Die neue Lust auf Wahrheit: Storytelling in der HR-Kommunikation oder „Wer Märchen erzählt, ist raus!“
Geschichten zu erzählen ist für Unternehmen eine perfekte Möglichkeit, junge Talente zu erreichen und für sich zu begeistern. Warum es im Digitalzeitalter besser ist, beim Storytelling bei der Wahrheit zu bleiben, erklärt Tobias Grewe.
Storytelling ist aus dem Recruitment nicht mehr wegzudenken. Warum eigentlich? Geschichten erzählen verkauft sich eben gut – und das nicht nur im Vertrieb. Das gilt heute mehr denn je zuvor. Der Konsum von Informationen befindet sich in einem dauerhaften Wandel, insbesondere bei jungen Zielgruppen wie Hochschulabsolventen. News werden von Millennials, Generation Y und Z anders konsumiert: Gefragt sind authentische Storys. Diese müssen leicht bekömmlich, originell und vor allem auf dem richtigen Kanal „snackable“ sein. Unsere neue Lust auf Geschichten spiegelt das Grundbedürfnis, die eigene Neugier durch persönliche und emotionale Erfahrungen zu stillen.
Richtig ist, dass Geschichten zu erzählen eine perfekte Möglichkeit für Unternehmen ist, junge Menschen zu erreichen. Und richtig ist auch, dass Geschichten diesen Kontakt mit Emotionen aufladen können. Betrachten wir es doch mal aus der zwischenmenschlichen Perspektive: Wenn wir jemanden Interessantes kennenlernen, dann erzählen wir dem- oder derjenigen möglichst spannende Geschichten oder coole Anekdoten aus unserem Leben. Das heißt: Wir bringen Beispiele, wie wir Dinge erlebt, wahrgenommen oder wie wir in Situationen gehandelt haben. Und seien wir mal ehrlich, Blender und Aufschneider enttarnen wir in solchen Situationen intuitiv sehr schnell. Unsere Reaktion ist dann: Wir wenden uns ab.
Warum sollte das bei jungen Menschen, z. B. Hochschulabsolventen, die ein Unternehmen für sich gewinnen will, anders sein? Vor allem, wenn sie das Unternehmen, das mit ihnen kommunizieren will, noch nicht kennen. Genau dann werden Geschichten wichtig, um diese Zielgruppen auf originelle Weise zu erreichen und ihnen zu erzählen, wie das Arbeiten bei dem potenziellen Arbeitgeber wirklich ist. Wobei die Betonung auf „wirklich“ liegt. Denn bei den jungen Bewerberzielgruppen haben wir es mit der kritischsten Klientel überhaupt zu tun. Sie passen genau auf, schließlich geht es um ihren neuen Job, um ihr Projekt, um ihre Zukunft. Das müssen Unternehmen ernst nehmen. Der erste Eindruck zählt – wie beim Kennenlernen eines Menschen, so auch hier. Und wer Märchen erzählt, egal, ob in Form falscher Versprechungen oder von Standardfloskeln, ist raus. Die Adressaten fühlen sich nicht ernst genommen – und sind weg.
Darüber hinaus merken Unternehmen schnell, dass wir im „Age of Recommendation“ angekommen sind. Vertrauen in Marken und Produkte kommt nicht von allein, sondern immer mehr durch Weiterempfehlungen und Erfahrungsberichte. Nicht umsonst nutzen Unternehmen inzwischen Influencer, lassen von ihnen auf Events Produkte testen und setzen sich bewusst ihrer ehrlichen Meinung in den sozialen Netzwerken aus – weil auch hier die Wahrheit nicht mehr wegzudenken ist. Dadurch werden Produkte und Dienstleistungen transparenter. So war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Arbeitgebermarken transparent würden. Schon lange müssen sich Arbeitgeber – ob sie wollen oder nicht – auf Bewertungsplattformen wie kununu oder Glassdoor der direkten Kritik stellen, ob positiv oder negativ. Durch Bewertungen von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern oder durch die Konfrontation mit Erfahrungsberichten von mehr oder weniger schlecht gelaufenen Vorstellungsgesprächen. Alles öffentlich. Alles direkt.
Heute reicht es nicht mehr aus, auf seiner Stellenanzeige oder Karrierewebseite zu behaupten, man sei ein guter Arbeitgeber, biete viele Entwicklungsmöglichkeiten und gehe fair und respektvoll miteinander um. Ohne jegliche Beweise. All das wird im Zeitalter der Digitalisierung nachprüfbar. In Echtzeit. Eigentlich doch eine gute Entwicklung, wenn Wahrheit aus dem Marketing nicht mehr wegzudenken ist, wenn das Erlebte, Gelebte, das Echte wieder einen Stellenwert hat. Insbesondere in der HR-Kommunikation. Warum also nicht gleich die wahren Geschichten erzählen. Denn das ist, was Hochschulabsolventen erwarten, vor allem in einer Zeit der Unsicherheit, wohin für sie die Reise beruflich gehen soll.
Umso wichtiger ist es für den Personaler, Dialogbereitschaft und Beziehungsbewusstsein zu entwickeln. Offenheit für neue Plattformen. Umgang mit direkter Kritik. Viele Personalabteilungen geben offen zu, keinerlei Prozess zu haben, sollten sich Mitarbeiter oder Bewerber im öffentlichen Raum äußern. Zudem haben sie mindestens Scheu, wenn nicht gar Angst, den direkten Kontakt zu suchen. Personalarbeit war bisher auf interne Angelegenheiten beschränkt, auf anonyme Umfragen, auf Vier-Augen-Gespräche. Egal, welche Technologie am Ende den Arbeitgeber transparent macht: Der Mensch und die innere Einstellung zu Transaktion und Dialog werden darüber entscheiden, welche Unternehmen erfolgreich in den Dialog über ihre Arbeitgebermarke treten und welche nicht.
Für die richtigen Geschichten muss man sich selber gut kennen
Für die wahren Geschichten einer glaubwürdigen Kommunikation mit dieser jungen, kritischen und sehr wachen Klientel braucht es die richtige Grundlage. Viele Unternehmen stehen noch ganz am Anfang. Besonders die, die bisher für ihre Bekanntheit noch nie so richtig viel tun mussten. Bei Serviceplan haben wir immer wieder Anfragen von irrsinnig spannenden sogenannten Hidden Champions – unbekannte Weltmarktführer in ihrem speziellen Segment mit oft erklärungsbedürftigen Produkten und oft wesentliche Technologietreiber in bekannten Endprodukten. Problem: Keiner bekommt es mit. Wenn wir bei solchen Unternehmen tiefer eintauchen, entdecken wir Menschen mit außergewöhnlichen internationalen Karrieren und fantastischen Erfahrungsberichten, die den wahrhaften Kern des Unternehmens als Arbeitgeber eins zu eins widerspiegeln. Dieses Potenzial kennen die Unternehmen oft selbst nicht. Und da sie dies entsprechend wenig bis gar nicht nach außen getragen haben, kennen auch Hochschulabsolventen weder das Unternehmen selbst noch die spannenden Aufgaben, die es bietet. Über eine eigene Studie, die wir durchgeführt haben, wissen wir, dass dieses Nichtkennen zu Skepsis und Skepsis zu falschen Annahmen führt à la „Die bezahlen bestimmt schlecht“, „Die sind ja am Arsch der Welt, da komme ich nie wieder weg“ oder „Das ist eine Karriere-Sackgasse“. Dabei sind gerade die Big Player in der Provinz oft Türöffner zu internationalen Karrieren mit sinnstiftenden Aufgaben, die gut bezahlt werden. Und gerade für sie ist es wichtig, diese Geschichte gut – und vor allem wahr – zu erzählen.
Dafür müssen Unternehmen sich selbst erst einmal kennenlernen. Um ihr Potenzial zu erkennen und herauszufinden, welche Geschichten sie wie erzählen können, sodass sie zu einem potenziellen neuen Mitarbeiter passen. Wie im echten Leben. Da geht ein Kennenlernen auch in die Hose, wenn man gekünstelt oder verstellt rüberkommt. Bleibt man dagegen bei sich und vermittelt ein Bild, wie man wirklich ist, kriegt man das positiv gespiegelt. Sowohl von Bewerbern als auch von Mitarbeitern. HR-Kommunikation ist nämlich gleichzeitig interne Kommunikation – denn die Mitarbeiter sind diejenigen, die das, was nach außen kommuniziert wird, nach innen leben.
Ich erinnere mich noch an mein erstes Bewerbungsgespräch, in dem ich die perfekten Antworten auf mögliche Fragen geben wollte. Klassiker: „Ich bin total ungeduldig …“ Natürlich wurde ich nicht genommen. Genauso ist es, wenn Unternehmen mit Bewerbern in Kontakt treten. Jedes Unternehmen hat seinen eigenen Charakter, der dessen Erfolg massiv beeinflusst: Wie die Kultur im Unternehmen gelebt wird, wie man miteinander umgeht, wie man führt und kommuniziert, wie das Produkt hergestellt wird, für das alle arbeiten. Kurzum: WIE das Arbeiten ist.
Der erste Schritt: Ab auf die Couch!
Dieser wahrhaftige und besondere Kern, der den Mitarbeitern den Glanz in die Augen zaubert, steht immer am Anfang. Die gute Nachricht: Jeder hat ihn! Die schlechte, wie gesagt: Noch nicht jedes Unternehmen hat ihn gefunden. Das ist jedoch der zentrale strategische Ausgangspunkt für jede Kommunikation.
So schwer, wie es ist, sich selbst als Person zu beschreiben und zu verkaufen, so schwer ist das für jedes Unternehmen. Das Sich-selber-Kennenlernen ist daher der unerlässliche erste Schritt eines gezielten Employer Brandings. Dafür muss jedes Unternehmen sozusagen erst einmal „auf die Couch“. Diese „Therapie“ führen nicht selten Partner von Serviceplan wie die HR-Experten von Promerit mithilfe einer qualitativen Analyse durch, die über interne und externe Befragungen sowie individuelle Focus Groups und Interviews läuft. Das Ergebnis ist sozusagen eine Anamnese mit einem unverfälschten Blick auf sich selbst: Was macht das Arbeiten in meinem Unternehmen attraktiv, authentisch und differenzierend? Diese Erkenntnisse verdichten wir mit dem Kunden zu einem zentralen Begriff oder einem Satz als Arbeitgeberversprechen, der sogenannten Employer Value Proposition (EVP), und identifizieren Merkmale, Eigenschaften und Facts, mit denen das Unternehmen dieses Versprechen wirklich einlöst.
Nur mit der Kenntnis der eigenen Stärken hat man ein Fundament für erfolgreiches Employer Branding und eine glaubwürdige Arbeitgebergeschichte. Bei Serviceplan entwickeln wir darauf kanalübergreifend die Kommunikation. Die Kooperation mit langjährigen Partnern wie Promerit und seit einem Jahr auch YeaHR! stellt sicher, dass die Kommunikation relevant ist und auf den Candidate und Employee Lifecycle übertragen werden kann. Denn eines steht fest: Substanz entscheidet!
Tobias Grewe
Managing Partner Serviceplan Köln
Nach langjähriger Erfahrung in der Beratung großer Marken, u. a. in den Bereichen FMCG und Finanzdienstleistungen, hat sich der Internationale Betriebswirt seit 2007 insbesondere auf HR-Kommunikation sowie B2B-Kommunikation fokussiert. Als Managing Partner bei Serviceplan Köln hat er im Bereich Employer Branding/Arbeitgeberkommunikation den Hut auf und verantwortet internationale Kunden wie Bayer MaterialScience, Lanxess, Claas und Diehl. Neben der Kommunikation ist die Fotografie Tobias’ zweite Leidenschaft. Seit 2008 sind seine von Publikum und Presse gleichermaßen gelobten Arbeiten regelmäßig in Ausstellungen zu sehen. „Mit meinen Fotoarbeiten versuche ich, dem Betrachter eine neue Seherfahrung oder Wahrnehmung zu ermöglichen, bei der über das Moment des Staunens ein Erkenntnisgewinn entsteht“, sagt der Nordrhein-Westfale. Inspiration für seine Fotokunst findet er auf Reisen nach Asien, in die USA, aber auch direkt vor der Haustür, in seiner rheinischen Wahlheimat Köln.