Wer aufs Handy guckt, zappt weniger

Wie sich der Second Screen auf Reichweite und Werbewirkung auswirkt

Ein Interview von meinungsbarometer.info mit Dr. Tanja Boga, Unit Director Research Consulting bei Mediaplus, und Dominik Kropp, Research Consultant bei Mediaplus

  • Der Second Screen ist inzwischen Alltag – wie kann die klassische TV-Werbung mit der dadurch sinkenden Aufmerksamkeit in Werbepausen umgehen?

    Die Anzahl der Second Screener ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und stagniert aktuell auf einem hohen Niveau. Auch die Intensität der Parallelnutzung hat sichtbar zugenommen. Aus eigenen Forschungsprojekten wissen wir, dass die Vorstellung von der ganzen Familie während der Prime Time vor dem TV – bei dem jedes Familienmitglied zumindest zeitweise ein weiteres Endgerät nutzt – eher dem Normalfall als einer Ausnahme entspricht. Man kann also tatsächlich von einer alltäglichen Nutzungssituation sprechen.

    Die naheliegende Schlussfolgerung wäre: Mehr Screens = weniger Aufmerksamkeit für den großen Screen, also den TV. Doch ganz so einfach ist es nicht. Trotz Parallelnutzung liegt die Aufmerksamkeit immer noch mehrheitlich auf dem großen Bildschirm. Bei Ausstrahlung des Werbeblocks verringert sich die Aufmerksamkeit etwas – der Second Screen rückt stärker in den Fokus. Während des TV-Programms wechselt der Nutzer etwa 1,5 Mal in der Minute zwischen den Screens, bei der Werbung erhöht sich dieser Wert auf 4,1 Mal. Ein weiterer Effekt: Aufgrund der Beschäftigung mit dem Smartphone oder Tablet zappen Parallelnutzer in den Werbepausen seltener – die Reichweite des ausgestrahlten Sendeformats steigt. An diesem Punkt spielen passende Kreationselemente bei den TV-Spots eine bedeutende und nicht zu verachtende Rolle. Die verminderte visuelle Aufmerksamkeit kann bspw. durch auditive Stimuli zurück auf den TV gelenkt werden. Zusammen mit der höheren Reichweite durch das geänderte Zappingverhalten erzielen TV-Spots auch bei Parallelnutzern signifikante Wirkungseffekte.

  • Welche Rolle spielen insbesondere Text und Ton bei der TV-Werbung in Zeiten des Second Screen?

    Der Fokus im Second Screen-Modus kann durch aufmerksamkeitsstarke Gestaltungselemente wieder stärker auf den großen Bildschirm gelenkt werden. Soundlogo, Musik, auffällige Töne und markante Stimmen sind Treiber zur Erhöhung der Werbeerinnerung und Markensympathie bei klassischen TV-Spots. Insbesondere die spotbegleitende Musik hat die Kraft, den Blick vom Smartphone auf den TV zurückzuholen. Die mehrmalige Markennennung sowie die durchgehende Einblendung des Logos liefern ebenfalls höhere Werte bei der Werbeerinnerung. Auf visueller Ebene können Hell-Dunkel-Effekte oder ungewohnte Bilderwelten das Interesse am Spot steigern. Bei allem Kampf um die Aufmerksamkeit gilt es aber, die Elemente maßvoll einzusetzen. Reaktanz und Abnutzungseffekte sind bei allzu “lauten“ Kreationen wahrscheinlich. Zu schnelle und vielfältige Sequenzfolgen benötigen eine hohe Aufmerksamkeit, um den Spot in seiner vollen Gänze verstehen und verarbeiten zu können.

  • Welche Chancen ergeben sich umgekehrt dadurch, dass ein Interaktions-Device in der Hand des Zuschauers liegt?

    Die parallele Nutzung von TV und Internet bietet gute Chancen den Website-Traffic zu erhöhen. Dies ist bei daten-getriebenen Geschäftsmodellen hochrelevant. Nicht umsonst investieren immer mehr E-Commerce-Unternehmen verstärkt in TV-Kampagnen. Über TV kann schnell Reichweite aufgebaut werden. Zur Messung des Erfolgs ist ein Online-Tracking begleitend zur TV-Kampagne sinnvoll. Bei den Traffic-Analysen für unsere Kunden messen wir einen deutlich sichtbaren Anstieg der Website-Besuche – im Verhältnis zur Baseline – nach Ausstrahlung der TV-Spots. Intelligente Mediaplanung eröffnet in diesem Kontext verschiedene Spielarten zur Optimierung des Traffic-Uplifts bzw. der Kampagnenleistung. Anhand der Höhe des TV-induzierten Uplifts optimieren wir z. B. die TV-Planung. Ebenfalls testen wir verschiedene Spot-Varianten und deren Impact für unsere Kunden. Durch die Synchronisierung von TV-Spots mit einer Online-Push-Kampagne haben wir zusätzlich die Möglichkeit crossmediale Multiplying-Effekte zu realisieren. Die Chancen das Smartphone oder ein anderes Device bei der Parallelnutzung zur Aktivierung der Zielgruppe zu nutzen, sind also vielfältig.

    Weiterhin ist die Zielgruppe der Second Screener attraktiver als man vermuten würde. Der typische Parallelnutzer ist jung, affin für neue Produkte und dementsprechend werbereagibel. Unsere Studien und Analysen legen nahe, dass intensive Parallelnutzer Marken besser erinnern und generell positiver gegenüber Werbung eingestellt sind. Auch hier liegen also Chancen Wirkungspotenziale zu entfalten. Aus TV-Planungssicht ist es für bestimmte Marken sogar vorteilhaft, explizit Umfelder mit einem hohen Anteil an Parallelnutzern zu belegen.

  • Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich bei Channel-übergreifenden Kampagnen durch die zunehmende Verbreitung von Smart-TV-Geräten?

    Etwa jeder dritte Haushalt verfügt mittlerweile über einen Smart-TV – aber nur etwa 70 Prozent haben diesen auch ans Internet angeschlossen. Die mit dem Internet verbundenen Geräte können mit interaktiven Werbemitteln bespielt werden – die damit verbundenen Möglichkeiten bezeichnet man als Addressable TV (ATV). Das Versprechen von ATV ist die Kombination der Vorteile von linearem TV und der digitalen Welt.

    Aufgrund der noch beschränkten Reichweite wird ATV aktuell eher begleitend zu einer klassischen TV-Kampagne eingesetzt. Der Mehrwert liegt darin, dass durch Optionen wie Geo-Targeting z. B. regional unterschiedliche Botschaften ausgespielt werden können. Der Zuschauer hat ebenfalls die Möglichkeit mit dem eingespielten Werbemittel zu interagieren, indem er nach dem Anklicken auf eine Microsite mit weiteren Informationen verlinkt wird. Als Überblendung im laufenden Programm haben ATV-Werbemittel eine erhöhte Chance vom Zuschauer wahrgenommen zu werden. Herausforderungen zur Steigerung der Relevanz von ATV sind die Erweiterung der Targeting-Optionen (z. B. auf konkrete Zielgruppen) sowie der Möglichkeiten Spots auch im linearen TV auszutauschen.

Dieses Interview erschien zuerst auf meinungsbarometer.info.

Quellen: SevenOne Media / forsa, 2016: Media Activity Guide 2016; SevenOne Media / concept m, 2014: Werbewirkung bei Parallelnutzung; United Internet Media / eyesquare, 2014: Ethnografische Nutzerstudie; Facit / SevenOne Media, 2016: Die Kraft der Kreation; ARD-Forschungsdienst, 2016: Multitasking und Werbung; Kantar TNS i. A. der Medienanstalten: Digitalisierungsbericht 2017