Conversational Interfaces: verschwinden Programme und Apps in der Zukunft?
75 % aller installierten Apps werden nach drei Monaten nicht mehr benutzt. Die meisten User haben längst den Überblick verloren, was sich so alles auf ihrem Smartphone-Display angesammelt hat. The next big thing heißt deshalb „Conversational User Interfaces“. Christian Bopp klärt auf, was es mit dem neuen digitalen Trend auf sich hat.
Spracherkennungssoftware und deren Einsatz ist bei Weitem keine Neuheit. Siri gibt es seit 2011, und mit Google Now, Cortana und Amazon Echo investieren alle großen Player massiv in Conversational Interfaces (CI). Neben der immer besser funktionierenden Spracherkennung sorgt die Kombination mit künstlicher Intelligenz (AI) und Machine Learning dafür, dass die User Experience dieses Dienstes sich in jüngster Zeit deutlich verbessert hat. In China werden mittlerweile 15 % der Suchanfragen bei der größten Suchmaschine des Landes, Baidu, via Spracheingabe getätigt, was zum Teil auf die komplizierte Texteingabe per Tastatur zurückzuführen ist. In der westlichen Welt haben die großen Kampagnen, die Amazon für seinen Echo einsetzt, dem Bewusstsein in der Bevölkerung für die Sprachsteuerung nochmals einen neuen Schub gegeben.
Diese Entwicklung legt den Grundstein für einen immer stärker werdenden Trend: Grafische User Interfaces (GUI) werden zunehmend durch Conversational User Interfaces (CUI) abgelöst. Einige Experten sprechen sogar von der nächsten großen digitalen Disruption. In jedem Fall bahnt sich abermals ein Paradigmenwechsel an. Die PC-Ära mit Software-Applikationen ging seit Mitte der 90er-Jahre über in die Internet-Ära mit Websites, die die Anwendungen immer mehr ins Internet und später in die Cloud führte. Die vor gut zehn Jahren einsetzende Mobile Ära verschob die Anwendungen dann zu mobilen Plattformen mit ihren mobilen Apps.
Wenn 2020 der Gipfel der Mobilen Ära erreicht sein wird – mit einer Smartphone-Penetration von weltweit 80 % –, steht der nächste Paradigmenwechsel an. Schon jetzt sind die Nutzer kaum mehr in der Lage, die vielen Apps, die sie auf ihrem Smartphone installiert haben, zu überblicken. 75 % der geladenen Apps werden nach drei Monaten gar nicht mehr genutzt. An ihre Stelle sind mittlerweile die Notifications getreten, die den Nutzer über Neuigkeiten aus den Apps informieren, ohne dass diese selbst aufgerufen werden müssen – was allerdings dazu führt, dass der Nutzer in einem Meer aus Benachrichtigungen ertrinkt.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich einige große Player im App-Markt aufgemacht haben, die Rolle der „Super-App“ zu übernehmen, die mehrere einzelne App-Dienste umfasst. Die Anwärter mit den größten Erfolgsaussichten sind die Messenger-Betreiber. Das chinesische WeChat zeigt auf, wohin die Entwicklung führt: So ist es etwa möglich, ein Hotel zu finden, Verfügbarkeiten zu prüfen, eine Buchung und die Bezahlung durchzuführen – alles in einer App. Westliche Anbieter wie Facebook, um nur einen zu nennen, arbeiten mit dem Dienst Facebook M in die gleiche Richtung. Hier ist die Suche über Spracherkennung und AI ebenfalls ein zentrales Element.
Wenn zukünftig ein Nutzer seinem Sprachassistenten mitteilt: „Buche einen Tisch im Restaurant Brenner mit Thomas und Paul“, führt der Assistent alle Aufgaben im Hintergrund aus:
- Reservierungsanfrage Restaurant
- Eintrag in die Kalender
- Benachrichtigung der Freunde
- Wegbeschreibung zum Restaurant
- automatische Rechnungsabwicklung etc.
Statt der Nutzung verschiedener Apps – wie z. B. OpenTable, Kalender, WhatsApp, und Google Maps – wird nur noch eine einzige App benötigt.
Der Grund für den Wechsel zu den Conversational User Interfaces über Spracheingabe ist einfach: Er liegt in der menschlichen Natur. CUI erlaubt es den Nutzern, Fragen zu stellen, Antworten zu erhalten und selbst komplexe Aufgaben in der digitalen wie in der realen Welt durch echte Dialoge zu lösen. Die natürliche Sprache ist seit mehreren Hunderttausend Jahren unser erstes Kommunikationsmittel. Sie dient dazu, Wissen und Emotionen zu teilen und uns zu organisieren – warum also nicht auch in der digitalen Welt?
Die eigentliche Benutzeroberfläche tritt bei vielen Aufgaben – wie etwa das Bankkonto checken, ein Meeting planen, eine Reservierung tätigen oder einen Reiseführer befragen – zunehmend in den Hintergrund. Teilweise wird das User Interface (UI) sogar ganz verschwinden; in diesem Fall ist kommt der Begriff Zero UI ins Spiel. Bei diesem neuen Paradigma ist die Benutzeroberfläche nicht mehr durch das zweidimensionale Display beschränkt, sondern das Handling erfolgt haptisch und automatisiert. Natürlich wird es daneben auch weiterhin grafische Interfaces geben. Aufgaben wie die Mehrfachauswahl, das Durchstöbern von Dokumenten oder die Suche auf einer Karte können mit GUIs weitaus effizienter bearbeitet werden.
Dennoch, es muss ein Umdenken sowohl bei den Unternehmen und Agenturen als auch bei den Nutzern erfolgen. Aufseiten der Unternehmen bedarf es einer rechtzeitigen Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Grenzen von CUI und Zero UI. Dabei sind die Kosten des Einstiegs in diese neue Technologie gar nicht so hoch. Es stehen viele Skills in den Libraries zur Verfügung, mit denen einfache CUI in Form von Chatbots gebaut werden können. Auch bei den Agenturen müssen innovative Wege beschritten und neue Kompetenzen aufgebaut werden – mit Mitarbeitern, die sich auch jenseits grafischer Interfaces mit der Nutzer-Interaktion auskennen und diese in Sprach-Interfaces planen und umsetzen können. Profiteure sind die Nutzer, die einen alternativen und (hoffentlich) vereinfachten Zugang zu Funktionen und Interaktionen erhalten.
Illustration: Christine Roesch
Christian Bopp
Geschäftsführer und Partner Facit Digital
Der Diplom-Volkswirt ist Geschäftsführer und Partner von Facit Digital, der digitalen Säule der Facit Gruppe. 2007 gründete er das auf digitale Medien spezialisierte Beratungsunternehmen. Mit seinem Team erforscht er die Bedürfnisse, das Verhalten und das Erleben von Nutzern interaktiver Medien und hilft Kunden damit, überzeugende digitale Produkte und Dienste anzubieten. Seit 20 Jahren beschäftigt sich Christian beruflich intensiv mit User-Experience-Forschung. Er hat Erfahrung mit allen qualitativen und quantitativen Marktforschungsinstrumenten und betreut Kunden vor allem aus der Finanz-, der Automobil- und der Medienbranche. Entspannung und Ausgleich findet er beim Wandern und Skifahren in den Bergen, am liebsten aber fährt er mit dem Motorrad raus in die Natur.