darum, seine Rolle in ihr zu finden und einzunehmen. Und das kann bedeuten, einen höheren Sinn in einer Aufgabe zu entdecken, die auf den ersten Blick überhaupt nicht attraktiv erscheint – aber vielleicht umso wichtiger ist, weil sie dem sozialen Zusammenhalt dient.

Zugegeben, Freiheit ist verführerisch. Stell dir vor, du wärst digitaler Nomade. Oder Internetmilliardär. Du könntest es dir leisten, auf niemanden Rücksicht zu nehmen! Aber wie lange mag es sich gut anfühlen, wenn du einfach nur tust oder lässt, was dir gefällt? So lange, bis du merkst, dass dir Bindungen verloren gehen, die dir eigentlich wichtig waren. Umgekehrt wird es dir kaum bessergehen, wenn du dauerhaft alles tust, was man von dir verlangt und deine eigenen Bedürfnisse vernachlässigst, um bloß nicht ausgeschlossen zu werden.

Menschen brauchen beides: Autonomie und Bindung. Dieses Prinzip gilt aber nicht nur für Menschen. Es gilt auch für Unternehmen, Länder und alle erdenklichen Subjekte. Wer erfolgreich ist, macht ständig Kompromisse. Man verzichtet auf eine Motorradtour zugunsten eines Familiensonntags. Ein Land unterwirft sich dem Regelwerk einer Zollunion, um Zugang zu neuen Märkten zu erhalten. Ein langgedienter Abteilungsleiter verzichtet auf Privilegien, um in einem agilen Team mehr als Kollege mit weitgehend gleichen Rechten und Pflichten wahrgenommen zu werden.

Gefühlte Unfreiheiten können über soziale Einbindung hinaus noch ganz andere Gewinne bereithalten. Sie können Erkenntnisse bringen, die man ohne langjährige Partnerschaften mit der Notwendigkeit schmerzhafter Zugeständnisse nicht gewonnen hätte. Die Erfahrung, in einem Konflikt über sich hinaus zu wachsen, ist so ein Gewinn. Den kann einstreichen, wem es gelingt, zwischen Mensch und Rolle zu unterscheiden. Da ist derjenige effizienter, dem es gelingt, einen Kundenberater als Interessenvertreter des Auftraggebers wahrzunehmen und nicht als Veranlasser von Schikanen. Dass man an Würde gewinnen kann, statt diese zu verlieren, wenn man eine Forderung aufgibt, ist ein weiterer Gewinn aus gefühlten Unfreiheiten. Die frühere Republik Mazedonien gab ihren Namen im Streit mit Griechenland auf und heißt nun Republik Nordmazedonien. Das Land hat damit ein Stück seiner Identität aufgegeben, ist der Aufnahme in die Europäische Union und in die Nato aber damit deutlich nähergekommen, was sich bei wirtschaftlichem oder verteidigungspolitischem Erfolg dann wieder identitätsstiftend auswirken wird. Das Wissen, um diese Gewinne führt hoffentlich dazu, dass Menschen ihre Rolle in der Gesellschaft oder im Unternehmen einnehmen. Denn New Work läuft umso besser, je eher die Leute tun, was sie tun, weil sie das für richtig halten, statt einer Anweisung zu folgen, mit der sie sich vielleicht nicht verbinden können.

In der Arbeitswelt 4.0 sind wir ständig herausgefordert, unsere hinzugewonnenen Entscheidungsfreiheiten, Handlungsfreiheiten und Glaubensfreiheiten immer auch im Hinblick auf unsere Beziehungen auszuüben. Weil eine Kollegin oder ein Kollege vielleicht doch etwas besser weiß oder kann. Weil unser Wert für die Gruppe steigt, wenn wir mit Informationen und Erkenntnissen freigiebig sind. Weil wir mehr gemeinsamen Erfolg erleben, je mehr auf uns Verlass ist. Selbstbestimmung ist nämlich kein Selbstzweck, sondern in der Wissensgesellschaft ein hochpotenter Treiber für kollektive Vernunft: Die beste gemeinsame Lösung durch freiwilliges und rückhaltloses Einbringen eigener Expertise ist der ideale Glücksfall in der Welt der „Neuen Arbeit“.

Wenn wahr ist, was obenstehend behauptet wird, dann ist Marius Müller-Westernhagens Hymne „Freiheit ist das einzige, was zählt“ eine nicht mal halbwahre Illusion, woran auch zehntausend sanft wiegende Handyfeuerzeuge nichts ändern. Janis Joplin sang „Freedom`s just another word for nothing left to lose.“ Hätte sie doch ein bisschen weniger recht, ein bisschen weniger Freiheit, dafür aber ein längeres Leben gehabt. Lassen wir sie weiterleben in dem Gedanken, dass sich unser freiwilliger Beitrag zu einer gemeinsamen Sache am besten anfühlt, wenn wir unser Bestes gegeben haben.