In der Serie „Dreimal aufgeschlaut“ erklären Experten der Plan.Net Gruppe regelmäßig ein aktuelles Thema der digitalen Welt aus unterschiedlichen Perspektiven. Was bedeutet es für die Oma, was für den Agentur-Kollegen? Und was hat der Kunde, also ein Unternehmen, davon?

1949 wurde das erste Radio im Armaturenbrett eines Autos verbaut. Mittlerweile gehören Bordcomputer mit Internetzugang und integrierten Audiosystemen zur Serienausstattung. Doch an der Mediennutzungssituation hat sich seit den Anfängen nicht viel verändert – bis jetzt. Wenn sich Fahrer künftig nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren müssen, weil autonome Fahrzeuge diese Aufgabe übernehmen, entstehen bisher undenkbare Möglichkeiten für Unterhaltung, Kommunikation und Serviceleistungen.

Meine Oma im autonomen Fahrzeug: welche Entertainment-Möglichkeiten bringt die Zukunft?

Stellen wir uns folgendes Zukunftsszenario vor. Meine Oma wird für ihren wöchentlichen Bridge-Abend von einem selbstfahrenden Auto abgeholt. Sie steigt ein und bekommt auf den 360° Screens im Fahrzeuginnenraum eine Playlist ihrer Lieblingssendungen präsentiert, die genau für die Länge der Fahrdauer zusammengestellt wurde. Das autonome Fahrzeug kennt die Vorlieben und Präferenzen meiner Oma und ist mit ihrem Smart TV verbunden, sodass sie eine zu Hause begonnene Fernsehsendung nahtlos und bequem in Lean-Back Manier im autonomen Fahrzeug weitersehen kann. Ganz wie in einem Wohnzimmer auf Rädern.

Was nicht nur für hippe Gaming-Omas, sondern auch für viele Enkel relevant ist, sind die Möglichkeiten im Spiele-Bereich. Apple hat im März dieses Jahres ein Patent angemeldet, bei dem Passagiere autonomer Fahrzeuge mit Hilfe eines Virtual-Reality Headsets und eines beweglichen Sitzes in eine virtuelle Welt abtauchen können. Durch die Verwendung von Sensoren wird der Spielverlauf auf die Bewegung und Geschwindigkeit des autonomen Fahrzeugs abgestimmt. Steht ein autonomes Fahrzeug beispielweise an einer roten Ampel, muss sich ein Spieler während einer Zombie-Apokalypse in seinem virtuellen Panzer solange verteidigen bis die Ampel auf Grün schaltet und im Spiel der Motor des Panzers wieder anspringt.

Autonome Fahrzeuge für Kunden: ist das Automobil eine geeignete Marketingplattform?

Es gibt 46 Mio. gemeldete PKWs in Deutschland und fast jeder dritte deutsche Autofahrer verbringt an einem normalen Werktag mehr als eine Stunde in seinem Fahrzeug. Wenn in Zukunft Insassen selbstfahrender Autos diese Zeit zur freien Verfügung haben, entsteht ein riesiges Mediennutzungspotenzial, welches über die bisherige Radionutzung (und illegale Smartphone Nutzung) weit hinausgeht. Diese Tatsache zusammen mit dem Wandel des Automobils vom Fortbewegungsmittel zum Device, sind die besten Voraussetzungen für Unternehmen, Content-Anbieter und Werbetreibende innovative Formate und Konzepte für dieses neue Medium zu entwickeln und auszuprobieren.

Dabei ist es jedoch wichtig, eine realistische Erwartungshaltung mitzubringen. Anfänglich werden sehr wahrscheinlich erst einmal bestehende Kampagnentypen adaptiert, die bereits aus anderen Medien und Technologien bekannt sind. Dazu gehören klassische „Content gegen Werbung“-Formate wie etwa Audio- oder Bewegtbildspots in Musik- und Videostreaming Angeboten.

Die Möglichkeiten zur Markenkommunikation werden aber deutlich spannender, wenn Fahrzeuge auf Location-Daten zurückgreifen können. Kommt ein Auto beispielsweise in den Radius eines Supermarktes, könnte ein Audio- oder Bewegtbild Spot abgespielt werden, der über die neusten Rabattaktionen des Händlers informiert. Damit diese Formate aber nicht als störend und aufdringlich empfunden werden, sondern dem Nutzer einen Mehrwert bieten, sollte die Werbung personalisiert sein. Dazu muss das Fahrzeug als Knotenpunkt zwischen standortbasierten Informationen auf der einen und Informationen über die Vorlieben und Interessen der Passagiere auf der anderen Seite fungieren. So kann das Fahrzeug proaktiv oder auf Sprachbefehl hin Restaurants oder Hotels entlang der Strecke finden und selbstständig Reservierungen tätigen.

Mein Kollege und das vollvernetze Fahrzeug: was benötigen Entwickler von Automobilherstellern und was muss bei neuen Diensten für Fahrzeuge beachtet werden?

Damit ein möglichst breites Angebot an unterschiedlichen Angeboten für das Automobil entsteht, muss ein attraktives Ökosystem für Entwickler geschaffen werden. Die Grundlage für die Entwicklung von Apps und Services bilden einheitliche „Betriebssysteme“. Automobilhersteller sollten auf keinen Fall anfangen, konkurrierende Systeme zu entwickeln, da Entwickler sonst unterschiedliche Apps für die einzelnen Plattformen programmieren müssen. Das Entwicklerleben wird auch erheblich vereinfacht, wenn Automobilhersteller attraktive Werkzeuge wie APIs, Dokumentationen oder Codebeispiele und offene Schnittstellen zur Verfügung stellen. Amazon hat beim Lauch seines Sprachassistenten Alexa vorgemacht, wie man erfolgreich einen neuen Markt erschließt. Entwicklern wurden mit dem Alexa Skills Kit die richtigen Tools an die Hand gegeben, sodass innerhalb kürzester Zeit viele unterschiedliche Dienste entstanden sind.

Darüber hinaus benötigen Entwickler Zugriff auf relevante Daten, um personalisierte und standortbezogene Angebote mit einem echten Mehrwert für den Nutzer zu entwickeln. Wenn sich das Auto als Kommunikationskanal zu einem Walled Garden entwickelt, ist dies nicht möglich.

Bei der Entwicklung neuer Dienstleistungsangebote für (teil-)autonome Fahrzeuge ist es außerdem essentiell, die gesamte User Experience zu betrachten. Smart Cars sind nämlich nur EIN Bestandteil einer vernetzten Welt, in der Fahrzeuge mit Smart Homes und Smart Cities kommunizieren.

Sicherlich werden diese neuen Ideen und Konzepte nicht morgen schon marktreif sein. Und bis autonome Fahrzeuge zum Hauptverkehrsmittel werden, vergehen auch noch einige Jahre. Genug Zeit also für Automobilherstellern, Werbetreibende und Marken vieles auszuprobieren und dabei zu lernen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei lead-digital.de.