Dennis Pfisterer

Managing Partner & Chief Innovation Officer, Saint Elmo's

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Innovation ist die treibende Kraft der Wirtschaft. Ohne sie herrscht Stillstand. Aber Neuerungen funktionieren nur, wenn sie die Probleme der Menschen lösen. Dennis Pfisterer plädiert für eine neue Herangehensweise an Innovationen

Ein neues Jahr beginnt, und wann, wenn nicht jetzt, macht es Sinn zu hinterfragen, wie wir die Dinge in Zukunft angehen wollen. Gibt es neue Ideen oder Erkenntnisse, die uns 2018 weiterbringen werden? Die uns persönlich, geschäftlich oder gar gesellschaftlich nachhaltig prägen werden? Innovationen versprechen Fortschritt, aber ist das wirklich so? Ist Innovation per se überhaupt erstrebenswert?

Per Definition ist Innovation ein willentlicher und gezielter Veränderungsprozess hin zu etwas Erstmaligem, Neuem. Die Suche nach neuen Erkenntnissen oder Lösungen setzt daher Neugier, Kreativität und Lust auf Erneuerung voraus. Das erklärt auch, warum der Begriff „Innovation“ gern und oft gewählt wird, um Neuartiges jeglicher Art zu verkaufen. Von Gedankenkonstrukten wie zum Beispiel dem Kommunismus, der den Einzelnen und die Gesellschaft von Grund auf verändern wollte, bis hin zu ganz greifbaren Produkten wie dem iPhone X, das so ziemlich den gleichen Anspruch hat.

Steigt man in das vergleichsweise noch recht neue Forschungsfeld der Neurowissenschaften und damit in die tieferen Gefilde unseres Hirns ein, erkennt man, wie tief das Konzept in uns verankert ist. Betrachtet man zum Beispiel das von Dr. Hans-Georg Häusel entwickelte Modell der Limbic Map genauer, ist Innovationsdrang mit einer der drei Hauptkräfte gleichzusetzen, die unser Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen: der Stimulanz. Sehr vereinfacht ausgedrückt, prüft unser Gehirn demnach unterbewusst (im limbischen System) alle sensorischen Informationen, ob sie a) dazu beitragen, unseren Status quo zu erhalten, b) uns in irgendeiner Weise zu stimulieren oder c) uns möglicherweise Kraft oder Macht verleihen.

Innovation kann somit evolutionär tatsächlich als urmenschlichen Drang verstanden werden, sich aus dem Status quo zu befreien, um unsere Zukunft zu sichern. Was neu und innovativ ist, steht natürlich immer in einem bestimmten geografischen und gesellschaftlichen Kontext und ist somit vom Zeitgeist abhängig. Logischerweise sind Innovationen natürlich auch nur für einen limitierten Zeitraum relevant. Wir alle kennen den peinlichen Moment, wenn Mutti auf Anerkennung hoffend begeistert von diesem Facebook redet oder der Bekannte vom Lande diesen oder jenen Look jetzt total Berlin-Style findet. Heute Hype, morgen Mainstream, übermorgen old-school. Eine Innovation überholt die nächste. Soweit nichts Neues. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Ist in Zukunft tatsächlich nur der erfolgreich, der total „different thinkt“ und seine neuartigen Ideen mit voller Power in unsere Köpfe pusht?

Sind sie down mit Uber-Innovation?

Ein Problem entsteht auf jeden Fall, wenn wir Menschen mit unseren eigenen Innovationen nicht mehr mithalten können. Denn durch den digitalen Wandel hat die ohnehin rasante Entwicklung der Technik jüngst noch einmal einen ordentlichen Kickstarter bekommen. Von der menschlichen Evolution lässt sich das leider nicht behaupten. Im Gegenteil: Dummerweise ist und war Mensch schon immer von Natur aus eher auf langsamen und linearen Wandel geprägt. Unser menschlicher Prozessor hat in den letzten 50.000 Jahren weitaus weniger Leistungs-Updates erhalten als Computer in den letzten 50 Jahren.

Betrachtet man die exponentielle Entwicklungskurve der Rechenleistung von Computern, die dem sogenannten Mooreschen Gesetz folgt, kann man davon ausgehen, dass diese in wenigen Jahrzehnten ein schwindelerregendes Niveau erreichen wird. Demnach wird vermutlich irgendwann zwischen 2050 und 2060 ein einziger Superrechner die Rechenleistung von weltweit allen menschlichen Gehirne zusammen besitzen. Fantastisch, was in Zukunft damit – technisch gesehen – alles möglich sein wird. Aber wie wird unser weitestgehend noch neolithisches Hirn in der ständigen Konfrontation mit AI-enhanced-Superbrain-Autos und Staubsaugern emotional umgehen?

Schon heute scheinen immer mehr Menschen an Überforderung durch den Innovations- Overflow und der damit verbundenen Informationsfülle zu leiden. Besonders absurd, weil diese meist mit dem Versprechen größerer persönlicher Freiheit, Selbstbestimmung und Glück daherkommen. Gleichzeitig wird in immer mehr Studien eine direkte Parallele zwischen der Verbreitung von Depressionen und der steigenden Nutzung neuer Technologien gezogen und der sogenannte Digital Detox als heilende Maßnahme nahegelegt. Wenn nun auch noch die Architekten der großen Innovationsschmieden in Silicon Valley selbst bekennen, dass ihre Technologie das soziale Gefüge der realen Welt zerstört, ist es vielleicht angebracht, die einfache Gleichung Innovation = neue Technologie ernsthaft zu hinterfragen.

Sind wir „hooked on innovation“?

Die große Gefahr der digitalen Transformation steckt vielleicht neben der extremen Geschwindigkeit, mit der sie voranschreitet, ein ganzes Stück weit auch im Über- und Missbrauch des Wortes „Innovation“ selbst. Auf Tech-Summits, in Start-ups, Marketingabteilungen und den Social Networks wird alles gefeiert, was weltverbessernde digital-soziale Disruption verspricht. Das wiederum verleitet dazu, nur Ideen für innovativ zu halten, die einen fetten Wow-How-Awesome-Technology-Badge tragen. Vor lauter Begeisterung für die innovative Technologie geht die wirklich spannende Frage, wohin uns diese eigentlich bringen soll, schon mal unter.

Natürlich, man könnte sagen, wir leben in einem freien Markt. So lange sich damit Geld machen lässt, und der Nutzer glaubt, freier, einfacher oder schneller durch den Alltag zu kommen, ist alles gut. Anderseits, wer redet da eigentlich wem was ein? Facebook stoppte kürzlich sein AI-Programm, weil es eine effizientere Sprache erfand, die ihre Schöpfer nicht mehr verstanden. Fraglich außerdem wie lange die breite Masse der Menschen der Überflut an Innovationen noch ihre Aufmerksamkeit schenkt? Neben irgendeiner blockchain-basierten Cyber-Währung dürfte aber genau Aufmerksamkeit die Währung der Zukunft schlechthin sein.

Die Mechanik, die man dazu einsetzt, dauerhaft Aufmerksamkeit von Nutzern zu erhalten, nennt sich „Computer Aided Persuasive Technology“, was übersetzt in etwa „computer-basierte Überredungstechnologie“ bedeutet. Der Begriff stammt vom Verhaltensforscher BJ Fogg, heute Leiter des Stanford Persuasive Tech Labs, wo Technologiejünger die neuesten Tricks der Manipulation erlernen. Wie man damit emotionale Abhängigkeit schafft, beschreibt auch Nir Eyal ausführlich in seinem Bestsellerbuch „Hooked: Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen?“ Das Wichtigste in seinem Modell: der Trigger, der in Fleisch und Blut übergeht. Ein Like hier, ein Benachrichtigungslämpchen oder ein Vibrationsalarm dort – alles, um Reaktionen beim Nutzer zu provozieren. Snapchats Streaks belohnen beispielsweise den Nutzer für Aktivität mit kleinen Flammen-Icons, die aber erlöschen, wenn keine weiteren Snaps innerhalb von 24 Stunden gesendet werden. Tja, wie lange diese Entwicklungen noch gut gehen? Fragt sich anscheinend auch die Börse und wettet nicht auf steigende Kurse von Snap Inc.

Innovation. For real!

Bevor Innovation also komplett aus dem Ruder läuft, befreien wir sie doch aus Bullshit-Bingo-Falle und laden dieses lebenswichtige Konzept wieder sinnvoll auf. Zum Beispiel mit zwei altbekannten Ansätzen: dem ehrlichen Human Centric Approach und dem ihm nahestehenden – sehr vernünftigen – Customer Value. Dieses Real-Deal-Team hätte womöglich die Power, wirklich Revolutionäres zu leisten, statt reflexartig immer nur in Richtung des technologiegetriebenen digital-sozial-disruptiven Fortschritts zu laufen. Denn Innovation, die den Menschen keinen Nutzen bringt oder sogar schadet, ist einfach keine.

So würde ein Schritt nach links, rechts oder bei Zeiten gar nach hinten kein Widerspruch zur Innovation mehr sein, sofern er einen Mehrwert schafft. Ein paar Beispiele: Kann in einer durchtransformierten, digitalen Zukunft, in der es von digitalen Sprachassistenten nur so wimmelt, ein Serviceanbieter mit echten Menschen im Support nicht auch ganz weit vorne dabei sein? Oder könnte ein etwas weniger-slimmes Mobiltelefon X, welches dafür die Akkuladezeit eines Nokia 3310 bietet, nicht als die smartere Wahl durchgehen? Oder könnte ein Auto, dass man nicht Stunden an ein Kabel binden muss, sondern dessen Batterie man ganz einfach wie bei einer Fernbedienung an jeder Tankstelle wechseln kann, nicht die nahliegende Wahl für urbane Explorer sein?

Grundsätzlich könnten vielleicht diejenigen, die in Zukunft Technologie einsetzen, um Nähe in der Realität herzustellen, zu Gewinnern der Digitalisierung gehören. Innovative neue Marken wie zum Beispiel der englische Hersteller von Radsportbekleidung Rapha nutzen bereits bestehende soziale und eigene digitale Kanäle dazu, um Menschen in der echten Welt zusammenzubringen und aktiv ihr Produkt ganz real erleben zu lassen. Nach den Content-is-King-Jahren in denen „media“ und „the message“ kaum mehr voneinander zu unterscheiden waren, tritt in einer Post-Fake-Bullshit-Ära quasi zwangsläufig das echte Produkterleben wieder in den Vordergrund.

In vielen Lebensbereichen wird das vermeintlich Alte wieder neu entdeckt und in neuer innovativer Verpackung präsentiert. Entscheidend wird in Zukunft aber immer weniger der Einsatz von möglichst viel neuer Technologie wie zum Beispiel die aktuell viel diskutierte Virtual-, Augmented- oder Mixed-Reality sein. Vielmehr wird entscheidend sein, Technik innovativ einzusetzen, um ein Produkterlebnis zu kreieren, welches die Nutzer emotional bewegt und gleichzeitig die Frage „Warum diese Marke?“ beantwortet. Solche wirklich „immersiven“ Erfahrungen kosten zwar mehr Zeit und Geld als rein digitale Maßnahmen, liefern dafür aber auch einen nachweisbar nachhaltigeren Mehrwert für die Nutzer und generieren zudem ganz nebenbei einzigartige Marken-Inhalte für alle Marketingkanäle.

Wo auch immer die Reise dieses Jahr für Sie und Ihr Unternehmen hingeht, Innovation wird Sie treiben. Innovation darf aber nicht zum Problem für die Menschen werden, sondern muss die lösen. Daher wird eine zentrale Herausforderung für Markenmacher sein, Innovation zu durchschauen und zu erkennen, wann sie zur einer Sackgasse für die Nutzer wird.

Die heute schon verfügbare Menge an Daten aus Wirtschaft und Forschung erlaubt uns recht klar, ein durch Technologie geprägtes Bild der näheren Zukunft zu skizzieren. Die Frage ist, inwieweit wir dieses Wirklichkeit werden lassen wollen. Erlauben wir uns dieses Jahr doch öfter mal im Fall so einer In-NO-WAY-tion auf die Bremse statt reflexiv auf den Like-Follow-Button zu drücken. Statt viel Zeit mit der Suche nach der passenden Innovation zu verbringen, können wir sie dann nutzen, selbst echte Innovation zu treiben. Und manchmal braucht es ja auch nur einen ganz kleinen Schritt in die richtige Richtung, um unseren Kunden den größten Nutzen zu bringen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei capital.de.

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