…Wie die Ressource Aufmerksamkeit zur wichtigsten Handelsware unserer Zeit wird und was das für die Medien- und Kommunikationsbranche bedeutet.

Die begehrteste Handelsware der Welt: Aufmerksamkeit

“Facebook Notifications, Snapstreaks, YouTube Autoplays – they’re all competing for one thing. Your attention.” Mit diesen Worten hat Tristan Harris, der ehemalige Design Ethicist von Google vor einigen Jahren in einem TED Talk zusammengefasst, wie die großen Tech-Konzerne die Meinungen von Milliarden Menschen jeden Tag beeinflussen. Social Networks, Streaming-Dienste, Apps, Nachrichtenportale: Sie alle sind per Design darauf ausgelegt, die Konsumenten in ihren Bann zu ziehen. Durch farblich hervorgehobene Benachrichtigungen auf dem Smartphone-Screen, automatisches Abspielen des nächsten Videos auf YouTube, Click-Bait-Überschriften und viele andere psychologische Tricks konkurrieren digitale Medien um die Aufmerksamkeit der Nutzer.

 Zeit ist endlich. Content nicht. 

Die Aufmerksamkeit ist allerdings endlich. Das Zeitbudget für die Mediennutzung bewegt sich laut der Langzeitstudie Massenkommunikation der ARD/ZDF-Medienkommission seit fast 15 Jahren zwischen neun und zehn Stunden täglich (Brutto, inklusive Parallelnutzung). Ein weiteres Wachstum scheint nicht mehr möglich. Gleichzeitig konkurrieren immer mehr Inhalte um die Gunst der Nutzer. Die klassischen Medien TV und Radio senden bereits 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Netflix veröffentlicht im Wochentakt neue Serien und Filme, auf Spotify haben die Nutzer Zugang zu gigantischen Musikkatalogen, gleichzeitig befüllen Freunde, Familie und Bekannte fleißig Social Networks und Messenger mit immer neuen Stories, Statusmeldungen, Bildern, Nachrichten, die es zu liken gilt. Und schlafen sollte man ja auch irgendwann.

Der effiziente Homo-Distractus.

Immer mehr Content, immer mehr konkurrierende Angebote, aber nicht mehr Zeit. Wie reagieren die Nutzer? Mit Nutzenmaximierung und Effizienzsteigerung. Und vor allem: mit immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen. Das heißt aber nicht, wie von manchen Kulturpessimisten beschworen, dass sich niemand mehr auf etwas konzentrieren kann, das länger als fünf Sekunden Aufmerksamkeit braucht; sondern dass die Leser, Zuschauer, Hörer und Nutzer von heute weniger Geduld für Inhalte haben, die für sie nicht relevant sind oder die nicht auf den Punkt kommen. Wieso 15 Minuten die Tagesschau mit vermeintlichem Tiefgang vor dem Fernseher verfolgen, wenn auch das 100-Sekunden-Format auf dem Smartphone die gleichen Informationen liefert. Und für einen noch schnelleren Überblick zur Nachrichtenlage des Tages reicht auch ein Blick in die Top-Themen des morgendlichen Newsletters.

Werbung in Zeiten knapper Aufmerksamkeit: eine Frage der Relevanz 

Wie geht man als Werbungtreibender jetzt mit der immer weiter zurückgehenden Aufmerksamkeit der Konsumenten um und handelt ökonomisch sinnvoll? Die gute Nachricht: Die Ansätze sind vorhanden und vielfältig. Die schlechte Nachricht: Den Königsweg gibt es nicht. Am naheliegendsten ist natürlich das Thema Relevanz: Je passender ein Angebot für den Konsumenten, desto höher die Chance, dass die Botschaft im kommunikativen Dauerfeuer überhaupt wahrgenommen wird. Hierbei ist es wichtig, auch kreativ auf diese veränderte Nutzungssituation einzugehen und alle Maßnahmen auf dieses Ziel auszurichten. One-Size-Fits-All-Kampagnen werden es schwer haben. Es bedarf einer passgenauen Ansprache von Zielgruppensegmenten, z.B. je nach Lebensphase oder psychographischen Profilen. Medial geplant und ausgesteuert werden solche Kampagnen dann anhand passender Datenpunkte und darauf abgestimmter Targetings.

 Formate und Storytelling: Wahrnehmungschancen erhöhen

Ein weiterer Hebel liegt in der Auswahl des richtigen Werbeformats und vor allem der Berücksichtigung der individuellen Formatlogiken. Es hat keinen Sinn, einen 16:9 TVC in einem Vertical Video Medium wie Instagram oder Snapchat auszuspielen. Bewegtbild im öffentlichen Raum oder im Facebook Newsfeed benötigt zwingend Untertitel oder kommt im Idealfall komplett ohne aus.

Generell ist gutes Storytelling eine der wichtigsten Stellschrauben für Aufmerksamkeit. Und in der Attention Economy ist Relevanz ab der ersten Sekunde Pflicht. Egal ob Bewegtbild in TV oder Banner – die Zeit, langen Geschichten zu folgen, nehmen sich immer weniger Zuschauer. Deshalb sollte ab der ersten Sekunde klar sein, wer für welches Produkt wirbt, anstatt 30 Sekunden oder sieben Animationen lang nicht zu verraten, was man eigentlich verkaufen will. Denn bis die Auflösung kommt, ist der Nutzer mit seiner Aufmerksamkeit schon woanders. Und auch in sechs-sekündigen Bumper Ads kann man unterhalten und viel Information transportieren.

Der Kontext macht den Unterschied

Ist die Zeit der langen Spots also zu Ende? Nein, mitnichten. Relevante Inhalte im richtigen Kontext schaffen es problemlos, die Aufmerksamkeit der Nutzer auch länger zu binden. Hier werden aber umfassendes Zielgruppenverständnis und die kontextgerechte Adaption der Marken-Stories in Zukunft unverzichtbar. Werbung in Interessensumfeldern wie Gaming oder Sport muss sich beispielsweise der Kultur und Lebenswirklichkeit dieser Zielgruppen anpassen, dann dürfen die Geschichten auch gerne länger sein.

Und abseits von Bewegtbild? Mit der Content-Explosion entstehen auch zahlreiche neue Werbeflächen, vor allem im Audio-Bereich. Podcasts bieten eine ideale Bühne für Werbung, z.B. als Sponsoring. Die Aufmerksamkeit der Nutzer ist sicher und idealerweise nutzt man die Podcast-Hosts mit den vertrauten Stimmen auch gleich als Sprecher für die Copy. Es gibt viele weitere Stellschrauben, um mit Werbung in Zeiten der Attention Economy seine Zielgruppen zu erreichen und erfolgreich zu sein. Voraussetzung ist aber das Bewusstsein, dass Aufmerksamkeit ein immer wertvolleres Gut werden wird, das mit maximalem Respekt zu behandeln ist.