Same same but different: Was man im internationalen Storytelling beachten sollte

Wer eine internationale Storytelling-Kampagne entwickelt, sollte die kulturellen und ländertypischen Unterschiede im Kopf haben – und die entsprechenden Hintergrundinformationen zur Hand. Denn auf dem Weg zur perfekten Geschichte kann man in viele Fallen tappen, weiß Markus Noder.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten im Familienduell sechs Begriffe nennen, die beschreiben, was die Deutschen lieben. Eine Ihrer Antworten wäre dann sehr wahrscheinlich „Tatort“, dicht gefolgt von „Mallorca“ und „Auto“ – und nicht zu vergessen „Pünktlichkeit“, „Fußball“ und „Currywurst“. Ginge es darum, was Italiener, Japaner oder Kanadier bevorzugen, sähen Ihre Antworten vermutlich anders aus – deutlich anders. Ähnlich gelagert ist die Situation auch bei der Entwicklung einer internationalen Storytelling-Kampagne. Was einen Franzosen berührt, könnte einen Briten völlig kalt lassen oder umgekehrt. Jedes Land – und damit jede Kultur – hat seine beziehungsweise ihre eigenen Trigger, ein eigenes Verständnis von Humor und Emotion, jenseits von Klischees und Vorurteilen. Hinzu kommt, dass Symbole und Situationen unter Umständen falsch gedeutet werden könnten. Bekanntestes Beispiel dafür ist ein Kopfnicken als Antwort: Bei uns bedeutet es Zustimmung, in Indien zum Beispiel Verneinung. Same same but different eben. Eines ist sicher: Auf dem Weg zur perfekten Geschichte kann man in viele Fallen tappen.

Insights: Der Schlüssel zum Konsumenten

Kulturen sind im weitesten Sinne der jeweils gemeinsame Nenner der Bewohner eines bestimmten Gebietes – auch wenn sie in Zeiten von Flugreisen und Globalisierung keine starren Zustände mehr sind. Die Grenzen dieser Identitäten sind fließend. Jedes Individuum hat einen eigenen Begriff davon und oft ist dieser innerhalb landesspezifischer Gruppen sehr ähnlich. Bringt man diese Voraussetzungen mit Storytelling zusammen, das bei bestehenden sowie potenziellen Kunden die Markenbotschaft tiefer verankern soll, indem das Produkt emotionalisiert wird, gilt es kulturelle Unterschiede zu kennen und diese auch entsprechend zu beachten. Das ist besonders vor dem Hintergrund ratsam, dass die Aufmerksamkeit der Kunden begrenzt ist und der Kampf um ebendiese immer härter wird. Wer den Kunden aktivieren möchte, muss so gezielt wie möglich Eingang in dessen persönlichen Kosmos finden.

Die Zahl der Herausforderungen ist vielfältig. In Indien stellt die schiere Größe und Vielfalt des Landes eine Hürde dar, in Finnland – dem Land der Kaffeetrinker – könnte es schwierig werden, Konsumenten für Tee zu begeistern, und von den Gegensätzen in Russland könnte einem schwindelig werden. Die Hürden sind so unterschiedlich wie die Länder, in denen sie auftauchen. Mal sind sie kultureller, mal technischer oder aber politischer Natur. Drei Beispiele aus Europa, Fernost und den Vereinigten Arabischen Emiraten sollen zeigen, wie man kulturelle Stromschnellen umschifft und so erfolgreiche Storytelling-Kampagnen umsetzt.

Frankreich: Wie man Autos bewirbt und dabei auf hohe Geschwindigkeiten verzichtet

In Frankreich ist es ziemlich schwierig, Autos zu bewerben, da es gesetzlich verboten ist, schnell fahrende Wagen zu zeigen. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Autospots denken? Wahrscheinlich ein aus der Vogelperspektive gefilmter SUV, der in hoher Geschwindigkeit eine kurvige Straße der windumtosten schottischen Highlands entlangbraust. Das soll vor allem Auto-Enthusiasten ansprechen, die Kraftfahrzeugen vor allem deshalb verfallen sind, weil diese viele PS unter der Haube haben und entsprechend flott unterwegs sind. Im französischen Fernsehen ist das so nicht möglich. Sie merken: Um Werbung und Storytelling ist es bei unserem westlichen Nachbarn nicht ganz einfach bestellt.

Zum Hintergrund: In Frankreich gibt es die einflussreiche Vereinigung Autorité de Régulation Professionnelle de la Publicité, die für jede einzelne Spotvariante, die veröffentlicht wird, konsultiert werden muss. Erst mit einer Genehmigung der ARPP ist der Spot legal und darf gesendet werden. Diese ist obligatorisch für TV und Kino. Zusammen mit der Road Safety wurden spezifische verbindliche Regeln für die Autowerbung erarbeitet. Sicherheit auf der Straße ist in Frankreich seit Jahren ein heißes Thema.

Hier die wichtigsten Regeln im Überblick:

  1. Die Anzeige darf das Thema Geschwindigkeit nicht thematisieren und auch nicht die Anziehungskraft inszenieren, die diese möglicherweise ausstrahlen könnte – weder in Bildern noch im Ton, in Overlays oder in schriftlichen Informationen.
  2. Die Anzeige darf die Leistung der einzelnen Autoteile nicht als probate Mittel zur Erhöhung der Geschwindigkeit darstellen. Stattdessen müssen diese als Sicherheitselemente kenntlich sein, deren Funktionsweise sich je nach Straßenzustand und atmosphärischen Bedingungen ändern kann. Außerdem soll ein besonderes Augenmerk auf den Reaktionen des Fahrers liegen, um an das Verantwortungsbewusstsein der künftigen Nutzer zu appellieren.
  3. Die Anzeige darf nicht dazu führen, dass die Nutzer glauben, die Qualität des Autos erlaube es ihnen, unvorsichtiger zu fahren.
  4. Die Anzeige darf keine Fahrzeuge darstellen, die gegen die Regeln der Straßenverkehrsordnung verstoßen.

Der wichtigste Punkt ist wohl Nummer eins. Jedes der Beispiele kann jedoch ein echtes Hindernis im Entwickeln einer Storytelling-Kampagne sein. Wir beschäftigen uns daher oft und intensiv mit dem ARPP, um eine Lösung zu finden.

Hier ein paar Beispiele: Ein sehr schneller, dynamischer Schnitt kann als hohe Geschwindigkeit wahrgenommen werden, selbst wenn alle Pläne gesetzlich vereinbar sind. Oftmals muss der Klangeffekt des Motors reduziert werden, um die Geschwindigkeitswahrnehmung zu „verlangsamen“. Da keine Verstöße der Straßenverkehrsordnung dargestellt werden dürfen, dürfen die Spotautos nicht schneller als 130 km/h fahren. Das ist die maximal erlaubte Geschwindigkeit auf französischen Autobahnen. Auch Metaphern können Probleme bereiten: Wird ein Auto beispielsweise von einem Flugzeug verfolgt, könnte das mit hoher Geschwindigkeit assoziiert werden.

Dubai: Warum der beste Freund des Menschen nicht in der Werbung auftauchen sollte

Auch wenn Sie keine Katze oder keinen Hund besitzen: Sie haben jeden Tag mit Haustieren zu tun, ob im Fernsehen, auf Social-Media-Plattformen, in Zeitschriften oder auf der Straße. Haustiere sind Ikonen. Man denke nur an Grumpy Cat, die inzwischen angeblich ein dickeres Konto besitzt als Fußball-Legende Christiano Ronaldo. Das hat auch die Werbung längst für sich entdeckt. Haustiere zieren inzwischen nicht nur Kampagnen für Produkte, die für Vierbeiner gedacht sind, sondern Kampagnen für sämtliche Produkte vom Taschentuch über die Versicherung bis hin zu erfrischenden Getränken. Sogar in ein Weihnachts-Viral hat es Buster, der Boxer schon geschafft. 2016 lebten bereits 13,4 Millionen Katzen und 8,6 Millionen Hunde in deutschen Haushalten – Tendenz steigend. Katzen, Hunde und andere Haustiere sind also Schlüssel zu unseren Herzen und gerade deshalb so gut geeignet für das Storytelling.

Tiere erhöhen die Verbindung zu potenziellen Kunden: Wer würde einem pelzigen Freund nicht verfallen? Tatsächlich sind es nicht wenige. Und hier sind wir auch schon an der Wurzel des Problems angekommen: Neben der Tatsache, dass manche Menschen eher Hunde bevorzugen und andere Katzen (oder Reptilien), gibt es Länder, in denen etwa der Auftritt eines Hundes in der Werbung völlig ausgeschlossen ist. Die oben beschriebene Wirkung eines Spots mit einem tierischen Protagonisten würde in den Vereinigten Arabischen Emiraten genau die gegenteilige Wirkung auslösen wie bei uns.

Auch wenn Hunde als Haustiere allgemein akzeptiert werden oder – je nach Land – in vielen Ländern des Mittleren Ostens mal mehr, mal weniger toleriert werden, vor allem in kosmopolitischen Städten wie Dubai sind Hunde in der Werbung dort ein großer Fauxpas. Grund dafür: Hunde gelten im Islam als rituell unrein. Auch wenn Sie auf der Straße Familien mit Hunden sehen – denken Sie gar nicht erst daran, diese in einer Kampagne zu zeigen. Dies würde als unwissend und beleidigend empfunden werden. Zeigen Sie, dass Sie die kulturellen Unterschiede und Besonderheiten verstanden haben, halten Sie die Augen offen. Welcher Kunde würde schon eine Agentur beauftragen, der das Fingerspitzengefühl fehlt. Wahrscheinlich gar keiner. Die Vorbereitung der Kampagne und die ausführliche Recherche ist die Basis für eine erfolgreiche Kampagne.

China: Verwenden Sie WeChat! We was?

Nicht nur andere Sitten legen Ihnen Storytelling-Steine in den Weg, sondern auch Gebräuche. Wahrscheinlich gehören auch Sie zu den weltweit 1,3 Milliarden Nutzern von WhatsApp.  Das ist nicht ungewöhnlich, schließlich ist die App der beliebteste Messenger-Dienst der Deutschen. Wir nutzen den Dienst, um Texte, Sprachnachrichten, Videos und Bilder zu verschicken. Ganz anders sieht es in China aus: Dort wird die App WeChat von der breiten Masse genutzt. Und zwar nicht nur für die Kommunikation miteinander, sondern auch um Rechnungen zu bezahlen, Gutscheine zu erhalten und passende Restaurants zu suchen. Ein ganzes Ökosystem verbirgt sich hinter dieser App. Die Chinesen sind uns hier also bereits einen großen Schritt voraus. Willkommen in der Zukunft!

Wenn es ein Wort gibt, das China passend beschreibt, dann ist es „Veränderung“. Es ist offensichtlich, dass das Reich der Mitte schon bald in vielen Disziplinen die Nummer eins in der Welt sein wird. Bereits heute ist das Land für viele Industrien der entscheidende Wachstumsgarant. Der Wandel von investitionsgetriebenem Wachstum hin zu einem kontinuierlich steigenden Binnenkonsum ist das nächste Ziel, das die chinesische Regierung im Eiltempo vorantreibt. Schon jetzt ist China nach den USA der zweitgrößte Werbemarkt der Welt. Das bedeutet für Werbungtreibende, dass der Budgeteinsatz mit maximaler Intelligenz im Zusammenspiel der einzelnen Kommunikationsdisziplinen geplant und neue Wege zu den Konsumenten gesucht werden müssen. Voraussetzungen hierfür sind ein tiefes Verständnis und aktuelles Wissen über Markt, Konsumenten und Medien. Sie müssen also nicht nur ein Auge darauf haben, was nationale Gepflogenheiten und Besonderheiten betrifft, sondern auch darauf, wie die einzelnen Kulturen kommunizieren. Nur wenn Sie einen detaillierten Einblick haben, wo sich Ihr Nutzer bewegt – sowohl online als auch offline –, kann die Planung und Umsetzung einer Storytelling-Kampagne ein Erfolg werden.

Erfolgreiche Markenkommunikation basiert demnach auf umfassendem Wissen über und Verständnis für den jeweiligen Kulturkreis der Kunden. Dabei muss ein gesundes Maß an globaler Gleichheit und lokaler Differenzierung definiert und eingehalten werden – dann klappt es auch außerhalb der Stereotypen. Wem dieser Balanceakt gelingt, wird weltweit als herausragende Marke wahrgenommen.

Markus Noder

Managing Partner Serviceplan International

Markus Noder ist Geschäftsführer und Partner von Serviceplan International und zeichnet seit 2011 für die Internationalisierungsstrategie der Serviceplan Gruppe verantwortlich. Zu den deutschen Standorten in München, Hamburg, Bremen, Berlin und Köln kamen unter seiner Regie bis heute eigene Häuser der Kommunikation in Wien, Zürich, Paris, Mailand, Brüssel und Dubai hinzu sowie Dependancen in Moskau, Delhi, Beijing, Shanghai und Seoul. Für die „Mission Internationalisierung“ ist Markus 200 Tage im Jahr rund um den Globus unterwegs. Ziel ist es, an allen Standorten der Serviceplan Gruppe Häuser der Kommunikation zu entwickeln, die sämtliche Kommunikationsdisziplinen unter einem Dach vereinen. Markus ist die Verkörperung des Global Citizen. Sein Zuhause? Die ganze Welt!

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